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2014


 
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Wie verflochten die Probleme sind in einer Welt, in der aus Geld ständig mehr Geld gemacht werden muss, zeigt sich sehr deutlich an der Entwicklung im journalistischen bzw. publizistischen Bereich. Besonders der Umgang mit dem Publikum, Diskussion und Debatte, offenbaren die Entwicklung einer Spirale, auf der sich die Qualität des Journalismus Richtung Nirwana bewegt.

Wir haben durch das Internet einen immensen wirtschaftlichen Druck auf die Verlage, schon allein weil es nicht mehr nötig ist, Zeitungen aus Papier zu lesen. Der Einbruch bei den Einnahmen von Abonnenten und Anzeigenkunden kann nicht aufgefangen werden. In der Folge werden Journalisten entlassen oder – schlimmer noch für die Qualität – so schlecht bezahlt, dass sie sich den Luxus von Recherche und Gründlichkeit nicht mehr leisten können. Zudem sitzt allen die Angst im Nacken, den Job zu verlieren. Das fördert nicht gerade den Mut zur Kritik.

Nachtbereitschaft?

Eine der Errungenschaften des Internets ist die Möglichkeit für Publizisten, mit ihren Lesern in Kontakt zu treten. Das ist die Domäne der Blogger, die aus Leidenschaft schreiben und ihrer Leserschaft für die Diskussion als Autoren zur Verfügung stehen. Eine solche Möglichkeit haben die Verlage nicht. Alles, was sie bislang in dieser Richtung getan haben, ist nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen, so dass sie zunehmend lieber auf die Diskussion verzichten.

Wie auch immer dies ein Armutszeugnis für die betreffenden Redaktionen ist, so steht dahinter aber auch ein Problem, das unter den gegebenen Umständen nicht lösbar ist: Man kann nämlich niemanden bezahlen für die Arbeit, die Blogger ganz selbstverständlich leisten. Die Zeitspanne, in der Blogger ihre Blogs betreuen, wäre schon als Bereitschaftsdienst unfinanzierbar. Der Aufwand, den die Diskussion bedeutet, kann nicht zur Arbeitszeit werden.

Andererseits kann es auch nicht hingenommen werden, dass Journalisten sich bereit erklären, 24/7 für ihre Verlage im Einsatz zu sein. Schon die Betreuung von Diskussionen als Job im Job würde entweder die Kassen sprengen oder bedeuten, dass solche Autoren für einen sittenwidrigen Stundenlohn arbeiten. Dieser würde wiederum Druck auf die Gehälter des ganzen Standes bewirken. Im Kapitalismus vulgo Marktwirtschaft® ist ein wirklich interaktiver Journalismus nicht organisierbar.

Kapitalismus ohne Markt®

Blogger können also von ihrer Arbeit niemals leben, wenn sie denn ernsthaft welche sind und sich der Diskussion stellen. Das geht nämlich nicht ein bis zwei Stunden täglich, sondern es erfordert eine Dauerpräsenz, auch wenn man nur sporadisch die Diskussion aufruft. Gerade wenn eine solche aber lebhaft läuft, kann man nicht Feierabend machen, schon gar nicht regelmäßig. Modelle, die das Beste beider Welten versucht haben – in der Regel durch roboterhafte Moderation, freie Fahrt für freie Trolle oder Praktikanten im Tageseinsatz, sind kläglich gescheitert.

Hier ist eine weitere Tätigkeit, für die Bedarf besteht, die aber eben nicht verwertbar ist und ihren Akteuren daher nicht das Brot zum Essen einbringt. Wir haben hier eigentlich alles, was Markt® angeblich ausmacht: Angebot, Nachfrage und Produktion. Aber alles, was die Produzierenden in diesem System einfahren, sind Almosen oder Einnahmen aus Werbung, die wiederum alles konterkariert, wofür diese Form des Publizierens steht – und obendrein auch kaum etwas einbringt.

p.s.: Für die Unterstützung meiner Arbeit möchte ich mich bei dieser Gelegenheit wieder einmal herzlich bei allen großzügigen Spender/innen bedanken.

 
Ich möchte hier eine Diskussion aufgreifen, die Pantoufle bei sich angeleiert hat und mit einem Zitat von ihm anheben:

Niemand ist gezwungen, dem Geschrei eines Ken Jebsen zu lauschen so wenig wie denen hysterisch kreischender Blogs und Netzwerke. Dort sitzt die eigentliche Minderheit, die Stimmen, die niemand ohne rot zu werden zitieren mag

In der Diskussion dazu habe ich folgendes gesagt:

“Ich finde Jebsen unerträglich, und es bedarf keiner Kampagnen, um seine Texte ihrer Tendenzen zu überführen. Er arbeitet permanent mit Assoziationen, an die sich alles Mögliche hängen lässt, in denen auch Neonazis finden, was sie gern hören. Das ist die primäre Technik von Demagogen, dass sie mehrdeutig bleiben, es ist die von Trollen, derart Aufmerksamkeit zu erregen und eine Diskussion in die Endlosschleife zu schicken, weil sie nicht eindeutig Position beziehen.

