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November 2014


 
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Ich möchte es einfach einmal aufschreiben, weil es mich nervt. Es sind keine neuen Erkenntnisse, es ist nicht vollständig und auch nicht die Quintessenz, vielmehr sind es ein paar Binsenweisheiten, die man beachten muss, um sich nicht zum publizistischen Vollhorst zu machen. Kann aber scheinbar niemand mehr. Die Journaille, die sich für ihr grottiges Ejakulat noch mit Medaillen behängt ebenso wenig wie die ach so alternativen Fuzzis aus jedem Krawallblog, die glauben, es genau so gut zu können. Dabei könnten die wenigstens an der Stelle, wo sie damit recht haben, einmal kurz innehalten.

Es gibt so einiges, das ist von der Sorte ‘Tut man nicht’, und das heißt so, weil man es nicht tut. Das ist zum Beispiel abschreiben. Tut man nicht. Niemals. Wenn ich eine Meldung lese, habe ich der gefälligst zu misstrauen. Wenn sie nicht in mein Weltbild passt, bin ich misstrauisch, weil ich mir das nicht zufällig zusammengebaut habe. Ich halte Dinge für wahr, möglich, wahrscheinlich, unwahrscheinlich, unmöglich oder unwahr. Was da weiter rechts angesiedelt ist, macht mich stutzig.

Cogito ergo sum

Wenn ich etwas erfahre, das mein Weltbild stark bestätigt, – HALLO, ZUHÖREN! – dann macht mich das stutzig. Weil ich mir nicht traue. Ich bin ein Mensch, ich habe Neigungen, die meinen Verstand beeinträchtigen. Kritisch bin ich, wenn ich mich selbst anzweifle. Was mich bestätigt, hat daher geprüft zu werden, als sei es unmöglich. Gibt es noch andere Quellen? Hat meine einen Grund, das so und nicht anders darzustellen? Haben die, auf die ich mich beziehe, schon einmal gelogen? Ja, das ist ein anderes Geschäft als irgendwen zu zitieren, nicht wahr? Da ist der Copy and Paste-Hanswurst schon lange fertig, wo die Arbeit eigentlich beginnt.

Propaganda zum Beispiel, macht man nicht! Wenn ich eine öffentliche Meinung verstärke, dann ist das Propaganda, nichts anderes. Wenn die Medien voll sind mit Meldungen, dass Loriot ein furchtbarer Schurke ist, dann habe ich alles Mögliche im Sinn, aber nicht zu erzählen, wie furchtbar der Superschurke Loriot ist. Ich schreibe keine Anti-Loriot-Appelle¹, niemals, denn das ist Propaganda. Ich äußere mich niemals über Schurkereien von Loriot, die ich nicht für zweifelsfrei bewiesen halte, denn das wäre üble Propaganda. Im Gegenteil habe ich den Anspruch, nur etwas zu sagen, wenn es eine Sache aus einer neuen Perspektive beschreibt oder neue Fakten enthält. Sei es auch nur mein Ärger, dann habe ich das aber genau so deklarieren.

Womit wir bei Transparenz sind: Das Einzige, das nicht zur Informationspflicht gehört, sind Quellen, deren Wohlergehen sonst gefährdet wäre. Alles andere wird offengelegt, vor allem von mir selbst: was mich bewegt, warum ich etwas sage, wie ich denke, wie ich dazu komme, was mich treibt, wer mich beeinflusst, wer mich bezahlt. Alles andere läuft auf Propaganda hinaus. Ich kann mich auch irren, dann sage ich auch das, und zwar sobald ich meinen Irrtum feststelle. Das ist ganz einfach, wenn man sich selbst nicht für wichtiger hält als die Nachricht oder den Kommentar.

Das Urteil

Womit wir abschließend bei dem sind. Ein Kommentar darf fast alles, aber nur, wenn das da oben beachtet wird. Sonst ist er Propaganda. Der Kommentar ist die höchste Kunst, die das höchste Risiko birgt, in miserabelste Propaganda abzurutschen. Ein Kommentar ist ein Urteil, meist sogar eine Sammlung von Urteilen. Die lässt man nicht ab, wenn man sich nicht in die blutigen Abgründe des Zweifels begeben hat. Was zweifelhaft ist, muss zweifelhaft bleiben, der Rest ist die Wahrheit. Wenn einer dann ein verurteilter Hanswurst ist, darf man ihn so nennen. Wenn etwas skandalös ist, darf man Konsequenzen fordern.

Aber gerade hier gilt: Wenn ich mich geirrt habe, muss ich meinen Irrtum lauter beklagen als ich vorher andere angeklagt habe. Ich muss deutlich machen, dass, worin und warum ich mich geirrt habe. Ich muss mir und anderen die Gelegenheit geben, aus solchen Fehlern zu lernen, und ich selbst habe die verdammte Pflicht dazu.

So, und dann sagt mir mal, wo diese Maßstäbe gelten? Ich weiß, es ist traurig, aber wenn wir sie aufgeben, bleibt irgendwann nichts mehr außer Hetze und Geschrei.

