Gut und Böse: Eine Idiotie
Posted by flatter under sozialzeugs , theorie[38] Comments
20. Apr 2019 16:41
Vielleicht drehe ich am Rad. In der Regel erkennt man den Irrtum spätestens daran, dass einem nie jemand zustimmt. Man geht dann ggf. auf eine sehr einsame Mission, deren Erfüllung meist in der täglichen Einnahme von Neuroleptika endet. Nun, es gibt so ein Thema, siehe oben, das mich derzeit beschäftigt. Es hat mir noch nie jemand zugestimmt, aber ich werde die These hier trotzdem ausrollen.
Ich sagte es bereits im Podcast: Ich halte das Konzept von ‘Gut und Böse’ für idiotisch. Die Formulierung ist natürlich provokativ, das gebe ich zu. ‘Gut und Böse’ ist vormodern, taugt zu gar nichts, ist Mythologie und kann überall, wo diese Kategorien auftauchen, durch etwas Sinnvolleres ersetzt werden. Die Religionen mit ihren Konzepten von Himmel/Paradies und Hölle, Sünde, Sühne, Strafe und Vergeltung setzen ebenso darauf auf wie das Strafrecht in seiner dümmsten Ausprägung.
Die sind so
Am schlimmsten aber: Das Konzept führt quasi zwangsläufig zur Identifikation von und mit Gruppen, von denen die eine eben gut ist, weil die andere eben böse ist. In der Folge stellt sich dann der Mechanismus ein, der dafür sorgt, dass das Unrecht als Recht jede Sauerei rechtfertigt, die den ‘Guten’ einfällt. Es ist diese Mythologie, die auch Slavoj Žižek meint, wenn er sagt, es braucht Religion, um dafür zu sorgen, dass “gute Menschen Böses tun”.
Es kann nur “böse” geben, wenn man etwas als böse identifiziert. Mir ist kein Konzept bekannt, in dem dies nicht dazu führt, dass dies Böse jemandem anhaftet, der dadurch also selbst als böse identifiziert wird. Der ist dann so, die sind dann so: schuldig. Es braucht dann nur einen weiteren Schritt, um Buße aufzuerlegen – womit wir im Kreis von Rache, Vergeltung und Eskalation sind.
Unsinn als Kategorie
Es gibt derweil keine Tat, kein noch so bizarres Verbrechen, das nicht im Namen des Guten als ‘gut’ gegolten hat und umgekehrt. Wenn die Psychologie der Abwertung einmal im Gange ist, geht alles. Gegen das Böse ist alles erlaubt, ja, es besteht sogar die Pflicht, es auszumerzen. Kurzum: Alle Niederungen der menschlichen Psyche finden im Konzept des ‘Bösen’ die nötige Basis.
Da, wo ‘Gutes’ gefördert und dessen Gegenteil eingedämmt wird, brauche ich kein Böses. Es ist – hier sind wir wieder bei dem Unterschied zwischen Ethik und Moral – einfach zu unterscheiden zwischen Erwünschtem und Unerwünschtem, zwischen besser und schlechter, zwischen richtig und falsch. Die Logik hält die großartigen Kategorien ‘wahr’ und ‘falsch’ vor, in der Ethik müsste man ‘wahr’ durch ‘richtig’ ersetzen. Das Wahre ist nachweisbar, das Richtige ist durch Konsens entscheidbar.
Zivilisation
Was dann als ‘richtig’ gilt, dient dem Ziel, das Erwünschte zu erreichen. Was falsch ist, offenbart, dass die Richtung nicht stimmt. Man kann dann eine im ethischen Sinne falsche Handlung begehen, man wird aber nicht selbst ‘falsch’. Es gibt keine Gruppe von ‘Falschen’ und auch kene ‘falschen’ Individuen, weil offensichtlich ist, dass jede einzelne Handlung richtig oder falsch ist und erst bewertbar wird, wenn sie stattgefunden hat.