Überreden, über Reden reden

Ich will daher (und werde es auch nicht) hier nicht über Jebsen diskutieren(!), sondern diese strategische ‘Offenheit’ auf die sogenannten “Friedensdemos” beziehen. Sie sind genauso abstrakt wie das Gelaber der Demagogen. Die großen Friedensdemos und -Aktivitäten wie oben [Siehe Artikel in der "Schrottpresse"] benannt, hatten konkrete Anlässe und Ziele. Ende der Irakkriege, Ende des Wettrüstens, gegen den NATO-Doppelbeschluss. Da kann man ganz klar sagen: Ich will das jetzt und das jetzt nicht. Dann geht man hin oder lässt es. Aber irgendwie für Frieden sein, irgendwie gegen irgendeinen Kapitalismus, dann halt auch gegen Wucherer und Israelis und dann doch wieder jüdische Politiker und Bänker, das ist Bullshit. Einen Pudding muss niemand spalten.

Wenn ich jemandes Meinung hören will und sie (weiter) publizieren, dann weil sie mir etwas sagt, ich etwas daraus lernen kann, sie konkret ablehne oder befürworte. Die Trolle, die ewig durch die Diskussionen gerollt werden, bringen nichts auf die Beine und kein Denken oder Tun weiter. Ihre größten Kompetenzen sind ihre Eitelkeit und ihr Talent, Ablehnung zu provozieren, aus deren Ablehnung sie ihren Zuspruch beziehen. Das braucht kein Mensch.
Also meine Bitte: Formuliert konkrete Forderungen und Ziele, wenn ihr etwas bewegen wollt. Dann spart man sich das Gekeile um die Frage, was solche B-Promis eigentlich meinen und was nicht.”.

Hier kommen einige Dinge zusammen, die es wert sind, einmal verdichtet formuliert zu werden. Wie auf allen Ebenen in politischen Auseinandersetzungen wird zuerst einmal personalisiert, was ich immer sehr bedauerlich finde. Ich möchte mich mit Inhalten befassen; für mich heißt “Meinung” so, weil es meine ist. Ich habe sie nicht geliehen oder kopiert, und ich will mich auch nicht mit Leihmeinungen befassen. Leider bilden sich aber ständig Gruppen, die sich einer Meinungsführerschaft anschließen.

Leihmeinungen

Jemand hört eine Rede, die ihn überzeugt und lobt den Redner. Prompt kommt ein anderer und sagt: Der Mann ist schlecht, den kannst du nicht zitieren. Reflexhaft wird sich dann verteidigt, und schon bilden sich Fronten. Das gelingt wie gesagt am besten nicht durch kluge Reden, sondern durch demagogische. Man muss sich aber nicht schämen, jemandes Rede gut gefunden zu haben, der sich als Hanswurst entpuppt. Hört auf euch mit Großmäulern zu identifizieren! Ich selbst bin einmal auf Peer Steinbrück hereingefallen, no shit. Ich habe ihn aber nie verteidigen müssen, denn dass einer ein Lügner ist, kann immer sein.

Ich halte schließlich dagegen, dass in Blogs außer Trollen und “Liken” nichts gewesen ist. Im Gegenteil werden sich zwar immer jene Halbhirne die Kelle geben, die sich nie langweilen, weil für sie mangels Möblierung im Oberstübchen jede Runde die erste ist. Der Rest wird auf die Dauer aber weiterziehen. Vielleicht sind es wenige, die sich weiterentwickeln wollen, aber die werden sicher ihre Plätzchen finden, an denen echte Diskussionen stattfinden. Wo nicht, werden halt Clubfähnchen geschwenkt. Die halten aber weder Geist noch Hunger auf. So what?

 
pling

Die Mehrheit der Deutschen habe Probleme mit der Linkspartei und einem Ministerpräsidenten aus deren Reihen, weil diese sich nicht von der DDR-Vergangenheit gelöst habe, so lese ich und lese ich, bis ich es auswendig kann. Es ist müßig, sich immer und immer wieder selbst zu wiederholen, aber noch einmal: Was ist das für ein hohles Selbstverständnis, wenn die Herrscher der Öffentlichkeit nicht einmal mehr erwägen, dass solche ‘Meinungen’ mit dem zu tun haben, was die Gefragten zuvor gehört und gelesen haben?

Hier ist der erste Schritt zur Wissenschaft entscheidend: Das wissen-Wollen, das unmittelbar zum Fragen führt, zum Nachfragen nämlich. Wenn ich wissen will, wie die Probanden zu ihrer Einstellung kommen, wenn ich wissen will, ob sie da vielleicht einfach etwas nachplappern oder ankreuzen, was man ihnen zuvor förmlich eingetrichtert hat, frage ich nach. Ich prüfe, ob sie überhaupt verstehen, was sie da sagen. Einfache Frage: Inwiefern hat sich da wer von seiner DDR-Vergangenheit nicht gelöst? Worin zeigt sich das? Wetten, da kommt nur heiße Luft mit Mundgeruch?

Ewig hallt die Grotte

Oder anders: Was hat Bodo Ramelow denn in der DDR so gemacht? Ich wäre auf die Antworten nur zu gespannt, denn Ramelow war Bürger der BRD. So einfach ist Wissenschaft. Wissenschaft, da bin ich mir sogar mit meinem Erzgegner Popper einig, ist zuerst die Kunst des Ausschlusses. “Falsifikation” heißt das. Man stellt fest, ob etwas falsch ist, die Wahrheit muss sich dann woanders befinden. Ich versuche also Aussagen, die ich zu veröffentlichen drohe, ihrer Falschheit zu überführen. Wenn mir das gelingt, halte ich die Klappe.

