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Es ist nicht zuletzt deshalb schwierig, über ideologische Grenzen hinweg zu diskutieren, weil mit unterschiedlichen Klischees hantiert wird. Ein Klischee ist ursprünglich eine Druckform, die ein bestimmtes Bild erzeugt. Solche ‘Druckformen’, meist ein wenig komplexer, sind vereinfachte Vorstellungen von der Welt. In Bezug auf das Bild von anderen Menschen werden denen Eigenschaften, Rollen, Wertigkeiten zugedacht.

Antisemitismus, wie jede Form rassistischer oder sonstwie diskriminierender Zuschreibungen an Gruppen von Menschen, ist u.a. ein solches Klischee. Genauer müsste man sagen: ein Arsenal von Klischees. Er ist dabei sehr verbreitet, sowohl im Westen als auch in der arabischen Welt. Dies führt unter anderem dazu, dass undifferenziert alles mögliche als “antisemitisch” abgestempelt wird, das es höchstens auch ist. Dies wiederum reduziert das Problem der Klischees auf ein scheinbar zweiwertiges. Es geht dann nur noch darum, ob etwas eben antisemitisch ist oder nicht. Meist liegt in der Diskussion keinerlei Erkenntnisgewinn.

Antiismus

So wird zum Beispiel von “strukturellem Antisemitismus” gesprochen, wenn jemand meint, es gebe eine Elite von “Finanzkapital”, die für Armut und wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich sei. Der Irrtum besteht hier darin zu glauben, weil es die antisemitische Verschwörungstheorie von der “jüdischen Hochfinanz” gibt, sei jeder, der eine Elite von Spekulanten am Werk sieht, Antisemit. Das ist aber Unsinn. Hier sind nämlich völlig unterschiedliche Klischees am Werk, und eine Gemeinsamkeit ist eben kein Beleg, dass es dasselbe sei.

Ähnlich verhält es sich mit dem Urteil, der Anschlag auf das Konzert der “Eagles of Death Metal” sei “antisemitisch” motiviert gewesen. Zumindest der Frontmann entspricht offenbar jedem Klischee eines Feindbildes der Jihadisten: fanatischer Republikaner und erklärter Freund Israels. Macht das einen Anschlag auf seine Fans im gegebenen Rahmen “antisemitisch”?

In dem Konglomerat von Motiven, die zu einer Mordtat wie der in Paris führt, dürfte das wohl eher randständig von Belang sein. Paradoxerweise ist gerade die Auswahl der Opfer nach solchen ‘Kriterien’ sekundär. In der Spirale der Eskalation von Gewalt und Hass gibt es zuerst die Entscheidung zur Tat, dann erst das Ziel. In diesem Krieg gibt es nichts zu gewinnen, aber eine Menge zu töten. Die Opfer vor allem solcher Anschläge werden wie aus einer Speisekarte gewählt, es wird halt genommen, was aktuell im Angebot ist. Klar, da spielt die israelfreundliche Haltung des Sängers eine Rolle, aber was hat das zum Beispiel mit Verschwörungstheorien irrer Nazis zu tun?

Das Böse vernichten

So bekommt man erstens keinen haltbaren Begriff von Antisemitismus zusammen und zweitens versperrt das den Blick auf die Motive und deren Entstehen. Ja sogar wenn man nur die (Menschen-)Bilder analysieren will, die zu solchen Entscheidungen und Taten führen, ist diese Kategorie nur ein Hindernis. Der Skandal schließlich besteht ohnehin nicht in der antisemitischen Haltung, sondern in der Mordtat.

Die Klischees, die hinter der Fähigkeit stehen, Menschen gleich scharenweise umzubringen, sind teils komplexer, teils aber noch einfacher als das der Judenfeinde. Wo es sich auf den Hass verengt, sind es immer ‘wir’ und ‘die’, wobei jede Eigenschaft, jede Zuschreibung, jedes Kriterium austauschbar ist. ‘Wir’ sind immer ‘die Guten’ und ‘die’ das Böse, das ausgemerzt gehört. Das Resultat sind Bomben. Die Täter mit den auf Rechnung gekauften Hightech-Tötungsmaschinen heißen “Soldaten”, die mit dem geklauten oder selbst gebastelten Zeugs “Terroristen”. Der Hauptunterschied besteht darin, dass letztere nicht so viele Menschen töten und meist selbst dabei draufgehen.

Die Rechtfertigungen zum Mord hüben wie drüben sind darauf angewiesen, ein Feindbild zu erzeugen. Den religiösen Fanatikern fällt das am leichtesten, egal ob sie Christen, Juden oder Muslime sind, daher sind es auch die Pfaffen und ihnen hörige Befehlshaber, die das am besten besorgen. “In God We Trust”! Geht aber auch ohne. Wichtig ist nur, dass die da drüben den Tod verdient haben. So sehr, dass man ihnen den bringen muss, koste es, was es wolle. Wer diesen Kreislauf durchbrechen will, muss die Klischees zerstören. Am besten fängt man bei den eigenen an.

Update: Was passiert, wenn man zwei Klischees durch 20 andere ersetzt, kommentiert Kollege Charlie hier sehr treffend. Wer Jebsen immer noch als “seriös” verkauft, muss einen an der Waffel haben.