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Vielleicht drehe ich am Rad. In der Regel erkennt man den Irrtum spätestens daran, dass einem nie jemand zustimmt. Man geht dann ggf. auf eine sehr einsame Mission, deren Erfüllung meist in der täglichen Einnahme von Neuroleptika endet. Nun, es gibt so ein Thema, siehe oben, das mich derzeit beschäftigt. Es hat mir noch nie jemand zugestimmt, aber ich werde die These hier trotzdem ausrollen.

Ich sagte es bereits im Podcast: Ich halte das Konzept von ‘Gut und Böse’ für idiotisch. Die Formulierung ist natürlich provokativ, das gebe ich zu. ‘Gut und Böse’ ist vormodern, taugt zu gar nichts, ist Mythologie und kann überall, wo diese Kategorien auftauchen, durch etwas Sinnvolleres ersetzt werden. Die Religionen mit ihren Konzepten von Himmel/Paradies und Hölle, Sünde, Sühne, Strafe und Vergeltung setzen ebenso darauf auf wie das Strafrecht in seiner dümmsten Ausprägung.

Die sind so

Am schlimmsten aber: Das Konzept führt quasi zwangsläufig zur Identifikation von und mit Gruppen, von denen die eine eben gut ist, weil die andere eben böse ist. In der Folge stellt sich dann der Mechanismus ein, der dafür sorgt, dass das Unrecht als Recht jede Sauerei rechtfertigt, die den ‘Guten’ einfällt. Es ist diese Mythologie, die auch Slavoj Žižek meint, wenn er sagt, es braucht Religion, um dafür zu sorgen, dass “gute Menschen Böses tun”.

Es kann nur “böse” geben, wenn man etwas als böse identifiziert. Mir ist kein Konzept bekannt, in dem dies nicht dazu führt, dass dies Böse jemandem anhaftet, der dadurch also selbst als böse identifiziert wird. Der ist dann so, die sind dann so: schuldig. Es braucht dann nur einen weiteren Schritt, um Buße aufzuerlegen – womit wir im Kreis von Rache, Vergeltung und Eskalation sind.

Unsinn als Kategorie

Es gibt derweil keine Tat, kein noch so bizarres Verbrechen, das nicht im Namen des Guten als ‘gut’ gegolten hat und umgekehrt. Wenn die Psychologie der Abwertung einmal im Gange ist, geht alles. Gegen das Böse ist alles erlaubt, ja, es besteht sogar die Pflicht, es auszumerzen. Kurzum: Alle Niederungen der menschlichen Psyche finden im Konzept des ‘Bösen’ die nötige Basis.

Da, wo ‘Gutes’ gefördert und dessen Gegenteil eingedämmt wird, brauche ich kein Böses. Es ist – hier sind wir wieder bei dem Unterschied zwischen Ethik und Moral – einfach zu unterscheiden zwischen Erwünschtem und Unerwünschtem, zwischen besser und schlechter, zwischen richtig und falsch. Die Logik hält die großartigen Kategorien ‘wahr’ und ‘falsch’ vor, in der Ethik müsste man ‘wahr’ durch ‘richtig’ ersetzen. Das Wahre ist nachweisbar, das Richtige ist durch Konsens entscheidbar.

Zivilisation

Was dann als ‘richtig’ gilt, dient dem Ziel, das Erwünschte zu erreichen. Was falsch ist, offenbart, dass die Richtung nicht stimmt. Man kann dann eine im ethischen Sinne falsche Handlung begehen, man wird aber nicht selbst ‘falsch’. Es gibt keine Gruppe von ‘Falschen’ und auch kene ‘falschen’ Individuen, weil offensichtlich ist, dass jede einzelne Handlung richtig oder falsch ist und erst bewertbar wird, wenn sie stattgefunden hat.

