Journalismus 2.0: Unbezahlbar
Posted by flatter under journalismus , kollateralschaden , netz[19] Comments
10. Dez 2014 20:25
Wie verflochten die Probleme sind in einer Welt, in der aus Geld ständig mehr Geld gemacht werden muss, zeigt sich sehr deutlich an der Entwicklung im journalistischen bzw. publizistischen Bereich. Besonders der Umgang mit dem Publikum, Diskussion und Debatte, offenbaren die Entwicklung einer Spirale, auf der sich die Qualität des Journalismus Richtung Nirwana bewegt.
Wir haben durch das Internet einen immensen wirtschaftlichen Druck auf die Verlage, schon allein weil es nicht mehr nötig ist, Zeitungen aus Papier zu lesen. Der Einbruch bei den Einnahmen von Abonnenten und Anzeigenkunden kann nicht aufgefangen werden. In der Folge werden Journalisten entlassen oder – schlimmer noch für die Qualität – so schlecht bezahlt, dass sie sich den Luxus von Recherche und Gründlichkeit nicht mehr leisten können. Zudem sitzt allen die Angst im Nacken, den Job zu verlieren. Das fördert nicht gerade den Mut zur Kritik.
Nachtbereitschaft?
Eine der Errungenschaften des Internets ist die Möglichkeit für Publizisten, mit ihren Lesern in Kontakt zu treten. Das ist die Domäne der Blogger, die aus Leidenschaft schreiben und ihrer Leserschaft für die Diskussion als Autoren zur Verfügung stehen. Eine solche Möglichkeit haben die Verlage nicht. Alles, was sie bislang in dieser Richtung getan haben, ist nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen, so dass sie zunehmend lieber auf die Diskussion verzichten.
Wie auch immer dies ein Armutszeugnis für die betreffenden Redaktionen ist, so steht dahinter aber auch ein Problem, das unter den gegebenen Umständen nicht lösbar ist: Man kann nämlich niemanden bezahlen für die Arbeit, die Blogger ganz selbstverständlich leisten. Die Zeitspanne, in der Blogger ihre Blogs betreuen, wäre schon als Bereitschaftsdienst unfinanzierbar. Der Aufwand, den die Diskussion bedeutet, kann nicht zur Arbeitszeit werden.
Andererseits kann es auch nicht hingenommen werden, dass Journalisten sich bereit erklären, 24/7 für ihre Verlage im Einsatz zu sein. Schon die Betreuung von Diskussionen als Job im Job würde entweder die Kassen sprengen oder bedeuten, dass solche Autoren für einen sittenwidrigen Stundenlohn arbeiten. Dieser würde wiederum Druck auf die Gehälter des ganzen Standes bewirken. Im Kapitalismus vulgo Marktwirtschaft® ist ein wirklich interaktiver Journalismus nicht organisierbar.
Kapitalismus ohne Markt®
Blogger können also von ihrer Arbeit niemals leben, wenn sie denn ernsthaft welche sind und sich der Diskussion stellen. Das geht nämlich nicht ein bis zwei Stunden täglich, sondern es erfordert eine Dauerpräsenz, auch wenn man nur sporadisch die Diskussion aufruft. Gerade wenn eine solche aber lebhaft läuft, kann man nicht Feierabend machen, schon gar nicht regelmäßig. Modelle, die das Beste beider Welten versucht haben – in der Regel durch roboterhafte Moderation, freie Fahrt für freie Trolle oder Praktikanten im Tageseinsatz, sind kläglich gescheitert.
Hier ist eine weitere Tätigkeit, für die Bedarf besteht, die aber eben nicht verwertbar ist und ihren Akteuren daher nicht das Brot zum Essen einbringt. Wir haben hier eigentlich alles, was Markt® angeblich ausmacht: Angebot, Nachfrage und Produktion. Aber alles, was die Produzierenden in diesem System einfahren, sind Almosen oder Einnahmen aus Werbung, die wiederum alles konterkariert, wofür diese Form des Publizierens steht – und obendrein auch kaum etwas einbringt.
p.s.: Für die Unterstützung meiner Arbeit möchte ich mich bei dieser Gelegenheit wieder einmal herzlich bei allen großzügigen Spender/innen bedanken.
Dezember 10th, 2014 at 20:42
Auch viele Blogger -mich eingeschlossen- gehen einer Lohnarbeit nach und schauen jetzt nicht stündlich nach neuen Kommentaren, sondern halt ein paar mal am Tag, wenn es sich ergibt oder eine Diskussion am Laufen ist. Ich glaube, es geht weniger um die Unmöglichkeit einer vermeintlichen Allgegenwärtigkeit von Journalisten (wenn sie denn Blogger werden wollen/sollen), als vielmehr um den Verlust der Deutungs- und Meinungshohheit.