¹: Für Schlaumeier ergänzend angemerkt: selbstverständlich schreibe ich auch keine Pro-Appelle oder Elogen jedweder Art. Muss ich erwähnen, dass das Propaganda wäre?

 
Die amerikanische Justiz – womit ich das gesamte sogenannte Rechtssystem meine – ist nicht einzigartig, wenngleich ihr Rassismus besonders hervorsticht. Letzteres auch eher deshalb, weil unter der Herrschaft der Weißen besonders viele Farbige zu leiden haben und weil die weiße Mehrheit wankt. Nicht ihre Dominanz, aber ihre Anzahl.

Polizeibrutalität, gerade in Kombination mit Rassismus, ist weit verbreitet, vor allem in von Weißen dominierten Ländern. Deutschland muss sich da keineswegs verstecken, auch hier sind nicht nur grausame Verbrechen durch Polizisten begangen worden. Auch hier wurden sie oft nicht behandelt wie Verbrechen. Vor allem aber besteht hier das bekannte Konglomerat aus Nazis und Geheimdiensten sowie Schnüffelabteilungen der Polizei. Diese Stasi von Rechts ist ganz selbstverständlich rassistisch, aber das ist nicht das vordringliche Problem.

Grenzen aufzeigen

Dass in Ferguson der freiberufliche Henker in Uniform, der einen schwarzen Teenager auf offener Straße hingerichtet hat, während der die Hände erhoben hatte, nicht einmal angeklagt wird, ist natürlich ein beachtlicher Vorgang. Dass neun Weiße und drei Schwarze in der Jury saßen, noch völlig normal. Die Argumente hätte ich allerdings gern einmal gehört, die dort ausgetauscht wurden.

Was tun, wenn der Staat im Staate zu offenem Rechtsbruch übergeht? Was tun, wenn von Staatsbediensteten unverhohlen Verbrechen begangen werden, gar Morde auf offener Straße, die nicht einmal mehr zur Anklage kommen? Was tun, wenn ihre Verbrechen gedeckt werden, wo sie nicht vertuscht werden können, wenn mit den Opfern jeder Anstand am Boden liegend zusammengetreten wird?

Die Bürger in Ferguson haben eine Antwort gegeben, und es ist Zeit offen zu diskutieren, ob diese Reaktion nicht die richtige ist. Es gibt reichlich Gewalt, die Aufmerksamkeit erzeugt und die eine Grenze aufzeigt. Hier wehren sich, wenn auch ungeordnet und ohne klares Ziel, Menschen gegen eine brutale Staatsmacht, die es nicht mehr für nötig hält, sich zu legitimieren. Wie sonst soll der Mob gestoppt werden, der unter dem Schutz des Staates die Bürger terrorisiert? Sicher nicht durch Gebete und Lichterketten. Gewalt ist keine Lösung, wenn man sie reflexhaft ablehnt.

 
dfb100

In den Kommentaren kamen wir jüngst zu dem Problem, dass eine Art Privatisierung von Schuld bzw. (Eigen-)Verantwortung durch den Staat stattfindet. Das heißt konkret, dass systemisch bedingte Vorgänge zur Schuld Einzelner umgedeutet werden. Je weniger Handlungsspielraum die ‘Freien’, die Bürger noch haben, desto mehr wird ihnen aufgebürdet, jede Fehlfunktion in ihrer Wirtschaftsbiographie wird ihnen als persönliche Schuld untergejubelt, bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen. Wohlgemerkt: in Fällen, in denen sie sich dem Zwang beugen, unter dem sie im System stehen.

Wie schon gelegentlich hier angemerkt, ist der Sport immer wieder für eine Illustration politischer Vorgänge gut. Diesmal habe ich ein besonders drastisches Beispiel, wo nämlich Sportler unmittelbar zu Kriminellen gemacht werden, wenn sie sich dem Leistungsdruck beugen bzw. von den reichhaltigen Angeboten ihrer ‘Arbeitgeber’ Gebrauch machen, ihren Körper fit zu halten. Es geht wieder einmal um Doping. Dazu liegt ein kabarettreifer Referentenentwurf des Justizministeriums vor. Der nimmt sich die Muße, in epischer Breite Ideologie zu zementieren anstatt das Strafrecht auf Straftaten zu beschränken:

Dem Deutschen Volkssporte

Der Sport hat in Deutschland herausragende gesellschaftliche Bedeutung. Er verkörpert positive Werte wie Erhaltung der Gesundheit, Leistungsbereitschaft, Fairness und Teamgeist. Er schafft Vorbilder für junge Menschen und ist durch die Sportlerinnen und Sportler mit ihren Spitzenleistungen zugleich Aushängeschild für Deutschland in der Welt. Bund, Länder und Kommunen unterstützen ihn deshalb umfangreich mit öffentlichen Mitteln. Daneben ist der Sport auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor.Vor diesem Hintergrund besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Sport vor negativen Einflüssen und Entwicklungen zu bewahren.”