Ich höre jetzt schon wieder den Einwand, die Menschen seien aber nicht so, was in der Gegenrede nichts anderes wäre als eine Tautologie. ‘Die Menschen’, ihre Psychologie und ihre Motive, werden sich auch nicht ändern, wenn man zwei Wörter austauscht. Man kann sich aber entscheiden, es sich nicht zu einfach zu machen, den Barbaren in sich zu entfesseln. Das nämlich ist Zivilisation: Die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben. Wo es ‘gut’ und ‘böse’ gibt, lauert bereits die Barbarei.
April 20th, 2019 at 18:12
Was gut ist für dich, ist schlecht für die Streptokokken – meinst du das?
April 20th, 2019 at 20:49
Ich habe auch so meine Probleme mit den Begriffen “gut” und “böse”, und verwende für mich selbst lieber die Begriffe “hell” und “dunkel”, um damit auszudrücken dass das Licht auch verbrennen, und die Dunkelheit auch schützen kann.
Ich halte es auf dem Weg in eine bessere Welt für einen wichtigen ersten Schritt allen Menschen wirklich ganz klar zu machen dass sie nicht wirklich gute Menschen sein können, auch keine wirklich bösen. Dass sie duale Wesen sind und eine helle und eine dunkle Seite haben. Dass wenn man die Existenz der eigenen dunklen Seite leugnet, man ihr ausgeliefert ist. Dass man lernen kann sich zu beobachten um mit seinen beiden Seiten besser klarzukommen.
Ein langer Weg.
April 20th, 2019 at 21:14
Ich glaube, er meint, das ‘gut’ dessen Gegenteil eben ‘böse’ ist – nicht ‘schlecht’…
Ich muss gestehen, dass ich mir heute mittag den Zizek gespart und mich statt dessen für den gleich daneben angebotenen Hader entschieden habe. Darin geht es nicht nur um ‘gemässigte Diktatur’, sondern auch um eben dieses Konzept des ‘Bösen’, das am Ende einen Wohnort – oder gar ein ‘Reich’ – hat und mit ‘missiles’ bekämpft werden kann… das macht es so verlockend. Es ist so viel einfacher – und einträglicher – als Verhältnisse zu schaffen, in denen möglichst wenig unerwünschte Handlungen begangen werden.
Es gibt aber auch innerhalb der Religionen Ansätze, den ‘Kreis von Rache, Vergeltung und Eskalation’ zu unterbrechen, im Christentum bspw von ‘Auge um Auge’ bis ‘halte auch deine andere Wange hin’, nicht zuletzt auch die ‘Vergebung der Sünden’. Durch das Mitschleppen alter Mythen steht sie sich dabei allerdings auch massiv selbst im Weg.
April 20th, 2019 at 21:43
Das ist ein Grund, warum ich Ex-Kathole, der seine Mutter Kirche hassen gelernt hat, den Protestantismus für einen Rückschritt halte. Die Beichte hilft, entspannt mit Schuld und Sünde umzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass deshalb der katholische Faschismus auch keinen Holocaust hervorbringt.
Modern wäre es allerdings erst, zu erkennen, dass das mit den Sünden und dem Auge im Himmel schon Tinnef ist.
April 20th, 2019 at 22:24
Eigentlich meinte ich, dass wir den Anspruch, gute Menschen sein zu wollen, aufgeben sollten, weil wir als duale Wesen sowieso daran scheitern. Wir sollten auch nicht mehr von anderen Menschen fordern, dass sie gute Menschen sein sollen.
Und wer jetzt meint, das wäre ein Aufruf zu Bösem, hat es leider gar nicht verstanden.
April 21st, 2019 at 00:50
@Seneca: Grundsätzlich einverstanden, aber das ist dann eben kein Dualismus mehr, sondern eine unauflösliche Einheit.
April 21st, 2019 at 01:16
Wenn ich meiner Liebsten sage: “Ich freue mich weil Du ein guter Mensch bist”, worüber sie sich dann freut, dann sieht das nach einer moralisch und ethisch einwandfreien Situation aus, die keine Probleme verursachen sollte und an der es nichts auszusetzen gibt.
Aber ist das wirklich so? Setze ich sie damit nicht unter Druck, ihre dunkle Seite ihres dualen Wesens zu verbergen? Und wird das nicht ein Ungleichgewicht und Spannungen bei ihr hervorrufen wenn sie weiss, dass ihre dunkle Seite nicht gewollt ist?
