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Januar 2019


 
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In einem schlecht hinter einer Bezahlschranke versteckten Artikelchen erzählt uns Annette Großbongardt in Relotius-plus Manier von Steinen, ditschen und Treppen. Eigentlich aber geht es um Zwangsadoptionen durch “das DDR-Regime“. Bevor ich inhaltlich darauf eingehe, muss das an prominenter Stelle notiert werden, denn es ist die wohl meist angewendete Waffe des BRD-Narrativs in Bezug auf die Vergangenheit ihres Teilstaats: Was immer dort jemand in staatlichen Einrichtungen tat, sofern man es moralisch verurteilen kann, ging auf das Konto des ‘Regimes’.

Während auf dieser Seite der geistigen Mauer vor allem die Verbrechen öffentlicher Einrichtungen entweder bloß “Pannen” sind oder die Verfehlungen Einzelner, ist jede Missetat des Ostens eine des Unrechtsstaats®. Einige Beispiele dazu: In der BRD wurden Heimkinder zu medizinischen Experimenten missbraucht. Man hatte dazu niemanden um Erlaubnis gefragt, nicht die Eltern und schon gar nicht die Betroffenen selbst, sondern sich auf die Diskretion der kooperierenden Heime verlassen.

Regime des Kapitals

Niemand kommt hier auf die Idee, ein (kapitalistisches) Regime dafür verantwortlich zu machen, und weil das ja ohnehin ausgeschlossen ist, fragt der kritische Journalismus® hier auch gar nicht erst danach, wie etwa die Heime und Kliniken dazu motiviert wurden, diese Menschenversuche durchzuführen. Zusammenhänge mit dem politisch-ökonomischen System interessieren hier schlicht nicht.

Auch was die zigtausend Fälle von Kindesvergewaltigungen anbetrifft, die größtenteils in kirchlichen Einrichtungen stattfanden, spricht niemand von ‘Regime’. Niemand stellt die Frage nach den Verflechtungen von Kirchen und Staat, niemand die nach Machtstrukturen, die so etwas ermöglichen. Einzelfälle, so weit das Auge sieht. Man stelle sich vor, das hätte es in Heimen der DDR gegeben!

Eigenverantwortung

Schließlich: Wenn es eine Staatsräson gibt, die hier von Behörden gnadenlos durchgezogen wird, wenn es ein ersichtliches Interesse an einem Behördenregime im Dienst von Kapitalinteressen gibt, so ist das jenes, das unter “Hartz-Gesetze” bekannt ist. Mitarbeiter, die ihre “Kunden” genannten Opfer schikanieren, aushungern, demütigen; es sind auch hier tausende Fälle bekannt, die meist am Rande der Legalität für ein Klima der Angst sorgen, das Lohnabhängige gefügig macht. Wo das definitiv illegal wird oder nachweislich Todesopfer fordert, sind es wieder Einzelfälle.

Das westliche Narrativ ist völlig blind für die Realität in der DDR und damit auch für die eigene. Nicht bloß, weil jene in Geschichtsvergessenheit versinkt und sich umso leichter zum Instrument der Propaganda machen lässt, sondern weil die Maßstäbe von vornherein extrem unterschiedlich sind. Legte man die, welche stets gegen die DDR angelegt werden, auch auf die BRD an, sie wären genau so falsch, könnten aber durchaus für die eine oder andere Erkenntnis sorgen. Umgekehrt gilt selbstverständlich dasselbe.

 
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Quelle: Pixabay

Bei der Ansprache eines jüdischen Abgeordneten verließen die Parlamentarier der AfD den Plenarsaal. Die AfD ist empört, weil ihr vorgeworfen wurde, sie sei eine antisemitische Partei. Der Zentralrat der Juden in Deutschland verurteilte den durch die Reaktion der AfD ausgelösten Eklat. Abgeordnete von CDU/CSU, Grünen und Linken zeigten sich entsetzt angesichts der Vorgänge.

Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, den Anlass missbraucht zu haben. Fraktionsvorsitzender Istgleich sprach von Beleidigung und Zensur, während Fraktionsvorsitzende Auchegal sich “an die schlimmsten Zeiten in Deutschland” erinnert fühlte. Vorsitzender Wernoch wies das empört zurück und erklärte, seine Partei werde selbst verfolgt wie einst diejenigen. Vorsitzende Diesowieso nannte dies eine “Verhöhnung der Opfer”.

Morddrohungen

Noch deutlicher wurde auf dem Nachrichtendienst Twitter die Ehemalige Klardoch, die von “Nazis mit schlechtem Krawattengeschmack” sprach, während der vielfach ausgezeichnete Kolumnist Schweindrescher die “Hysterie” kritisierte, die von “Internetmobbern mit Hang zum Rotfaschismus” ausgelöst werde. Man müsse auch einmal sagen dürfen, dass nicht jede dörfliche Inzest zur deutschen Kultur gehöre.

Dies brachte den Zentralrat der Muslime in Deutschland auf, der “rassistische Ausfälle” erkannte, wo die konservative “Welt von oben” die Kernaussage verteidigte, dass “gewisse Kulturen ländlicher” seien. Die Vorsitzende, der Fraktionsvorsitzende, die Zentralrate und ein Skinhead aus Wurzen erhielten jeweils Morddrohungen auf bento Twitter sowie Hassmails von russischen Servern.

Der Verfassungsschutz ermittelt in der Sache, konnte aber wegen einer Reihe unglücklicher Ereignisse keine Erkenntnisse gewinnen. Ausschreitungen, bei denen der Hitlergruß, Hakenkreuzfahnen und das Horst-Wessel-Lied wahrzunehmen waren, konnte der Dienst nicht bewerten, da die Aufzeichnungen, Akten und Zeugen im Bodennebel verschwunden waren. Dafür wurde ein Ausweis gefunden. Lesen Sie mehr über Hass, Empörung, Skandal und Eklat. Und noch mehr. Noch mehr! Schneller! Härter! Lauter!

 
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Wenn du merkst, dass du anders bist als die anderen Kinder, bist du mit gewisser Wahrscheinlichkeit als “Nerd” zu bezeichnen. Dazu braucht es gar keine Sozialphobie oder originelle Verhaltensauffälligkeiten, aber du merkst, dass du selbst dann nicht dazugehörst, wenn man dich als ‘integriert’ betrachten darf. Du tust zwar äußerlich, was andere auch tun, weißt, was sich gehört und hältst dich daran, aber du kannst das nie ganz verinnerlichen.

Es ist auch nicht wirklich relevant, ob du irgendeine Form von Rock’n Roll auslebst, aneckst oder Punk machst. Das kann auch jeder, der irgendwie frustriert ist, nicht klarkommt, cool wirken will oder einfach alles scheiße findet. Es geht eben gerade nicht um ein Statement oder lebenlslange Verweigerung aus Prinzip. Du siehst die Dinge anders. Du siehst sie genauer und kennst sie besser. Du willst alles wissen und verstehen und bist niemals zufrieden mit dem Fortschritt, den du dabei erreicht hast.

Lustige Autisten

Das gibt es auf vielen Feldern; wir kennen Klischees und Beispiele für Tech-Nerds, insbesondere Programmierer. Es gibt aber auch alle möglichen anderen Bereiche, in denen jemand zum wandelnden Handbuch werden kann. Ausgerechnet einer aber scheint aus dem Spektrum zu fallen: Politik und alles, was dazugehört. Nun kann man der Ansicht sein, das sei so, weil es sich dabei ja um den Bereich von Überzeugungen und Willensäußerungen handelt sowie deren Durchsetzung. Das sei kein Terrain für wissenschaftliche Diskussionen, sondern für Interessen.