Da kann man sich die Kopfhaut gar nicht wund genug kratzen. Ein romantisches Bild von Werten und ihrer Vermittlung, Leistungsideologie, nationalistisch-außenpolitischer Funktion des Sports (“Aushängeschild für Deutschland in der Welt”!) im vermeintlichen Einklang mit wirtschaftlichen Interessen. Das also sei zu schützen – und zwar durch strafrechtliche Konsequenzen für Sportler.

In einem stilistisch holprigen Artikel, der traurigerweise ebenfalls zu kruden Vorstellungen persönlicher Entscheidungsfreiheit kommt (“Jeder Sportler muss für sich selber die ethische Entscheidung treffen, ob er Mittel nimmt oder nicht.“) zeigt der “Freitag” juristische Probleme auf, die damit verbunden wären. Allein diese machen den Gesetzentwurf schon zur Farce und sind ein weiterer Tritt gegen rechtsstaatliche Prinzipien.

Du bist Deutschland schuld

Was aber schwerer wiegt, ist eine ausgesprochen politisch-ideologische Begründung für einen schweren Eingriff ins Strafrecht. Kaum nötig zu betonen, dass die schnöde Wirklichkeit hier außen vor bleiben muss. Aus dem Radsport wissen wir, dass ein Konglomerat aus Sponsoren, Veranstaltern und sogenannten “Teams” die Sportler nicht nur mit Dopingmitteln versorgt, sondern dass es Berufssportlern unmöglich ist, im bestehenden System ihren Job zu machen, wenn sie nicht dopen. Das ist in anderen Sportarten, vermutlich im gesamten Leistungssport, genau so.

Nicht nur, dass also die wirtschaftliche Grundlage der Sportler/innen jederzeit kollabieren kann, wenn sie überführt werden, weil sie tun, was alle tun. Künftig sollen sie dafür in den Knast wandern. Weil, siehe oben, sie dann eine Schande sind für “für Deutschland in der Welt”. Weil die Einzelnen in ihrer Eigenverantwortung Fairness, Teamgeist und Leistung zu verkörpern haben, ganz gleich wie unfair, gnadenlos und verpfuscht sich das Geschacher gestaltet, in dessen Nahrungskette sie ganz am Ende stehen. Man muss doch nur die Sportler zur Verantwortung (er)ziehen, dann wird alles besser. Ja sicher!

 
jedase

Wir wissen heute, dass das Böseste, oder das “radikal Böse” mit solch menschlich begreifbaren, sündigen Motiven wie Selbstsucht gar nichts mehr zu tun hat. Es hat viel mehr mit dem Folgephänomen zu tun: Der Überflüssigmachung des Menschen als Menschen. Das gesamte System der Konzentrationslager war darauf ausgerichtet, die Gefangen davon zu überzeugen, dass sie überflüssig waren bevor sie umgebracht wurden.
In den Konzentrationslagern mussten die Menschen lernen, dass Strafe keinen Sinnzusammenhang mit einem Vergehen haben muss, dass Ausbeutung niemandem Profit bringen muss, und dass Arbeit kein Ergebnis zu zeitigen braucht. Das Lager ist ein Ort, wo jede Handlung und jede Regung prinzipiell sinnlos wird. Wo mit anderen Worten Sinnlosigkeit direkt erzeugt wird.

Die Figur Hannah Arendt nach Margarethe von Trotta.

Dieses ‘Böse’ kommt nicht ungefähr, es hat eine Genese, einen Aufbau. Es gibt grausame Experimente mit Ratten und Hunden, in denen ihnen jede Orientierung genommen wird; das Ganze im Dienste einer sogenannten “Psychologie”. In einem werden die Käfige, in denen Ratten leben, teilweise unter Strom gesetzt, so dass die Tiere in Bereiche fliehen können, in denen sie keine Stromschläge erhalten. Nach und nach wird ihnen dies unmöglich gemacht, es ist kein Muster mehr zu erkennen. Die Ratten resignieren irgendwann und bleiben apathisch liegen. Hunde werden in Verbindung mit bestimmten Signalen ‘bestraft’ bzw. gefüttert. Diese Signale werden allmählich einander angenähert, bis die Unterscheidung nicht mehr gelingt. Auch diese Hunde werden irre.

Restmenschrampe, Wegwerfware

Man könnte jetzt das Thema um die Experimente selbst erweitern, zumal die Mengeles ihrem destruktiven Sadismus freien Lauf ließen. Niemand braucht solche ‘Experimente’, deren Ausgang nur zu vorhersehbar ist. Worum geht es aber? Es ist das Absurde, das allein der Macht ihre volle Entfaltung verleiht. Jemanden zu strafen für bestimmte Handlungen, sei das Regime auch noch so streng und gnadenlos, lässt dem Delinquenten eine Wahl. Es lässt ihm eine Ordnung, an die er sich halten kann – sogar meist eine sehr einfache. Es lässt ihm einen Einfluss und schränkt den der Macht ein.

