Gestern war ich mit meiner Enkeltochter Luzi, sie ist gerade sieben, auf einer Adventsfeier. Zur Begrüßung gab es erst einmal Tee und Dinkelkekse, und die Kinder durften etwas malen. Einigen erschien das schwarze Lieblingskostüm der Kleinen etwas seltsam. Nicht so sehr der altmodische Schnitt als vielmehr der schwarze Samt. Sie trug dazu ein wenig Modeschmuck, ebenfalls schwarz. Sie mag es halt so. Eines der anderen Kinder, dessen Namen ich vergessen habe (er hieß Thorben, aber das glaubt mir niemand. Ich glaube meinerseits ja auch an nichts, warum sollte ich dann an Thorbens glauben?) fragte sie, warum sie so schwarze Sachen anhätte. Sie erklärte wahrheitsgemäß: “Ja ich weiß, das sieht ein bisschen doof aus, aber etwas Dunkleres hatten sie nicht”.
Wir wohnen in einem der guten Viertel von Essen. Man kann zu Fuß zu den Albrechts laufen oder zum See. Gentrifizierung brauchen wir nicht, es war schon immer eine Lage für die besser Betuchten. Man hält sich vielleicht hier und da einen Künstler oder Literaten in etwas Bezahlbaren, aber nicht zu viele und schon gar kein echtes Proletariat. Man protzt hier nicht, es herrscht eher das Understatement – bei denen, die sich in der Öffentlichkeit blicken lassen. Die vom Hügel oder die wirklich Reichen (wir reden hier nicht vom Lumpenmillionariat, sondern von den Zehnstelligen) bleiben selbstverständlich unsichtbar. Das ist hier zwar auch nicht Berlin, wo sie das ganze Schwabengetucke und ihren Kreativanhang hingekarrt haben, aber es gibt die Unvermeidlichen mit ihren Thorbens wie überall sonst auch, wo man seine Ruhe vor denen mit dem Arbeitsschweiß hat.
Thorben also. Kam als nächstes mit der Frage um die Ecke, was Luzi da gemalt habe. “Bachblüten” sagte sie. “Wieso haben die denn Zähne?” fragte Ihrwisstschonwer. “Womit sollen sie sonst beißen?” war die intelligenten Menschen auf die Zunge fließende Gegenfrage. “Blumen, die beißen? Gibt es ja gar nicht”, wusste Hagen Björn oder so.
Sie erklärte es ihm: “Bachblüten sind auch keine Blumen, das sind Killerdinger, die fressen die Gehirne von Mamas. Auch von deiner.”
Der Junge machte diese Grimasse, wie die Kleinen das halt tun, wenn sie eine Minute Anlauf nehmen, um endlich mit dem herzerweichenden Geschluchze anzufangen. Wir gingen derweil bei der Tombola in Deckung und nahmen die Route hinter dem Klavier entlang zum Buffet.
“Vegetarisch oder vegan?” sprach es hinter dem Tapeziertisch hervor. Ich möchte das jetzt keineswegs falsch verstanden wissen: Ich koche selbst meist vegetarisch und häufig vegan, aber bei mir liegt die Betonung auf “Kochen” wie “Zubereiten, lecker Machen”. Lecker ist Paragraph eins bei uns. Bei ‘denen’ – doch es gibt sie und sie sind so und erzählt mir nichts anderes – fängt die Litanei aber entweder erst bei Paragraph zwei an oder bei denen steht irgend etwas Perverses in Paragraph eins. Luzi schaltet bei so etwas sehr schnell in diesen Modus und bestellte artig “Zweimal Cörriwuast!”
Ich fasse das anschließende Gespräch zusammen: Die eine Seite meinte, Currywurst sei nicht gut und nicht gesund im Gegensatz zu den Objekten in der Auslage des Formlosen; die andere fragte, wenn das so gesund sei, warum denn dann die Damen am Buffet fett beziehungsweise leichenblass seien. Ich ignorierte ihren Eskalationsversuch mit dem Umweg über mich, als die Kleine fragte “Oppa, die dissen hier Cörriewuast. Sind die da die Feinde der Arbeiterklasse?”.
Dafür rannte die Gegenseite prompt ins eigene Messer, als sie ihrerseits eskalierte. „Möchtest du denn, dass Tiere für dich sterben?” fragte die gestandene Kirchenaktivistin also das arme kleine Mädchen.
“Guck doch mal da”, flötete mein kleiner Engel und deutete auf die Wand. Die Bleiche drehte sich um und wieder uns zu. Das Kind wurde konkret: “Was ist denn mit dem? Ist das irgendwie besser oder was?”