Nun wäre schon das etwas anderes als das, als was ‘Politik’ gemeinhin wahrgenommen wird, die ja gern leugnet, es gehe um Interessen und sich stattdessen in moralische Kategorien flüchtet (Werte; Menschenrechte, Gemeinwohl, Arbeitsplätze …). Es kann aber vor allem niemanden davon abhalten, auch und gerade hier wissenschaftlich zu denken und zu sprechen. Systematisch eben, unter Nutzung allen Wissens, das dafür zur Verfügung steht.

Erst mal denken?

Was haben wir da aber? “Politikwissenschaften”? Hat schon jemals irgendwer etwas von einer relevanten Theorie aus diesem Bereich gehört? Von ernstzunehmender Forschung? Von großen Ideen aus dem politologischen Seminar? Eher große Komik. Von den Medien, in denen ‘Politik’ kommuniziert wird und ihrer ‘Wissenschaft’, der “Journalistik”, will ich gar nicht erst anfangen, obwohl ja bald Karneval ist.

Es gibt Jahrtausende Erfahrungen mit politischen Versuchen, intellektuellen Hintergründen, Deutungsansätzen, Rahmenbedingungen, Interessen und Strategien, Grundlagen, Ideologien, Ökonomien usf. – warum erkenne ich in kaum einem Beitrag zu politischen Zusammenhängen eine tiefere Kenntnis dieser Geschichte? Wieso erfindet jeder Fachexperte das Rad ständig neu und weiß nicht einmal, dass es rund sein muss? Das kann man sich noch mühsam beantworten wegen siehe oben, aber warum gibt es so wenige, die wirklich offen fragen und wissen wollen, anstatt die immer gleichen staubigen Antworten zu präsentieren? Was macht Politik so unattraktiv für den Intellekt und was kann man dagegen tun?

 
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Lange nicht mehr vor dem “Kreidestrich” gestanden. In den hiesigen Kommentaren ist das der Begriff für die Grenze des Denkens, die viele Diskutanten nicht überschreiten wollen. Ob sie es können, weiß ich nicht, aber ich nehme an, sie wollen nicht. Es ist vor allem der Schritt hin zu der Annahme, dass Märkte nicht bloß weniger perfekt sind als die Neoliberalen Missionare behaupten – sondern dass ‘Marktwirtschaft’ als solche eine Illusion sein könnte, zumal als ‘soziale’.

Ein Problem bei diesem Bemühen liegt darin, dass jene, die sich für Politik und Wirtschaft interessieren, viele Jahre brauchen, um an diese Grenze zu stoßen. Dort angekommen, müssten sie dann akzeptieren, dass alle diese Jahre Jahre eines Irrtums waren. Lieber basteln sie eine Hilfskonstruktion nach der anderen, um ein Denken zu retten, das nicht zu retten ist.

No Return

Diese narzisstische Kränkung wird dabei noch begleitet von der Angst, dann zu ‘denen’ zu gehören und bei ‘ihm’ zu landen: Dem Meister des Bösen und seinen Jüngern, Marx und den -isten. Das kann nicht, das darf nicht und man weiß ja auch, dass die alle irre sind. Zudem wäre man aus allen Diskursen abgemeldet. Damit kommst du in keine Talkshow mehr.

Das ist aber nur eine Stelle am Strich, es gibt derer viele. Was mich derzeit umtreibt, ist die Frage, wie man es so leicht schafft sich zu prostituieren, ja, das für selbstverständlich zu halten. Ausgerechnet der Teil der Bevölkerung, der sich noch für Politik interessiert und sich ernsthaft vertreten fühlt von seinen Berufspolitikern, besteht aus Lohnhuren, die nicht nur freiwillig auf den Strich gehen, sondern ihre Zuhälter auch noch nach Kräften unterstützen.

Man hat gefälligst den ganzen Tag und sein Leben lang zu arbeiten, und wer das nicht tut, ist nach der Sklavenmoral faul und unwert. Unfassbar! Von dieser Seite des Kreidestrichs sieht das einfach nur furchtbar aus, traurig und Abscheu erregend. Dabei gibt es Zeiten, in denen ich die anderen verstehe. Die Angst, nicht mehr zu können, die Angst, dass die Selbstüberwindung zu einer brutalen Hürde wird, ist berechtigt. Auf dieser Seite bist du nicht freier als auf der anderen.