Ich höre jetzt schon wieder den Einwand, die Menschen seien aber nicht so, was in der Gegenrede nichts anderes wäre als eine Tautologie. ‘Die Menschen’, ihre Psychologie und ihre Motive, werden sich auch nicht ändern, wenn man zwei Wörter austauscht. Man kann sich aber entscheiden, es sich nicht zu einfach zu machen, den Barbaren in sich zu entfesseln. Das nämlich ist Zivilisation: Die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben. Wo es ‘gut’ und ‘böse’ gibt, lauert bereits die Barbarei.

 
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Es ist bemerkenswert, wie sich selbst in ‘unsere’ Kreise hinein eine große Unsicherheit zieht im Umgang mit ‘Hartz IV’ und den sogenannten “Empfängern”. Gut, wenn es wenigstens Unsicherheit ist und nicht der sichere Blick von oben herab; man steht schließlich auch morgens auf und leistet was. Nur als Lohnsklave ist man auf dem moralischen Terrain, sich nicht für sein Dasein entschuldigen zu müssen. Als Eigentümer steht man selbstverständlich jenseits dessen.

Ich kann mich selbst schlecht davon freimachen, weil ich weiß, dass alles, was man zum Komplex sagt, daran gewogen wird, was man für den Lebensunterhalt tut. Man entkommt dem nicht. Persönlich habe ich das auf verschiedenen Ebenen erlebt.
Das beginnt mit Erfahrungen beim ‘JobCenter’. Ich habe zwei Personen bei Besuchen dort begleitet, und was ich erlebt habe, hat mich tief beeindruckt.

Der letzte Dreck

Ich will es bei einem Beispiel belassen, bei dem Inkompetenz durch Arroganz kompensiert wurde, zu lasten des ‘Kunden’: Während die Sachbearbeiterin fröhlich Termine anberaumte, hatte die Leistungsabteilung bereits die Zahlungen eingestellt. Die Kundin hat das nicht bemerkt, denn es waren für sie als Aufstockerin und ihren Sohn ganze 17 Euro pro Monat. Das Problem: Ohne Leistung keine Krankenversicherung, und das wird hässlich teuer.

Die Sachbearbeiterin, konfrontiert mit der Sache, meinte, Kundin solle sich “nicht pampern lassen“, sie habe eine “Eigenverantwortung“. Ich erinnerte sie an ihre Informationspflicht und wies darauf hin, dass sie nicht auf die Notwendigkeit einer Aktualisierung des Antrags hingewiesen hatte. Sie wies daher auf Broschüren hin, die sie der Kundin mitgegeben hatte. Ich kippte ihr diese auf den Schreibtisch und bat sie, mir die Stelle zu zeigen, wo das stehe.

Danke nein

Selbstverständlich hatte ich mir den ganzen Mist durchgelesen und wusste daher, dass es eben nicht in den Broschüren stand – schon gar nicht, dass die Leistung eingestellt wird, während weiterhin ‘Pflichttermine’ gemacht werden. Wie gesagt, ist das nur ein Beispiel aus nur zwei Fällen, mit denen ich einen Abend füllen könnte. Meine Konsequenz aus dieser Erfahrung: Ich werde niemals einen Antrag stellen, denn wenn es um mich selbst gegangen wäre, hätte ich der Dame zumindest Gewalt angedroht.

Daher schrieb ich hier auch einmal, ich ginge “eher klauen” als mich darauf einzulassen, was mir damals heftige Kritik von Charlie selig einbrachte. Nun, das ist aber ja meine Entscheidung. Ich sage ja nicht einmal, dass sie richtig ist. Allerdings habe ich jüngst tatsächlich auf Fördernundfordern verzichtet, obwohl ich so pleite war, dass ich ‘berechtigt’ gewesen wäre.

