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Juli 2017


 
pd

Seitdem der Dieselskandal seine volle Wucht entfaltet, steht die Republik Kopf. Die Bürger nehmen Fahrverbote und kalte Enteignungen nicht länger hin. Das Vorbeiregieren an den Interessen der Massen mündet in eine revolutionäre Situation. Spätestens die Großdemonstration in Berlin am vergangenen Wochenende hat gezeigt, dass das alte System am Ende ist. Erstmals seit dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR-Diktatur haben Demonstrationen zu einer Situation geführt, die nach Umsturz riecht.

Angeführt vom Porsche-Cayenne-Club zogen hunderttausende SUVs in einer Sternfahrt zum Kanzlermat und haben dort sprichwörtlich die Mauern eingerissen. Diese Machtdemonstration aus der Mitte der Bevölkerung zog die Massen in ihren Bann; selbst Fußgänger schlossen sich dem Sturm an. Auf dem Weg in die Hauptstadt hatten Automobilclubs und andere Organisationen wie der Hartmannbund, Facebook und Rotary International für eine Aufbruchstimmung gesorgt. Es gab Häppchen für die Schaulustigen, zubereitet von Sterneköchen, Giveaways von bekannten Designern und ein Kulturprogramm vom Feinsten. Die Philharmoniker spielten das Kaiserquartett in allen drei Strophen.

Volkswille durchgesetzt

Millionen lagen sich in den Armen, als Andrea Berg und Helene Fischer auf dem Brandenburger Tor die Ode an die Freiheit anstimmten. Während des Kulturprogramms und der gesamten Aktion sorgten in ganz Deutschland private Sicherheitsdienste für einen ordnungsgemäßen Ablauf. Finanziert wurde das Ganze durch Teilnehmer und Sponsoren. Hundertschaften der Polizei, die den Einsatzbefehl von den Innenministerien bekommen hatten, marschierten in Formation mit. Am Ende des Zuges folgten Mannschaftswagen und Wasserwerfer. Einer der Fahrer sagte gut gelaunt: “Vorn Porsche, hinten Mercedes, so demonstriert Deutschland heute!

Die Ereignisse haben sich heute Vormittag überschlagen. Der ADAC forderte den Rücktritt der Bundesregierung, der Cayenne-Club erklärte seinerseits, der ADAC sei zwar sicher nicht der schlechteste Ansprechpartner, aber in dieser Sache seien die Veranstalter diejenigen, die Forderungen zu stellen hätten. „Wir haben gezeigt, dass wir keine Regierung aus Berufspolitikern brauchen. Wir haben hier alles im Griff: Die öffentliche Ordnung, vernünftige Entscheidungen und den Willen des Volkes“, sagte Bodo Bolko, der Sprecher des Clubs.

Er forderte die Öffentlichkeit auf, Ruhe zu bewahren. Man werde jetzt mit den „Vertretern der Quasselbuden“ verhandeln und deren Schließung angehen. Experten aus allen Bereichen von Wirtschaft und Handel haben sich den Demonstranten angeschlossen. Die Zukunft Deutschlands werde, wenn alles gutgehe, von Experten geprägt, denen etwas an Volk und Land liege und nicht mehr von Bürokraten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Aufständischen, die auf der Website der „Initiative Gerechtes Deutschland” veröffentlicht wurde.

 
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Ist es nicht herrlich? Es gibt immer neue Ideen, Umweltschutz® mit Wachstum® zu verbinden; eine, ähm, origineller als die andere. Die Älteren erinnern sich etwa an natürlichst grünökologischen Biosprit. “CO2-neutral” sei der. Wenn ich also eine Monokultur auf einer Fläche anlege, auf der sonst etwas Brauchbares wüchse und die Pflanzen, die vermutlich den Boden auslaugen oder deren Dünger ihn anderweitig versauen, danach verbrenne, dann ist das – umweltfreundlich? Wirklich?

Man hätte drauf kommen können, aber dass die Rechnung nicht aufgeht, haben sie erst bemerkt, als das geförderte Desaster schon komplett war. Hätte es ihnen doch nur wer gesagt! Und überhaupt: Strom. Früher haben wir gelernt, dass Strom produziert werden muss. Wir haben gelernt, dass das irgendwie zu Lasten der Umwelt geht. Nicht nur bei Kohle und Kernkraft – wir haben gelernt, dass mehr Strom mehr Kraftwerke braucht und mehr Kraftwerke mehr Rohstoffe. Auch das haben wir ihnen gesagt.

