Links

November 2015


 
null

Gestern war ich mit meiner Enkeltochter Luzi, sie ist gerade sieben, auf einer Adventsfeier. Zur Begrüßung gab es erst einmal Tee und Dinkelkekse, und die Kinder durften etwas malen. Einigen erschien das schwarze Lieblingskostüm der Kleinen etwas seltsam. Nicht so sehr der altmodische Schnitt als vielmehr der schwarze Samt. Sie trug dazu ein wenig Modeschmuck, ebenfalls schwarz. Sie mag es halt so. Eines der anderen Kinder, dessen Namen ich vergessen habe (er hieß Thorben, aber das glaubt mir niemand. Ich glaube meinerseits ja auch an nichts, warum sollte ich dann an Thorbens glauben?) fragte sie, warum sie so schwarze Sachen anhätte. Sie erklärte wahrheitsgemäß: “Ja ich weiß, das sieht ein bisschen doof aus, aber etwas Dunkleres hatten sie nicht”.

Wir wohnen in einem der guten Viertel von Essen. Man kann zu Fuß zu den Albrechts laufen oder zum See. Gentrifizierung brauchen wir nicht, es war schon immer eine Lage für die besser Betuchten. Man hält sich vielleicht hier und da einen Künstler oder Literaten in etwas Bezahlbaren, aber nicht zu viele und schon gar kein echtes Proletariat. Man protzt hier nicht, es herrscht eher das Understatement – bei denen, die sich in der Öffentlichkeit blicken lassen. Die vom Hügel oder die wirklich Reichen (wir reden hier nicht vom Lumpenmillionariat, sondern von den Zehnstelligen) bleiben selbstverständlich unsichtbar. Das ist hier zwar auch nicht Berlin, wo sie das ganze Schwabengetucke und ihren Kreativanhang hingekarrt haben, aber es gibt die Unvermeidlichen mit ihren Thorbens wie überall sonst auch, wo man seine Ruhe vor denen mit dem Arbeitsschweiß hat.

Thorben also. Kam als nächstes mit der Frage um die Ecke, was Luzi da gemalt habe. “Bachblüten” sagte sie. “Wieso haben die denn Zähne?” fragte Ihrwisstschonwer. “Womit sollen sie sonst beißen?” war die intelligenten Menschen auf die Zunge fließende Gegenfrage. “Blumen, die beißen? Gibt es ja gar nicht”, wusste Hagen Björn oder so.
Sie erklärte es ihm: “Bachblüten sind auch keine Blumen, das sind Killerdinger, die fressen die Gehirne von Mamas. Auch von deiner.”
Der Junge machte diese Grimasse, wie die Kleinen das halt tun, wenn sie eine Minute Anlauf nehmen, um endlich mit dem herzerweichenden Geschluchze anzufangen. Wir gingen derweil bei der Tombola in Deckung und nahmen die Route hinter dem Klavier entlang zum Buffet.

“Vegetarisch oder vegan?” sprach es hinter dem Tapeziertisch hervor. Ich möchte das jetzt keineswegs falsch verstanden wissen: Ich koche selbst meist vegetarisch und häufig vegan, aber bei mir liegt die Betonung auf “Kochen” wie “Zubereiten, lecker Machen”. Lecker ist Paragraph eins bei uns. Bei ‘denen’ – doch es gibt sie und sie sind so und erzählt mir nichts anderes – fängt die Litanei aber entweder erst bei Paragraph zwei an oder bei denen steht irgend etwas Perverses in Paragraph eins. Luzi schaltet bei so etwas sehr schnell in diesen Modus und bestellte artig “Zweimal Cörriwuast!”

Ich fasse das anschließende Gespräch zusammen: Die eine Seite meinte, Currywurst sei nicht gut und nicht gesund im Gegensatz zu den Objekten in der Auslage des Formlosen; die andere fragte, wenn das so gesund sei, warum denn dann die Damen am Buffet fett beziehungsweise leichenblass seien. Ich ignorierte ihren Eskalationsversuch mit dem Umweg über mich, als die Kleine fragte “Oppa, die dissen hier Cörriewuast. Sind die da die Feinde der Arbeiterklasse?”.
Dafür rannte die Gegenseite prompt ins eigene Messer, als sie ihrerseits eskalierte. „Möchtest du denn, dass Tiere für dich sterben?” fragte die gestandene Kirchenaktivistin also das arme kleine Mädchen.

“Guck doch mal da”, flötete mein kleiner Engel und deutete auf die Wand. Die Bleiche drehte sich um und wieder uns zu. Das Kind wurde konkret: “Was ist denn mit dem? Ist das irgendwie besser oder was?”
“Das ist etwas völlig anderes. ‘Der’ (mit schnippischem Unterton, schließlich musste das gebildete Mädchen so etwas wissen) hat sich selbst geopfert. Für uns alle. Natürlich ist das etwas völlig anderes. Lernst du das nicht bei deinem Opa?”

“Lass dem mal aus dem Spiel, der hat mir gerade auch nicht geholfen. Also dein Opfer da: der ist also in den Baumarkt gerannt, hat sich ein paar Balken gekauft und sich dann selbst da an die Latte genagelt, ja? Euer Essen ist gesund und Cörriwuast schlecht. Alles klar. Wir haben verstanden”.
Sie zupfte mich am Ärmel und machte mir deutlich, dass es Zeit zum Aufbruch war. Auf dem Weg um den Tisch der Kreativen Kinder Kettwig erzählte sie noch lauthals die Geschichte vom bösen Homöopathen, der die kleinen Kinder verdünnt und ihre Seelen verkauft. Ich finde, manchmal übertreibt sie es. Aber sie ist ja noch klein.

 
fr

Es ist ein schwieriger Begriff, nicht zuletzt, weil er so einfach ist. “Was man sich so erzählt”, so die einfachste Umschreibung, das ist das Narrativ. Diese drei Beispiele hier finde ich recht gelungen. Sie zeigen, wie Inhalte überliefert werden, ohne dass dahinter etwas steckt, das “Wahrheit” beanspruchen könnte. Hier wird es jetzt kompliziert, denn das heißt keineswegs, ein Narrativ sei grundsätzlich unwahr. Da es sich um Erzählung handelt, vermischt sich fröhlich Wahres mit Unwahrem, einfaches mit Komplexem, am Ende fast alles mit fast allem. Obendrein ändert sich ein Narrativ ständig, obwohl es dabei extrem stabil sein kann.

