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Neulich schrieb ich, es werde einsam. Gemeint war damit die Einsicht, dass linke Blogs und Publizisten demselben Niveauverlust anheimfallen wie die allgemeine politische Geschwätzigkeit. Es scheint nur mehr wichtig zu sein, sich irgendwie zu äußern, seine Meinung zu wiederholen oder abstrakte Statements abzugeben, anstatt zu analysieren, sich zu streiten und nach anderen Lösungen zu suchen als denen, die seit Jahrzehnten nichts taugen.

Ich muss hier einmal kurz den Begriff “abstrakt” erläutern, denn er ist wichtig in der Debatte: Eine abstrakte Äußerung ist eine, die ohne Zusammenhang ist. ‘Meinungen’, die unter jeden Text passen, Phrasensammlungen, die zu jedem Thema abgegeben werden können. Abstrakte Beiträge gehen nicht auf konkrete Probleme ein und scheuen die exakte Analyse, sie konfrontieren die Lösung nicht mit der Erfahrung oder dem Problem. Hier ein Beispiel:

Wie sich im Zweiten Weltkrieg gezeigt hat, sind die Russen ein überaus leidensfähiges Volk. Aber aufgrund der Sanktionen und der Hetze der westlichen Politiker und ihrer Medien hat der Nationalismus im Land inzwischen stark zugenommen.

Diese Russen …

Der erste Satz ist so ein dummes Klischee, dass es für Lehrbücher taugt. Das abstrakte Geschwätz entzieht sich jeder Nachfrage: Inwiefern hat es sich “im Zweiten Weltkrieg gezeigt”? Was davon ist auf die heutige Situation übertragbar? Was ist dabei spezifisch für “die Russen”; da es damals die Sowjetunion war, die von den Nazis überfallen wurde – gilt das auch für die anderen betroffenen Völker der SU? Was genau bedeutet “leidensfähig”? Was wäre anders gewesen, wären “die Russen” nicht “überaus leidensfähig” gewesen? Nichts in diesem Satz hat irgend einen Bezug zur Realität.

Der nächste Satz ist nicht besser. Es beginnt schon damit, dass eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes kaum möglich ist. Inwiefern hat “der Nationalismus stark zugenommen”? Woran ist das erkennbar? Wie ist der zeitliche Ablauf dieser Zunahme? Woran erkennt man, dass “die Sanktionen” und die “Hetze” dafür ursächlich sind? Schließlich: Selbst wenn belegbar wäre, dass ein Nationalismus zugenommen hätte, wie sind dann die Ursachen (Sanktionen/Hetze) zu isolieren, wie kann man andere Ursachen ausschließen?

Hier wird eine Behauptung an die andere gereiht, mit großem Tamtan, ohne dass Belege dafür auch nur denkbar sind. Ich bin nicht gegen Behauptungen, die nicht alle einzeln belegt werden, das geht in der Debatte auch gar nicht, aber sie müssen zumindest belegbar sein. Wenn sie hingegen erkennen lassen, dass ein solcher Beleg gar nicht erbracht werden soll, sondern jemand hier einfach sein Weltbild ausrollt und auf Zustimmung hofft, ist das genau die blöde Propaganda, die die Rechten jederzeit besser bedienen.

Ich könnte den ganzen Text derart zersägen, aber wer will so etwas lesen? Ich komme daher zum Lösungsvorschlag von der Resterampe, die das Gros linker Reformer beliefert, jenes unerträgliche “Man müsste nur” und den täglich dümmer werdenden Glauben, es seien Personen, die für die Weltlage verantwortlich seien:

Charismatische Führer

Ich habe in meinem Buch geschrieben, dass ich den USA Politiker wünsche, die endlich einmal das eigene Land als Interventionsfall erkennen. [...]
Den Staaten Europas wünsche ich vor allem fähigere Politiker, Persönlichkeiten nämlich, die sich nicht in die verhängnisvolle Politik der US-Eliten einbinden lassen, sondern sich stattdessen auf die Souveränität ihrer Staaten besinnen und die Interessen der Bevölkerung in den Blick nehmen.

Das eigene Land, die Souveränität des Staates und fähige Politiker gibt es bei Wünschdirwas, und dann wird alles gut. Er wünscht sich vor allem eine Welt, in der seine Helden die Geschicke bestimmen. Ich hätte da ein paar Beispiele für solche Helden:

Schröder/Fischer, die ihren Souverän zur Plünderung freigegeben haben und ihre Arbeiterwähler versklaven ließen. Obama, der Friedensengel, der so viele Kriege führt wie keiner vor ihm. Hollande, der mit furchterregender Reichensteuer anhob und bei neoliberalen ‘Reformen’ landete. Gabriel, der als TTIP-Gegner seine Partei so lange Konvent spielen lässt, bis der endlich TTIP zustimmt. Die Liste lässt sich bei vermeintlich fähigen Politikern mit guten Absichten verlängern, bis die Rolle voll ist. Na ja, man kann auch standhaft bleiben wie Herr Lafontaine, der “gefährlichste Mann Europas”, “Populist” und Zerstörer der Marktwirtschaft.

Wer da kein Muster erkennt, will nicht. Wer da nicht fragt, wie die Macht tatsächlich wirkt, ist entweder zu dumm oder hat andere Gründe, sich nicht damit zu befassen. Wer das Austauschen von Personen oder das Wirken eines Willens als Lösung für politische und wirtschaftliche Probleme vorschlägt, sollte besser zum fliegenden Spaghettimonster beten, das macht wenigstens Spaß. So ein Stuss wie da oben zitiert, bettelt jedenfalls nur um Ohrfeigen.