Grün, sauber, porentief rein

Seit einigen Jahren tun sie aber so, als sei Strom per se eine saubere Energie®. Da Fuck? Seit wann dat dann? Besser noch: Wir sollen jetzt alle! Autos auf Elektromotor umrüsten. Bitte was? Mal kurz einen Blick zurück: Sie haben Diesel gefördert, weil der so umweltfreundlich® sei. Das ist nur eine Industrieförderung, haben wir gesagt. Die ganzen alten Karren wegschmeißen ist schlimmer als ein paar Liter mehr Verbrauch, haben wir gesagt. Aber nein: Wachstum, Arbeitsplätze, saubere Luft. Welche Motive könnten Autohersteller auch sonst haben? Das ist ein Kartell, haben wir gesagt. Ein bestens vernetztes, haben wir gesagt.

Okay, es hat sich also ausgedieselt. Aber nicht genug, dass sie jetzt Diesel verbieten wollen – es soll gleich auch den Benzinern an den Kragen gehen. Alle Autos auf den Müll. Milliarden Karren neu bauen. Ähm, sage ich, das ist kompletter Irrsinn. Hört ihr? Nein? Schon wieder nicht? Allein die Idee, überhaupt so viel neu produzieren zu wollen, kann keinem Hirn entstammen. Das würde eher freiwillig in Scheiben fallen. Das ganze Kupfer? Oder meinetwegen Aluminium? Die seltenen Erden? Die ganzen verdammten Rohstoffe? Die Energie? Kommt das alles her? DA FUCK?

Ich erinnere mich noch an die nicht ganz unwichtigen Mitmacher bei dem ganzen Stuss, die grünen Verräter, deren größte Erfolge längere AKW-Laufzeiten, Angriffskriege, Hartz IV und ein losgelassener Industrielobbyismus sind. Als sie begannen, Kompromisse zu machen. Nein, ihr könnt euch nicht mit dem Kapitalismus versöhnen, habe ich gesagt. Der frisst euch mit Haut und Haaren, habe ich gesagt. Da war ich dann schon Fundamentalist. Inzwischen dürfte noch “Kommunist und Verschwörungstheoretiker” hinzu gekommen sein. Aber das hat uns schon damals nicht schlecht gestanden. Man gönnt sich ja sonst nichts.

 
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Es ist zwar müßig, aber ich beginne mit dem wohl unvermeidlichen Disclaimer: Nein, ich sympathisiere kein Stück mit Rechten. Ich verachte ihre Haltung, die nur verrät, dass sie ihre Unzufriedenheit auf dem Rücken Schwächerer austragen. Ihr Weltbild ist plump, ihre Argumente windschief und ihr Denken hört nach dem halben Meter auf, wo ihr Geschwätz beginnt. Aber sie haben dasselbe Recht wie alle anderen. Sie dürfen sich frei bewegen, Schwachsinn labern und ihre Pizza fressen, wo sie welche kriegen. Wer ihnen das nehmen will, vertritt totalitäre Ansichten.

Diese miefige Attitüde, in der Sozialdemokraten und ‘Aktivisten’ (das kommt von “Aktion” – man darf auf keinen Fall nachdenken, bevor man zur Tat schreitet) “den Anfängen wehren”, ist ein schlechter Witz. Ich verhindere eine Diktatur, indem ich nicht nur bestimmte Meinungen verbiete, sondern indem ich Menschen, die sie (vermeintlich) vertreten, gleich die ganzen Bürgerrechte streiche? Sie machen keinen Stunk, halten keine Reden, aber weil sie so welche sind, dürfen sie sich nicht in ein Restaurant setzen? Und das ist dann “weltoffen“? What the fuck?

Wir sind weltoffen

Ja, das sind sie, meine Freunde, die Sozialdemokraten 2017. Scheiß in die Akten aufs Grundgesetz, auf Rechtsstaat und Demokratie, denn es geht um, äh … Demokratie und Rechtsstaat! Während dieselbe Fraktion mit Pauken, Trompeten und Fake News eine linke Bedrohung aufbläst, geht sie am anderen Ende auf alles los, was ihnen als ‘rechts’ gilt. Kein rechtsstaatliches Verfahren, keine politische Auseinandersetzung, sondern die Fakten der Macht bestimmen das Handeln. Was abweicht, wird plattgemacht. Weltoffen. Gegen die “Anfänge”.