Ich erlaube mir den Vergleich mit einem großen treibenden Schiff. Das kann man nicht einfach anhalten und in die Gegenrichtung schwimmen lassen. Man kann aber mit recht geringem Aufwand seine Richtung beeinflussen. Das ist dann auch wieder anders als bei der Ideologie oder ihrer Propaganda. Die hat großen Einfluss auf das Narrativ, das kann aber für die Ideologie auch nach hinten losgehen. Siehe die Irrungen und Wirrungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Narrativ stricken alle ein wenig mit, es hat tausende Varianten. Das oben erwähnte Schiff kann man erhalten, auf dass es weiter schwimme, man kann es ausbauen, etwas anbauen, ein Loch hinein bohren, es zerlegen und wieder zusammen bauen. Ist es dann noch dasselbe Schiff? Solchen Fragen entzieht sich das Narrativ wie jeder exakten Definition.

Wer sind die Guten

Es gibt in den Narrativen wiederkehrende Inhalte, Motive, Bilder. Es sind diese, die große Wirkung entfalten, weil man daran anknüpfen kann und weil dadurch unpassende Bilder und Motive nur sehr schwer in die Erzählung eingebunden werden können. Sind etwa die Rollen der Helden und Schurken vergeben und die Geschichte oft genug wiederholt worden, lassen die sich nicht so leicht umbesetzen. Das ist übrigens ein Grund, warum das Christentum so erfolgreich war: Die Christen haben die Erzählungen der eroberten Religionen einfach übernommen. Die “christlichen” Feiertage sind fast sämtlich im Ursprung heidnische. Sogar Weihnachten war einst das Fest der Sonnenwende und hat nichts mit Christi Geburt zu tun.

Klassische Beispiele aus dem immer wieder aktuellen politischen Narrativ des Westens setzen auf der Figur des Bösen Russen auf. Hunderte Filmproduktionen befördern es; der Russe ist gefühllos, gedrillt, brutal. Gegen Ende des (quasi offiziellen) Kalten Krieges, im Jahr 1986, kam der äußerst erfolgreiche Film “Highlander” in die Kinos. Die Rolle des Schurken darin war mit einer Figur besetzt, von der erzählt wird, sie stamme aus einem russischen Dorf, in dem die Kleinkinder in eine Grube mit Wölfen geworfen werden. Dieser Typ ist ein Punk, während der ‘Gute’ ein adretter gebildeter Millionär ist.

In der Serie “Agent Carter” von 2015, die in den 40er Jahren spielt, stammt die (russische) Schurkin aus einem Lager, in dem kleine Mädchen nachts ans Bett gekettet und zu gefühllosen Killern gedrillt werden. Solche Stereotypen finden sich en masse in westlichen Unterhaltungsproduktionen. Das Interessante daran ist nicht bloß, dass es sie gibt, sondern die Unmöglichkeit der Umkehrung. Einen guten Russen kann man sich gerade eben noch vorstellen, das braucht ja auch die Geschichte von der Individualität in dieser Gesellschaft, aber man stelle sich vor, jemand käme mit der Story um die Ecke, in Amerika würden Kleinkinder Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Solch absurde Brutalität wäre auch als Märchen schon “Antiamerikanismus”.

Stimmt ja gar nicht

Es gibt eben Geschichten, die kann man nicht erzählen. Dafür ist es umso leichter, absurdes Zeugs zu verbreiten, wenn es eben in den großen Strom des Narrativs passt. Da gibt es Gute und Böse, Freundschaft und Feindschaft, Helden und Schurken. Die sind größtenteils produziert, aber man kann das nicht nach Belieben steuern. Ein Beispiel dafür ist die Umfrage nach den “besten Deutschen” für eine Fernsehshow des ZDF in 2014, die ‘passend gemacht’, sprich: manipuliert wurde. Der Versuch, das Narrativ einfach zu bestimmen, muss scheitern. Der Clou ist hier allerdings die Erzählung, es könne so etwas wie “beste Deutsche” oder “große Deutsche” überhaupt geben. Diese Kategorien eignen sich hervorragend zum Erzählen einer Geschichte, halten aber keiner Prüfung stand.

Das “Narrativ” bildet also Erzählstrukturen ab und diese haben konkrete Folgen in der Realität, die von der Erzählung nur gestreift wird. Dass es Narrativ ist, nicht Ideologie, Propaganda, Manipulation oder Herrschaftstechnik, liegt schlicht an der Perspektive. Wenn ich mich mit dem Narrativ befasse, dann mit der Erzählung, den Motiven, Handlungssträngen, Figuren. Danach erst stelle ich die Frage, in welcher Beziehung die Erzählung zur Wirklichkeit steht und was daraus folgt. Vor allem, wo die Erzählung, die wiederum von der Mehrheit der Anhänger des Narrativs mit Wirklichkeit verwechselt wird, im Widerspruch zu belegbaren Fakten oder der Logik selbst steht, lässt das oft deutliche Aussagen über die betreffende Gesellschaft zu.

 
hn

Kaum jemand weiß, was “Narrativ” bedeutet. Das ist ein Anzeichen dafür, dass diese Gesellschaft nicht aufgeklärt ist. Es müsste auch gar nicht das böse Fremdwort sein, es wäre völlig ausreichend, diskutierte man über die “Erzählung”. Dass die – vor allem politische – Wirklichkeit in eine Erzählung eingebunden ist, einen Orientierungsrahmen oder auch Filter, der bestimmte Aussagen zulässt, andere nicht, einige Fakten einfach transportiert und andere blockiert, ist jedem selbstverständlich, der sich intensiver mit Politik und Medien beschäftigt. Es gehört aber keineswegs zur Allgemeinbildung.