Nicht so die Presse und ihr Widerhall Zwo Null. Seit Wochen lese ich jeden Tag Aussagen von Fachexperten der neoliberalen Konkurrenz, den Stuss über eine DDR-Vergangenheit; die alten Lügen, die noch 25 Jahre ‘danach’ verschweigen, wo die Stalinisten der Ost-CDU, der Bauernpartei und der LDPD zum Beispiel alle geblieben sind. Kein Wort davon. Dafür wird ein alter Sozialdemokrat zum SED-Büttel verklärt, als seien wir wieder in den Sechzigern. Und nachdem also dieser Quatsch täglich verbreitet wurde in dieser Republik der Wendehälse im Kanzler- und Präsidentenamt, dieser aschhkalten Ära von Kommunistenfeinden und Russenhassern, da wird er wieder eingeholt und als ‘Meinung’ verkauft. Das macht mich nur noch müde. Unendlich müde.

 
screws

Neulich schrieb ich, es werde einsam. Gemeint war damit die Einsicht, dass linke Blogs und Publizisten demselben Niveauverlust anheimfallen wie die allgemeine politische Geschwätzigkeit. Es scheint nur mehr wichtig zu sein, sich irgendwie zu äußern, seine Meinung zu wiederholen oder abstrakte Statements abzugeben, anstatt zu analysieren, sich zu streiten und nach anderen Lösungen zu suchen als denen, die seit Jahrzehnten nichts taugen.

Ich muss hier einmal kurz den Begriff “abstrakt” erläutern, denn er ist wichtig in der Debatte: Eine abstrakte Äußerung ist eine, die ohne Zusammenhang ist. ‘Meinungen’, die unter jeden Text passen, Phrasensammlungen, die zu jedem Thema abgegeben werden können. Abstrakte Beiträge gehen nicht auf konkrete Probleme ein und scheuen die exakte Analyse, sie konfrontieren die Lösung nicht mit der Erfahrung oder dem Problem. Hier ein Beispiel:

Wie sich im Zweiten Weltkrieg gezeigt hat, sind die Russen ein überaus leidensfähiges Volk. Aber aufgrund der Sanktionen und der Hetze der westlichen Politiker und ihrer Medien hat der Nationalismus im Land inzwischen stark zugenommen.

Diese Russen …

Der erste Satz ist so ein dummes Klischee, dass es für Lehrbücher taugt. Das abstrakte Geschwätz entzieht sich jeder Nachfrage: Inwiefern hat es sich “im Zweiten Weltkrieg gezeigt”? Was davon ist auf die heutige Situation übertragbar? Was ist dabei spezifisch für “die Russen”; da es damals die Sowjetunion war, die von den Nazis überfallen wurde – gilt das auch für die anderen betroffenen Völker der SU? Was genau bedeutet “leidensfähig”? Was wäre anders gewesen, wären “die Russen” nicht “überaus leidensfähig” gewesen? Nichts in diesem Satz hat irgend einen Bezug zur Realität.

Der nächste Satz ist nicht besser. Es beginnt schon damit, dass eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes kaum möglich ist. Inwiefern hat “der Nationalismus stark zugenommen”? Woran ist das erkennbar? Wie ist der zeitliche Ablauf dieser Zunahme? Woran erkennt man, dass “die Sanktionen” und die “Hetze” dafür ursächlich sind? Schließlich: Selbst wenn belegbar wäre, dass ein Nationalismus zugenommen hätte, wie sind dann die Ursachen (Sanktionen/Hetze) zu isolieren, wie kann man andere Ursachen ausschließen?

Hier wird eine Behauptung an die andere gereiht, mit großem Tamtan, ohne dass Belege dafür auch nur denkbar sind. Ich bin nicht gegen Behauptungen, die nicht alle einzeln belegt werden, das geht in der Debatte auch gar nicht, aber sie müssen zumindest belegbar sein. Wenn sie hingegen erkennen lassen, dass ein solcher Beleg gar nicht erbracht werden soll, sondern jemand hier einfach sein Weltbild ausrollt und auf Zustimmung hofft, ist das genau die blöde Propaganda, die die Rechten jederzeit besser bedienen.

Ich könnte den ganzen Text derart zersägen, aber wer will so etwas lesen? Ich komme daher zum Lösungsvorschlag von der Resterampe, die das Gros linker Reformer beliefert, jenes unerträgliche “Man müsste nur” und den täglich dümmer werdenden Glauben, es seien Personen, die für die Weltlage verantwortlich seien:

Charismatische Führer

Ich habe in meinem Buch geschrieben, dass ich den USA Politiker wünsche, die endlich einmal das eigene Land als Interventionsfall erkennen. [...]
Den Staaten Europas wünsche ich vor allem fähigere Politiker, Persönlichkeiten nämlich, die sich nicht in die verhängnisvolle Politik der US-Eliten einbinden lassen, sondern sich stattdessen auf die Souveränität ihrer Staaten besinnen und die Interessen der Bevölkerung in den Blick nehmen.