Erste Bürgerpflicht

Inzwischen wieder Lohnsklave, werde ich bald in der Lage sein, die geringen Schulden, die ich gemacht habe, zurück zu zahlen. Das ist deutsch bis ins Mark, aber mir schmecken die Alternativen wie gesagt nicht. Ich respektiere selbstverständlich alle, die sich anders entscheiden. Bei dieser Gelegenheit sei es auch einmal gesagt, dass mich die Hanseln, die mich als eine Art Bettler betrachten, schon immer fett am Arsch lecken können. Alles, was Kommentare aus dieser Richtung aussagen, ist die erbärmliche Haltung ihrer Urheber.

Was ich mich immer wieder frage, ist, wie es möglich wäre, Solidarität zu üben, und zwar öffentlichkeitswirksam, mit denen, die sich der Situation nicht entziehen können und dafür noch bespuckt werden. Mal jemanden begleiten oder nette Artikel schreiben, gut und schön, aber angesichts der Sauerei, die sich diese stinkreiche Gesellschaft mit ihren Ärmsten leistet, ist mir das alles deutlich zu leise.

 
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Lange nicht mehr vor dem “Kreidestrich” gestanden. In den hiesigen Kommentaren ist das der Begriff für die Grenze des Denkens, die viele Diskutanten nicht überschreiten wollen. Ob sie es können, weiß ich nicht, aber ich nehme an, sie wollen nicht. Es ist vor allem der Schritt hin zu der Annahme, dass Märkte nicht bloß weniger perfekt sind als die Neoliberalen Missionare behaupten – sondern dass ‘Marktwirtschaft’ als solche eine Illusion sein könnte, zumal als ‘soziale’.

Ein Problem bei diesem Bemühen liegt darin, dass jene, die sich für Politik und Wirtschaft interessieren, viele Jahre brauchen, um an diese Grenze zu stoßen. Dort angekommen, müssten sie dann akzeptieren, dass alle diese Jahre Jahre eines Irrtums waren. Lieber basteln sie eine Hilfskonstruktion nach der anderen, um ein Denken zu retten, das nicht zu retten ist.

No Return

Diese narzisstische Kränkung wird dabei noch begleitet von der Angst, dann zu ‘denen’ zu gehören und bei ‘ihm’ zu landen: Dem Meister des Bösen und seinen Jüngern, Marx und den -isten. Das kann nicht, das darf nicht und man weiß ja auch, dass die alle irre sind. Zudem wäre man aus allen Diskursen abgemeldet. Damit kommst du in keine Talkshow mehr.

Das ist aber nur eine Stelle am Strich, es gibt derer viele. Was mich derzeit umtreibt, ist die Frage, wie man es so leicht schafft sich zu prostituieren, ja, das für selbstverständlich zu halten. Ausgerechnet der Teil der Bevölkerung, der sich noch für Politik interessiert und sich ernsthaft vertreten fühlt von seinen Berufspolitikern, besteht aus Lohnhuren, die nicht nur freiwillig auf den Strich gehen, sondern ihre Zuhälter auch noch nach Kräften unterstützen.

Man hat gefälligst den ganzen Tag und sein Leben lang zu arbeiten, und wer das nicht tut, ist nach der Sklavenmoral faul und unwert. Unfassbar! Von dieser Seite des Kreidestrichs sieht das einfach nur furchtbar aus, traurig und Abscheu erregend. Dabei gibt es Zeiten, in denen ich die anderen verstehe. Die Angst, nicht mehr zu können, die Angst, dass die Selbstüberwindung zu einer brutalen Hürde wird, ist berechtigt. Auf dieser Seite bist du nicht freier als auf der anderen.