Diese Sozialdemokratie stimmt wie immer jedem Krieg, jeder Ermächtigung, jeder Reaktion zu, die sich gegen Ruhe, Ordnung und Markt richten könnte. Inzwischen präventiv und ganz privat. Da geht der “Rechtsextremismus-Beauftragte” persönlich zum Pizzabäcker und erklärt ihm: “Schöne Pizzeria haben sie da, wäre doch schade, wenn die pleite geht“. Was ist der Typ auch so blöd und widerspricht? Das müssen wir als Unterstützung der Terroristen betrachten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Hier darf sich jeder treffen, mit wem er will …

 
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Dass der Staat in seinem Amoklauf beginnt, auf Basis reiner Symbolpolitik Menschen zu drangsalieren, ist nicht überraschend. Maas in seiner totalitären Gesinnung hält sch jetzt als Bundesminister auch für kommunale Einrichtungen für zuständig. Die “Rote Flora” hat zwar absolut nichts mit den Krawallen in Hamburg zu tun, aber er will sie schließen. Grund: Krawall ist böse, der Krawall muss als “linker” Krawall gelten und die Flora ist “links”, also böse. Sollte das wirklich versucht werden, trifft das ja nicht nur deren Besucher und Betreiber. Es betrifft vor allem die Anwohner, denn dann wird die Schanze erst recht brennen.

Ein bisschen Kleinkrieg, ein bisschen Revolution spielen. Im Osten kennen wir das schon, da ist die Polizei aber eher auf Seiten der Wütenden, denn die sind dort rechts. Revolution wird von Frustrierten gemacht, nicht von Rechten oder Linken. Wer sich politisch an die Spitze setzt, das entscheiden die Optionen. Der Stand der Technik, das Narrativ, die Organisation vor Ort. Weder “Pegida” noch G20 Gegner wollen politische Konzepte umsetzen, schon gar nicht die Dumpfbacken, die ohne jede Idee etwas kaputtmachen wollen.

Zielloser Stunk

Es trifft sich hier ein allgemeiner Frust ohne Ziel (das unterstelle ich auch den ‘Linken’, denn auch die haben kein erreichbares Ziel) mit einem halbgaren Kalkül staatlicher Aufrüstung. Staat will alles dürfen, wenn Staat etwas als ‘gefährlich’ einstuft. Maas ist die Speerspitze dieser Variante des Faschismus; da kann sich sogar der glühende Antidemokrat de Maizière zurücklehnen und nur ab und an zustimmen. Die Konstellation ist die eines aufblühenden Polizeistaates im Schützengraben gegen etwas, das in Stuttgart (21) zu früh und fälschlich ausgerufen wurde: den Wutbürger.

Es ist tatsächlich egal, aus welchem Grund Menschen auf die Straße gehen. Der Staat will das nicht. Haben auch die an der Front, die rechtsextremen vor allem in den Hundertschaften, großenteils Sympathien für die Rechten; im Grunde ist jeder, der aufbegehrt, ein Staatsfeind. Die Roten sind natürlich die Schlimmsten, denn die sind obendrein gegen das Kapital und sowieso aus Tradition falsch und undeutsch. Schließlich ist das Deutschland hier. Gesetze werden am liebsten gegen Links gemacht, aber wenn sie einmal gelten, können sie jeden holen.

Das ist das Ende

Die vollkommene Bewusstlosigkeit der Medien ist derweil zum Haare raufen. Sie kapieren es tatsächlich nicht: Selbst wenn die von ihnen verteidigte Herrschaft über jeden Verdacht eines Missbrauchs erhaben wäre, warten diese Gesetze auf die starke Hand, die nach Lust und Laune damit verfährt. Selbst ein Erdogan ist nicht Beispiel genug für sie. Der ist ja böse und ein Türke. Sie merken nicht, dass alles bestens vorbereitet ist. Man muss derzeit froh darüber sein, dass die Arroganz dieser Macht sich auch gegen rechte Verschwörungstheoretiker® wendet. Tatsächlich verläuft die Front derzeit horizontal.