Das eigene Land, die Souveränität des Staates und fähige Politiker gibt es bei Wünschdirwas, und dann wird alles gut. Er wünscht sich vor allem eine Welt, in der seine Helden die Geschicke bestimmen. Ich hätte da ein paar Beispiele für solche Helden:

Schröder/Fischer, die ihren Souverän zur Plünderung freigegeben haben und ihre Arbeiterwähler versklaven ließen. Obama, der Friedensengel, der so viele Kriege führt wie keiner vor ihm. Hollande, der mit furchterregender Reichensteuer anhob und bei neoliberalen ‘Reformen’ landete. Gabriel, der als TTIP-Gegner seine Partei so lange Konvent spielen lässt, bis der endlich TTIP zustimmt. Die Liste lässt sich bei vermeintlich fähigen Politikern mit guten Absichten verlängern, bis die Rolle voll ist. Na ja, man kann auch standhaft bleiben wie Herr Lafontaine, der “gefährlichste Mann Europas”, “Populist” und Zerstörer der Marktwirtschaft.

Wer da kein Muster erkennt, will nicht. Wer da nicht fragt, wie die Macht tatsächlich wirkt, ist entweder zu dumm oder hat andere Gründe, sich nicht damit zu befassen. Wer das Austauschen von Personen oder das Wirken eines Willens als Lösung für politische und wirtschaftliche Probleme vorschlägt, sollte besser zum fliegenden Spaghettimonster beten, das macht wenigstens Spaß. So ein Stuss wie da oben zitiert, bettelt jedenfalls nur um Ohrfeigen.

 
pksk

Die anderen sagen doch auch dauernd dasselbe!

“Planwirtschaft hat erst im Internetzeitalter Aussicht auf Erfolg, und erst die technische Produktivität, die durch die IT (und anderes) möglich wurde, setzt auch solche Gesellschaften in den Stand ausreichend zu produzieren, die nicht auf Ausbeutung und Imperialismus beruhen.

Im Ost-Sozialismus war die Planwirtschaft eine Krücke, man hat nicht einmal das Geld oder eine hierarchische Struktur abgeschafft. Während im Osten der Stalinismus nicht überzeugte, überzeugten im Westen Holocaust, Vietnam und die Ausbeutung der südlichen Kontinente.

Heute überzeugen nicht mehr: Griechenland, Portugal, Spanien … Alle zu faul oder zu doof die Anreize zu kapieren. Oder warte, das sind “Auswüchse”. Je mehr ich dieses Geschwätz höre, desto mehr überzeugt mich das Modell einer kommunal basierten Planwirtschaft mit streng subsidiären Strukturen. Was soll daran eigentlich nicht funktionieren?”

Und das Geschwätz der anderen

Ich halte bekanntermaßen gar nichts von der argumentativen Baseballkeule, man solle doch erst mal Alternativen aufbieten, ehe man etwas kritisiere. Dieses Argument ist schon deshalb dämlich, weil es immer eine gibt, nämlich das zu lassen, was gerade getan wird. Wenn ich auf eine Mauer zurase, ist Bremsen eine Alternative. Die Raser werden freilich sagen, das sei ja nu wohl komplett bescheuert, denn die Bremse würde soundso heiß werden und überhaupt komme man derart nicht voran und so eine Bremse bringt ja gar nichts, wenn der Motor auf Höchstleistung röhrt. Einfach erst mal kein Gas mehr geben ist da natürlich keine Alternative, das ist einfach nur anti.

Was mich wirklich nervt, ist dass im politischen Dauerkarneval überhaupt keine Ideen mehr diskutiert werden, weder alte noch neue, weil sich die Narrenschiffe entweder windschlüpfrig ins Kapital einschmiegen oder ohnehin nur die Bühne für bizarre seelische Störungen des Elferrats bieten. Während die „Linke“ in Richtung Atlantik segelt, sind die „Piraten“ gleich beim Stapellauf auf die Klippe geschrotet; nicht zuletzt, weil sie keine Ahnung haben, welches Potential in der Idee einer netzaffinen Bewegung steckt.

Nicht nur wären die Piraten prädestiniert, das Verhältnis der marktkonformen Staaten zur kommenden Diktatur zu thematisieren, es obläge auch ihnen, Alternative Ökonomien zu skizzieren, die auf völlig neuen Ansätzen von Planung beruhen. Für die schwächeren Mitschüler sei hier angemerkt, dass im Kapitalismus noch mehr geplant wird als in der sogenannten „Planwirtschaft“, also nicht gleich krakeelen, bitte!

 
dt

Ich möchte es einfach einmal aufschreiben, weil es mich nervt. Es sind keine neuen Erkenntnisse, es ist nicht vollständig und auch nicht die Quintessenz, vielmehr sind es ein paar Binsenweisheiten, die man beachten muss, um sich nicht zum publizistischen Vollhorst zu machen. Kann aber scheinbar niemand mehr. Die Journaille, die sich für ihr grottiges Ejakulat noch mit Medaillen behängt ebenso wenig wie die ach so alternativen Fuzzis aus jedem Krawallblog, die glauben, es genau so gut zu können. Dabei könnten die wenigstens an der Stelle, wo sie damit recht haben, einmal kurz innehalten.

Es gibt so einiges, das ist von der Sorte ‘Tut man nicht’, und das heißt so, weil man es nicht tut. Das ist zum Beispiel abschreiben. Tut man nicht. Niemals. Wenn ich eine Meldung lese, habe ich der gefälligst zu misstrauen. Wenn sie nicht in mein Weltbild passt, bin ich misstrauisch, weil ich mir das nicht zufällig zusammengebaut habe. Ich halte Dinge für wahr, möglich, wahrscheinlich, unwahrscheinlich, unmöglich oder unwahr. Was da weiter rechts angesiedelt ist, macht mich stutzig.