Kann ich meine Liebste weiterlieben wenn ich den Anspruch, dass sie ein guter Mensch sein soll, aufgebe? Aber natürlich! Vielleicht zeigt sie mir dann sogar irgendwann mal ganz offen ihre dunkle Seite, und erst dann kenne ich sie ganz. Und vielleicht traue ich mich dann ja, auch meine dunkle Seite vor ihr, vor mir selbst und vor anderen zu zeigen, weil ich dann keine Angst mehr haben muss, deswegen verstossen zu werden.
Wäre das alles nicht viel besser als jetzt, wo wir uns alle gegenseitig vorspielen dass wir keine dunkle Seiten haben, und uns so gegenseitig gewaltig unter Druck setzen?
Der Mörder müsste immer noch in’s Gefängnis, aber er würde auf dem Weg dorthin nicht mehr bespuckt werden. Wir müssten nicht mehr so wütend aufeinander sein und nicht mehr so hassen. Wir würden dann nicht besser sein, aber vielleicht friedlicher und mit weniger Gewalt.
April 21st, 2019 at 01:45
OT: “Bei den realen Beispielen des Sozialismus handelte es sich nicht um wirklichen Sozialismus (…) Sozialismus ohne eine demokratische Organisation der Gesellschaft gibt es nicht.” (neulich in Berlin) – man muss das also nur mal richtig™ machen.
April 21st, 2019 at 01:56
Neulich las ich von einem Wissenschaftler der meinte, das evolutionäre Grundmodell der Welt wäre prinzipiell ein religiöses, auch bei Atheisten. Der Kampf Gut gegen Böse, mit Autraggebern im Hintergrund, das wäre so in etwa dieses Grundmodell der Welt, das uns die Evolution als Basis mitgibt bei der Geburt, und dieses Modell ist zwangsläufig religiös.
Das hat wohl lange gut funktioniert, scheint in der Jetzt-Welt aber kontraproduktiv geworden sein. Wir, die Guten, gegen die anderen, die Bösen, man sieht ja wohin das bei uns führt.
Also kann man auf die Idee kommen, dieses alte Schema aufzubrechen, was ich hier ja gerade versuche. Es ist nicht erstrebenswert, ein guter Mensch zu sein, weil das unsere duale Natur ignoriert, uns moralisch und ethisch überfordert, zu immer stärkeren Spannungen führt, wir so nie Frieden finden werden.
Ich will Eure üblichen Debatten auch nicht länger stören, aber das Thema hat mich gereizt, meine Gedanken dazu zum weiterverwursten darzulegen.
cu
April 21st, 2019 at 04:55
Ich weiß nicht, ob das dazu passt, aber mir ist mal der Gedanke gekommen, dass jeder Mensch das tut, was er für das Richtige hält. Auch wenn er bewusst einen Fehler macht, hält er das dann für das richtige Handeln.
April 21st, 2019 at 08:59
Ich verstehe nicht, warum du dafür keine Zustimmung bekommen solltest?
Kategorien wie gut und böse sind völlig wertlose Einordnungen. Wenn man das was Menschen tun verstehen will, dann muss man deren Motivationen betrachten. Wer handelt denn bitte aus dem Motiv “böse sein zu wollen” heraus, außer vielleicht ein Psychopath? Wobei man den Psychopathen wahrscheinlich noch nicht einmal als eine Kategorie der Persönlichkeitsstörungen hätte, wenn man nicht auch die dahinterstehenden Motive analysiert hätte.
Daher stimme ich dir auch voll darin zu, dass solche Kategorisierungen schlussendlich nur der Gruppenbildungen und Abgrenzungen dienen und damit ein durchaus wirksames Mittel der Propaganda sind, aber mehr eben auch nicht.
April 21st, 2019 at 09:59
Debattenbeitrag von Christian Baron im ‘Freitag’.
April 21st, 2019 at 10:16
Interview mit Gysi:
https://tinyurl.com/y5rbwdvq
April 21st, 2019 at 10:23
@renée: Das betrifft die Handlungsentscheidung auf der individuellen Ebene, die wiederum findet in aller Regel (bei allen Menschen) ohne Beteiligung eines Bewusstseins statt und folgt Bedürfnissen, Phanatasien und Gewohnheiten.
