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In einem schlecht hinter einer Bezahlschranke versteckten Artikelchen erzählt uns Annette Großbongardt in Relotius-plus Manier von Steinen, ditschen und Treppen. Eigentlich aber geht es um Zwangsadoptionen durch “das DDR-Regime“. Bevor ich inhaltlich darauf eingehe, muss das an prominenter Stelle notiert werden, denn es ist die wohl meist angewendete Waffe des BRD-Narrativs in Bezug auf die Vergangenheit ihres Teilstaats: Was immer dort jemand in staatlichen Einrichtungen tat, sofern man es moralisch verurteilen kann, ging auf das Konto des ‘Regimes’.

Während auf dieser Seite der geistigen Mauer vor allem die Verbrechen öffentlicher Einrichtungen entweder bloß “Pannen” sind oder die Verfehlungen Einzelner, ist jede Missetat des Ostens eine des Unrechtsstaats®. Einige Beispiele dazu: In der BRD wurden Heimkinder zu medizinischen Experimenten missbraucht. Man hatte dazu niemanden um Erlaubnis gefragt, nicht die Eltern und schon gar nicht die Betroffenen selbst, sondern sich auf die Diskretion der kooperierenden Heime verlassen.

Regime des Kapitals

Niemand kommt hier auf die Idee, ein (kapitalistisches) Regime dafür verantwortlich zu machen, und weil das ja ohnehin ausgeschlossen ist, fragt der kritische Journalismus® hier auch gar nicht erst danach, wie etwa die Heime und Kliniken dazu motiviert wurden, diese Menschenversuche durchzuführen. Zusammenhänge mit dem politisch-ökonomischen System interessieren hier schlicht nicht.

Auch was die zigtausend Fälle von Kindesvergewaltigungen anbetrifft, die größtenteils in kirchlichen Einrichtungen stattfanden, spricht niemand von ‘Regime’. Niemand stellt die Frage nach den Verflechtungen von Kirchen und Staat, niemand die nach Machtstrukturen, die so etwas ermöglichen. Einzelfälle, so weit das Auge sieht. Man stelle sich vor, das hätte es in Heimen der DDR gegeben!

Eigenverantwortung

Schließlich: Wenn es eine Staatsräson gibt, die hier von Behörden gnadenlos durchgezogen wird, wenn es ein ersichtliches Interesse an einem Behördenregime im Dienst von Kapitalinteressen gibt, so ist das jenes, das unter “Hartz-Gesetze” bekannt ist. Mitarbeiter, die ihre “Kunden” genannten Opfer schikanieren, aushungern, demütigen; es sind auch hier tausende Fälle bekannt, die meist am Rande der Legalität für ein Klima der Angst sorgen, das Lohnabhängige gefügig macht. Wo das definitiv illegal wird oder nachweislich Todesopfer fordert, sind es wieder Einzelfälle.

Das westliche Narrativ ist völlig blind für die Realität in der DDR und damit auch für die eigene. Nicht bloß, weil jene in Geschichtsvergessenheit versinkt und sich umso leichter zum Instrument der Propaganda machen lässt, sondern weil die Maßstäbe von vornherein extrem unterschiedlich sind. Legte man die, welche stets gegen die DDR angelegt werden, auch auf die BRD an, sie wären genau so falsch, könnten aber durchaus für die eine oder andere Erkenntnis sorgen. Umgekehrt gilt selbstverständlich dasselbe.