 

Versuche als Journalist scheiterten.

 
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Die kleine Farbenrebellion des französischen Proletariats ist unter anderem eine Orgie der Symbolpolitik. Es beginnt halt damit, dass die gelbe Weste als Erkennungszeichen die Strategie vor allem der NATO, ihrer Geheimdienste und Netzwerke kopiert, die sie so oft erprobt hat. Organgene Revolution, Zedern- Tulpen-, Rosenrevolution, aber auch die notorischen “Weißhelme” sind Ansätze, über ein Symbol oder eine Farbe eine bestimmte Identität zu konstruieren.

Daran kann dann beliebiger Inhalt geknüpft werden, sofern ein gemeinsamer Feind, in der Regel eine Regierung, angegriffen werden soll. In den westlichen Medien sind die Gefärbten gemeinhin die Guten, über die man kaum etwas erfährt – vor allem nicht, wenn sie Gewalt ausüben oder die verzweifelte Lage anderer Menschen ausnutzen. Grundsätzlich sind sie “gemäßigt”, auch wenn sie brutal morden; sie sind “Retter”, auch wenn sie niemandem helfen; sie “rebellieren” gegen ein “Regime”, auch wenn sie gewählte legitime Regierungen stürzen. Wir sehen sie, wie sie lachen oder Kinder in Sicherheit bringen.

Der Mob

Nicht so die Gelbwesten, die nur deshalb nicht ausschließlich als sinnlos brutale Extremisten dargestellt werden können, weil die Polizei ihr Möglichstes tut, um sie an Brutalität zu überbieten. Tatsächlich ist ihre Revolte eine Reihe wilder Unmutsäußerungen und sie sind keine auch nur annähernd homogene Bewegung. Umso einfacher erscheint es daher den Medien der Reichen, ihnen unlautere Motive zu unterstellen.

In Frankreich plappert es aus der Filterblase der Massenmedien, die (noch aktiven) Gelbwesten seien rechtsradikale Schwulenfeinde. Für Marine Le Pen, bei der Präsidentschaftswahl Macrons Gegnerin und große Teile der Rechten war der Protest gegen die “Ehe für alle” eine gemeiname Basis. Jetzt erscheint es offenbar opportun, dies den Protestlern an die Schuhe zu kleben.

Sagen, was ist

Wenn das alles ist, was die Propaganda heute noch leistet, um ihre Gegner zu diskreditieren, wird man noch mehr Polizei brauchen, die sinnlos Leute niederknüppelt, denn dieser Unsinn überzeugt niemanden mehr. Insofern ist die mediale Reaktion hilflos, denn sie kittet die Widersprüche, auf die der Mob reagiert, nicht, sondern vergrößert sie und gibt ihnen auch noch ein gut sichtbares und sehr hässliches Gesicht. So viel zur Symbolpolitik, die ja ‘nur’ ein Teil des Überbaus ist.

Nun bin ich ja der Ansicht, dass gerade in den Narrativen und damit auf der Ebene der Symbole die Widersprüche erkennbar werden. Nach der Theorie ist, auch das will ich gar nicht leugnen, hingegen das ‘Sein’, die ökonomische Wirklichkeit, entscheidend für das, was geschieht. Es stellt sich also die Frage, ob es denn so etwas wie eine Rationalität des Faktischen gibt und wie man sie formulieren kann. Gibt es eine Sprache für das, was ist, die nicht in die Widersprüche dessen, das sein soll, verwickelt ist?