Der Umgang mit politischen Informationen ist im westlichen Kapitalismus (und nicht nur hier) geprägt von einer Jahrzehnte währenden Funktion der Massenmedien, insbesondere der Zeitungen. Die haben die Erzählung besorgt, wozu sie Informationen gesammelt, ausgewertet und dargestellt haben. Ein gewisser Pluralismus sorgte dafür, dass diese Darstellung nicht völlig einheitlich geschah. Allerdings gab es dabei immer Tabus und einen ‘Common Sense’, etwa Antikommunismus, die Geschichte von der “Sozialen Marktwirtschaft”, oder der “deutsch-amerikanischen Freundschaft”.

Vom Glauben abgefallen

Jahrzehnte lang glaubte eine überwältigende Mehrheit an die Produkte dieser Erzählungsindustrie. Die lieferte im Gegenzug eine gewisse Qualität, unterfütterte mit Fakten und stritt intern über den rechten Weg. Je weniger sie nunmehr streiten, je mehr sie die Fakten sieben, bis ihnen die Geschichte passt, desto greller werben sie mit ihrem Status als “Qualitätsjournalismus”. Die enttäuschten Leser, die zur einfachen Wahrheit erzogen wurden, kontern mit der Erkenntnis, dass da etwas nicht stimmt in der Wahrheitsproduktion und folgern, dass da eine “Lügenpresse” am Werk ist. Die reagiert beleidigt und erklärt die Opfer ihres Versagens für irre, “Verschwörungstheoretiker”.

Es gibt noch immer Schulen in diesem Land, und die lehren lesen. Klassische Lektüre wird gelehrt; wie man sie auslegt, was sie sagt, wie sie geschichtlich einzuordnen ist. Diese Fähigkeit aber soll offenbar um keinen Preis auf die Gegenwart angewendet werden. Das exakt ist der Kern der organisierten Lüge einer Presse, die sich ganz dem Narrativ verschrieben hat. Sie erzählt nicht nur eine bestimmte Geschichte, sie will sie mit ihren Mitteln erzwingen.

Das Ergebnis dieser publizistischen Gewalt ist z.B. der Unterschied zwischen der Lektüre von Orwells “1984″ und dem Umgang mit den eigenen Erzeugnissen. Was haben wir nicht alles gelernt über die Manipulation der Sprache durch die böse Diktatur in Orwells Roman, aber wenn uns dieselben Techniken in den Zeitungen begegnen, sollen wir das für “Information” oder gleich “Aufklärung” halten. Beinahe vollständig enthält 1984 alle Herrschaftstechniken, mit denen sich ein Regime an der Macht hält und das Volk so verdummt, dass es nicht aufbegehrt.

Heiliger Krieg

Eines der wichtigsten Mittel, um das Volk von der Idee der Revolte abzuhalten, ist der dauernde Krieg gegen einen Feind, von dem man nicht weiß, ob er wirklich existiert. Das Ziel dieser Kriege besteht nicht in Eroberung oder Sieg, sondern eben darin, das eigene Volk bei der Stange zu halten. Sofern es die Schullektüre angeht, durfte das plausibel sein. Es war logisch, weil es funktioniert.

Im Rahmen des sogenannten “Kriegs gegen den Terror”, der so abgefeimt wie lächerlich ist, wenn man nur einen Schritt zurücktritt, darf diese Logik aber nicht aufkommen. Schon die Frage, ob diese Wirkung nicht längst real eingetreten ist, sei es auch nur versehentlich (es werden ja gern die deutlichsten Muster als eine Serie von Pannen dargestellt), ist eine Art Ketzerei. Wer so etwas denkt und es ausspricht, ist eben Verschwörungstheoretiker. Dieselbe Logik mit denselben Inhalten wird plötzlich zum Irrsinn erklärt. Oh warte, das beschreibt Orwell ja ebenfalls.

Kollege epikur hat hier ein paar ‘Berichte’ dokumentiert. Darunter sind nicht nur willfährige Werke des falschen Alarms, es sind auch handfeste Erfindungen und Verdrehungen von Tatsachen darunter, vulgo “Lügen”. Wie fast immer, schreibt hier ein Presseprodukt vom anderen ab. Man kann dabei wissen, dass auch eine irgendwann korrigierte Falschmeldung politische Meinungen beeinflusst. Dass der Ruf der Zunft längst ruiniert ist, sei nur am Rande bemerkt.

Ende der Debatte

Es ist also eine Entscheidung, die wiederholt getroffen wurde: Man kann die Erkenntnis, dass alle Information in eine Erzählung eingewoben wird, selbst zur Diskussion stellen. Man kann darlegen, wie so etwas geschieht, dass es unvermeidlich ist und ganz offen sagen, wo die Information aufhört und der künstlerische Eingriff anfängt. Man kann berichten, wer daran beteiligt ist, welche Interessen einfließen, warum jemand einer Darstellung zuneigt und die andere ablehnt,

Stattdessen aber unterdrückt die Lüge von der “kritischen Berichterstattung” und der “Qualität” genau das, was sie behauptet. Im Gegenzug erlaubt sich eine längst entmündigte Leserschaft, es mit gleicher Münze heimzuzahlen und erzählt ihre eigene krude Geschichte, nicht ohne das “Wahrheit” zu nennen. Der kleinste gemeinsame Nenner steht derweil zur Verfügung: Der brutale Feind aus dem finsteren Ausland. Nach Machtverhältnissen wird nicht gefragt. Guten Abend, das Wetter.

 
ba

Oh my, mal wieder ein paar Twitter-Beiträge gelesen. Warum tut man sowas? Warum vor allem verfolgen mich diverse Blogger und sowieso das Journallala mit diesem Rotzforum, der Trollachterbahn im Empörungspark? Wenn ich das haben will, kann ich ja gleich zu den Piraten gehen. Dieses Gebaren kenne ich noch von der Uni, und da kommen sie ja alle her, aus der Studentenpolitik. Dort setzt sich seit vierzig Jahren keine gute Idee mehr durch, sondern stets die Geschäftsordnung.

