Ich möchte es einfach einmal aufschreiben, weil es mich nervt. Es sind keine neuen Erkenntnisse, es ist nicht vollständig und auch nicht die Quintessenz, vielmehr sind es ein paar Binsenweisheiten, die man beachten muss, um sich nicht zum publizistischen Vollhorst zu machen. Kann aber scheinbar niemand mehr. Die Journaille, die sich für ihr grottiges Ejakulat noch mit Medaillen behängt ebenso wenig wie die ach so alternativen Fuzzis aus jedem Krawallblog, die glauben, es genau so gut zu können. Dabei könnten die wenigstens an der Stelle, wo sie damit recht haben, einmal kurz innehalten.
Es gibt so einiges, das ist von der Sorte ‘Tut man nicht’, und das heißt so, weil man es nicht tut. Das ist zum Beispiel abschreiben. Tut man nicht. Niemals. Wenn ich eine Meldung lese, habe ich der gefälligst zu misstrauen. Wenn sie nicht in mein Weltbild passt, bin ich misstrauisch, weil ich mir das nicht zufällig zusammengebaut habe. Ich halte Dinge für wahr, möglich, wahrscheinlich, unwahrscheinlich, unmöglich oder unwahr. Was da weiter rechts angesiedelt ist, macht mich stutzig.
Cogito ergo sum
Wenn ich etwas erfahre, das mein Weltbild stark bestätigt, – HALLO, ZUHÖREN! – dann macht mich das stutzig. Weil ich mir nicht traue. Ich bin ein Mensch, ich habe Neigungen, die meinen Verstand beeinträchtigen. Kritisch bin ich, wenn ich mich selbst anzweifle. Was mich bestätigt, hat daher geprüft zu werden, als sei es unmöglich. Gibt es noch andere Quellen? Hat meine einen Grund, das so und nicht anders darzustellen? Haben die, auf die ich mich beziehe, schon einmal gelogen? Ja, das ist ein anderes Geschäft als irgendwen zu zitieren, nicht wahr? Da ist der Copy and Paste-Hanswurst schon lange fertig, wo die Arbeit eigentlich beginnt.
Propaganda zum Beispiel, macht man nicht! Wenn ich eine öffentliche Meinung verstärke, dann ist das Propaganda, nichts anderes. Wenn die Medien voll sind mit Meldungen, dass Loriot ein furchtbarer Schurke ist, dann habe ich alles Mögliche im Sinn, aber nicht zu erzählen, wie furchtbar der Superschurke Loriot ist. Ich schreibe keine Anti-Loriot-Appelle¹, niemals, denn das ist Propaganda. Ich äußere mich niemals über Schurkereien von Loriot, die ich nicht für zweifelsfrei bewiesen halte, denn das wäre üble Propaganda. Im Gegenteil habe ich den Anspruch, nur etwas zu sagen, wenn es eine Sache aus einer neuen Perspektive beschreibt oder neue Fakten enthält. Sei es auch nur mein Ärger, dann habe ich das aber genau so deklarieren.
Womit wir bei Transparenz sind: Das Einzige, das nicht zur Informationspflicht gehört, sind Quellen, deren Wohlergehen sonst gefährdet wäre. Alles andere wird offengelegt, vor allem von mir selbst: was mich bewegt, warum ich etwas sage, wie ich denke, wie ich dazu komme, was mich treibt, wer mich beeinflusst, wer mich bezahlt. Alles andere läuft auf Propaganda hinaus. Ich kann mich auch irren, dann sage ich auch das, und zwar sobald ich meinen Irrtum feststelle. Das ist ganz einfach, wenn man sich selbst nicht für wichtiger hält als die Nachricht oder den Kommentar.