@Yossarian: Ich hatte erstens bislang nicht die Gelegenheit, das einmal in Ruhe so darzulegen wie oben und zweitens haben die Leuz offenbar großer Angst davor, dass es dann nix Gutes und nix Böses mehr gibt bzw. können sich das eh nicht vorstellen.
April 21st, 2019 at 10:35
@Peinhart: Passt ja wie Faust aufs Auge. Nur dieser Schluss …
April 21st, 2019 at 10:37
Nein, du drehst definitiv nicht am Rad. Du hast vollkommen Recht, wenn du das Konzept von ‘Gut und Böse’ komplett in Frage stellst. Gleichzeitig benennst du auch die Stelle an der man ansetzen muss:
Die Logik hält die großartigen Kategorien ‘wahr’ und ‘falsch’ vor, in der Ethik müsste man ‘wahr’ durch ‘richtig’ ersetzen. Das Wahre ist nachweisbar, das Richtige ist durch Konsens entscheidbar.
Die Logik ist ja das Teilgebiet der Mathematik, die es ermöglicht, aus einem Aussagensystem eindeutig die Entscheidung ‘wahr’ oder ‘falsch’ herzuleiten. Kurt Gödel hat in seinem Unvollständigkeitstheorem bewiesen, dass selbst in der Mathematik Aussagen konstruiert werden können, die nicht beweisbar sind. Bei beliebigen Aussagensystemen haben wir aber zwei Eigenschaften, die nicht gleichzeitig erfüllt werden können, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit.
Damit lassen sich aber Wissenschaft von Ideologie (und damit letzlich auch Religion) trennen. Wissenschaft beansprucht Widerspruchsfreiheit, das heißt, es ist immer eine eindeutige Entscheidung über ‘wahr’ und ‘falsch’ möglich. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass ein vollständiges allumassendes Wissen nie erreicht werden kann. Ideologie hingegen beansprucht Vollständigkeit. Und das ist imho auch das Gefährliche an Ideologien, sie sind durch und durch selbstreferentiell und es ist unnütz, dagegen mit logischen Argumenten beizukommen.
In gesellschaftlichen Fragen mit all seinen komplexen Verflechtungen kann durch Konsens eine Entscheidung herbeigeführt werden. Dazu gehört aber als Voraussetzung das Weltbild des Anderen zu akzeptieren, denn erst dann wird es möglich, durch Herausarbeiten des Gemeinsamen eine Grundlage für den Konsens zu schaffen.
Kurt Gödel hat sich im Übrigen auch an einen “Gottesbeweis” gewagt. Ich habe diesen „Beweis“ mal mit einem Freund erörtert und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass dieser „Beweis“ zwar in sich konsistent ist, jedoch einen kleinen, aber entscheidenden Schönheitsfehler hat:
Er setzt als Prämisse „Das Gute“ voraus.
April 21st, 2019 at 10:53
@Leselotte: Nach dem zweiten Absatz habe ich kapituliert. Was ein Depp.
April 21st, 2019 at 12:18
Das Konzept Gut und Böse ist mir schon lange suspekt, genauso wie andere Moralbegriffe wie gerecht und ungerecht.
“Wo es ‘gut’ und ‘böse’ gibt, lauert bereits die Barbarei.”
Muss ich mir merken.
April 21st, 2019 at 12:35
Dieses ganze meta-physische Gesocks halt. :p
April 21st, 2019 at 12:36
Jetzt ist mir auch klar geworden, warum Trump so oft das Wort evil benutzt und damit auch noch Zustimmung findet. Für mich zeugt das exzessive Verwenden dieses Begriffs von mangelnder geistiger Reife, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Politiker hier von vielen ernst genommen würde, wenn er ständig von böse redet.
April 21st, 2019 at 12:42
Ein anregender Artikel, flatter, hier ´n paar Gedanken dazu…
Mein vierjähriger Sohn ist begeistert von Wikingern. Als wir ein Buch über sie aus der Bücherhalle lasen, war er bestürzt darüber, daß sie plünderten und raubten. “Die Wikinger sind ja böse!”