 
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Ich steige einmal mit Fefes Neujahrswunsch ein: “Lasst uns alle daran mitwirken, dass Menschen sich gegenseitig als Menschen und nicht als Teil einer Gruppe sehen!” und zitiere noch einmal aus Enzensbergers Spiegel-Artikel von 1957:

Wenn Sie schon hinter dem simplen Trick der Story eine Geschichtsauffassung suchen, dann ist sie jedenfalls demokratisch, eben weil sie es auf den einzelnen, nicht aufs Kollektiv abgesehen hat.[... Time:] “Die Nachrichten entstehen nicht durch “geschichtliche Kräfte oder Regierungen oder Klassen, sondern durch Individuen [...]
Solche Parolen gründen auf der Scheinwahrheit, daß Geschichte von einzelnen gemacht wird: der primär gesellschaftliche Charakter historischer Erscheinungen wird mit einem Seitenhieb auf den marxistischen Klassenbegriff geleugnet.”

Allein ist geil

Ich lasse das vorläufig so stehen, ohne diese widersprüchlichen Aussagen noch lange zu sortieren oder sie zu bewerten. Was sofort deutlich wird, ist aber, dass es offenbar Ansichten von Gruppen oder Kollektiven im Gegensatz zu Individuen gibt, die stark voneinander abweichen. Eine weitere Dimension dieser Frage erörtert Reinhard Jellen hier, der seinen Gedanken aber leider in überflüssiger Fachterminologie erstickt. Kurz gefasst meint er, Marx und Engels hätten in ihrem Bezug auf das Tun und die Produktionsverhältnisse eine “radikal-humanistischen Grundposition” bezogen – weil Philosophie praktisch wird und sich nicht mehr auf ein abstraktes Modell von “Geist” bezieht.

Es drückt sich hier wohl vor allem eines aus, nämlich der moderne Wahn der Individualität. Da oben fehlt ja sogar noch das ‘liberale’ Weltbild, das auf eine Art “Last Man Standing” hinausläuft, aber selbst linke und weniger radikale Vorstellungen vom Einzelnen und den Kollektiven, in denen er lebt, zeichnen das Bild einer ‘Humanität’, die wie toll an ihrem Anspruch festhält, um grandios daran zu scheitern. Aus Angst, das Individuum, in dem ‘der Mensch’ sich gefälligst zu finden hat, gehe unter, werden Gruppen und Kollektive zu etwas Unheimlichen. Dabei ist der Mensch durch und durch ein Rudeltier und allein nicht überlebensfähig.

Ich, Es, Über-Es

Fefes Sorge ist derweil verständlich, wo es politisch, ja sogar in der ‘Wissenschaft’, zunehmend auf Zugehörigkeit ankommt, anstatt auf Verhalten und Denken. Kritik wird unmöglich, weil Kriterien zugrunde gehen, wo es nur mehr darauf ankommt, wer etwas tut und nicht, was er tut. “Ist er Freund oder Feind?” ersetzt alle anderen Kriterien. Es ist aber keine Lösung, dem mit radikalem Individualismus zu begegnen. Vielmehr ist zu bedauern, dass die Moderne tausende Ansätze entwickelt hat, um Individualität zu begründen, während Kollektive vorwiegend Gegenstand eindimensionaler Abwehrreaktionen sind.

Noch eine Bemerkung zur Korrektur der Idee, Marx und Engels hätten eine “radikal-humanistische Grundposition” bezogen: Das Gegenteil ist der Fall. Gerade mit der Analyse des Kapitals und seines Produktionsverhältnisses hat Marx eine Wirklichkeit beschrieben, die ‘dem Menschen’ völlig entgleitet. Als Individuum ohnehin, aber auch seine Kollektive – seien es Massenbewegungen oder Kartelle – sind nur mehr gehetzte Funktionsträger in einem System, das alle und jeden ersetzt, um fortzubestehen. Wenn man das Verhätlnis von Wirklichkeit, System und Mensch (als Gruppe und Kollektiv) nicht verstehen will, kann man Humanist bleiben. Dann kann man aber auch gleich wieder Gott als Ursache einsetzen.