Das Urteil
Womit wir abschließend bei dem sind. Ein Kommentar darf fast alles, aber nur, wenn das da oben beachtet wird. Sonst ist er Propaganda. Der Kommentar ist die höchste Kunst, die das höchste Risiko birgt, in miserabelste Propaganda abzurutschen. Ein Kommentar ist ein Urteil, meist sogar eine Sammlung von Urteilen. Die lässt man nicht ab, wenn man sich nicht in die blutigen Abgründe des Zweifels begeben hat. Was zweifelhaft ist, muss zweifelhaft bleiben, der Rest ist die Wahrheit. Wenn einer dann ein verurteilter Hanswurst ist, darf man ihn so nennen. Wenn etwas skandalös ist, darf man Konsequenzen fordern.
Aber gerade hier gilt: Wenn ich mich geirrt habe, muss ich meinen Irrtum lauter beklagen als ich vorher andere angeklagt habe. Ich muss deutlich machen, dass, worin und warum ich mich geirrt habe. Ich muss mir und anderen die Gelegenheit geben, aus solchen Fehlern zu lernen, und ich selbst habe die verdammte Pflicht dazu.
So, und dann sagt mir mal, wo diese Maßstäbe gelten? Ich weiß, es ist traurig, aber wenn wir sie aufgeben, bleibt irgendwann nichts mehr außer Hetze und Geschrei.
¹: Für Schlaumeier ergänzend angemerkt: selbstverständlich schreibe ich auch keine Pro-Appelle oder Elogen jedweder Art. Muss ich erwähnen, dass das Propaganda wäre?
November 29th, 2014 at 14:39
“Eine öffentliche Meinung gibt es nur da, wo Ideen fehlen.” Oscar Wilde
November 29th, 2014 at 21:15
“Aber gerade hier gilt: Wenn ich mich geirrt habe, muss ich meinen Irrtum lauter beklagen als ich vorher andere angeklagt habe. Ich muss deutlich machen, dass, worin und warum ich mich geirrt habe. Ich muss mir und anderen die Gelegenheit geben, aus solchen Fehlern zu lernen, und ich selbst habe die verdammte Pflicht dazu.”
Jo, so nahm ich an – allein, es langweilt(e) und nervt(e).^^
November 30th, 2014 at 03:59
Das ist eine sehr strenge und vorbildliche Haltung. Ganz im Sinne des kategorischen Imperativ. :)
Auch ich finde Propaganda(schmierer)ekelhaft. Nur: meistens ist ein Lohnschreiber aka Journalist kein Schriftsteller. Nicht einmal ein Kritiker. Und so Sachen wie Selbstkritik, der Anspruch eigener Wahrhaftigkeit scheinen irgendwie aus der Mode gekommen zu sein.
Mich hat (das Schreiben und Kommentieren betreffend) noch niemand in die Lage gebracht, mich zwischen meinen Idealen und, sagen wir mal, einem netten Schlößchen in Frankreich entscheiden zu müssen. Zum Glück. Denn so bleibt es mir erspart, mich den Rest meines Lebens als tugendhaften Esel empfinden zu müssen… ;)
November 30th, 2014 at 12:47
@Wat.: Hm? Was ist “es”? Vasteh ick nich.
November 30th, 2014 at 13:14
Wat. hätte lieber eine Geschichte gelesen.
November 30th, 2014 at 15:24
Gar nicht schlecht: Kurzdiagnose von Merkels Anästhesistenteam.
November 30th, 2014 at 16:27
Sehr interessant: Quasi ideologische Theoriebildung als Resultat ökonomischen (publizistischen) Drucks in der Astrophysik.
November 30th, 2014 at 16:31
@flatter
Genialer Vorschlag: Ab sofort die Printmedien überwiegend in weiß unn Radio/TeeVau überwiegend weißes Rauschen.
Nachtrach: *Hmpf_kicher* Bei Dir zu Hause auch der Spannungsprüfer inne Bleistiftdose?!
November 30th, 2014 at 16:37
@flatter #6 – In leichter Abwandlung:
Here come the supernatural anaesthetists
If they want you to snuff it
All they have to do is puff it
They’re such fine dancers…
Gefiederter Nachtrach – Das’n Phrasenprüfer, Mann!