Wir liegen damit absolut im Trend. Ungarn, Polen, Türkei, Frankreich – wohin man schaut, Ausnahmezustand, Entrechtung, Verfassungsbruch und totalitäre Tendenzen. Die Weltpolzei wird gleichzeitig von einem Irren angeführt. Bei den Eliten und ihren Lautsprechern ist das kein echtes Thema. Bestenfalls werden Phrasen abgesondert. Die Diskussion der Ursachen? Fehlanzeige. Die da unten wissen es auch nicht besser und zünden ab und zu wen an. Fürwahr ist die Zombieapokalypse die zeitgemäße Allegorie. Wir sollten mehr fernsehen.

p.s.: Ich habe die neue bayrische Schutzhaft gar nicht erwähnt. Es passiert halt so viel …

 
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Der Rechtsstaat bröselt weltweit, vor allem im ‘Westen’. Die Demokratie heißt noch so, weil sie als herrschende Religion in Ritualen immer wieder so genannt und als das ‘Gute’ zu Geltung gebracht wird. Tatsächlich ist ihr Kern verrottet. Wir sind hinter die Errungenschaften des 18. Jahrhunderts zurückgefallen. Es herrscht de facto das Feindrecht, und genau das wurde einst durch die Bürgerliche Demokratie und ihren Rechtsstaat abgeschafft.

Das Gewaltmonopol des demokratischen Staates ist eines Errungenschaft, die sich die Bürger und Arbeiter gegen den Staat erkämpft haben. Es ist nur verliehen, was in jeder maßgeblichen Verfassung steht, im GG Artikel 20: “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus”. Das bedeutet erstens das Ende eines Jahrhunderte währenden Verhältnisses, nämlich das vom Untertan zur Herrschaft. Staat und Bürger sind gleichberechtigt. Im Zweifel ist es der Staat, der sich rechtfertigen muss und der verändert werden muss, wenn die Bürger es so wollen. Dieses Verhältnis wurde wieder umgekehrt.

Zurück zum Feindrecht

Maßgeblich dafür ist das US-Regime unter George W. Bush, das – quasi verbindlich für alle NATO-Staaten und in der Folge für die EU und weitere – das Feindrecht über die Prinzipien des Rechtsstaats gestellt hat, und zwar im Inneren wie im Äußeren. Zunächst wurden Folterlager und Mordkommandos ausschließlich jenseits des Territoriums der USA betrieben, gleichzeitig aber bereits Bürgerrechte eingeschränkt und demokratiefeindliche Strukturen mit einer umfassenden Macht ausgestattet. Spätestens damit hat der Staat keine Legitimation mehr für sein Gewaltmonopol.

Geheimdienste, die in den USA von Faschisten der McCArthy-Fraktion mithilfe von Nazis aufgebaut wurden und vor allem umgekehrt, waren von Anfang an ein Schandfleck für Demokratie und Rechtsstaat. Im Kalten Krieg mag man diese noch als Sicherheitsmaßnahme betrachtet haben, aber solche undemokratischen und konspirativen Einrichtungen bedürfen dann strengster Kontrolle. Diese findet effektiv gar nicht mehr statt. Die Dienste weigern sich sogar, ihren Kontrolleuren die nötigen Informationen zu geben. Dafür bekommen sie dann mehr Geld und noch mehr Befugnisse, das Recht zu missachten.

Damit ist wie gesagt das Gewaltmonopol hinfällig, denn vor diesen Einrichtungen haben die Bürger keine Rechte mehr. Von der Privatsphäre bis hin zum Recht auf Unversehrtheit von Leib und Leben wurde es ihnen genommen; sie sind wieder Untertanen. Obendrein werden die maßgeblichen Organe dieser Unterwerfung nicht gewählt, nicht kontrolliert und haben keine zeitliche Begrenzung. Man nennt sie daher auch “tiefen Staat”. Gleichzeitig werden auf Staatsebene immer mehr Verabredungen getroffen (sogenannte Freihandelsverträge, Kriege, Finanzpolitik), die keinem rechtlichen Standard standhalten. All dies hat das Recht der Staaten, über ihre Bürger zu herrschen, untergraben.