Als wir dann weiterlasen, daß diese Raubzüge die Folge davon waren, daß die skandinavische Landwirtschaft die Bevölkerung nicht mehr ernähren konnte, fasste er es so zusammen: “Die Wikinger waren eigentlich lieb, aber sie wurden böse, weil sie Hunger hatten!” Fand ich gut…
Auf dieser Ebene (der Kinder) machen die Begriffe auch Sinn, es ist “gut” etwas abzugeben, es ist “böse”, etwas wegzunehmen, etc. als klarer Kompass für das Erlernen des sozialen Verhaltens.
Ansonsten sind es höchst relative Begriffe, wie “stark” und “schwach”.Interessant, wie das Phänomen, daß ein Leser sich mit einem Ich-Erzähler identifiziert, auch wenn der die Rolle des Bösen innehat und eigentlich abgelehnt werden müsste. Ich liebe solche Bücher (James Ellroy, etc.), weil sie die Kategorien verwischen und hinterfragen!
Wenn eine Todesschwadron in Bogota Strassenkinder dezimiert, kann ich persönlich mir nichts Böseres vorstellen. Andererseits mag dieses moralische Urteil bei einer eventuellen Auflösung dieser Verhältnisse hinderlich sein? Wer weiß, aber so abgebrüht bin ich nicht…
April 21st, 2019 at 12:55
Ich bin da vollkommen d’accor. Die Frage ist nur, – wie bricht man eine jahrtausendealte Konditionierung der Polarisierungslust auf, die genau auf diesem Konzept beruht?
April 21st, 2019 at 13:03
@21+22:
Das man sich (nichts) “Böse(re)s … vorstellen” kann, weist schon wieder auf das Problem: Es ist eine Vorstellung, und zwar eine, die schon selbst (also ohne dem Ereignis selbst beizuwohnen) somatische Reaktionen auslösen kann. Es ist Grusel, Angst. Bestens geeignet für Geschichten, fatal für Entscheidungen. Es ist nicht bloß Konditionierung – Tabus wie die Über Kannibalismus, Mord und Inzest gehen ja viel tiefer. Es kann auch nicht das Ziel sein, entsprechende Emotionen zu negieren, die auf Millionen Jahren der Evolution beruhen. Es geht darum, sich nicht von ihnen leiten zu lassen, weil sie nicht geeignet sind, zu einer wünschenswerten Ordnung einer komplexen Gesellschaft beizutragen. Ich finde so etwas wie Fußballspiele und Fankultur sehr gut, weil der ganze Schmonz, den wir aus früheren Entwicklungsstufen mit uns herumschleppen, dort prima aufgehoben ist.
April 21st, 2019 at 13:54
@citoyen(16): Einen Gottesbeweis zu versuchen, heißt das Problem von Begriff und Bedeutung zu ignorieren oder sich einen abstrakten Gott zu basteln, auf den dann nur wenige Aspekte dessen zutreffen, die religiöse Gottheiten ausmachen – zumeist beides. Tragisch, dass sich die vermeintlichen Beweisführer damit zu Nützlichen Idioten der Pfaffen machen.
April 21st, 2019 at 13:54
@eb – Ich meine, dass diese ganze dualistisch-gegensätzliche Denkweise tatsächlich eine typisch europäisch-westliche ist. Eine dialektische Denke, die nicht in die Falle des entweder-oder tappt und sich auch bei Betrachtung der ‘Pole’ der letzlich unauflöslichen Einheit des Ganzen bewusst bleibt, ist nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Verstehe ich dich richtig, dass du als Quelle für diese manichäische ‘Polarisierungslust’ eben das Konzept von Gut und Böse annimmst? Warum ist es in anderen Weltgegenden bzw Denktraditionen (Yin-Yang!) anscheinend deutlich weniger verbreitet?
April 21st, 2019 at 14:09
Ich kann die Frage gar nicht recht beantworten, Es mag durchaus sein, dass im Konzept ‘gut/böse’ letzendlich das konzentirert ist, das du “manichäische ‘Polarisierungslust’” nennst. Es kann aber auch davon abweichen oder darüber hinausgehen.