Erst der Verlust von Sinn, Zweck und Ordnung, das Zusammenbrechen aller möglichen Welten, macht die Macht komplett. Der Restmensch, den das übrig lässt, ist Müll. Es gibt keine Würde mehr, weil es keinen Bezug gibt, in dem sie eine Rolle spielt, keine Sprache, in der noch genügend Ordnung wäre, um den Begriff mit Bedeutung zu füllen. Die Restmenschen unter der totalen Macht sind Anhängsel derselben, Exemplare der Beherrschten ohne eigenen Wert, einer wie der andere.

Diese Gleichheit im Sinnlosen schafft sich dabei nicht selbst, sie entsteht nicht aus dem Nichts. Sie nährt sich vielmehr aus den Erfahrungen sinnloser Unterwerfung, hoffnungsloser Niederlagen und verblasster Ohnmacht, die im Trüben nach Genugtuung lechzt. Erfahrungen, die viele Menschen machen, vielleicht die meisten, und die viele nicht verarbeiten können.

Kleine Rächer

Solche Erfahrungen treiben zur Wiederholung in umgekehrten Rollen. Der Gedemütigte identifiziert sich unbewusst mit seinem Peiniger und rächt sich an Unschuldigen. Zur Hand geht ihm dabei die Ordnung, wo sie am wenigsten eine ist: Das Gesetz, die Verordnung, die ihrem angeblichen Ziel Hohn spricht. Das ‘Gemeingut’, das allen schadet, das Mittel, das keinen Zweck mehr findet, der es heiligen könnte.

“Wir tun nur unsere Pflicht”, “Da könnte ja jeder kommen”, “Sie haben das selbst so entschieden”, “Das hätten sie wissen können” – die Sätze, in denen Entscheidungen legitimiert werden, gegen die kein Argument hilft, weil sie sinnlos sind und die schiere Unausweichlichkeit der Macht zum Ausdruck bringen, sie gehören längst zum Alltag. Der größte Apparat zur Unterdrückung und Gängelung firmiert heute unter dem Begriff “Eigenverantwortung”. Wir kennen sie alle, die grassierenden Vokabeln des Neusprechs, die das eine sagen und das andere meinen, wann immer es der Herrschaft gefällt.

Es ist kein Zufall, dass aus dem Zerfall von Ordnungen die schlimmsten Gewaltherrschaften entstehen. Nicht bloß, weil sich eine Kaste von Privilegierten mit Gewalt an der Macht hält, sondern weil das Zerbröseln der verkrusteten Ordnung immer windschiefere Rechtfertigungen liefert. Wer sich in dieser Ordnung noch etabliert, ist zu allem bereit und fragt nicht mehr nach Sinn oder Zweck. Das ‘Böse’, es wächst ganz zwangsläufig und wäre nur noch durch eine Vernunft zu stoppen, die ihm gar nicht zugänglich ist.

 
shutup

Es hört nicht auf, dass sich Journalisten über ihre Leser beschweren, von ihnen am Ende verlangen, die besseren Journalisten zu sein und jedem “Verschwörungstheorien” anzudichten, der anderer Meinung ist. Dabei halluzinieren sie sich selbst expressis verbis Verschwörungen von Internetbösewichten zusammen, die sich absprechen, um in den Foren die Debatte zu bestimmen. Das ist in dieser Ausprägung krank, aber es hilft nicht, sich an solchen Reaktionen abzuarbeiten, denn es gibt eine Lösung, die konstruktiver ist als der berechtigte Vorwurf, dass die versammelte Journaille einen an der Waffel hat.

Zunächst einmal einige Zitate, die nicht ganz abgesichert sind, weil es sich offenbar um solche aus Printartikeln handelt, die ich mir nicht so fix besorgen kann. Korrekturen jederzeit erwünscht!

Der Leser und seine Defizite

Hans Leyendecker beschreibt den Verschwörungstheoretiker:
Es lag immer schon in der Natur von Verschwörungstheorien, dass sie nie zu widerlegen waren. Keine Beweise? Na bitte, das beweist doch nur, dass die Verschwörer verschlagen sind, weil sie ja sonst Spuren hinterlassen hätten. [...] Der 11. September, der Kennedy-Mord – alles ganz anders als es verbreitet wird. Verschwörungstheoretiker fangen immer mit der eigenen Schlussfolgerung an und ordnen dann dazu passend die Welt.

Letzteres ist sehr zutreffend, und Leyendecker erlaubt sich, das gegen die Leser in Stellung zu bringen, was ja nur zu berechtigt wäre, wenn nicht eine der Sternstunden der Leserschelte sich neulich bei SpOn so gestaltet hätte: Nachdem der Spiegel sich mit haltlosen Angriffen gegen Putin blamiert hatte (die Absturzursache des Flugzeugs ist bis heute ungeklärt), wurde ein Leser vom Redakteur gefragt, ob er denn „konkrete Belege“ hätte, dass die Situation anders gewesen sei als vom Spiegel behauptet. Da setzt sich die Journaille ins Recht, das so lange gilt, bis der Leser das Gegenteil bewiesen hat. Hier wird gleich ganz auf Belege verzichtet, da ist sogar der Verschwörungstheoretiker mit seinen Mühen post festum noch seriöser.