Denn es ist doch so, dass die bezahlten Journalisten es nie gelernt haben, sich einer gegenteiligen Meinung oder Ansicht ernsthaft zu stellen. Sie rotzen ihren Sermon in die Zeitung und drucken höchstens mal einen genehmen Leserbrief, wenn überhaupt. Sie erledigen ideologische Auftragsarbeiten, die ihnen Verlag und Chefredaktion vorgeben, halten sich an die Selbstzensur, schielen ständig nach Auflage/Reichweite/Quote und nach der Zufriedenheit der Anzeigenkunden. Das hat für mich wenig mit der Leidenschaft des Schreibens, der Recherche und der ernsthaften Analyse zu tun.
Der eine machts, weil er Kohle dafür bekommt, der Andere, weil es seine Leidenschaft ist. Die unsägliche Symbiose der “Blogjournalisten” verstehe ich hierbei am Wenigsten: bezahlte Leidenschaft!?
Dezember 10th, 2014 at 20:44
“… oder – schlimmer noch für die Qualität –” Wolle Ei kaufe? Nö! Wolle Henne kaufe?
Dezember 10th, 2014 at 20:45
horizont.net: Gerichtstermin von P7S1 und Adblock Plus steht fest
gulli.com: Französische Lobbyisten wollen AdBlock Plus verklagen
Dezember 10th, 2014 at 20:53
“Eine der Errungenschaften des Internets ist die Möglichkeit für Publizisten, mit ihren Lesern in Kontakt zu treten. Das ist die Domäne der Blogger, die aus Leidenschaft schreiben und ihrer Leserschaft für die Diskussion als Autoren zur Verfügung stehen. Eine solche Möglichkeit haben die Verlage nicht. Alles, was sie bislang in dieser Richtung getan haben, ist nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen, so dass sie zunehmend lieber auf die Diskussion verzichten.” flatter: Ordnungsruf! Die wollen nich ihren Job machen, die wollen
nur Kohlenur spielen!Dezember 10th, 2014 at 20:55
@R@iner
“Zwar gesteht einer der Verbände durchaus ein, dass die Branche sich die Suppe selbst eingebrockt hat, gegen AdBlock Plus will man trotzdem rechtlich vorgehen. Die Software sei eine “große ökonomische Bedrohung”.” *lol*
Dezember 10th, 2014 at 20:59
@flatter
Mehrfaches lesen fördert Mehrwert: “Wir haben hier eigentlich alles, was Markt® angeblich ausmacht: Angebot, Nachfrage und Produktion.” Schöner Text!1!!
Dezember 10th, 2014 at 23:59
In Bezug auf Adblock Plus – das könnte flatter gefallen – kann man den Markt auch durch Übersättigung zur Implosion bringen.
https://github.com/dhowe/AdNauseam/
Dezember 11th, 2014 at 00:24
Klingt extrem reizvoll bei der ersten Ansicht.
Dezember 11th, 2014 at 00:30
Zu Adblock:
Wunderte mich nicht, gäben irgendwelche Lobbyhuren in den Gerichten dem statt.
Als nächstes werden dann Tools verboten, die den ganzen Cross-Domain-Schrott (kriegt ja heute keiner mehr gebacken Webseiten nicht auf mindestens 10 Domains und Server zu verteilern, weil jeder das nur noch aus Google-Diensten, Werbediensten und sonstwas zusammentackert) blockieren, da kommt nämlich ganz ohne Adblock auch kein Dreck mehr durch der auf verseuchten Ad-Servern liegt.
Und danach wird natürlich noch das manuelle Bearbeiten von /etc/hosts bzw. %SystemRoot%\system32\drivers\etc\hosts unter Strafe gestellt.
Und danach werden werbefreie Anwendungen verboten.
Dezember 11th, 2014 at 00:55
Code wird dann generell verboten. Und die Naturgesetze für ungültig erklärt. Hatten wir alles schon. 1000 Jahre sind dann gannz schnell um. Dumm nur die kurze Zeit dazwischen.
Dezember 11th, 2014 at 01:50
Code…? Kann man das dann Essen?
Dezember 11th, 2014 at 05:04
Ich bin anderer Ansicht. Einerseits wäre es – zumindest von großen Verlagshäusern wie Springer oder der WAZ-Mediengruppe – durchaus finanzierbar, guten Journalismus inklusive einer angemessenen Online-Betreuung für die Debatte bereitzustellen. Das bedeutete allerdings weniger Profit für die Eigner, und genau dies ist der Grund, weshalb es als “unfinanzierbar” verunglimpft wird.
Andererseits halte ich die hier geforderte “Omnipräsenz” eines Zensors bzw. Moderators in einer laufenden Debatte auch für schlichten Unfug. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung ist es völlig ausreichend, wenn unangemessene, beleidigende oder schlimmere Postings am folgenden, meinetwegen auch am übernächsten Tag entsprechend kommentiert oder notfalls gelöscht werden. Es ist doch blanker Irrsinn, der stetig an Fahrt aufnehmenden Schnelllebigkeit dieser verkommenen Zeit – stets vergeblich und gehetzt – hinterherhecheln zu wollen.
Liebe und gemächliche Grüße!