Erosion

Die Entwicklung der Weltwirtschaft, d.h. des Kapitalismus, sorgt derweil dafür, dass immer mehr Menschen verarmen und die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Der Neoliberalismus hat u.a. für Arbeitszwang und Lohndumping gesorgt. Viele Bürger haben also gar nichts mehr vom ursprünglichen Vertrag zwischen Bürger und Staat. Sie sind vielmehr in jeder Hinsicht dessen Gegner. Noch können viele durch die eingangs geschilderte Religiosität der Restdemokratie mental unter Kontrolle gehalten werden, aber auch das wird immer schwerer, weil die nötigen Manipulationen eine weitere Säule der Demokratie gesprengt haben: den Bezug auf Vernunft.

Schon moralisch nicht mehr haltbar, macht sich die staatliche Herrschaft durch ihre Techniken zunehmend lächerlich. Aussagen von Politik und Medien werden immer öfter widerlegt; in den USA regiert gar ein böser Clown. Dies führt wiederum dazu, dass sich ausgerechnet die Vernünftigen abwenden, weil sie nicht mehr durchdringen. Was bleibt, ist irrationale Parteilichkeit. Du bist für etwas oder dagegen, Gründe sind hinfällig – das gelebte Feindrecht als Politik. Es war aber Vernunft, die überhaupt erst den Glauben an Gleichberechtigung ermöglichte – und sei es nur die von Handelspartnern.

Verträge beruhten auf nachvollziehbaren Prinzipien, Eindeutigkeit, Schlüssigkeit, Prüfbarkeit. Abweichungen wurden unter dem Primat dieser Prinzipien verhandelt. Das Recht des Stärkeren und des Fürsten wurde durch freiwillige Vereinbarungen ersetzt. Dies ist das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats. Dass dieses Prinzip immer durch faktische Macht eingeschränkt war, ist nicht zu leugnen, inzwischen aber dient es nur mehr als Feigenblatt. Die Stärkeren haben die Macht und lassen sich nicht mehr einschränken. Das Gewaltmonopol ist ein reines Machtmittel geworden. Seine moralische und juristische Autorität ist zerbrochen.

 
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Mir wurde oft gesagt, ich beschäftigte mich hier zu oft mit unpolitischen Dingen wie “Fake News”, dem “Narrativ” und Ähnlichem. Nun, es ist nicht nur so, dass ich versuche, die Welt aus vielen Perspektiven zu betrachten, sondern dass gerade diese Dinge ungemein politisch sind. Selbst das Radikalste, Extremste in Bezug auf ein System: die revolutionären Ansätze, funktionieren nicht ohne ein Narrativ und die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

Niemand wird den Umsturz proben, nur weil er die Schnauze voll hat. Im Gegenteil lassen sich viele Menschen ausbeuten, quälen, betrügen und unterdrücken, solange niemand ihnen eine sehr konkrete Alternative bietet. Das geht so weit, dass die Ordnung selbst verteidigt wird, sei sie noch so nachteilig, selbst also wenn sie dafür sorgt, dass Menschen zunehmend verarmen und entrechtet werden. Sie wird verteidigt von denen, die unter ihr leiden.

Krieg oder Schnupfen?

Die Krawalle in Hamburg sind en gutes Beispiel dafür. Es ist der völlig falsche Ansatz, hier ‘gute Gründe’ für Krawall zu verlangen. Die Einschätzung der Situation ist schon kaum möglich, weil die Propaganda, die darauf aufsetzt, ein Hinweis darauf ist, dass alle Beteiligten(!) diese Krawalle wollten. In Deutschland, einem unglaublich reichen Land, in dem die Massen weiter verarmen, während die Kanzlerin von “Vollbeschäftigung” faselt, kann ein solches Ereignis der überwältigenden Mehrheit als ein Angriff auf sie – die Bevölkerung – verkauft werden. Als könne man bald nicht mehr vor die Tür gehen.

Ein Blick in die Nachbarschaft rückt die Verhältnisse zurecht: Anlässlich des Nationalfeiertags brennen in Frankreich 900 Autos, und zwar nicht zum ersten Mal. Das ist dort bereits Folklore. Hier wäre die Bundeswehr ausgerückt, in ganz Deutschland hätte es Hamsterkäufe gegeben und es würden alle Abgeordneten der Linkspartei verhaftet. Dergleichen passiert drüben übrigens trotz schon jahrelangem “Notstand”. Sie sind dort allerdings etwas weiter, was ihre Frustrierten und Abgehängten angeht.