Noch ein Zitat von Leyendecker:
Guter Journalismus muss, zumindest wenn es um Recherche geht, völlig ergebnisoffen sein. Aber sind Leser ergebnisoffen? Will jeder Leser die Annäherung an die Wahrheit? (…) Es gibt Defizite bei den Medien und es gibt Defizite bei den Lesern“.

Verschwörung? Konzertierte Aktion!

Wenn der Journalismus aber nicht ergebnisoffen ist, ist er Müll. Dann macht ihn nichts besser, auch nicht die blödeste Leserreaktion. Aus solchem Unfug spricht der beleidigte Gatekeeper: “Journalisten belehren Leser, nicht umgekehrt!” ist die Devise. Dass es einen Dialog geben könnte, darauf kommt der Mann gar nicht. Was juckt es mich, wenn mich ein Irrer beschimpft in einem Forum, in dem mich auch Menschen mit Verstand korrigieren? Will ich etwas lernen? Dann suche ich mir die Beiträge heraus, die dazu geeignet sind und fokussiere nicht auf die anderen. Stattdessen werden aber mit schalen Ausreden gleich alle gemobbt oder ausgesperrt, die anderer Meinung sind.

Nonnenmacher von der FAZ wird zitiert, es sei “eine konzertierte Aktion am Werk, erkennbar an fast wortgleichen Mails“, wenn der Putinversteher bei ihm vor der Tür steht. Welch eine Bankrotterklärung! Das Phänomen, wenn es denn nicht erfunden ist, nennt sich “Spam”. Das wirft man weg und fertig. Ich habe hier auch regelmäßig Kommentare, die kommen mir verdächtig vor. Finde ich sie dann wortgleich woanders, landen sie im Schredder. Andere sind so allgemein gehalten, dass sie sich offenbar nicht auf den Artikel beziehen. So etwas fliegt raus. Und weil sie also nicht die Kompetenz haben, Spam von ernstzunehmenden Kommentaren zu unterscheiden, wittern sie eine “konzertierte Aktion”.

Sowas kommt von sowas. Was auch immer den Journalismus so ruiniert hat, was dazu beiträgt; ob nun Hinterzimmertreffen, Think Tanks, miese Bezahlung, Lobbyismus, Kostendruck, Eitelkeit, Vetternwirtschaft oder das Wetter, kann mir hier wurscht sein. Das Allerletzte ist aber, das in eine Leserbeschimpfung münden zu lassen anstatt seinen eigenen verdammten Job so zu machen, dass man sich nicht dafür schämen muss. Das Bild da oben sagt doch alles: “Diskussion geschlossen – lesen Sie die Beiträge!”. Was soll das anderes heißen als “Schnauze, du bist hier nur Leser!“?

[Update:] Hier beim Max noch mehr zum Thema, hier bei Gärtner, hier beim Tuxprojekt und hier bei der Metawahrheit.

 
tast

Im August vergangenen Jahres hat Fefe einige Bemerkungen zum Tor-Projekt gemacht und kam zu dem Schluss:
Das Problem an sich, dass wir unseren Regierungen nicht mehr trauen können, und einer totalen Schnüffelei ausgesetzt sind, das ist kein Problem, das man technisch lösen kann.
Ich finde das deshalb erwähnenswert, weil sich der Schluss aus einer vordergründig unpolitischen Sicht ergibt und damit das genaue Gegenteil dessen darstellt, was ich bei einem Blick in die Nachbarschaft durchleide – das sozialdemokratische Credo: “Wir brauchen nur eine gesetzliche Regelung“.

Man muss kein Technikexperte oder Hacker sein, um das Problem im Groben zu verstehen: Das Tor-Projekt soll Anonymität im Netz ermöglichen, indem die Spuren der Nutzer verwischt werden. Der Aufwand, diese Spuren dennoch sichtbar zu machen, wäre nicht nur immens, er setzte die totale Überwachung sämtlicher Netzverbindungen voraus, ein Zustand, wie man ihn sich nur in der übelsten Diktatur vorstellen könnte, und selbst die hätte vermutlich nicht die Mittel, das weltweit zu besorgen.

Wenn wir an die Macht kommen

Tja, und genau da liegt der Irrtum. Ob man die vernetzten NATO-Geheimdienste “diktatorisch” nennen muss, ist eine akademische Frage, an deren Beantwortung mir nichts liegt. Die politische Dimension der technischen Macht, die sich dort ballt, ist hingegen schlicht furchtbar. Dabei gehört jeder der namhaften Geheimdienste zu einer parlamentarischen Demokratie (ich erlaube mir hier, die “konstitutionellen Monarchien” dazu zu zählen, weil sich deren Struktur nicht davon unterscheidet). Diese ‘Demokratien’ haben allesamt nach Verfassung und Gesetzeslage die Pflicht und das Recht, ihre Dienste zu kontrollieren und sie auf die Einhaltung der Bürgerrechte zu verpflichten. Sie tun es aber nicht.