Ich habe Anfang der 90er an diesem studentischen Bildungsgipfel teilgenommen und bin bis heute davon gezeichnet. Die Unipolitikelite aus hundert Hochschulen, allesamt Figuren, die es gewöhnt sind, dass ihr Geschwätz relevant ist; dass sie reden und andere zuhören. Argumentieren – und das wurde dort zelebriert – dient einzig dazu, den Gegner zu ermüden. Entscheidungen werden in einer Art Last-Man-Standing Battle gefasst, für die Teile des Verfahrens, die noch nicht per Geschäftsordnung zertrümmert wurden.

Ich rede!

Die Raubritter solcher Bürokratie haben keinerlei Verständnis von Gemeinschaft, keine Ahnung, wie man sich mit anderen einigt oder wenigstens verständigt. Für sie ist “Solidarität” etwas Militärisches (uneingeschränkt), und Regeln sind dazu da, andere zu knebeln. Es geht schließlich darum, irgendwas durchzusetzen und nicht darum, miteinander zu leben. Worte sind Werkzeuge oder gleich Waffen. Es geht um die Deutungshoheit.

So kommt es auch, dass für sie der schlimme Twitterror viel schlimmer ist als echter Krieg. Ernsthaft zwitschern professionelle Opfer ihrer eigenen kommunikativen Idiotie, ein beherzter Spruch im Deppenchat bewirke ein Trauma, gleichzusetzen mit Kriegserlebnissen, man müsse daher von “posttraumatischer Belastungsstörung” sprechen, wenn jemand dort spontan angedisst wird. Die Forderung an den modernen Attentäter liegt dann wohl darin, statt “Allahu Akbar” doch “Triggerwarnung!” zu skandieren, dann ist alles halb so schlimm.

Ich bin getroffen!

Die Speerspitze derartiger Aktivitäten und -isten hält sich für Krieger, genauer “Social Justice Warriors”, der Irrtum bremst mich freilich schon vor der dritten Silbe aus. “Social” ist da gar nichts. Es herrscht die Selbstgerechtigkeit gehätschelter Mittel- und Oberschichtsbälger, die auch mal was unterdrücken wollen und keine Lust haben darauf zu warten, bis sie Chef von irgendwem werden. Da sie unendlich gelangweilt sind, machen sie dabei einen auf Revoluzzer und nennen das “links”, weil das in ihren Kreisen eben unerhört rebellisch erscheint.

Im Kaminzimmer, wo die Kiste mit den Zigarren schon auf sie wartet, lächeln ihre Zieheltern gnädig und wissen, dass sich die Hörner schon abstoßen werden. Eigentlich sind sie doch ganz gelungen, die Kleinen. Zielstrebig, gnadenlos gegen ihre Feinde und ausgestattet mit der richtigen Einstellung. Wer Opfer ist und wer Täter, wer immer im Recht ist und wer nie, dies Wissen liegt ihnen im Blut. Sie bekämpfen alles und jeden, sprechen aber nie den unverzeihlichen Fluch gegens Wachstum®. Man beißt halt nicht die Hand, die einen füttert.

 
lw

Broken Hartz … irre witzig, oder? Hahahaha. Der Dezember steht vor der Tür und damit das Ende meiner friedlichen Kooperation mit dem Vorhof der Hartzhölle aka “Arbeitsagentur”. Eine Erfahrung, die man mal machen kann. Das ganze System ist blödsinnig, eigentlich glaubt niemand daran, dass es etwas taugt, man macht auf beiden Seiten des Schreibtischs gute Miene zu dem Quatsch, folgt dem Ritual und lässt sich leben, wenn man klug ist.

Das Sachbearbeiter tut seine Pflicht und druckt Papiere aus wie “Vermittlungsvorschläge”, die qua Gesetz keine Vorschläge sind, sondern Befehle und zur “Vermittlung” vollkommen untauglich. Das Kunde tut seine Pflicht und simuliert “Bewerbungen”, die keine sind, weil es den Job nicht will und ihn ohnehin nicht kriegt. Dafür gibt es für beide Seiten am Ende des Monats ein Schmerzensgeld. Für die eine allerdings nur zwölf Monate lang.

Hartz funktioniert

Was danach kommt, wissen wir alle. Ich selbst habe es als Begleitung bei einigen Besuchen im “Job Center” erlebt. Das braucht kein Mensch. “Hartz 4″ funktioniert. Die einen werden schikaniert und gezwungen, ihres spärlichen Vermögens und ihrer Bürgerrechte beraubt, die anderen verzichten auf die Sicherung ihres Existenzminimums. Zu letzteren gehöre auch ich. Ich werde dann nur noch “selbständig” sein, und sollte mich die Künstlersozialkasse aufnehmen, könnte ich so gerade eben über die Runden kommen. Als kleiner Selbständiger killt einen sonst nämlich zuerst die Krankenversicherung.

Man lebt ansonsten ziemlich von der Hand in den Mund. Ein paar Seminare hier, ein Text dort, ein Zubrot woanders. In diesem Jahr waren die Spenden fürs Blog nicht zahlreich, aber großzügig. Danke dafür! Ich bemühe mich zwar stets, mich in den Kommentaren mit allen zu zanken, deren Äußerungen mir kritikwürdig erscheinen, meine sture Leserschaft lässt sich davon aber partout nicht vergraulen. Danke auch dafür. So weit die Vorrede für den dezenten Hinweis, dass eure Spenden nie so wertvoll waren wie heute.