Die hegt man so gut wie möglich ein und lebt mit regelmäßiger Randale. Was hier in lächerlicher Weise als “Krieg” beschrien wird, ist längst Standard in Europa. So ist das nämlich, wenn man Menschen benutzt oder als nutzlose Reserve vegetieren lässt. Aber nur keine Systemkritik, wir sind ja keine Kommunisten! Wir müssen gegen die Chaoten zusammenstehen. Es wird bereits überwacht in einem Maße, das die Stasi aussehen lässt wie einen Verein von Hobbypolitessen, aber das hilft nicht. Die stadtbekannten Terroristen lässt man trotzdem gewähren und randalierender Ausschuss ist damit auch nicht unter Kontrolle zu halten.

Sei, was du kaufst!

Was noch am besten funktioniert, ist die große Maschine, die unsere Wirklichkeiten in schöne dünne Scheiben schneidet. Auf der einen Seite wird das zerbröselnde Narrativ von den Verlagen und ihren nützlichen Idioten mit aller Härte ihrer Ignoranz weiter erzählt. Auf der anderen Seit werden wir mit ausgesuchten Infohäppchen versorgt; jeder nach seinem Profil, um alle zu gehorsamen Konsumenten abzurichten. Letztes Beispiel: Google News.

Was einmal eine Hoffnung war und eine Möglichkeit, einen gigantischen Fundus an Informationen jedermann zugänglich zu machen, ist zu einer Karikatur verkommen. Das Kapital hat die Suchmaschine zu einem verfolgungswütigen Verblödungsroboter umfunktioniert. Das deckt sich übrigens mit den Geschäftspraktiken des Konzerns. Was mir ein Vögelchen dazu flüstert, zieht einem die Schuhe aus. Sie haben nicht nur die Macht, sie nutzen sie. Sie wollen unser Produkt nicht? Och! Schöne Firma haben sie da; wäre doch schade, wenn die pleite ginge …

Wir leben in einem riesigen Scheißhaufen, der permanent fröhlich durchgequirlt wird. Das ist sehr schwer zu ertragen, für die meisten schlicht unerträglich: Hier in meiner Ecke riecht es aber doch gar nicht so schlimm, und ich kenne eine, das ist es sogar noch sauber. Hauptsache, die Extremen kommen nicht an die Macht und machen alles noch schlimmer!

Wir brauchen Phantasie, um zu überleben. Ohne eine Vorstellung davon, wie es ganz anders ginge – für alle, nicht nur für diejenigen, die es noch nicht erwischt hat, geht es nicht weiter. Die Angst vor Veränderung lähmt. Vielleicht brauchen wir keine Politiker und Philosophen, sondern vor allem Künstler, um sie uns zu nehmen. Wir könnten sonst schon bald zu phantasielos sein, um aus unserer Filterwelt noch auszubrechen.

 
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Quelle: Ludwig Binder Haus der Geschichte

Der Wind weht stramm und kalt von rechts, da war es ein Schmaus, in Hamburg Krawalle filmen zu können und den roten Teufel an die Wand zu malen. Die Infamie kennt keine Grenze und keine Scham; es kommt den Rechten wie de Maizière und Scholz entgegen, dass sich die Verdrehung von Tatsachen längst als erfolgreiche Strategie erwiesen hat. Was Trump kann, können sie auch. Es habe “keine Polizeigewalt gegeben“, so Scholz. Dieser Stuss ist eine reine Machtdemonstration, eine Demonstration kommunikativer Macht.

Hätte es wirklich keine gegeben angesichts der Krawalle, wie stünde sie denn da, die ausführende Staatsgewalt? Das muss eigentlich vor allem die Polizei selbst dementieren. Dass es reichlich filmische Belege für deren Gewalt gibt – geschenkt! Noch infamer aber die Gleichsetzung marodierender Autogegener mit den rechten Mördern, die schlafende Familien anzünden. Schaut man sich die Verletztenliste auf Seiten der Polizei an, ist eher Stirnrunzeln angesagt.

Wo ist sie denn?