Cogito ergo sum

Wenn ich etwas erfahre, das mein Weltbild stark bestätigt, – HALLO, ZUHÖREN! – dann macht mich das stutzig. Weil ich mir nicht traue. Ich bin ein Mensch, ich habe Neigungen, die meinen Verstand beeinträchtigen. Kritisch bin ich, wenn ich mich selbst anzweifle. Was mich bestätigt, hat daher geprüft zu werden, als sei es unmöglich. Gibt es noch andere Quellen? Hat meine einen Grund, das so und nicht anders darzustellen? Haben die, auf die ich mich beziehe, schon einmal gelogen? Ja, das ist ein anderes Geschäft als irgendwen zu zitieren, nicht wahr? Da ist der Copy and Paste-Hanswurst schon lange fertig, wo die Arbeit eigentlich beginnt.

Propaganda zum Beispiel, macht man nicht! Wenn ich eine öffentliche Meinung verstärke, dann ist das Propaganda, nichts anderes. Wenn die Medien voll sind mit Meldungen, dass Loriot ein furchtbarer Schurke ist, dann habe ich alles Mögliche im Sinn, aber nicht zu erzählen, wie furchtbar der Superschurke Loriot ist. Ich schreibe keine Anti-Loriot-Appelle¹, niemals, denn das ist Propaganda. Ich äußere mich niemals über Schurkereien von Loriot, die ich nicht für zweifelsfrei bewiesen halte, denn das wäre üble Propaganda. Im Gegenteil habe ich den Anspruch, nur etwas zu sagen, wenn es eine Sache aus einer neuen Perspektive beschreibt oder neue Fakten enthält. Sei es auch nur mein Ärger, dann habe ich das aber genau so deklarieren.

Womit wir bei Transparenz sind: Das Einzige, das nicht zur Informationspflicht gehört, sind Quellen, deren Wohlergehen sonst gefährdet wäre. Alles andere wird offengelegt, vor allem von mir selbst: was mich bewegt, warum ich etwas sage, wie ich denke, wie ich dazu komme, was mich treibt, wer mich beeinflusst, wer mich bezahlt. Alles andere läuft auf Propaganda hinaus. Ich kann mich auch irren, dann sage ich auch das, und zwar sobald ich meinen Irrtum feststelle. Das ist ganz einfach, wenn man sich selbst nicht für wichtiger hält als die Nachricht oder den Kommentar.

Das Urteil

Womit wir abschließend bei dem sind. Ein Kommentar darf fast alles, aber nur, wenn das da oben beachtet wird. Sonst ist er Propaganda. Der Kommentar ist die höchste Kunst, die das höchste Risiko birgt, in miserabelste Propaganda abzurutschen. Ein Kommentar ist ein Urteil, meist sogar eine Sammlung von Urteilen. Die lässt man nicht ab, wenn man sich nicht in die blutigen Abgründe des Zweifels begeben hat. Was zweifelhaft ist, muss zweifelhaft bleiben, der Rest ist die Wahrheit. Wenn einer dann ein verurteilter Hanswurst ist, darf man ihn so nennen. Wenn etwas skandalös ist, darf man Konsequenzen fordern.

Aber gerade hier gilt: Wenn ich mich geirrt habe, muss ich meinen Irrtum lauter beklagen als ich vorher andere angeklagt habe. Ich muss deutlich machen, dass, worin und warum ich mich geirrt habe. Ich muss mir und anderen die Gelegenheit geben, aus solchen Fehlern zu lernen, und ich selbst habe die verdammte Pflicht dazu.

So, und dann sagt mir mal, wo diese Maßstäbe gelten? Ich weiß, es ist traurig, aber wenn wir sie aufgeben, bleibt irgendwann nichts mehr außer Hetze und Geschrei.

¹: Für Schlaumeier ergänzend angemerkt: selbstverständlich schreibe ich auch keine Pro-Appelle oder Elogen jedweder Art. Muss ich erwähnen, dass das Propaganda wäre?

 
Die amerikanische Justiz – womit ich das gesamte sogenannte Rechtssystem meine – ist nicht einzigartig, wenngleich ihr Rassismus besonders hervorsticht. Letzteres auch eher deshalb, weil unter der Herrschaft der Weißen besonders viele Farbige zu leiden haben und weil die weiße Mehrheit wankt. Nicht ihre Dominanz, aber ihre Anzahl.

Polizeibrutalität, gerade in Kombination mit Rassismus, ist weit verbreitet, vor allem in von Weißen dominierten Ländern. Deutschland muss sich da keineswegs verstecken, auch hier sind nicht nur grausame Verbrechen durch Polizisten begangen worden. Auch hier wurden sie oft nicht behandelt wie Verbrechen. Vor allem aber besteht hier das bekannte Konglomerat aus Nazis und Geheimdiensten sowie Schnüffelabteilungen der Polizei. Diese Stasi von Rechts ist ganz selbstverständlich rassistisch, aber das ist nicht das vordringliche Problem.

Grenzen aufzeigen

Dass in Ferguson der freiberufliche Henker in Uniform, der einen schwarzen Teenager auf offener Straße hingerichtet hat, während der die Hände erhoben hatte, nicht einmal angeklagt wird, ist natürlich ein beachtlicher Vorgang. Dass neun Weiße und drei Schwarze in der Jury saßen, noch völlig normal. Die Argumente hätte ich allerdings gern einmal gehört, die dort ausgetauscht wurden.