 
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Einer der erschütternden Belege für die politische Dummheit vieler Zeitegnossen ist die Illegalisierung von “Drogen” und die allgemeine Zustimmung dazu. Wer sich damit befasst hat, kennt die Horrorstories und Propaganda, die etwa zum Verbot von Cannabis geführt haben. Der sogenannte “War On Drugs”, die Verstrickung der CIA und illegale Drogen als Machtbasis Organisierter Kriminalität, das alles sind Binsenweisheiten. Würde man Drogen komplett legalisieren, die Welt wäre eine bessere.

Ich möchte aber heute einmal auf einen anderen Aspekt hinweisen, der die geifernden Urteile über Drogensüchtige betrifft. Anlass dazu ist die faszinierende Wirkung legaler Drogen und deren Suchtpotential. Vor allem ein Wirkstoff ist darunter, schon ewig bekannt und noch immer im Einsatz: Benzodiazepam, berühmt und berüchtigt durch das Präparat “Valium”; heute sind die Marktführer andere. Zumeist wirken die Probanden weggetreten, es ist aber auch eine ganz andere Wirkung beobachtbar:

Legal, illegal …

Es kommt in Fällen schwerer Depressionen und Angststörungen vor, dass verwirrte Patienten plötzlich klar werden und Affekte zeigen, die sonst in ihrer Gefühllosigkeit versinken. Wäre nicht das schwere Suchtpotential, man wäre geneigt, die Substanz über längere Zeiträume und täglich, ggf. mehrfach zu verabreichen. Aus Patientensicht ein Reiz, dem man leicht verfallen kann, wenn man sich das Mittel beschaffen kann.

Ein anderes Beispiel sind Jugendliche, bei denen ADHS seriös diagnostiziert wurde. Es kommt nicht nur in Einzelfällen vor, dass sie dem Standardmittel Methylphenidad (Ritalin, Medikinet, Concerta) eine andere Substanz vorziehen: THC, der Wirkstoff von Cannabis. Es ist vor allem nach Bedarf zu dosieren und hat offenbar angenehme Nebenwirkungen. Alkohol wiederum ist ein hoch wirksames Anxiolytikum (Angstlöser).

Dopeamin

Ebenso ist bekannt, dass die sog. “Borderline-Störung” regelmäßig mit dem Konsum illegaler Drogen einher geht. Es geht bei all diesen Substanzen um Wirkungen auf Botenstoffe im Hirn wie Serotonin und Dopamin, deren Stoffwechsel bei psychisch Kranken quasi offiziell als gestört gilt, während “Drogensüchtige” ohne Diagnose und durch den Schwarzmarkt versorgt unterwegs sind.

Das Bild, das Krethi und Plethi von Drogensucht haben, ist daher wie so vieles dem Hang zur Abwertung anderer Menschen geschuldet. Das fängt schon da an, wo sie glauben, eine Substanz mache süchtig. Richtig ist: Der Süchtige sucht sich seine Droge, weil er sie braucht, nicht umgekehrt. Sogenannte “Drogensucht” ist das Symptom einer Krankheit, nicht mehr und nicht weniger.

 
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Was ein Sendeschluss ist, wie will man das noch jungen Nicht-Historikern darlegen? Schlimmer noch: Wie soll man dergleichen überhaupt erwähnen, ohne die heftigste Weigerung hervorzurufen, einem zuzuhören? Oppa erzählt vom Grammophon. Dabei bricht sich im Zorn der Abneigung gegen Oppas dumme Fragen die schleichende Einsicht bahn, dass da vielleicht tatsächlich hinter den Dingen etwas sein könnte, das man stets am falschen Ort sucht.

Hinter den Dingern, das sind vor allem die je aktuellen Spielzeuge. Streichelbrettchen vor allem, die versprechen, alles haben zu können, mit jedem in Verbindung zu sein, niemals allein; und die doch dieses dumpfe Gefühl hinterlassen, man sei so allein wie niemals zuvor. Niemals ist man sicher, dass irgendwer sich wirklich um einen schert. Keine Wozzäpp, kein Gramm Insta, kein Fäßbuck, Tweed oder Pimpertinder bringt jemals das Gefühl, das man sucht – die Erlösung.