November 30th, 2014 at 17:09
Genau, Phrasenprüfer inner Beispieldose. Hawitz!
November 30th, 2014 at 18:24
… ausser Beispieldose:
Ha! Witz umzingelt.
November 30th, 2014 at 20:02
@flatter(4)
Der Irrtum wird blöderweise mit den (meisten) Fakten ‘bewiesen’/ erklärt werden müssen, wie das, was vorher über die Lippen oder den Stift kam – die Anordnung der Fakten vielleicht, auf jeden Fall die Resultate aus der alten Überzeugung müssen ‘heute’ beweisen was richtig(er) ist, was noch ‘gestern’ richtig richtig war…
… Fakten… sogar die sind eine Frage der (persönlichen) Wahrnehmung. Nicht daß sie sind, aber wie sie sind bzw. sich anfühlen, odda so.
Sender – Empfänger – Sender – Empfänger – and so on.
November 30th, 2014 at 20:11
Also hofft jeder der Sender zu sein?
November 30th, 2014 at 20:16
@Eike(13) – Ich war noch nie “Jeder”, Inhalt sollte aber schon vorhanden sein – bei Sender wie Empfänger.^^
November 30th, 2014 at 21:25
Fangen wir also mit der eigenen Nabelschau an!
Welche Ansprüche braucht es an mich selbst, damit ich mich jeden Tag noch im Spiegel wiedererkenne, den redlichen Menschen ohne Hintergedanken und ohne Kalkül, um Wahrheit bemüht, der sich selbstkritisch reflektiert, Fehler erkennt, diese eingesteht und diese öffentlich zugibt.
Ich vermute mal, dass selbst der bibeltreuste Christenmensch mit seiner Auferlegung von “Zehn Vater Unser” seinen Frieden gefunden hätte.
Also warum mit der edlen Gesinnung bei sich selbst anfangen, und sie dann an jene zu adressieren, die diese Ansprüche doch gar nicht haben und denen Ermahnungen an ihr “Gewissen, ihre Berufsehre, ihre Redlichkeit…” so ziemlich sonstwohin gehen.
Warum nicht den Spiess umdrehen? Warum nicht in die andere Richtung lügen und denunzieren, dass sich die Balken biegen.
Sind wir Heilige? Und dürfen uns nicht alle Mittel recht sein, wenn der Krieg erklärt worden ist?
Dezember 1st, 2014 at 09:19
@ flatter #6
Die Kurzdiagnose mag ja hinsichtlich des Journalismus in Berlin/Deutschland stimmen, “Der erstaunliche Aufstieg der Angela Merkel“ lief etwas anders ab:
http://www.wiesaussieht.de/2014/11/28/die-zeit-und-die-realpolitik/#comment-231809
Teil 2 und 3 weiter unten! ;-)
Dezember 1st, 2014 at 10:53
@Manfred Peters: Nette Anekdote. Das ist so ein Klüngel, wie er bei jeder Wahl zum Studentenparlament abläuft. Es gibt ja diesen Mythos, der Flügelschlag eines Schmetterlings könne einen sturm auslösen, So denkt aber nur der Schmetterling, dessen Beitrag zum Sturm ein winziger bleibt, denn wenn er geschlagen hat, übernehmen andere Kräfte.
Dezember 1st, 2014 at 10:56
@Troptard: Der Verlogenheit mit Lüge kommen, der Lügenmaschinerie als kleiner Lügner entgegentreten? Nee is klar. Du verlierst den Respekt nur einmal, also gehe sparsam damit um.
Dezember 1st, 2014 at 12:13
Hallo flatter!
So sehr ich mich auch bemühe, für mich Lügen zu konstruieren, irgendwie bin ich damit schon viel zu dicht an der Wirkleichkeit.
Funktioniert also nicht!