Es ist auch immer schwierig, kulturelle Leitmotive oder Prinzipien quasi auf einen Grund zurückzuführen. Es korrespondieren damit ja auf verschiedenen Ebenen verschiedene Phänomene.
Nehmen wir mal die biologischen: Allein beim Versuch zu verstehen, was phyiologisch “Angst” bedeutet, welche Neurotransmitter dabei im synaptischen Spalt Party feiern, während andere fernbleiben (und dass derweil dieselben Transmitter noch in ganz anderen Bereichen an der Arbeit sind, von der wir noch weniger verstehen), dann kann einem schwindlig werden.
Hingegen lässt sich auf der kulturellen und soziologischen Ebene ganz gut erkennen, welche Wirkung bestimmte Elemente von Kommunikation haben – Narrative, Reizwörter, Emphase, Rhetorik etcetera. Es ist offensichtlich, dass der Dualismus ‘gut/böse’ ein herausragendes Herrschaftsmittel ist, das Identifizieren hilft und zur Parteinahme zwingt. Eine Kultur, die diesen Dualismus pflegt, ist bestens geeignet, stabile Traditionen auszubilden.
April 21st, 2019 at 14:10
Ich denke hier hilft ein wenig die Religion.^^ Nicht eine heuchlerische besserwisserische wie das Christentum, das Judentum oder der Islam, sondern eine logische wie der Buddhismus:
Mal abgesehen von der Gewissheit, dass nichts real ist, nicht mal ein Stein, sondern erst durch unsere Sinne real erscheint, ist die Grunderkenntnis Buddhas, dass alles Leben, so lange geistig gesund, Glück erstreben und Leid vermeiden will. Hierin findet sich die Wahrheit, die Richtig definiert. Natürlich gibt es keine Guten und keine Bösen, es gibt Leute auf dem “richtigen” Weg zur Erleuchtung(Glück) und jene die irren. Niemand, der geistig nicht erkrankt ist, wird sich für sein eigenes Leid entscheiden und somit auch kein Leid verursachen wollen. Denn verursachtes Leid ist immer auch erfahrenes Leid.
Als böse erscheinende Menschen sind schlichtweg zu dumm, ihr eigenes Glück anzustreben.
Grade die westliche Welt braucht die Dummheit um zu existieren. Man könnte es positiver formulieren und sagen die westliche Welt ist eine reine Verklärung der Klarheit, sie lenkt ausschließlich von der Erkenntnis der Wahrheit ab. Nahezu gar nichts an der westlichen Welt hilft bei der Erkenntnis der Wahrheit, außer dem Fehlen von Hunger, Kälte, Hitze und Krankheit. Wenn die Bürger der westlichen Welt die Erkenntnis der Wahrheit erlangen und sich auf Dinge besinnen, die sie wahrhaft glücklich machen, bricht jede dortige Wirtschaft zusammen. Der Westen glaubt und lässt auch nur die Definition von Glück zu, dass auf Leid basiert. Das ist jedoch kein wahrhaftiges Glück. Der Kauf ist realistisch betrachtet das höchste Glück im Westen. Nur, ist das so flüchtig wie Sternschnuppen.
Die allermeisten Menschen können anhaltendes Glück nicht mal erahnen, würden deren Existenz gar abstreiten.
April 21st, 2019 at 14:16
Ich halte meinerseits recht wenig von Konzepten, die auf ‘Glück’ beruhen. Der Begriff ist nicht weniger mythologisch und vermutlich noch offener für Beliebigkeit. Zudem stimme auch hier Žižek zu, der festgestellt hat, dass “anhaltendes Glück” weder erstrebenswert ist noch als Glück empfunden würde.
Die Behauptung, “es gibt Leute auf dem “richtigen” Weg zur Erleuchtung(Glück) und jene die irren.” ist derweil exakt derselbe identifizierende Dualismus.
edith: Ich möchte hier jetzt auch nicht Konzepte des Buddhismus diskutieren.