Erlösung

Paradox vielmehr wird mit jedem Klingeln und Pingen die Ungewissheit größer, ob es das ist, was man will. Vielleicht gar die Gewissheit, dass es das nicht ist. Nie ist man richtig befriedigt, nie kommt das alles zur Ruhe. Es fließt und läuft, wenn es nicht – wie frustrierend! – stockt. Man hetzt oder wartet, überall und immer. Selbst im neuesten bunten Gerät ist kein Stück mehr vom Ersehnten.

Dass auf einen Tag der nächste folgt, ist so neu nicht. Dereinst legte man sich abends hin und schlief, und wenn man morgens aufwachte, wartete niemand schon darauf, dass man seine Nachricht gefälligst bald beantwortete. Das war nicht nur in Ordnung, alles andere hätte man für verrückt gehalten.

Selbst die modernsten Medien, die all das boten, wozu Medien so da sind – Unterhaltung, Information und Kultur – machten über Nacht wenigstens Pause. Irgendwann war Schluss und Stille. Vielleicht war das ja viel näher an der Erlösung, die das vollvernetzte Opfer der Elektronikindustrie so verzweifelt anstrebt: Ruhe. Einfach mal ein paar Stunden nichts.

 
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Es gibt Zeiten, in denen muss man sich begrenzen. Wohl dem, der das kann und dabei nicht aus den Augen verliert, dass er es tut. Es gibt Dinge, die sind wichtiger als alles andere und nehmen so viel Raum ein, dass für Banalitäten und Bagatellen einfach keine Zeit bleibt. Es besteht die Gefahr, dass irgendwann alles irrelevant wird.

Ich kümmere mich mal wieder und bin mir sogar im Klaren, dass das ein Fehler ist, weil ich im Grunde eine Fehlbesetzung bin. Zu nah dran, wo es immer wieder um inneren Abstand und richtige Entscheidungen geht. Die Alternativen sind nur eben noch schlechter. Es geht noch immer um Depression, das zieht sich, bis das Medikament wirkt. Nachgerade faszinierend ist die Kunst des Patienten, seine Welt in Irrelevanz versinken zu lassen.

Interessiert mich nicht

Als Begleiter ist das beinahe ansteckend, schon weil man seinerseits ja eine Priorität gesetzt hat, die alles andere verkleinert. Trost besteht darin, dass diese zehrende Aufgabe eine auf Zeit ist und man sich ein erreichbares Ziel setzt. Dennoch kostet es Kraft, die eben woanders fehlt. Wie irrelevant sind doch so viele Anstrengungen des Alltags. Alles, was nicht zur Entspannung oder bei entsprechender Gelegenheit Ablenkung taugt, wird aussortiert.

Auch das verändert den Blick auf den Normalbetrieb, zumal den derer mit einem normalen Leben. Da ist kaum Platz für eigene Prioritäten. An Eins bis Zehn steht “Arbeit”, den Profit der Anderen sichern. Dann kommen vielleicht noch Kinder (wenn man sich welche leistet) und was man so tut, um das Geschwätz im Bekanntenkreis unter Kontrolle zu halten.

Wen interessiert es da noch, wie und von wem man verwaltet wird? “Politik”, das ist etwas für Fachleute, die sie einem in kleinen Häppchen zubereiten. Keine Zeit für mehr. Es muss reichen zu wissen, wer die Guten sind und wen man so sympathisch findet, dass man ihn am Ruder® sehen will. Für den Rest kann man dann seinen unterdrückten Hass ausleben, bis auch der im Nebel der Depression abkühlt. Und jetzt wie immer das Wetter.