Ich werde übrigens trotzdem auch künftig weder Amazon-Links plazieren noch Pillepalle nutzen. Auch wird es hier keine Ads oder sonstiges Generve geben. Das ist einfach keine Gegenleistung für Glaubwürdigkeit, die ist teurer. Was ich allerdings einführen werde, ist erweiterter Katzencontent. Warum, das habe ich vergessen; vermutlich waren es diese Stimmen, die mir das befohlen haben. Die meinten jüngst, man solle das nicht so furchtbar wichtig nehmen mit der Menschheit, es bleibe noch viel Schöneres, wenn die sich zum finalen Abgang entschlossen habe. Dann zeigten sie mir diesen Leierschwanz (Klick aufs Bild führt zu Youtube). Ich glaube, sie haben recht.

 
nt

Es ist nicht zuletzt deshalb schwierig, über ideologische Grenzen hinweg zu diskutieren, weil mit unterschiedlichen Klischees hantiert wird. Ein Klischee ist ursprünglich eine Druckform, die ein bestimmtes Bild erzeugt. Solche ‘Druckformen’, meist ein wenig komplexer, sind vereinfachte Vorstellungen von der Welt. In Bezug auf das Bild von anderen Menschen werden denen Eigenschaften, Rollen, Wertigkeiten zugedacht.

Antisemitismus, wie jede Form rassistischer oder sonstwie diskriminierender Zuschreibungen an Gruppen von Menschen, ist u.a. ein solches Klischee. Genauer müsste man sagen: ein Arsenal von Klischees. Er ist dabei sehr verbreitet, sowohl im Westen als auch in der arabischen Welt. Dies führt unter anderem dazu, dass undifferenziert alles mögliche als “antisemitisch” abgestempelt wird, das es höchstens auch ist. Dies wiederum reduziert das Problem der Klischees auf ein scheinbar zweiwertiges. Es geht dann nur noch darum, ob etwas eben antisemitisch ist oder nicht. Meist liegt in der Diskussion keinerlei Erkenntnisgewinn.

Antiismus

So wird zum Beispiel von “strukturellem Antisemitismus” gesprochen, wenn jemand meint, es gebe eine Elite von “Finanzkapital”, die für Armut und wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich sei. Der Irrtum besteht hier darin zu glauben, weil es die antisemitische Verschwörungstheorie von der “jüdischen Hochfinanz” gibt, sei jeder, der eine Elite von Spekulanten am Werk sieht, Antisemit. Das ist aber Unsinn. Hier sind nämlich völlig unterschiedliche Klischees am Werk, und eine Gemeinsamkeit ist eben kein Beleg, dass es dasselbe sei.

Ähnlich verhält es sich mit dem Urteil, der Anschlag auf das Konzert der “Eagles of Death Metal” sei “antisemitisch” motiviert gewesen. Zumindest der Frontmann entspricht offenbar jedem Klischee eines Feindbildes der Jihadisten: fanatischer Republikaner und erklärter Freund Israels. Macht das einen Anschlag auf seine Fans im gegebenen Rahmen “antisemitisch”?

In dem Konglomerat von Motiven, die zu einer Mordtat wie der in Paris führt, dürfte das wohl eher randständig von Belang sein. Paradoxerweise ist gerade die Auswahl der Opfer nach solchen ‘Kriterien’ sekundär. In der Spirale der Eskalation von Gewalt und Hass gibt es zuerst die Entscheidung zur Tat, dann erst das Ziel. In diesem Krieg gibt es nichts zu gewinnen, aber eine Menge zu töten. Die Opfer vor allem solcher Anschläge werden wie aus einer Speisekarte gewählt, es wird halt genommen, was aktuell im Angebot ist. Klar, da spielt die israelfreundliche Haltung des Sängers eine Rolle, aber was hat das zum Beispiel mit Verschwörungstheorien irrer Nazis zu tun?

Das Böse vernichten

So bekommt man erstens keinen haltbaren Begriff von Antisemitismus zusammen und zweitens versperrt das den Blick auf die Motive und deren Entstehen. Ja sogar wenn man nur die (Menschen-)Bilder analysieren will, die zu solchen Entscheidungen und Taten führen, ist diese Kategorie nur ein Hindernis. Der Skandal schließlich besteht ohnehin nicht in der antisemitischen Haltung, sondern in der Mordtat.

Die Klischees, die hinter der Fähigkeit stehen, Menschen gleich scharenweise umzubringen, sind teils komplexer, teils aber noch einfacher als das der Judenfeinde. Wo es sich auf den Hass verengt, sind es immer ‘wir’ und ‘die’, wobei jede Eigenschaft, jede Zuschreibung, jedes Kriterium austauschbar ist. ‘Wir’ sind immer ‘die Guten’ und ‘die’ das Böse, das ausgemerzt gehört. Das Resultat sind Bomben. Die Täter mit den auf Rechnung gekauften Hightech-Tötungsmaschinen heißen “Soldaten”, die mit dem geklauten oder selbst gebastelten Zeugs “Terroristen”. Der Hauptunterschied besteht darin, dass letztere nicht so viele Menschen töten und meist selbst dabei draufgehen.

Die Rechtfertigungen zum Mord hüben wie drüben sind darauf angewiesen, ein Feindbild zu erzeugen. Den religiösen Fanatikern fällt das am leichtesten, egal ob sie Christen, Juden oder Muslime sind, daher sind es auch die Pfaffen und ihnen hörige Befehlshaber, die das am besten besorgen. “In God We Trust”! Geht aber auch ohne. Wichtig ist nur, dass die da drüben den Tod verdient haben. So sehr, dass man ihnen den bringen muss, koste es, was es wolle. Wer diesen Kreislauf durchbrechen will, muss die Klischees zerstören. Am besten fängt man bei den eigenen an.

Update: Was passiert, wenn man zwei Klischees durch 20 andere ersetzt, kommentiert Kollege Charlie hier sehr treffend. Wer Jebsen immer noch als “seriös” verkauft, muss einen an der Waffel haben.