Was tun, wenn der Staat im Staate zu offenem Rechtsbruch übergeht? Was tun, wenn von Staatsbediensteten unverhohlen Verbrechen begangen werden, gar Morde auf offener Straße, die nicht einmal mehr zur Anklage kommen? Was tun, wenn ihre Verbrechen gedeckt werden, wo sie nicht vertuscht werden können, wenn mit den Opfern jeder Anstand am Boden liegend zusammengetreten wird?

Die Bürger in Ferguson haben eine Antwort gegeben, und es ist Zeit offen zu diskutieren, ob diese Reaktion nicht die richtige ist. Es gibt reichlich Gewalt, die Aufmerksamkeit erzeugt und die eine Grenze aufzeigt. Hier wehren sich, wenn auch ungeordnet und ohne klares Ziel, Menschen gegen eine brutale Staatsmacht, die es nicht mehr für nötig hält, sich zu legitimieren. Wie sonst soll der Mob gestoppt werden, der unter dem Schutz des Staates die Bürger terrorisiert? Sicher nicht durch Gebete und Lichterketten. Gewalt ist keine Lösung, wenn man sie reflexhaft ablehnt.

 
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In den Kommentaren kamen wir jüngst zu dem Problem, dass eine Art Privatisierung von Schuld bzw. (Eigen-)Verantwortung durch den Staat stattfindet. Das heißt konkret, dass systemisch bedingte Vorgänge zur Schuld Einzelner umgedeutet werden. Je weniger Handlungsspielraum die ‘Freien’, die Bürger noch haben, desto mehr wird ihnen aufgebürdet, jede Fehlfunktion in ihrer Wirtschaftsbiographie wird ihnen als persönliche Schuld untergejubelt, bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen. Wohlgemerkt: in Fällen, in denen sie sich dem Zwang beugen, unter dem sie im System stehen.

Wie schon gelegentlich hier angemerkt, ist der Sport immer wieder für eine Illustration politischer Vorgänge gut. Diesmal habe ich ein besonders drastisches Beispiel, wo nämlich Sportler unmittelbar zu Kriminellen gemacht werden, wenn sie sich dem Leistungsdruck beugen bzw. von den reichhaltigen Angeboten ihrer ‘Arbeitgeber’ Gebrauch machen, ihren Körper fit zu halten. Es geht wieder einmal um Doping. Dazu liegt ein kabarettreifer Referentenentwurf des Justizministeriums vor. Der nimmt sich die Muße, in epischer Breite Ideologie zu zementieren anstatt das Strafrecht auf Straftaten zu beschränken:

Dem Deutschen Volkssporte

Der Sport hat in Deutschland herausragende gesellschaftliche Bedeutung. Er verkörpert positive Werte wie Erhaltung der Gesundheit, Leistungsbereitschaft, Fairness und Teamgeist. Er schafft Vorbilder für junge Menschen und ist durch die Sportlerinnen und Sportler mit ihren Spitzenleistungen zugleich Aushängeschild für Deutschland in der Welt. Bund, Länder und Kommunen unterstützen ihn deshalb umfangreich mit öffentlichen Mitteln. Daneben ist der Sport auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor.Vor diesem Hintergrund besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Sport vor negativen Einflüssen und Entwicklungen zu bewahren.”

Da kann man sich die Kopfhaut gar nicht wund genug kratzen. Ein romantisches Bild von Werten und ihrer Vermittlung, Leistungsideologie, nationalistisch-außenpolitischer Funktion des Sports (“Aushängeschild für Deutschland in der Welt”!) im vermeintlichen Einklang mit wirtschaftlichen Interessen. Das also sei zu schützen – und zwar durch strafrechtliche Konsequenzen für Sportler.

In einem stilistisch holprigen Artikel, der traurigerweise ebenfalls zu kruden Vorstellungen persönlicher Entscheidungsfreiheit kommt (“Jeder Sportler muss für sich selber die ethische Entscheidung treffen, ob er Mittel nimmt oder nicht.“) zeigt der “Freitag” juristische Probleme auf, die damit verbunden wären. Allein diese machen den Gesetzentwurf schon zur Farce und sind ein weiterer Tritt gegen rechtsstaatliche Prinzipien.

Du bist Deutschland schuld

Was aber schwerer wiegt, ist eine ausgesprochen politisch-ideologische Begründung für einen schweren Eingriff ins Strafrecht. Kaum nötig zu betonen, dass die schnöde Wirklichkeit hier außen vor bleiben muss. Aus dem Radsport wissen wir, dass ein Konglomerat aus Sponsoren, Veranstaltern und sogenannten “Teams” die Sportler nicht nur mit Dopingmitteln versorgt, sondern dass es Berufssportlern unmöglich ist, im bestehenden System ihren Job zu machen, wenn sie nicht dopen. Das ist in anderen Sportarten, vermutlich im gesamten Leistungssport, genau so.

Nicht nur, dass also die wirtschaftliche Grundlage der Sportler/innen jederzeit kollabieren kann, wenn sie überführt werden, weil sie tun, was alle tun. Künftig sollen sie dafür in den Knast wandern. Weil, siehe oben, sie dann eine Schande sind für “für Deutschland in der Welt”. Weil die Einzelnen in ihrer Eigenverantwortung Fairness, Teamgeist und Leistung zu verkörpern haben, ganz gleich wie unfair, gnadenlos und verpfuscht sich das Geschacher gestaltet, in dessen Nahrungskette sie ganz am Ende stehen. Man muss doch nur die Sportler zur Verantwortung (er)ziehen, dann wird alles besser. Ja sicher!