 
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Was ist das für eine Welt, in der selbst die CIA schon wenige Wochen nach der sogenannten “Weltöffentlichkeit” herausfindet, dass ein gewisser Prinz eine nicht unerhebliche Position in der Befehlskette einnimmt, die zum Mord an einem gewissen Journalisten geführt hat? Unerhört, dass selbst der vielleicht größte (älteste, einflussreichste, alkoholstärkste, amerikanischste) Geheimdienst der Welt bei der Geheimhaltung versagt. Können die nicht wenigstens weiter so tun als ob? Wofür zahle ich Steuern?

Lieber Tod als unbefugt” ist eines meiner Lieblingsmottos (Motti? Motosse? Mossos?), weswegen ich (jetzt wird er schon wieder anekdotisch, ja ist denn wirklich gar nichts los in der Welt?) einstens durch die Tür ging. „Onnbefoogten äst därr Zooträtt värrbooten“ war ihr Name. Es begab sich zum Anlasse eines Pink Floyd-Konzertes; ich war pünktlich zu Konzertbeginn in der Halle und diese Clowns fingen auf die Minute pünktlich an. Anstatt also kilometerweise Gänge und Ränge zu durchkämmen, öffnete ich und stand – sogar auf der richtigen Seite – direkt vor der Bühne.

Eine Frage der Substanz

Man musste dort nur die der versammelten Besucherschar zur Verfügung gestellte Luft ein Mal kräftig inhalieren und war stoned, was dem Genuss keineswegs abträglich war. Heute habe ich andere Probleme. Ich bin zwar durchaus auch befugt, vor allem aber Angehöriger. Angehöriger ist ein Scheißjob. Entweder bedeutet das soviel wie “hinterblieben” oder du bist eigentlich zu nah dran und musst trotzdem regeln. Das funktioniert am wenigsten, wenn du unter Empathie leidest, ebenfalls ein Zustand, der sich einem Mangel an Drogen verdankt.

Die sind derweil mitunter erschreckende Mittel des Terrors, nicht zuletzt, wenn man an die Freiheit des Willens glaubt oder andere humanistische Mythen. Wenn die Chemie in Unordnung gerät, ist Kahlschlag im Forsthaus zum Oberstübchen. Dessen Mobiliar wiederum kehrt bei Einwurf gewisser Drogen stundenweise spontan und vollständig zurück. Man weiß nicht, was man gruseliger finden soll: den erwünschten Effekt oder den Zustand ‘ohne’.

Eines stimmt allemal nachdenklich: die illustrierte Gewissheit, dass von Persönlichkeit® wenig übrigbleibt, wenn ein Leck in der Pipeline die hormonelle Grundversorgung unterbricht. Ein weiterer Anlass, sein Zutrauen in das Konstrukt ‘Mensch’ nachhaltig zu hinterfragen.

 
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Eine ganze Fußball-Liga fragt sich, was die Mutter von Dietmar Hopp beruflich gemacht hat. Diese mäßig rührende Anteilnahme am Familienleben des Lieblingsmilliardärs aller Ultras zeigt vor allem eines: Es gibt keinen rechtsfreien Raum, wenn es um die Privilegien egomanischer Kapitalisten geht.

Für alle anderen gelten die jeweiligen Sonderausgaben des Knigge. Nehmen wir einmal die herzliche Fanfeindschaft zwischen den Anhängern des KFC Uerdingen und des Wuppertaler SV: Erstere singen selbst bei Spielen gegen andere Gegner in einer anderen Liga von ihren Freunden “Wuppertaler Hurensöhne” – eine Schmeichelei von ohrwurmtauglichem Rhythmus, für die keiner der Angesprochenen Beleidigungsklage einreichen würde. Man würde den Uerdingern auch deshalb nicht auf die Fresse hauen. Wenn man ihnen auf die Fresse haut, dann weil sie Uerdinger sind.