 

Ich habe mir neulich einen Unterhaltungsfilm angeschaut. Der Titel ist “The Man From U.N.C.L.E.”, deutsch “Codename U.N.C.L.E.”. Die Handlung ist eine Art billiger James-Bond-Imitation, die Anlehnung an die Original-Serie auch nur in dem Sinne gelungen, dass sie eben an ‘Handlung’ übrig lässt, was vom klassischen James Bond bleibt, wenn James Bond fehlt. Der Film soll die Optik der 60er/70er Jahre umsetzen und schießt dabei derart übers Ziel hinaus, dass Leni Riefenstahl feucht würde.

Die Bilder sind schlicht perfekt. So perfekt, dass es schon auffällt, wenn ein Stuhl nicht rechtwinklig zu den anderen Möbeln plaziert ist. Alles ist aufeinander abgestimmt; Farbe und Muster von Tapeten, Kleider, Frisuren, Schmuck, Accessoires. Selbst das Wasser, in dem ein Auto versinkt, harmoniert mit der Farbe des Kleides der Darstellerin. Alles ist geputzt, makellos. Keine Flecken, kein Stäubchen. Auch die Szene, in der eine Offroad-Fahrt stattfindet, zeigt vollendete Einstellungen, hier von den Sprenkeln im Gesicht des Darstellers, und obwohl es regnet, scheint die Sonne.

Alles bestens

Dieser Terror totaler Schönheit wird nur durchbrochen vom bösen Nazi, der alt und vernarbt über die Leinwand marodieren muss. Dieses Detail ist wie der finale Axthieb in den Schädel, um unmissverständlich zu klären, dass es sich bei all dem um brutal perfekten Kitsch handelt, der über jeden Verdacht eines Augenzwinkerns erhaben ist. Es gibt keine Ironie, nur Plattitüden und Zitate, die ohne jede Distanz die Produkte der Industrie aka “Stars” abfeiern. Es tut weh, hinzuschauen. Man sucht verzweifelt irgend etwas Natürliches, Schmutziges, Ungewolltes. Es ist aber nicht da.

Als ich “Grand Budapest Hotel” gesehen hatte, hielt ich die Akribie der Inszenierung für liebevoll, einfach tolle Bilder (die eine originelle Handlung untermalten, jedenfalls im Rahmen eines Unterhaltungsfilms). Vielleicht stimmt das sogar, aber diese visuelle Vergewaltigung eines Streifens lässt mich inzwischen daran zweifeln. Kann ein solches Stilelement, das tendenziell alles Fehlerhafte ausmerzt, etwas anderes sein als totalitäre Ästhetik?

Ästhetischer Terror

Zugerichtet, produziert, passend gemacht, harmonisch abgestimmt, schön, perfekt sind alle Objekte, einschließlich der stoffwechselnden Staffage, früher auch als “Menschen” bekannt. Das heißt folgerichtig, dass jeder Ton, der nicht passt, jede störende Farbnuance, jede Ecke oder Rundung, jeder Makel, alles, das nicht als dazugehörend identifiziert wurde, ausgemerzt worden sein muss. Es ist nicht die Lust am Leiden anderer, die der Quotennazi verkörpern muss, sondern die ‘Logik’ eines gnadenlosen Designs, die hier den Faschismus feiert.

Als der Nazi versehentlich in seinem elektrischen Stuhl verbrennt, veranlasst das den Hauptdarsteller zu der lakonischen Bemerkung: “Zu dumm! Ich hab mein Jackett darinnen gelassen.“. Auch das ist keine Ironie. Zwar ist es nur der personifizierte Unmensch, dessen Wert gegen den des chicen Sakkos vernachlässigenswert ist, es fehlt aber jeder Anker für die Vermutung, dass anderes Hässliche oder eben nicht Perfekte mehr Gnade erführe. Fürs Wachstum ist es freilich das Beste: Was kann man nicht alles kaufen, um sich zu verschönern! Die Alternative nämlich ist das Verschwinden aus jeder Szene, die Wertlosigkeit als Opfer der ästhetischen Selektion.

 
oi

Ich hatte jüngst das Missvergnügen, einer Leseempfehlung zu folgen, die ich als guter Misanthrop eigentlich weitergeben müsste. Nennt es Altersweichheit, aber ich will euch das Wochenende nicht verderben, und wer Montag mit authentischer Migräne oder sichtbar durch die Depression versehrt beim Doc aufschlagen will, kann das ja am Sonntag Abend lesen. Ihr werdet es schon finden anhand des Zitates:

Wer nicht darauf zählen kann, dass sein Eigentum geachtet wird, der verliert das Vertrauen in die Zukunft: Keine Anstrengung lohnt sich [...]“.

Das ist zwar der Kern der Sache, aber bei Weitem nicht die brutalste Verwüstung, welche die Einschläge der Ideologie in der Landschaft dieser erbärmlichen Lektüre hinterlassen haben. Wer seinen Schädelschwamm nicht ohnehin schon in kochenden Stahl getunkt hat, sollte sich das tunlichst ersparen. Die anderen werden ihren Spaß haben.

Treu im Glauben

Man erkennt sogleich den Frommen, unerschütterlich im Glauben ans göttliche Eigentum®, ohne das nichts ist. Kein Wasser im Meer, kein Blau am Himmel, keine Sonne, keine Tiere, kein Mensch. Was hält Atome zusammen, bewirkt den Lauf der Gezeiten und versorgt die Zellen des Lebens mit Energie? Eigentum! Gott schütze es, auf dass Zukunft® sei und erlöse uns von dem Bösen, Amen!

Das Schinden dieser Zeilen soll nicht alles sein, sondern vielmehr Anlauf zur Kunde von der Weisheit einer für mich maßgeblichen Person. Diese nämlich stellte eben in ihrer Güte und Weitsicht fest, dass Zukunft auch nicht mehr das ist, was sie einmal war. Wie wahr! Star Trek, so stellte sie fest, halte zwar eine seltsame Food Culture vor, sei aber doch wenigstens ein Zukunftsmodell gewesen. Heute, so die fmmP, sei nur noch Zombieapokalypse. Bestenfalls wandere die Menschheit vor sich selbst aus.