 
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Wer ist eigentlich auf die kreuzdämliche Idee gekommen, “autonom fahrende Autos” (die man im Übrigen ja auch schon zu “Autonomos” hätte zusammenfassen können, auch wenn das wiederum quasi “Selbstbezeichnung” hieße, es ist aber auch … egal, weiter:) für eine nützliche Erfindung zu halten? I mean: what the fuck? Was ist der Sinn und Zweck des Automobils? Hm? Dass es umweltfreundlich sei? Dass es einen transportiert, während man sich entspannt anderer Dinge widmet? Dass es leise surrend von A nach B zockelt?

Hell, no! Der höchste Zweck, das Ideal, die platonische Idee des Automobils ist der Roadmovie. Am Steuer einer coolen Karre, deren Motorgeräusch spontane Erektionen auslöst, Abenteuer erleben. Das will das Auto. Okay, nun kann man das nicht 24/7 haben und ja doch, die Wirklichkeit! Aber wir nähern uns nur allmählich dem Kern der Sache. Stellen wir also zunächst fest: Das im ersten Absatz ist es nicht, das in diesem zweiten nur, wo einem solches Glück zuteil wird.

Wer fährt wen

Wer sich ein Auto kauft und das nicht aus purer Notwendigkeit tut, weil sonst nichts fährt, wo man wohnt oder die Alternative für das Elend, das man in ihr erlebt, auch noch unverschämte Preise nimmt, wer also eins kauft, weil er gern fährt, weil er es liebt und weil es geil sein soll, der bucht darin einen Platz. Reservierung, Sie verstehen, und zwar lebenslänglich, und wo mag dieser Platz wohl sein? Richtig: Vorn links. Da sitzt der Chef. Da fährt er selbst. Dafür hat er die Karre, sonst kann er seinen Kadaver auch in einem Viehtransporter verklappen, der ihn zur Arbeit karrt oder in einen Zementmischer, da geht’s wenigstens rund.

Das “Auto” am Mobil heißt “selbst”, weil ich das selbst fahre. Wo kommt in diesem Sinn jetzt ein Ding vor, das mich fährt? Nuckel ich an einem Schnuller? Brauche ich einen verdammten Kinderwagen? Kidding me? Lasse ich mich entmündigen von einer Software, die an meiner statt vernünftig fährt (solange nicht ein Scriptkiddie mit Anfängerkenntnissen in Perl die Karre hackt und mich auf der A3 im Kreis fahren lässt)? Nie wieder mit der Handbremse durch eine Kurve navigieren? Stattdessen in der Haarnadelkurve die Nägel lackieren?

Das Ding heißt “Bahn”

Ich meine: Wenn es schon so viele durchgeknallte Pussies gibt, die sich von selbstfahrenden E-SUVs zum Bioladen fahren lassen, dann ist da vielleicht sogar ne Nische. Nicht aufregen: Die meisten Pussies sind Schwanzträger. Die Betonung liegt hier aber ohnehin auf “durchgeknallt”, denn wenn ich siehe erster Absatz, dann fahre ich Bahn. Dann spende ich die sechzichtausend Ocken für eine, in die man sich freiwillig reinsetzt und sorge dafür, dass die anderen SUV-Grünen das auch machen. Dann haben wir in Nullkommanix hier Luxus-Trams, Luxus-Züge und öffentliche Kleindinger, die einen vom Bahnhof nach Hause fahren, und zwar kostenlos!

Aber das ist vielleicht nicht digital genug und zu wenig Blockchain mit KI. Nee, ist klar. Dann macht sich die Karre eines Morgens autonom auf den Highway und fährt ohne Personal durch bis Kentucky. Dort lässt die Whiskybrennerei links und die Kneipen rechts liegen, um ein paar Ecken weiter wegen eines fehlgeschlagenen Updates die Traumfrau über den Haufen zu fahren. Geile Idee.