April 21st, 2019 at 14:25
@Peinhart
Ich müsste lügen, wenn ich eine funktionale Antwort hätte und erst recht, wenn ich nicht zugeben würde, dass man bei dem Thema in alle möglichen terminologischen Fallen tappt, die allesamt und ohne Ausnahme keinen, inklusive mir, von einer dualistisch-gegensätzlichen Denkweise frei sprechen würde. Ob es eine europäische-westliche Denkweise ist, kann ich deshalb erst recht nicht beantworten, denn das trägt das Ding schon wieder selbst in sich. Ich kann geschichtlich temporäre Schwerpunkte sehen, wo diese Denkweise nicht so schlimm vertreten war/ist, wie anderswo, aber auch Zauberer des Yin-Yang nicht von abgrundtiefer Barbarei frei sprechen würden, mich aber wiederum in die Zwangslage bringen, es eben als “schlecht” anzusehen. Auch stimme ich flatter voll zu, – man kann es nicht einfach als Konditionierung sehen, aber eben auch nicht als Konzept. Die unromantische humane Ethik geht vom schlimmsten bis bestem in jedem Menschen aus, und fragt sich über den Humanismus, – wie Menschen, Menschen bei dieser Sachlage Menschen sein können, aber kommt eben an der Polarisierung zwischen “Bestem” und “Schlechtestem” auch nicht vorbei um es zu vermitteln. Mehr wie halbgare bis vielleicht sogar naive reflektive Versuche zur eben Vermittlung von mehr Reflexionsfreude, statt Polarisierungen, kann ich also nicht anbieten.
April 21st, 2019 at 16:23
@Alle – Danke für’s drauf eingehen. @eb – Den Hinweis auf ‘typisch westlich’ entnahm ich Marshall Salins’ schmalem Bändchen ‘The Western Illusion of Human Nature’und finde ihn zumindest ‘tendenziell richtig’. ‘Uns’ scheint dies auch bei den elementarsten Unterscheidungen – Leib-Seele, Individuum-Gesellschaft, Natur-Kultur – immer wieder zu unterlaufen, was dann auch zu so Vorstellungen führen kann, man könne etwa sein Bewusstsein ‘in die Cloud hochladen’ als ob die Leiblichkeit für dieses völlig entbehrlich wäre. Natürlich gibt es auch schon in der griechischen Antike andere, eher ‘ganzheitliche’ Ansätze, die, wie mir scheint, aber immer eher als Nebenstrang mitgelaufen sind und nie wirklich dominant wurden. Und natürlich gibt es auch andernorts ‘Polarisierungslust’.
Physiologisch würde man sie wohl am ehesten im Stammhirn verorten, dem ältesten und ‘primitivsten’ Teil. ‘Typisch westlich’ wäre dann die ziemlich fatale Kombination aus ‘Reptilienhirn’, gepaart mit hoher instrumenteller, aber niedriger empathischer Intelligenz. Wenn man sich die Verheerungen so anschaut, die dieses Denken in nur wenigen Jahrhunderten angerichtet hat…
April 22nd, 2019 at 13:26
Das Problem mit der Idiotie “Gut und Böse” ist einfach das sie die einzige universelle Kategorisierung ist, die weltweit geteilt wird, natürlich immer in unterschiedlicher Weise.
Egal welche Zeit, welche Ideologie, welche Religion sind “Gut und Böse” die ersten Kategorien, die der so sehr Kategorien liebende Mensch kennen lernt.
Kategorien erleichtern den Alltag und befreien von Energie verschwendender Denktätigkeit.
Außerdem sorgen Kategorien dafür, dass ein Mensch sich immer seiner Gruppenzugehörigkeit sicher sein kann, ohne permanentes Feedback anderer Mitglieder.
April 22nd, 2019 at 20:21
OT:
Heute zum ersten Mal Ostermarsch, Altersdurchschnitt lag wohl um die 60.
April 23rd, 2019 at 06:10
OT:
Theo Waigel veröffentlicht Biographie – “Ehrlichkeit ist eine Währung”
Und zwar die Währung, welche man ohne große Anstrengung fälschen kann.
April 23rd, 2019 at 11:18
Ich finde Schmidt-Salomon’s “Jenseits von Gut und Böse” eine recht lesenswerte Lektüre zu dem Thema.