Ich kann das nur bestätigen und fürchte, wir werden dereinst vor einen interstellaren Zaun dengeln, der unsere Rakete in eine sichere Drittsingularität zurück schubst. Die Zombieapokalypse ist derweil längst real. Man muss sich ja nur die Entwicklung der Prinzessinnen anschauen. Waren sie dereinst unschuldige süße Dinger, die mit glockenklaren Stimmchen Reime vortrugen, magerten sie alsbald zusehends ab, nicht zuletzt an Kleidung und Moral. In der Postmoderne angekommen, erfreuen sie sich nunmehr an Mord und Vergewaltigung, gern an Säuglingen und schreiben dergleichen ab. Als meine Generation “No Future” anstimmte, haben wir das so nicht gemeint.

Armageddon am Replikator

Die Zukunft war früher also nicht bloß besser, sie entbehrte auch jeder Verantwortung®. Wie konnte die Idee des “Replikators” je Gegenstand einer erfolgreichen Fernsehserie und angeschlossener Hollywood-Produktionen werden? Einfach sagen, was man braucht und es wird automatisch zubereitet? Wer soll da noch Arbeitsplätze® schaffen? Wozu braucht man dann noch Produktionsmittel? Was bedeutet dann noch Eigentum®? Obendrein sausen die Leute mit den komischen Trainingsanzügen munter durchs ganze Universum; man stelle sich vor, wie sich das auf die Grundstückspreise auswirkt!

Gut, es gibt da noch die Ferengi, jene verfreakte Spezies, die “Erwerbsregeln” zur Religion erhebt und für die Ausbeutung das höchste Ideal ist. Wie verrückt! Das wäre ja, als ließe man sich eine ganze Kuh replizieren, um sie dann zu schlachten, anstatt sich gleich ein fertiges Steak zu bestellen. Was sagt ihr? Das schafft wenigstens Arbeitsplätze? Also wo ihr recht habt …

 
3l

Die NZZ spekuliert über Merkels Motive; eine Kunst, die hierzulande lange als Majestätsbeleidigung galt und inzwischen “Verschwörungstheorie” heißt. Man spekuliert nicht in der freien Presse®, es gilt die Losung: Die Herrschaft hat recht und der Feind ist schuld. In der Schweiz hingegen schreiben sie:

Selbst wenn am rechten Rand der Union fremdenfeindliche Reflexe wach und rechte Populisten gestärkt werden, so ist noch genug Potenzial in der politischen Mitte und im bürgerlich-liberalen Feld, um eine Mehrheit zu sichern [...]”

Das sei vielleicht Merkels Gedanke gewesen, sie habe sich aber verkalkuliert. Die NZZ verheddert sich im Weiteren leider im offiziellen deutschen Narrativ und gewinnt nicht die nötige Distanz. Vor allem im Hinblick auf die scheinbare Konfliktlinie zwischen Merkel und de Maizière/Schäuble muss man noch Erklärungen finden. Da man in der Schweiz spekulieren darf, begebe ich mich virtuell kurz hinüber und stelle eine These auf:

Busines as usual

Das Narrativ der BRD ist antirussisch, antikommunistisch und geprägt von der strategischen Allianz zwischen NATO und Nationalsozialisten, die u.a. durch Gehlens Geheimdienst und dessen Nachfolger im Inneren gepflegt wurden. Ergänzt wurde diese Struktur durch ein Netz transatlantischer Interessenvertreter, bestehend aus Medien, Industrie, Politik und Militär.

Aktuell fahren Politik und Medien einen aggressiven Kurs gegen Russland und vertreten völlig unkritisch die militärischen Strategien der USA, obwohl diese wahlweise bewusst Chaos herbeiführen oder auf breiter Front scheitern. Business as usual also. Die Verfassungsschutzbehörden wissen nichts über die Welle von faschistischem Terror gegen Flüchtlinge, bzw. wann immer ein brauner Täter überführt wird, kann man sich darauf verlassen, dass er mit dem “Schutz” kooperiert hat.

Das Ganze führt dazu, dass erstens Gewalt gegen Ausländer alltäglich ist und kein besonderes Aufsehen erregt. Die militante Rechte darf sich in aller Ruhe entwickeln. Die politische Rechte jenseits des Establishments erstarkt gleichzeitig durch eine Angst vor Überfremdung, die man bislang für quasi paranoid halten durfte. Bislang – bis angesichts Millionen Flüchtender die Bundeskanzlerin höchstselbst kundtat, sie sollten sich doch gern hier niederlassen.

Dies war für die Rechtsextremen von Pegida bis AfD die späte Bestätigung für die reale Gefahr der Überfremdung, sprich: Islamisierung, mehr noch: Eine der wenigen echten Verschwörungstheorien, die von der geplanten Überfremdung, erhält einen gewaltigen Schub, zumal es keine offizielle Erklärung gibt für die vermeintlichen Launen der Kanzlerin. Haben wir’s doch gewusst! Prompt erreicht die AfD zweistellige Umfrageergebnisse.

Missverständnisse und Pannen

Auf der anderen Flanke de Maizière und Schäuble, die völlig andere Fakten schaffen. Zwar hat die Deutsche Bank kürzlich berechnet, dass der Zuzug von Flüchtlingen sich wirtschaftlich rechnet, aber was vorn eingeladen wurde, muss jetzt ganz schnell hinten wieder eingedämmt werden. Zudem muss die regierende gemäßigte Rechte den Eindruck aufrecht erhalten, für Ordnung und das Wohl der Deutschen zu sorgen.

Über all dem wird es gewiss zu einem nicht kommen, was unter der Hand droht und durch die Welle der Hilfsbereitschaft Aufwind erhält: Eine breite Solidarität sonst konkurrierender Menschen und womöglich die Abkehr von einer Politik, die Menschen aufeinander hetzt und Europa in Armut stürzt. Wer es mag, darf das auch als “Linksrutsch” bezeichnen, aber es ginge diesmal um einen echten, einen, der europaweit Kreise zieht und und dem Establishment den Rücken kehrt – übrigens auch dem ‘linken’.