 
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Wir wissen heute, dass das Böseste, oder das “radikal Böse” mit solch menschlich begreifbaren, sündigen Motiven wie Selbstsucht gar nichts mehr zu tun hat. Es hat viel mehr mit dem Folgephänomen zu tun: Der Überflüssigmachung des Menschen als Menschen. Das gesamte System der Konzentrationslager war darauf ausgerichtet, die Gefangen davon zu überzeugen, dass sie überflüssig waren bevor sie umgebracht wurden.
In den Konzentrationslagern mussten die Menschen lernen, dass Strafe keinen Sinnzusammenhang mit einem Vergehen haben muss, dass Ausbeutung niemandem Profit bringen muss, und dass Arbeit kein Ergebnis zu zeitigen braucht. Das Lager ist ein Ort, wo jede Handlung und jede Regung prinzipiell sinnlos wird. Wo mit anderen Worten Sinnlosigkeit direkt erzeugt wird.

Die Figur Hannah Arendt nach Margarethe von Trotta.

Dieses ‘Böse’ kommt nicht ungefähr, es hat eine Genese, einen Aufbau. Es gibt grausame Experimente mit Ratten und Hunden, in denen ihnen jede Orientierung genommen wird; das Ganze im Dienste einer sogenannten “Psychologie”. In einem werden die Käfige, in denen Ratten leben, teilweise unter Strom gesetzt, so dass die Tiere in Bereiche fliehen können, in denen sie keine Stromschläge erhalten. Nach und nach wird ihnen dies unmöglich gemacht, es ist kein Muster mehr zu erkennen. Die Ratten resignieren irgendwann und bleiben apathisch liegen. Hunde werden in Verbindung mit bestimmten Signalen ‘bestraft’ bzw. gefüttert. Diese Signale werden allmählich einander angenähert, bis die Unterscheidung nicht mehr gelingt. Auch diese Hunde werden irre.

Restmenschrampe, Wegwerfware

Man könnte jetzt das Thema um die Experimente selbst erweitern, zumal die Mengeles ihrem destruktiven Sadismus freien Lauf ließen. Niemand braucht solche ‘Experimente’, deren Ausgang nur zu vorhersehbar ist. Worum geht es aber? Es ist das Absurde, das allein der Macht ihre volle Entfaltung verleiht. Jemanden zu strafen für bestimmte Handlungen, sei das Regime auch noch so streng und gnadenlos, lässt dem Delinquenten eine Wahl. Es lässt ihm eine Ordnung, an die er sich halten kann – sogar meist eine sehr einfache. Es lässt ihm einen Einfluss und schränkt den der Macht ein.

Erst der Verlust von Sinn, Zweck und Ordnung, das Zusammenbrechen aller möglichen Welten, macht die Macht komplett. Der Restmensch, den das übrig lässt, ist Müll. Es gibt keine Würde mehr, weil es keinen Bezug gibt, in dem sie eine Rolle spielt, keine Sprache, in der noch genügend Ordnung wäre, um den Begriff mit Bedeutung zu füllen. Die Restmenschen unter der totalen Macht sind Anhängsel derselben, Exemplare der Beherrschten ohne eigenen Wert, einer wie der andere.

Diese Gleichheit im Sinnlosen schafft sich dabei nicht selbst, sie entsteht nicht aus dem Nichts. Sie nährt sich vielmehr aus den Erfahrungen sinnloser Unterwerfung, hoffnungsloser Niederlagen und verblasster Ohnmacht, die im Trüben nach Genugtuung lechzt. Erfahrungen, die viele Menschen machen, vielleicht die meisten, und die viele nicht verarbeiten können.

Kleine Rächer

Solche Erfahrungen treiben zur Wiederholung in umgekehrten Rollen. Der Gedemütigte identifiziert sich unbewusst mit seinem Peiniger und rächt sich an Unschuldigen. Zur Hand geht ihm dabei die Ordnung, wo sie am wenigsten eine ist: Das Gesetz, die Verordnung, die ihrem angeblichen Ziel Hohn spricht. Das ‘Gemeingut’, das allen schadet, das Mittel, das keinen Zweck mehr findet, der es heiligen könnte.

“Wir tun nur unsere Pflicht”, “Da könnte ja jeder kommen”, “Sie haben das selbst so entschieden”, “Das hätten sie wissen können” – die Sätze, in denen Entscheidungen legitimiert werden, gegen die kein Argument hilft, weil sie sinnlos sind und die schiere Unausweichlichkeit der Macht zum Ausdruck bringen, sie gehören längst zum Alltag. Der größte Apparat zur Unterdrückung und Gängelung firmiert heute unter dem Begriff “Eigenverantwortung”. Wir kennen sie alle, die grassierenden Vokabeln des Neusprechs, die das eine sagen und das andere meinen, wann immer es der Herrschaft gefällt.