 
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Ich steige einmal mit Fefes Neujahrswunsch ein: “Lasst uns alle daran mitwirken, dass Menschen sich gegenseitig als Menschen und nicht als Teil einer Gruppe sehen!” und zitiere noch einmal aus Enzensbergers Spiegel-Artikel von 1957:

Wenn Sie schon hinter dem simplen Trick der Story eine Geschichtsauffassung suchen, dann ist sie jedenfalls demokratisch, eben weil sie es auf den einzelnen, nicht aufs Kollektiv abgesehen hat.[... Time:] “Die Nachrichten entstehen nicht durch “geschichtliche Kräfte oder Regierungen oder Klassen, sondern durch Individuen [...]
Solche Parolen gründen auf der Scheinwahrheit, daß Geschichte von einzelnen gemacht wird: der primär gesellschaftliche Charakter historischer Erscheinungen wird mit einem Seitenhieb auf den marxistischen Klassenbegriff geleugnet.”

Allein ist geil

Ich lasse das vorläufig so stehen, ohne diese widersprüchlichen Aussagen noch lange zu sortieren oder sie zu bewerten. Was sofort deutlich wird, ist aber, dass es offenbar Ansichten von Gruppen oder Kollektiven im Gegensatz zu Individuen gibt, die stark voneinander abweichen. Eine weitere Dimension dieser Frage erörtert Reinhard Jellen hier, der seinen Gedanken aber leider in überflüssiger Fachterminologie erstickt. Kurz gefasst meint er, Marx und Engels hätten in ihrem Bezug auf das Tun und die Produktionsverhältnisse eine “radikal-humanistischen Grundposition” bezogen – weil Philosophie praktisch wird und sich nicht mehr auf ein abstraktes Modell von “Geist” bezieht.

Es drückt sich hier wohl vor allem eines aus, nämlich der moderne Wahn der Individualität. Da oben fehlt ja sogar noch das ‘liberale’ Weltbild, das auf eine Art “Last Man Standing” hinausläuft, aber selbst linke und weniger radikale Vorstellungen vom Einzelnen und den Kollektiven, in denen er lebt, zeichnen das Bild einer ‘Humanität’, die wie toll an ihrem Anspruch festhält, um grandios daran zu scheitern. Aus Angst, das Individuum, in dem ‘der Mensch’ sich gefälligst zu finden hat, gehe unter, werden Gruppen und Kollektive zu etwas Unheimlichen. Dabei ist der Mensch durch und durch ein Rudeltier und allein nicht überlebensfähig.

Ich, Es, Über-Es

Fefes Sorge ist derweil verständlich, wo es politisch, ja sogar in der ‘Wissenschaft’, zunehmend auf Zugehörigkeit ankommt, anstatt auf Verhalten und Denken. Kritik wird unmöglich, weil Kriterien zugrunde gehen, wo es nur mehr darauf ankommt, wer etwas tut und nicht, was er tut. “Ist er Freund oder Feind?” ersetzt alle anderen Kriterien. Es ist aber keine Lösung, dem mit radikalem Individualismus zu begegnen. Vielmehr ist zu bedauern, dass die Moderne tausende Ansätze entwickelt hat, um Individualität zu begründen, während Kollektive vorwiegend Gegenstand eindimensionaler Abwehrreaktionen sind.

Noch eine Bemerkung zur Korrektur der Idee, Marx und Engels hätten eine “radikal-humanistische Grundposition” bezogen: Das Gegenteil ist der Fall. Gerade mit der Analyse des Kapitals und seines Produktionsverhältnisses hat Marx eine Wirklichkeit beschrieben, die ‘dem Menschen’ völlig entgleitet. Als Individuum ohnehin, aber auch seine Kollektive – seien es Massenbewegungen oder Kartelle – sind nur mehr gehetzte Funktionsträger in einem System, das alle und jeden ersetzt, um fortzubestehen. Wenn man das Verhätlnis von Wirklichkeit, System und Mensch (als Gruppe und Kollektiv) nicht verstehen will, kann man Humanist bleiben. Dann kann man aber auch gleich wieder Gott als Ursache einsetzen.

 
Frohes Neues, ihr Knödel!
Das unbestreitbar Gute ist: Es ist ein neues.