‘Linke’, die sich in einigen Kilometern Umkreis einer Tat befinden, bei der theoretisch jemand hätte getötet werden können, sind allesamt “Mörder”. Derweil kann regelmäßig “kein fremdenfeindlicher Hintergrund der Tat festgestellt werden“, wenn Ausländer in diesem Land von bekannten Neonazis (halb)totgeprügelt werden. Vor allem aber eines ist ein reines Phantasieprodukt: Eine organisierte militante Linke in Deutschland. Weder militant noch sonstwie radikal – nachdem die KPD zerschlagen war und die 68er nicht in der Lage waren, sich wirksam zu organisieren, gibt es sie nicht mehr.

Das hat auch seine Logik, und es ist das vermutlich größte Problem der progressiven Linken: Sie muss selbstverständlich den Kapitalismus ablehnen, ebenso aber seine politischen Organisationen. Sie muss daher – und wenn sie die nötigen Schlüsse aus der Geschichte der Kommunisten zieht – gegen Parteien sein und kann selbst keine bilden. Nicht innerhalb des Systems und auch nicht in einem imaginären neuen Staat. Real hätte sie zudem überhaupt keinen Zulauf. Der letzte vielversprechende Ansatz, eine Partei zu gründen, die nicht korrumpiert werden würde, waren die Grünen. Er ist mit erschütterndem Ende gescheitert.

Es wird jenseits der rein theoretischen Diskussion (wie sie auch hier geführt wird) darauf ankommen, Organisationsformen zu finden, die weder auf Machtoptionen ausgerichtet sind noch zersplittert bleiben. Dabei kommt es keineswegs darauf an, tatsächliche oder vermeintliche Konflikte beizulegen und möglichst jedem, der sich “links” nennt, in den Hintern zu kriechen. Im Gegenteil muss jeder anstehende Konflikt ausgetragen werden, und zwar in einer wenig erbaulichen Situation: Es gibt in diesem System weder ein Mitmachen, noch eine Machtoption oder die Hoffnung auf ein “revolutionäres Subjekt”. Was auch immer eine Hoffnung birgt, es muss erst noch entwickelt und organisiert werden.

 
hg

Über die Strategie des Staates beim G20-Gipfel ist vieles gesagt worden, auch hier. Näher betrachten muss man noch die Propaganda rund um den Gipfel und seitdem. Das beginnt mit dem Feindbild der “Linken”, das schon fest im Narrativ verankert ist, aber mangels Linker immer blöder wird. Deutschland hat den Kommunismus ausgerottet. Es gibt keine organisierte antikapitalistische Kraft mehr. Die Ideologen des Kalten Krieges können aber nicht ohne und freuen sich umso mehr, dass sie sich kurzfristig welche herbeiphantasieren können.

Beispielhaft ist de Maizières Wahnvorstellung von “orchestrierter” Randale, die von Verschwörern mit “Knopf im Ohr” geleitet worden seien. Propaganda darf jetzt alles. Von der einfachen Lüge bis zur klinischen Paranoia wird alles in die Mikrophone gefeuert, was aus dem geräumten Oberstübchen purzelt. “Knopf im Ohr” – kenne ich. Wenn meine Tochter joggen geht, hat sie so etwas. Sicher orchestriert sie nebenher den kommunistischen Widerstand. Sie behauptet freilich, sie höre Musik. Oder eine Freundin – die fährt sogar Auto mit Knopf im Ohr, um Polizei und Nachbarn zu überwachen. Ihre Schutzbehauptung: sie telefoniere nur.

Welches Detail man sich auch vornimmt, nichts von dem Geplärre hält stand. Es soll aber ja auch gar nicht genauer hingehört werden. Wie gesagt geht es um ein Feindbild, um “die“. “Die Chaoten”, “die Schwerstverbrecher”, “die Mörder”. Auch das sind Lügen, aber vor allem Projektionen. Der Feind ist “barbarisch”, gewalttätig, und zwar “sinnlos”, “radikal”, “extremistisch” und diesmal “links” (sonst ja regelmäßig “islamistisch”). Er ist dabei eine Einheit. Er ist nicht einmal eine Gruppe, denn die wäre noch differenzierbar. Nein, er ist ein homogenes Wesen. Alle gleich, alle eins, alle Feind.