Es ist kein Zufall, dass aus dem Zerfall von Ordnungen die schlimmsten Gewaltherrschaften entstehen. Nicht bloß, weil sich eine Kaste von Privilegierten mit Gewalt an der Macht hält, sondern weil das Zerbröseln der verkrusteten Ordnung immer windschiefere Rechtfertigungen liefert. Wer sich in dieser Ordnung noch etabliert, ist zu allem bereit und fragt nicht mehr nach Sinn oder Zweck. Das ‘Böse’, es wächst ganz zwangsläufig und wäre nur noch durch eine Vernunft zu stoppen, die ihm gar nicht zugänglich ist.

 
shutup

Es hört nicht auf, dass sich Journalisten über ihre Leser beschweren, von ihnen am Ende verlangen, die besseren Journalisten zu sein und jedem “Verschwörungstheorien” anzudichten, der anderer Meinung ist. Dabei halluzinieren sie sich selbst expressis verbis Verschwörungen von Internetbösewichten zusammen, die sich absprechen, um in den Foren die Debatte zu bestimmen. Das ist in dieser Ausprägung krank, aber es hilft nicht, sich an solchen Reaktionen abzuarbeiten, denn es gibt eine Lösung, die konstruktiver ist als der berechtigte Vorwurf, dass die versammelte Journaille einen an der Waffel hat.

Zunächst einmal einige Zitate, die nicht ganz abgesichert sind, weil es sich offenbar um solche aus Printartikeln handelt, die ich mir nicht so fix besorgen kann. Korrekturen jederzeit erwünscht!

Der Leser und seine Defizite

Hans Leyendecker beschreibt den Verschwörungstheoretiker:
Es lag immer schon in der Natur von Verschwörungstheorien, dass sie nie zu widerlegen waren. Keine Beweise? Na bitte, das beweist doch nur, dass die Verschwörer verschlagen sind, weil sie ja sonst Spuren hinterlassen hätten. [...] Der 11. September, der Kennedy-Mord – alles ganz anders als es verbreitet wird. Verschwörungstheoretiker fangen immer mit der eigenen Schlussfolgerung an und ordnen dann dazu passend die Welt.

Letzteres ist sehr zutreffend, und Leyendecker erlaubt sich, das gegen die Leser in Stellung zu bringen, was ja nur zu berechtigt wäre, wenn nicht eine der Sternstunden der Leserschelte sich neulich bei SpOn so gestaltet hätte: Nachdem der Spiegel sich mit haltlosen Angriffen gegen Putin blamiert hatte (die Absturzursache des Flugzeugs ist bis heute ungeklärt), wurde ein Leser vom Redakteur gefragt, ob er denn „konkrete Belege“ hätte, dass die Situation anders gewesen sei als vom Spiegel behauptet. Da setzt sich die Journaille ins Recht, das so lange gilt, bis der Leser das Gegenteil bewiesen hat. Hier wird gleich ganz auf Belege verzichtet, da ist sogar der Verschwörungstheoretiker mit seinen Mühen post festum noch seriöser.

Noch ein Zitat von Leyendecker:
Guter Journalismus muss, zumindest wenn es um Recherche geht, völlig ergebnisoffen sein. Aber sind Leser ergebnisoffen? Will jeder Leser die Annäherung an die Wahrheit? (…) Es gibt Defizite bei den Medien und es gibt Defizite bei den Lesern“.

Verschwörung? Konzertierte Aktion!

Wenn der Journalismus aber nicht ergebnisoffen ist, ist er Müll. Dann macht ihn nichts besser, auch nicht die blödeste Leserreaktion. Aus solchem Unfug spricht der beleidigte Gatekeeper: “Journalisten belehren Leser, nicht umgekehrt!” ist die Devise. Dass es einen Dialog geben könnte, darauf kommt der Mann gar nicht. Was juckt es mich, wenn mich ein Irrer beschimpft in einem Forum, in dem mich auch Menschen mit Verstand korrigieren? Will ich etwas lernen? Dann suche ich mir die Beiträge heraus, die dazu geeignet sind und fokussiere nicht auf die anderen. Stattdessen werden aber mit schalen Ausreden gleich alle gemobbt oder ausgesperrt, die anderer Meinung sind.

Nonnenmacher von der FAZ wird zitiert, es sei “eine konzertierte Aktion am Werk, erkennbar an fast wortgleichen Mails“, wenn der Putinversteher bei ihm vor der Tür steht. Welch eine Bankrotterklärung! Das Phänomen, wenn es denn nicht erfunden ist, nennt sich “Spam”. Das wirft man weg und fertig. Ich habe hier auch regelmäßig Kommentare, die kommen mir verdächtig vor. Finde ich sie dann wortgleich woanders, landen sie im Schredder. Andere sind so allgemein gehalten, dass sie sich offenbar nicht auf den Artikel beziehen. So etwas fliegt raus. Und weil sie also nicht die Kompetenz haben, Spam von ernstzunehmenden Kommentaren zu unterscheiden, wittern sie eine “konzertierte Aktion”.

Sowas kommt von sowas. Was auch immer den Journalismus so ruiniert hat, was dazu beiträgt; ob nun Hinterzimmertreffen, Think Tanks, miese Bezahlung, Lobbyismus, Kostendruck, Eitelkeit, Vetternwirtschaft oder das Wetter, kann mir hier wurscht sein. Das Allerletzte ist aber, das in eine Leserbeschimpfung münden zu lassen anstatt seinen eigenen verdammten Job so zu machen, dass man sich nicht dafür schämen muss. Das Bild da oben sagt doch alles: “Diskussion geschlossen – lesen Sie die Beiträge!”. Was soll das anderes heißen als “Schnauze, du bist hier nur Leser!“?

[Update:] Hier beim Max noch mehr zum Thema, hier bei Gärtner, hier beim Tuxprojekt und hier bei der Metawahrheit.

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