Der entscheidende Punkt ist, wie Flatter schreibt, denke ich die Unterteilung in Gruppen. Die Kategorisierung des Bösen erlaubt eine Entmenschlichung des Anderen. Es erlaubt so den Kampf gegen Dämonen statt gegen Menschen oder auch Sachargumente.
April 24th, 2019 at 10:51
Mir hat das Konzept von gut und böse in politischen Debatten noch nie eingeleuchtet.
Es gibt wenig Dinge im Alltag, die wirklich von allen gleich bewertet werden. Daher muss man, wenn man sich politisch engagieren will (und kein Diktator oder König sein möchte) alle Positionen anhören und zumindest Ansatzweise verstehen. Und am ende eben Kompromisse fnden, die möglichst viele Teilen.
Eine Umgebung in der alle immer die gleiche Ansicht haben, wird es nie geben und wäre sicher auch langweilig. Leider ist aber das Konzept des zuhören und verstehen, ohne das man einer Meinung zustimmen muss, heute nicht sehr beliebt. Im Gegenteil wir leben in einer Zeit in der an allen Orten “die Haltung” verkündet wird und diese gleichzeitig ultima Ratio ist.
April 25th, 2019 at 21:45
Vielleicht sollte man darüber auch mal ein paar Worte verlieren, was diese Moral überhaupt ist und wer die im Alltag wirklich braucht.
Die Anwesenheit von Moral in einem alltäglichen Gespräch merke ich jedenfalls selten. Kann man Moral empfinden? Das Essen ist fad, die Frau ist schön und dein Gesicht passt mir nicht.
Gut oder böse? Will doch kein normaler Mensch wissen oder darüber sprechen. Das ist doch so abstrakt, dass man sich fragt, ob das überhaupt einen Inhalt hat.
Wenn man mal schaut, wer diese moralischen Begriffe intensiv verwendet und zu welchen Zwecken, dann sehen wir das doch auch sehr gehäuft bei der Führung großer Organisationen/Staaten/Kirchen: wenn man abstrakte Handlungs- oder Deutungsmuster etablieren möchte (man könnte auch Ideologie sagen), dann arbeitet man auch gerne mit Moralwörtern.
Führung per Ideologie kann Begriffe wie “gut” und “böse” wunderbar gebrauchen.
April 25th, 2019 at 22:14
Psychologisch betrachtet, sind sie aber ebenso attraktiv. Dir geht es scheiße? Du hast Angst? Ne Mordswut? Schön, dass es das Böse gibt. Töte es, vernichte es, zerstöre es, reiß’ es in Stücke! Schon mal gehabt, das Bedürfnis? Wer nicht? Und dann kommt wer daher und sagt dir, wo du das lassen darfst. Das ist ja keine perfide Idee einer PR-Agentur, das liegt so nahe, dass es nicht zufällig seit Jahrtausenden ‘kultiviert’ ist. Es zu überwinden, ist für den Verstand einfach, aber auch nur dann, wenn er sich von dieser Kultur löst – und damit von verinnerlichten Gruppenzwängen, also ein echt dickes Brett.
Mai 12th, 2019 at 20:53
H. van Veen: Ich liebe jeden Nichtsnutz, jeden Kerl, der frei umherzieht ohne Ziel, der niemands Knecht ist, niemands Herr.
100% richtig
Böse gibts nicht, nur gut und schlecht.
Hört euch mal an, was THE FIXX seit Anfang der 80er zu unseren heutigen Problemen zu singen hat: Built for the future (oder:sieht heutzutage echt scheiße aus, aber die machen schon was richtig geiles draus….).
Trotz wirklich unglaublich schlechter Politik, Medien und der anderen Kacke bleibe ich gerade deswegen ein brennender Leser dieses Blogs. Leider fehlt mir das Rest-Verständnis für all die lebensfernen Kommentare zu den Inhalten hier: Wahrheit ist uninterpretierbar, schon garnicht durch Menschen ohne Phantasie, besser Visionen. Danke für diesen Blog, seinen unermüdlichen Arbeiter und den bunten Input an mich. Love it!!