Sie tun es nicht, obwohl milliardenfacher Datenmissbrauch, Unterstützung und Durchführung von Folter, Mord und Verschleppung bekannt sind. Sie tun es nicht und machen uns glauben, sie könnten es nicht, weil ihnen Informationen vorenthalten würden oder weil sie halt geheim seien. Sie kommen ihrer gesetzlichen und verfassungsmäßigen Pflicht nicht nach, und das hat keine Konsequenzen für die Verantwortlichen. Die politischen Funktionäre, die dazu tätig werden müssten, bleiben untätig oder schützen diese Dienste.

Darf nicht, kann nicht

Welchen anderen Schluss lässt das zu als dass “wir unseren Regierungen nicht mehr trauen können”? Übrigens kommen die nicht zufällig zustande, das geht hier seinen Weg über die Filter von Parteien, Medien und – ja – auch der Dienste, die Karrieren zulassen oder nicht. Wenn das nun also so ist, wie naiv muss man eigentlich sein, um massive Änderungen am System auf gesetzlichem Wege für möglich zu halten? Wie dumm ist das von den Sozialdemokraten aller Geisteszustände stets gemurmelte “Man müsste nur”, wenn man weiß, dass nicht einmal die grundlegenden verfassungsmäßigen Rechte durchgesetzt werden in dieser besten aller Demokratien?

Die einfachen Gesetze der Logik spielen beim politischen Expertentum offenbar keine Rolle. Die simple Unterscheidung zwischen Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit und Unmöglichkeit, die Lehre aus sich historisch dauernd wiederholenden Vorgängen, das Erkennen systemischer Widersprüche – da ist nichts, das sie aufhält in ihrem treuen Glauben an die Volksvertretung und die Macht der Wähler. Etwas, das noch nie funktioniert hat, das immer wieder dasselbe Resultat hervorbringt, wird zu einem mysteriösen Unfall verklärt, weil es nicht ins Weltbild passt. Das kann kein Bug sein, das ist doch der Kern unseres Programms!

Vielleicht sollten wir uns doch besser von Hackern regieren lassen.

 
Wenn die Propaganda “Arbeitsplätze” oder “Arbeit” sagt, dafür einfach “Profit” einsetzen, und schon stimmt der Satz.

 
Ein paar Hintergründe zu der aktiuellen Kampagne gegen Rot-Rot-Grün: Es muss ja unbedingt verhindert werden, dass die Partei “die Linke” eine Koalition mit den Neoliberalen eingeht und einen alten Westlinken und Sozialdemokraten zum Ministerpräsidenten wählen lässt. Warum? Wegen Stasi und so. Linke ist Stasi, dagegen muss vor allem die CDU mächtig wettern.

Kurz zur Stasi, vielmehr zur Stasi der Guten: Wir wissen, dass die Dienste, die inzwischen die totale Überwachung einrichten, ohne dass es wirksamen politischen Widerstand gibt, von den US-Sicherheitsdiensten und ehemaligen Gestapo-Leuten aufgezogen wurden und dass der braune Mief dort noch heute weht. Über die Gestapo muss ich nicht allzu viel sagen, aber vielleicht einmal mehr über die amerikansichen Freunde. Als ich erklärte, dass die Erhebung von Daten vor allem dann nützlich ist, wenn man jemanden erpressen will, kannte ich das hier noch nicht.

Das FBI hat also aktenkundig versucht, Martin Luther King zum Selbstmord zu bewegen, was bereits bekannt war. Neu ist der Inhalt der bislang geschwärzten Zeilen, in denen King mit angeblichen Beweisen für perverse sexuelle Praktiken erpresst wird. Nicht von der Mafia oder vom Ku-Klux-Clan, sondern vom FBI. Von den Guten®, die den Westen und seine Werte schützen.


Gut vs. Böse

Dann zur CDU: Die regiert offenbar ungeniert mithilfe von Wahlfälschung, was nicht zum ersten Mal aufflöge, wenn sich der harte Verdacht bestätigt. Diese Musterdemokraten müssen natürlich darauf achten, dass sie nicht von der Macht abfallen, denn da haben sie schon immer dem Volk gedient, wie damals in der DDR, als sie im Widerstand waren. Da wiederhole ich mich jetzt einfach:

- – -

Es ist schon ein widerliches Pack, das sich “demokratisch” gibt, obwohl jeder weiß, daß es das DDR-Unrechtsregime gestützt hat. Vom Mauerschützen bis zum ideologischen Verteidiger des “Schutzwalls”, der noch 1989 sagte:

Was die Mauer betrifft, so lassen wir uns nicht deren Schutzfunktion ausreden – ganz einfach, weil wir den Schutz spüren vor all dem, was hinter der Mauer jetzt an brauner Pest wuchert.

So sah Ulrich Junghanns die Welt, der noch das SED-Regime hochhielt, als die Mauer schon bröckelte. Nun (2008) ist er Landesvorsitzender seiner “Partei”, stellvertrender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Brandenburg.