“Das ist etwas völlig anderes. ‘Der’ (mit schnippischem Unterton, schließlich musste das gebildete Mädchen so etwas wissen) hat sich selbst geopfert. Für uns alle. Natürlich ist das etwas völlig anderes. Lernst du das nicht bei deinem Opa?”
“Lass dem mal aus dem Spiel, der hat mir gerade auch nicht geholfen. Also dein Opfer da: der ist also in den Baumarkt gerannt, hat sich ein paar Balken gekauft und sich dann selbst da an die Latte genagelt, ja? Euer Essen ist gesund und Cörriwuast schlecht. Alles klar. Wir haben verstanden”.
Sie zupfte mich am Ärmel und machte mir deutlich, dass es Zeit zum Aufbruch war. Auf dem Weg um den Tisch der Kreativen Kinder Kettwig erzählte sie noch lauthals die Geschichte vom bösen Homöopathen, der die kleinen Kinder verdünnt und ihre Seelen verkauft. Ich finde, manchmal übertreibt sie es. Aber sie ist ja noch klein.
November 29th, 2015 at 22:57
Ich hoffe so sehr, SO SEHR, dass sich diese Geschichte genau so zugetragen hat. <3 Luzi!
November 29th, 2015 at 23:29
So eine schöne gute-nacht-geschichte – danke und darauf noch ein schlummerbier, “cörriewuast” ginge jetzt auch noch.
Und die gitarre für euch. Oppa und Luzi – geht da noch mehr?
November 30th, 2015 at 00:30
Eintrag Notizbuch 30.11. halb einz. Volksdummfrage der Kinderschaar beim Frühstück nicht vergessen: »Möchtet ihr daß Tiere für Euch sterben?« (voraussichtliche Antwort: Sollen wir sie lebendig fressen?)
Sehr schöne Geschichte mit hohem Wahrscheinlichkeitsfaktor. Kinder lassen sich vom Betroffenheitsgefasel in der Regel weniger beeindrucken und denken noch eher selber nach.
November 30th, 2015 at 00:50
Btw: Danke für die Farbe ;-)
November 30th, 2015 at 07:14
Sehr schöne Geschichte. Jetzt ist mir so richtig besinnlich zumute. ;-) Selbst unser zarter Sopran im Vatikan soll Weihnachten in diesen Zeiten schon als Affentheater (!) bezeichnet haben.
November 30th, 2015 at 07:43
Habe in meiner Beschränktheit zum Ende hin begriffen, dass Luzi die Gute ( mit “gaanz lecker vegetarischem” Arbeitsschweiß) und Thorben ( wer kann schon etwas für seinen Namen) der Sippenhaftböse ist.
Hoffe allerdings immer noch, dass DAS eine fiktive Geschichte ist, sonst möchte ich …. nicht mehr zu den ” intelligenten” Menschen gehören.
November 30th, 2015 at 11:30
Für eine Endzeitsekte geht das Gedöns jetzt schon entschieden zu lang. Und wieso gab´s keinen Fisch?
November 30th, 2015 at 13:15
@Siro Feinig: Für Satanisten war Luzi schon immer die Gute. Wie schön, dass ich sowas nicht entscheiden muss.
edith: Immerhin stelle ich fest, dass die Adventsgeschichte ihren Dienst tut. Immerhin habe ich schon zwei Menschen konrete Hoffnungen gemacht.
November 30th, 2015 at 17:42
Wenn ich diese Erzählung richtig verstanden habe, geht es darum, dass Menschen sich für ihre Lebensweise erklären/rechtfertigen müssen, was ich schon schlimm genug finde.
Möglicherweise ist das ein deutsches Phänomen, dieses Bedürfnis nach kollektiver Übereinstimmung und Selbstbestätigung, dass die eigenen Fressgewohnheiten, Vorlieben für Kleidung keine Auffälligkeiten anbieten.
Ich kann wohl ein zufriedener Mensch sein! Wer nimmt in meiner Nachbarschaft schon Anstoss daran wieviel ich rauche, wieviel ich trinke und was ich in meinen Darm alles so reinchütte und dass ich fast immer mit der gleichen Jeans rumlaufe und meistens schlecht gekämmt bin.
Das ist von geringem Interesse. Allenfalls würden sie mich für einen merkwürdigen Spinner halten, wenn ich ihnen meine Abneigung gegen Fleisch erklären würde, mich “links” liegen und sich dadurch in ihren Gewohnheiten nicht im Geringsten beeinflussen lassen.