Kein Recht

Mir fielen sofort wieder die Riots in England 2011 ein, als die Unruhen losgingen. Der Anlass wird oft sehr schnell irrelevant, das hält aber die Ereignisse nicht auf. Polizei geht auf Demonstranten los, Hooligans schlagen zurück, Plünderer und Frustrierte schließen sich an. Jeder Einzelne mit seinem eigenen Motiv, seinem eigenen Hintergrund, seiner eigenen Lage. Ihre äußere Erscheinung so unterschiedlich wie die innere Einstellung. Ich habe sie “Hooligans” genannt, weil das Einzige, das sie scheinbar eint, ihre Gewalthandlungen sind.

Der Staat braucht sie, gebraucht sie. Wie nach 2001 ein halber Kontinent in die Steinzeit bombardiert wurde, weil seitdem das Feindbild “Islamist” gepflegt wird, wie seitdem bereits Bürgerrechte im Hintergrund rasiert wurden, soll es jetzt roh und offen zugehen, dank des aktuellen Feindbilds. Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Polizeibrutalität – es werden Exempel statuiert. Der Rest des Rechtsstaats weicht dem starken Staat, dem “wehrhaften”. Es sind ja nur die Linken. Wer Einwände hat, ist linksgrünversifft oder “rechtfertigt Gewalt”.

Das Gegenteil ist der Fall. Ich rechtfertige diese Gewalt nicht. Dieser Polizeistaat hat erst alles dafür getan, dass sie eskalierte und übt jetzt die Praktiken totalitärer Regimes. Das ist nicht zu rechtfertigen, zu allerletzt mit der Rechtsordnung, auf die sich die Brandstifter in Nadelstreifen berufen.

Bildquelle oben: Pixabay

 
udowahrIch werde alt. Mir ist selbst die hauseigene Korruption inzwischen zu langweilig, da nehme ich mir lieber ein Rätselheft vor (um ein Auto damit anzuzünden). Schlimmer noch: Ich lasse mir von Lesern Vorschläge machen und nehme sie an. Leser! Dieses Volk, das meine schöne Datenbank mit ekligen Inhalten vollsaut, meine gute Laune mit Meinungen torpediert und im ärgsten Fall einfach still liest. Widerlich. Das seht ihr doch auch so, richtig? Sag’ ich doch.

Muss ich Pantoufle erwähnen? Der hat zum elften Mal den zweiten Platz gemacht. Das nur am Rande. Aber ehe ich den behänge, preise ich mich selber. Wie, das mache ich schon dauernd? Okay, dann vielleicht nächstes Jahr. Ihr seht, der Text kommt voran. Worum geht es noch? Ach so, ja, um den Hund und das neue Teilzeitfrauchen. Er kommt ja auch viel besser mit Frauen zurecht. Oder kam jedenfalls. Also das Original. Hier musste er ja meist bei Kerlen abhängen.

No. 11

Kommen wir also zu ihr, der Preisträgerin. Das ist lustig. Ich lese unvermeidbar gelegentlich Artikel, die mich interessieren, will heißen: thematisch. Dann fängst du an zu lesen und denkst irgendwann – die hohe Kunst schafft das in wenigen Zeilen – “Nee, ne? Och nee, lass ma!” Hat nix zu sagen, kann nich schreiben, redet Blödsinn, weiter geht’s. Bei der Dame® nunmehr ging es andersherum. Da ihr mich lesen geschickt habt, fügte ich mich und las. Nicht alles meines Ding. Oft sehe ich die Welt® anders. Kurzum: Ich war in der Fremde, beim Anderen! Gruselschauer!

Was es aber auch war, ich war schnell im Text und blieb. Ob Kollage oder Kommentar; es fällt mir auf, wenn ich nichts vermisse. Viel zu wenige hier draußen können schreiben, wissen, wovon sie reden und halten sich mit ihrer Mission zurück. Bei ihr kommt schreiben von lesen; wer Quellen sucht, wird hier reichlich bedient. Mag ich. Kann ich leiden. Andere haben sie lange vor mir entdeckt. Auch wenn ich ich denke, ich denke ganz anders als sie – oder vielleicht gerade darum: Willkommen im Club, dame.von.welt!

 

“Polizeistaat” ist keine Metapher. Er ist nicht erst real, wenn der Führer Uniform trägt.

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