Sein realsozialistischer Kumpel Klaus Schmotz will derweil Oberbürgermeister von Stendal bleiben. Die Parteiprominenz untersützt ihn natürlich dabei, obwohl alle wissen, daß er ein DDR-Grenzoffizier war. Die unverbesserlichen Genossen von damals schämen sich auch nicht, dem ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR zu seinem 50. Todestag eine Annonce zu widmen. “Unvergessen! Otto Nuschke”, heißt es da. Kann man mit einer Partei koalieren, die so mit ihrer Vergangenheit umgeht?

Warum es “Wende” heißt

Nuschke, Schmotz und Junghanns waren bzw. sind Mitglieder der CDU. Die Übernahme der “Blockflöten” aus der DDR-CDU lief ganz stickum, und Kohl hat sich damals gefreut, eine beachtliche Infrastruktur im Osten zum Nulltarif zu bekommen. Daß die Ost-CDU stramm realsozialistisch war, mußte ihn nicht stören, schließlich waren das Schleimer par exellence, und so etwas integriert sich ganz fix. Genau so schmerzfrei wie heute sein Klon Pofalla, hat schon damals Peter Hintze mit seiner “Rote-Socken”-Kampagne vor dem Gesocks gewarnt, das längst zum Wahlverein seines Kanzlers gehörte.

Natürlich unterschied er zwischen den Guten (CDU) und den Bösen (PDS), und natürlich war er schon damals nicht bereit, Fragen zu diesem dummdreisten Unsinn zu beantworten. Tatsächlich konnten CDU und FDP aus den Blockparteien der Volkskammer wohlorganisierte Claqueure des SED-Regimes übernehmen, und die PDS ging aus der SED hervor.

Nur die SPD mußte im Osten ganz von vorn anfangen. Ausgerechnet der SPD aber wird noch immer von den Bürgerlichen und ihren Medien vorgeworfen, sie mache gemeinsame Sache mit Kommunisten. Das Ganze ist so offensichtlich und lächerlich, daß man es mit einem Schmunzeln abtun könnte. Schaut man sich aber an, wie hartnäckig und erfolgreich diese Lügen weiter verbreitet werden, kommt einem regelmäßig der Kaffee hoch.

 
Der folgende Artikel wird euer Leben völlig verändern. Es gibt kein Zurück zum ‘Vorher’, also überlegt euch gut, ob ihr das wissen wollt! Was da auf euch zukommt, hat man noch vor wenigen Tagen für völlig unmöglich gehalten – nicht bloß aus ideologischen Gründen, sondern weil es schon physikalisch unmöglich zu sein schien. Eine solche Sensation ereignet sich nur einmal in vielen tausend Jahren, aber wir müssen dem ins Auge sehen. Es mag sein, dass sich Legenden als wahr erweisen. Menschen, die übers Wasser gehen, Feuer speiende Drachen oder Zauberkräfte sind ein müder Abklatsch gegen diese Nachricht. Lesen Sie jetzt bei Clickbaiter’s, wie Sie auch bald über sagenhafte magische Fähigkeiten verfügen!

Es gab in den letzten Wochen einige Diskussionen um Medienkompetenz, in deren Rahmen ich u.a. des Begriffs “Clickbaiting” gewahr wurde, den ich noch nicht kannte. Früher benannte man dergleichen mit dem ebenfalls schönen Deutschen Wort “Awareness” in diversen Kombinationen wie -hure oder -schleuder. Die Variante des Clickbaiting ist allerdings nicht nur weit verbreitet, sondern auch besonders nervig. Es reicht mir schon völlig aus, wenn ein Teaser, die kurze Einleitung zu einem Artikel, mir nicht mitteilt, worum es geht. Dann bin ich weg und komme nicht wieder.

+++EILT+++SENSATIONELL+++ACHTUNG+++LOSLOS AUFMACHEN!!!+++

Auch jene Teaser haben es mir schwer angetan, die mir absichtlich eine einfache Information vorenthalten. Man soll dann einen ganzen Artikel aufrufen, um etwas zu erfahren, das auch in drei Wörtern oder zwei Zahlen geht. “So sensationell gewann der FC Bla gegen den VfL Blub” etwa. Anstatt das Ergebnis mitzuteilen, wird der Quatsch aufgeblasen, man soll dann noch eine weitere Seite aufrufen und wird mit noch mehr Werbung beglückt. Das kann jeder, es funktioniert immer gleich und ist nichts als publizistischer Spam.

Natürlich gibt es ganze Domains, die nichts anderes machen, aber ich kenne auch kaum einen Medienverlag, der auf diese Beleidigung der Intelligenz seiner Kunden verzichtet. Es ist die nächste Attacke des Boulevards auf den Restjournalismus. Mich ätzen dabei schon Ankündigungen an, die mit Fragepronomen daherkommen: “Wie Sie …“, “Was er …“, “Warum wir…“. Anderes Beispiel; “So” oder “Darum”, Beispiele von heute: “Knigge 2.0 So leicht blamieren Sie sich am Handy“; “So kommt die Milch ohne Kleckern aus der Tüte“; “Darum haben Amerikaner mehr Kinder als Deutsche” (alle von stern.de).