Dass Tiere zum Töten und zum Fressen bestimmt sind, das ist weitgehend Konsens. Deshalb gibt es hier ja auch die Jagd für Jedermann. Mit wenigen Euros für die Jagderlaubnis und einem Jagdgewehr ausgestattet gehts hier seit Oktober auf zum fröhlichen Jagen.
Manchmal bringen sie sich dabei auch selber um, was der Jagdlust aber keinen Abbruch tut und ohne Konsequenzen bleibt (Kollateralschäden eben).
Ich nage weiter an meiner Mohrrübe und halte mich von Nebenkampfplätzen fern, solange man mir nicht vorschreiben will, wie ich mich im Kollektiv mit all meinen eigenen Bedürfnissen einzuordnen habe
November 30th, 2015 at 18:39
Eigentlich ist die ganze Story nur der Anlauf für den Homöpathenwitz, man darf aber gern einiges hinein interpretieren; wenn mir der Verlauf nicht gefallen hätte, hätte ich sie ja anders geschrieben. Außerdem sind da noch Grüße an einige Kollegen eingebaut, wobei ich nicht weiß, ob sie das auch bemerkt haben.
Ich habe das einfach so niedergeschrieben, aber einige Aspekte – wie z.B. der Mix aus Religon, Antireligion, Besseressen und Alternativedizin passt nicht zufällig.
November 30th, 2015 at 19:10
Fehlt nur noch ein Adtzventzkrantz: Bild
November 30th, 2015 at 19:21
Ok, so ‘nen tollen Adtzventzkrantz habe ich nicht – Ruf an @R@iner: “Congrat”.
November 30th, 2015 at 19:21
Astrain, Aldaa!
November 30th, 2015 at 20:26
@ flatter 8)
Was mich betrifft, so mache ich mir, wenn es sinnvoll erscheint, meine Hoffnungen selbst.
Ehre wem Ehre gebührt ;)
November 30th, 2015 at 21:05
@flatter: Leider nur geklaut.
November 30th, 2015 at 21:16
? Warum eigentlich “Luzi” ?
November 30th, 2015 at 21:34
We understand your paranoia
But we don’t want to play your game
Bring On The Lucie
November 30th, 2015 at 21:38
@oblomow: In diesen kriegerischen Zeiten denke ich auch oft an John Lennon und George Harrison. Mein Vater (>90) meinte heute so: “Ich dachte, diese ganzen Leute da oben hätten studiert und wären intelligent. Wieso glauben die eigentlich immer noch, dass man mit Kriegen irgendetwas gewinnen könnte?”
November 30th, 2015 at 22:14
@Wat.: Sie ist halt eine kleine Fee. Luzifairy ;-)
Dezember 1st, 2015 at 06:02
“Würden sie Fleisch essen, wenn sie das Tier selber schlachten müssten?”
“Nein, ich würde kein Fleisch mehr essen, würde nur noch schlachten.”
(Rattelschneck)
Dezember 1st, 2015 at 06:38
Eyne Streytschryft wider den förchterbaren Zeytgeist. Feyn!
Ich mag Luzi. Würdest du aber bei all der Angepasstheit so heutzutage von 7-Jährigen nicht mehr erleben.
Und so kommt es immer Selters, dass dem Kaiser die gegenstandslosen Fetzen vom Schwabbelbauch gerissen werden…
Dezember 1st, 2015 at 18:09
@20 Harri,
weil sich von Deiner Rattelschneck-Phrase hier niemand provoziert fühlt, und weil ich deshalb davon ausgehe, dass auch kein Bedürfnis danach besteht, darauf einzugehen, so lasse ich doch noch mal meinen vegetarischen Stinkefinger raus.
Aber nicht um zu belehren und auf den Pfad der Tugend zu führen, sondern vielleicht etwas um die eigenen Gehirnbrezeln anzuregen mal nachzudenken.
Erstens: Ich gehe nicht davon aus, dass der Rattelschneck es in einer Schlachtbank lange aushalten würde, das Abschlachten im Akkordmodus nach kapitalistischen Effizienskriterien.
Zweitens: Dass er sich seiner Amme, der Nahrungsmittelindustrie, verweigern würde, dass sie ihm dieses blutige Geschäft abnimmt und ihm im Supermarkt mit allen verfügbaren Mitteln der Werbung wie Biofleisch, freilaufenden Hühnern etc.. den Verzehr schmackhaft macht.
Ich bin kein Experte für das Abschlachten von Tieren und auch nicht für den Verzehr von konservierten Leichenteilen.
Es gäbe genug andere Gründe sich damit zu beschäftigen. Und wenn man das nicht will, warum hat das unter Linken zur Konsequenz das Menschen, die darüber anders denken, misstrauisch beäugt werden.