Die kauf’ ich mir

Als Schiedsrichter noch einheitlich gekleidet waren, sang man zur Melodie von “When the Saints Go Marching In”: “Oh hängt sie auf, die Schwarze Sau”, aus “Wiener Blut” wurde “Bayernblut – wenn es spritzt, wenn es schwappt, dann ist es gut”. Niemand hat das als Aufruf zum Massaker aufgefasst. Für so einen Schwachsinn (“Mordaufruf”) musste sich erst ein stinkreicher Fuzzi einen Verein samt Söldnern kaufen. Beleidigt zu sein ist derweil sein Privatrecht. Alle anderen sind Pöbel, da gilt das natürlich nicht.

Spätestens nach der Einzelaktion® seines ‘Hausmeisters’, die gegnerischen Fans mit einer Schallkanone zu körperverletzen, dachte man eigentlich, es könnte ein wenig Bescheidenheit einkehren im Hause Hopp. Wer sich auch nur ansatzweise mit Fans und Trollen auskennt, weiß zudem, dass das ewige Mimimi längst der Hauptgrund dafür ist, dass sich Ultras aller Vereine besondere Mühe geben, wenn es um die Ehrung des deutschen Abramowitsch geht. Von daher gilt die eingangs ausgesprochene Empfehlung. Es sei denn, er möchte seine Mama unbedingt weiter im Gespräch halten.

 
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Mein Gehirn funktioniert anders als das anderer Kinder. Aus dem Fernsehen kennt man lustige Charaktere, die meist als “Autisten” vorgestellt werden, meist in der Geschmacksrichtung “Asperger”. Das sind dann Leute mit einem komischen Gang, die hüpfen oder welche, die seltsam reden. Dafür sind sie genial, haben photographische Gedächtnisse oder können binnen Sekundenbruchteilen die Telefonnummern aller Berliner Hausanschlüsse addieren.

Das ist in der Realität völlig anders, vor allem mit ‘Autisten’, aber das ist nur ein Planet. Ich lebe auf einem völlig anderen, und wie andere Menschen auch, auf meinem eigenen. Nun befinden sich die Planeten der meisten kleinen Prinzen immerhin in demselben Sonnensystem. Ich glaube oft, ich lebe eher am Rande der Galaxie.

Nicht normal

Das hat durchaus mit Eigenschaften zu tun, die sich zu “Störungen” ergänzen können, sofern man sie nicht kontrolliert. Wenn du ganz aufhörst nützlich zu sein, ist der Weg in die Psychiatrie jederzeit eine Option. Schon weniger komplexe Charaktere kennen das als “Burnout”. Es gibt derweil auch das Gegenteil davon. Diese Gesellschaft ist dummerweise der Ansicht, ein unterforderter Verstand sei mit mehr Stumpfsinn gut bedient. Das ist nicht immer richtig.

Die Standardreaktion sozial angepasster Menschen mit überdurchschnittlicher ‘Intelligenz’ auf die Anforderungen ihrer Mitmenschen ist elitäres Gehabe. Man ist schon etwas Besseres, wenn man sich in irgendeiner Ecke des Betriebs ein Expertensternchen verdient hat und schützt sich vor Kritik und Zweifeln durch groß angelegte Verteidigungsanlagen wie Fachterminologie, Namedropping und Hinweise auf gesammelte Zertifikate. Das verschafft einem Ruhe und das sanfte Rauschen des Beifalls der Claqueure.

Ein Grund mehr, das Persönliche in Auseinandersetzungen außen vor zu lassen. Es geht um den Versuch, sich verständlich zu machen. Jemand hat etwas verstanden, ein anderer etwas anderes. So gut wie nie kommt es vor, das irgendwer eine Sache in jedem einzelnen Aspekt durchschaut hat. Dann ist es ratsam, voneinander zu lernen. Das kann nicht immer klappen, aber versuchen kann man es. Auf der einen Seite, indem man sich verständlich äußert, auf der anderen, indem man nachfragt. Hinweise darauf, wer recht hat, sind hingegen kontraproduktiv.

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