Darum ist der Russe so brutal

Derart wird behauptet, es würden relevante Fragen beantwortet, tatsächlich aber hat sie niemand gestellt, die Antwort bleibt aus und der Sermon ist obendrein banal. Vor allem aber ist dieser Ankündigungsstil der Ersatz für eine Information, für die zu interessieren ich mich entscheiden könnte. Wenn ich eine Vorstellung davon habe, was mich erwartet, kann ich mir das anschauen oder nicht.

Das genau aber ist nicht gewollt, ebenso wenig wie Zustimmung oder Ablehnung im Rahmen einer kritischen Lektüre. Es wird vielmehr eine Belehrung angekündigt über eine scheinbar relevante Frage, und dann kommt heiße Luft. Wenn die Entmündigung schon im Auftakt stattfindet, hat das aber Folgen: Auf die Dauer wird der vorletzte Depp lernen, dass es sich nicht lohnt, so einen Stuss zu lesen. Zahlen wird dafür auch niemand mehr. Vermutlich ist dann wieder Google schuld.

 
ijunk

Für mich das Symbol dieses Jahrhunderts: Menschen gehen gebeugt durch die Straßen, kein Blick links oder rechts, schon gar nicht für Mitmenschen, und streicheln ein Spielzeug. Ein Spielzeug, für dessen Besitz sie ungeheure Ressourcen aufbieten müssen und das ihnen dafür suggeriert, sie hätten Kontakt zu anderen Menschen.

Das Phänomen ist nicht von langer böser Hand geplant, aber natürlich ein Kollateralschaden, den der Kapitalismus nicht bloß hinnimmt, sondern nach Kräften vergrößert, weil er den Profiten dient. Eine Voraussetzung für dieses Verhalten ist die beinahe totale Entfremdung, und diese wiederum ist das Resultat einer zeitlichen Verwerfung, die sozial nicht mehr handhabbar ist. Es geht um Kommunikation, für die keine Zeit mehr ist, Kommunikationsersatz in Echtzeit, der die Zeit verschlingt, die für Kommunikation eigentlich nötig wäre.

Der nächste Schuss

Es gab vor dem Internet auch schon Kommunikation in Echtzeit und solche mit Zeitverschiebung. Letztere war der klassische Brief, für den sich die Schreiber gemeinhin Zeit nahmen, häufig ihre Formulierungen wohl bedachten und sich darüber im Klaren waren, dass bis zur Antwort Zeit vergehen konnte – Tage, vielleicht Wochen. Alles andere, telefonieren und das persönliche Gespräch, verlangte Anwesenheit, zumindest direkte Aufmerksamkeit. Das Gespräch hatte einen Anfang und ein Ende. Die Partner bewegten sich bewusst innerhalb dieser Grenzen.

Im Netz ist das anders. Die Kommunikation erfüllt niemals mehr die Erwartungen, weil sie unbegrenzt ist. Niemand kann unbegrenzt kommunizieren, sehr wohl aber unbegrenzte Erwartungen entwickeln. Für Menschen, die nicht die nötige Disziplin und Vernunft aufbringen, ist sie also stets frustrierend und hinterlässt das Bedürfnis nach mehr. Sie sind Getriebene einer unerfüllbaren Erwartung, Süchtige. Sie sind die Mehrheit der Nutzer, zumal der jüngeren.

Die unbegrenzte Zeit der Kommunikation und ihre Erwartung führen dazu, dass ständig irgend eine Antwort auf irgend eine Antwort ersehnt wird, ohne dass man wüsste, ob und wann diese erfolgt. Das Stakkato eingehender Nachrichten ohne Relevanz ist derweil ebenso unerträglich wie das vergebliche Warten, das den Zweifel nährt: Bin ich vielleicht unbeliebt, irrelevant, langweilig?

Bald, vielleicht …

Eine Gesellschaft, die sich Sorgen um die psychische Integrität ihrer Angehörigen machte, müsste dieses Problem weit oben auf die Agenda setzen und sich mit Strategien befassen, die helfen Grenzen einzuziehen, um der manischen Sucht nicht freien Lauf zu lassen. Man müsste zumindest eine intensive Debatte darüber führen, ob man das so will, es zulassen kann oder gegensteuern will. Es wäre dringend erforderlich zu analysieren, inwieweit diese Entwicklung andere Erfordernisse des sozialen Lebens unmöglich macht.

Selbstverständlich wird diese Diskussion aber nicht ernsthaft geführt, schon gar nicht mit Aussicht auf eine Eingrenzung oder Entlastung der grenzenlos Getriebenen. Schließlich kann ein auf Wachstum® d.h. Profite fixiertes System nur froh und dankbar sein über bewusstlos konsumierende, immer unzufriedene Zombies, denen man vorgaukeln kann, das Glück, die Freundschaft, die Geborgenheit läge vielleicht in der nächsten Maschine, die das alles noch besser kann mit der Kommunikation. Die uns immer dorthin führt, wo alle sind – die uns mögen, alles mit uns teilen oder einfach mal quatschen.

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