Ich bin aufgrund einer Krankheit seit mehr als 25 Jahren Vegetarier, ich sehe nicht blass aus und bin auch nicht dicklich.
Meine Tochter, die bis vor zwei Jahren noch Fleisch gegessen hat ist Veganerien geworden.
Mir gefällt das nicht unbedingt! Ich akzeptiere es!
Dezember 2nd, 2015 at 01:50
@Troptard:
Ich gehe davon aus, daß du Rattelschneck nicht kennst – weil es keinen “der Rattelschneck” gibt. Das ist ein Künstlerkollektiv, momentan mit zwo Mitgliedern. Was die machen ist brachial, Humor den man wiederkäuend verdauen muß (und soll). Bestenfalls soll gerade das im Halse stecken bleiben: Lachen. Und das ist (von Rattelschneck und vergleichbaren) bei weitem nicht so eindimensional gemeint, wie es auf der ersten Blick erscheinen mag.
Satire – “Gedankenbrezeln” zerbröseln und so… ;)
Dezember 2nd, 2015 at 02:02
So, also nach all den schlauen Kommentaren, und mich beziehend auf das Märchen von der kleinen Luzifer, möchte ich nun auch meinen Senf dazugeben, einen Sänger, dessen Stimme ich liebe, einen wunderbaren Slide-Gitaristen, dessen Töne ich liebe, und einen Songwriter, dessen Texte ich liebe, zitierend (OT oder auch nicht): The Road to Hell von Chris Rea (with lyrics)
https://www.youtube.com/watch?v=TUfShooOeGQ
Hoffentlich ist’s erlaubt…
Dezember 2nd, 2015 at 10:38
“Hoffentlich ist’s erlaubt…”
Der zentrale Prüfer meditiert über seinen weisen Ratschluss und wird sich in wenigen Äonen äußern.
Dezember 2nd, 2015 at 17:28
In England wird gerade diese Broschüre verteilt: Keeping Children and Young People Safe from Radicalisation and Extremism: Advice for Parents and Carers (pdf, 8 S.)
Hhm, kritisiert Luzi vielleicht die Medien oder zieht sich in letzter Zeit anders an?
Dezember 2nd, 2015 at 17:49
Ich kannte mal einen, der hat sich plötzlich anders angezogen und machte immer den Bildschirm aus, wenn man sich näherte. Wurde anfangs sogar rot dabei. Außerdem fand er plötzlch alles doof, was er noch kurz zuvor toll fand (Micky Maus, Kinderschokolade, Buntstifte).
Ich sag doch: Pubertät ist Terror!
Dezember 2nd, 2015 at 17:58
Btw.: Sogar der Papst sieht andere Ursachen für Terrorismus verantwortlich: Papst verurteilt Armut der Slumbewohner als ungerecht
Korruption, Armut und … Kein Land könne allein das dahinter liegende Problem der Armut lösen, sagte Franziskus. “Weil es auf einem internationalen System beruht, das ungerecht ist, das nicht den Menschen zum Zentrum hat, sondern die Wirtschaft, den Gott des Geldes.”
Dezember 3rd, 2015 at 01:15
Beflügelt von der Meditation @flatters in #25 hier noch ein Nachschlag für diejenigen, denen es in der Hölle oder auf der Straße dorthin zusehr graust: “there is nothing to fear!”.
https://www.youtube.com/watch?v=oWHGqXY5jCk
Wundervolle Slide-Gitarre – poetischer Text – schöne dazu passende Bilder (aufgenommen in Marokko).
Paßt, ob auch etwas her, doch immer noch ganz gut zur Jetztzeit – und zum Adventsmärchen…
Oder vielleicht nur eines der Mittel, um die dräuende Jahresendedepri niederzuringen – ein schöner Tempranillo kann dabei manchmal auch helfen (wenn ich mir dazu die vorzüglich drapierten Flaschen anschaue)…
Dezember 13th, 2015 at 15:41
Ganz wunderbar… Meine Geschichte zum Advent :-)
Die Öko-Stadt Tübingen glänzt auch mit gänzlich vegan-gluten-lactosefreiem Dinkelkekspotential… Als ich noch in der Mensa gegessen habe, hatte ich eines Tages ein bleiches Geschöpf vor mir stehen, das mir passend zu meinem Hähnchenbrustfilet mit Käsepampe einen Flyer überreichte, auf dem mit großen Lettern geschrieben stand: HATTE DEIN ESSEN EIN GESICHT?! Na besten Dank auch..