Dezember 11th, 2014 at 08:59
@ Charlie: Bei aller Gemächlichkeit sollte es einem ja dann auch möglich sein zu lesen was im Text steht. Es ist Marktfuehrern eben nicht möglich einen Journalismus nach den von flatter aufgestellten (durchaus sinnvollen) Kriterien zu finanzieren. Einfach mal so auf einen Teil des Profits zu verzichten ist nicht drin, dann bist du mal Marktfuehrer gewesen. Es gibt natuerlich sowas wie werbewirksam zelebrierte Charity und so, das steht in der Bilanz aber unter Ausgaben fuer Werbung. Kapitalismus funktioniert nach bestimmten Gesetzen, das hat wenig mit gutem Willen zu tun.
Wenn ein Moderator zeitintensiver an einer von ihm angestossenen Debatte teilnimmt, dann heisst das nicht, dass mehr Zeit zum “Hinterherhecheln” der einströmenden Kommentare draufgeht, sondern dass eine Debatte auch tatsächlich eine wird; qualitativ unterscheidet sich so eine erheblich von einem Kommentarfeld, in dem jeder nur auch mal “seinen Senf” dazugibt.
Ich erinnere mich, dass es hier schon öfter m. E. recht fruchtbare Diskussionen gab, das lag nicht zuletzt daran, dass flatter einen Opener geschrieben hatte, in dem viele Möglichkeiten zur Diskussion angelegt waren und dann die aufkommende Diskussion tatsächlich moderiert hat. Sogar mit der Option fuer sich selber was mitzunehmen und nicht nur seine hier aufgestellte Linie zu verteidigen.
Das ist nach meiner Erfahrung eine Rarität und einer der Gruende warum ich hier regelmässig lese, während ich anderswo schnell das Interesse (v.a. auch am Kommentarbereich) verloren habe.
Dezember 11th, 2014 at 10:36
OT: Reiner Wandler-Blog: Spanien beendet Demonstrationsfreiheit
p.s.: So etwas gab es dort schon früher, nämlich 1959.
Dezember 11th, 2014 at 10:41
@Charlie: Es geht mir nicht um die Trollbremse, sondern um die aktive Teilnahme des Autors an der Diskussion. Geht mir woanders sehr auf die Murmeln, dass da alle möglichen Leuz sichstreiten, während der Autor nicht mal Fragen beantwortet. Solche “Diskussionen” brauche ich nicht.
Dezember 11th, 2014 at 12:00
Ich finde es erfreulich, dass es überhaupt so viel Diskussionsbereitschaft (-bedürfnis?) gibt, nicht nur bei den Online-Ausgaben der Printmedien, die das leider gerade am Abwürgen sind. Das Land versinkt – wenigstens tippseltechnisch – nicht komplett in Agonie.
Doch Hand aufs Herz: gerade in Blogs finden sich eher selten Hunderte von Kommentaren oder meinetwegen Diskussionsbeiträgen unter dem Urprungstext. Das sehe ich ähnlich wie Charlie.
(Was NICHT bedeutet, daß ich dein leidenschaftliches Engagement nicht würdige – das mit dem Spenden funzt leider nicht wg. Hartz. Bedanke dich bei den verantwortlichen A…).
Oft ist es so, dass Beiträge erst nach Sichtung freigeschaltet werden, weshalb man dann nach Stunden den eigenen Kommentar unterhalb anderer Postings wiederfindet, auf die man auch gerne Bezug genommen hätte, wären sie denn sichtbar gewesen (oder man hätte sich’s gespart, weil es schon jemand gleichsinnig geschrieben hatte).
Vielleicht bessern sich Situation und finanzielle Vergütung der Journalisten ja, wenn endlich Springer, Bertelsmann und die anderen 3-$ fusioniert sind – von wegen Konkurrenzfähigkeit… ?(Satire aus)
Dezember 11th, 2014 at 13:33
Wobei da ja wie in vielen Jobs das Lotto-Prinzip herrscht. In der oberen Eteage kannst du ja richtig Kohlen einsammeln, worauf ggf. die ganzen kleinen Ferengi im Fußvolk ihre Hoffnung setzen und eifrig in die Pedale treten.
Dezember 11th, 2014 at 14:17
@flatter: Ist das nicht das Hühnerleiter-Prinzip? *lach*
Dezember 14th, 2014 at 08:40
Blogger und Journalisten nehmen sich viel zu wichtig. Auch und gerade ihre Diskussionen um größtenteils eingebildete Metaprobleme und unmögliche Lösungsvorschläge.
Nachrichten sind morgen vergessen. Keine Meldung der vergangenen 20 Jahre hat in irgendeiner weise mein Leben beeinflusst. und das Ihrige? Wohl aber die dem zu Grunde liegenden Vorgänge. Über die aber immer erst berichtet wird wenn es zu spät ist und die Kuh ins Eis eingebrochen ist. Medien sind demzufolge nichts anderes als Junk für Medienjunkies. Die Bezahlung ist in Anbetracht des totalen Informationsüberflusses auch adäquat. Umsonst ist noch zu teuer.
Andere opfern auch ihre Zeit, stellen ihr wissen zu Verfügung und kümmern sich um Neulinge und und und. Ehrenamtlich und mit sinnvollen Ergebnissen.
Nennt sich Fachforum das der gängige Journalist höchsten mal besucht um Infos zu lurken.