In Deutschland ist die klassische Reaktion darauf, obendrein eine bislang sehr erfolgreiche, die Rechte zu stärken, nicht zuletzt die extreme Rechte. Sollte dergleichen also zu beobachten sein und womöglich durch eine Serie von Pannen und Missverständnissen genau so vonstatten gehen, darf man – in der Schweiz – spekulieren, dass es sich vielmehr um Kalkül handelt. Vielleicht ist der Gradmesser die Karriere de Maizières. Sollte der trotz des ausgesprochenen ‘Vertrauens’ der Kanzlerin im Amt bleiben, wäre das ein Indiz fürs Kalkül.

 
cm

Ich habe mit wachsendem Unmut die letzte Diskussion hier mäßig durchgestanden, und wenn manche hier wüssten, was ich so denke, wären sie sehr glücklich über meine höfliche Wortwahl. Was mir ungeheuer auf den Sack geht, ist Ignoranz gegenüber bereits formulierten Statements und dem Stand der Diskussion. Man muss hier nicht alles gelesen haben, aber sich bitte einmal darüber orientieren, wo man ist.

Nun gibt es auch solche, die haben es etwas schwer mit dem Nachvollziehen anderer Meinungen, aber spätestens, wenn es an der Logik hapert, ist es nicht mehr angezeigt, andere zu belehren. Zum Thema “Korruption” hatte ich das nicht zum ersten Mal, dass argumentiert wurde, 3+3 könne nicht 6 sein, weil 1+5 ja schon 6 sind. Konkret muss ich mir immer wieder anhören, Korruption könne nicht charakteristisch für Kapitalismus sein oder es könne keine spezifisch kapitalistische Korruption geben, weil es auch jenseits desselben welche gebe.

Das Zebra, ein Tiger mit Hufen

Kapitalismus fördert Hierarchien, die besonders korruptionsanfällig sind. Gibt es auch Hierarchien jenseits des Kapitalismus? Ja. Ist das ein Gegenargument? The fuck, no! Es gibt extreme Armut und extremen Reichtum im Kapitalismus. So extrem wie in keinem anderen System. Das macht Korruption nachgerade zur Selbstverständlichkeit. Aber selbst wenn es woanders auch solche Extreme gibt, ist das ein Gegenargument? Nein.

Kapitalismus ist das einzige globale System, und in dem ist Macht verflüssigt. Natürlich kann mir eine Frau Sex anbieten, damit ich ihren Mann kille oder für sie eine Kuh stehle. Das ist auch Korruption. Das Potential aber, sämtliche Systeme zu korrumpieren, und zwar ohne dass noch das Mittel dazu (Geld) verschwunden geht, gibt es nur im Kapitalismus. Ich mag an dieser Stelle nicht die Diskussion über theoretisch andere Modelle von Geldwirtschaft führen, denn die sind m.E. erstens auch nur noch als Kapitalismus denkbar, und zweitens gibt es nicht ganz zufällig kein anderes (mehr).

Gerade in dem Zusammenhang, in dem ich das Problem Korruption häufig nenne, nämlich als Gegenkraft zu allen guten Wünschen und Vorstellungen, die innerhalb des Kapitalismus ansetzen, hier vor allem Keynesianische, ist das doch offensichtlich. Kapitalismus ist zu korrupt, um Mehrheiten unter den Entscheidern zu finden, die ihn begrenzen. Warum entscheiden immer wieder Funktionäre gegen ihre ‘Basis’ und die Programme, für die sie gewählt wurden? Weil sie die Wahl haben, sich mit der kapitalistischen Elite anzulegen oder von ihr zu profitieren und sich im Glanz der Macht zu sonnen.

Korruption als System

“Korruption” kommt übrigens von “Bestechung”. Jemand wird bezahlt, um dafür etwas zu tun. Das nennt sich heute auch “Lohn”. Das Beste aber ist, dass diese Art der Korruption auf jeder denkbaren Ebene abläuft und schon in den Köpfen verankert ist. Als “fairer Wettbewerb” zwischen Monopolbildung und Preisabsprache. Als Stöckchen vor dem Kopf, dem Traum vom Lottogewinn; die Zustimmung zur Ungleichheit ausgerechnet bei den Ausgebeuteten, das ist die finale Korruption, für die man so ein System erst mal erfinden müsste. Korrupter geht nicht. Es sei als Ergänzung noch erwähnt, dass sich die Staaten als oberster Eigentumsschützer noch Geheimdienste und Militär halten, um “Handelswege zu sichern”, denn Macht im Kapitalismus kennt keine Grenzen.

Hinzu kommt, dass ich in den Diskussionen hier seit Jahren betone, ein nichtkapitalistisches System müsste auf allen Ebenen die Möglichkeit von Korruption eingrenzen. Daran erkennt der Halbgescheite, dass ich nie behauptet habe, es gebe nur im Kapitalismus Korruption. Es ist allein daher schon befremdlich, mir das zu unterstellen. Der Clou hier ist, dass es im Kapitalismus schlicht paradox ist, Korruption bekämpfen zu wollen. Da lacht Herr Sisyphos.

So viel dazu. Ich hatte überdies angekündigt, die Nutzungsbedingungen hier einmal zu diskutieren und nachzufragen, ob die unverständlich sind. Siehe auch die FAQ. Das will ich an dieser Stelle dann direkt tun. Wie gesagt geht es mir darum, miteinander zu diskutieren und nicht aneinander vorbei. Das ist manchmal schwieriger als man sich das so vorstellt. Grundsätzlich erwarte ich also, dass man nicht in die Tasten haut, weil man ein Stichwort aufgeschnappt hat und sich mitteilen will, sondern erst liest, dann versteht und dann antwortet. Danke dafür.

Nächste Seite »