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John Holloway hat einen höchst interessanten Beitrag zur Kapitalismus-Debatte verfasst. Ich empfehle, ihn selbst zu lesen, fasse ihn aber kurz zusammen:

Ware ist die Form, in der gesellschaftlicher Reichtum unter der Macht des Kapitals verwaltet wird: Produziert, verteilt, zugeteilt. Gleichzeitig wird damit die Herrschaft festgelegt; das Kommando über die Zeit der Einzelnen – ihre Arbeitszeit, die Bedingungen der Arbeit, ihre Freizeit, das Konsumgut und die Zugehörigkeit oder des Ausschluss aus dieser Welt der Waren.

Für Anfänger: Der Begriff „Ware“ bedeutet, dass etwas gekauft wird, um es teurer zu verkaufen und damit Profit zu erzielen. Der Profit ist der Zweck dieses Vorgangs. Ohne Profit findet er nicht statt, da niemand tätig wird, wenn er dabei Verluste macht.

Käuflich

Als Form des Klassengegensatzes ist die Warengesellschaft / der Kapitalismus nach klassischer Lesart (nur) durch eine Revolution überwindbar. Die Arbeiterklasse muss sich demnach – wie sie es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts getan hat – erheben und die Herrschaft des Kapitals beenden. Holloway setzt anders an, nämlich beim „Reichtum“; nach Marx

die volle Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sog. Natur sowohl wie seiner eignen Natur“; Reichtum, der durch das Zwingen in die Form der Ware pervertiert wird.

Demnach muss die Revolution nicht als Aufstand der Arbeiterklasse gegen die der Kapitalisten stattfinden, sondern gegen die Form der Ware. „Eine Mahlzeit ist keine Ware“, so Holloway, „sondern eine Geste der Liebe“. Kann man dies auch als pathetisch aufgeladen betrachten, so wird dennoch deutlich, wie weit sich die Warenwelt von den wahren Bedürfnissen der Menschen entfernt hat. Anderes Beispiel: „Bildung ist Reichtum, aber sie sollte keine Ware sein.“Kurzum: Die Warenform verwandelt Reichtum in trostlose Manövriermasse des Kapitals.

Der Kampf geht tiefer

Für den Klassenkampf bedeutet das:
Der Klassenkampf ist der Kampf der Klassifizierten gegen die Klasse, gegen ihre Klassifizierung: Wir werden uns nicht einfügen, wir werden uns nicht klassifizieren lassen. Wir werden die Herrschaft des Geldes nicht hinnehmen. Wir sind die Bewegung des Reichtums gegen die Ware.“

Was das für konkrete Ideen, Projekte, Aktionen, politische Konzepte bedeutet, ist die Frage. Ganz offensichtlich ist ja längst, dass vor allem die eifrigsten Kämpfer für die Macht des Kapitals, ihre Ideologen wie ihre militärischen Handlanger, nicht in ihrem eigenen Interesse handeln. Sie handeln auch kaum mehr im Interesse einer „herrschenden Klasse“, sondern aus dem blinden Zwang des Systems heraus.

Es ist die Warenform, der Zwang, selbst aus obszönem Vermögen noch mehr zu machen, während Unternehmen, Staaten und Gesellschaften dadurch sprichwörtlich ruiniert werden. Es sieht derzeit so aus, als würde die Ware über die Menschheit obsiegen, weil sich die Menschheit global und fast unterschiedslos auf Befehl der Ware gegen sich selbst richtet. Die Lösung kann kaum darin liegen, noch mehr blutige Kämpfe zu führen. Sie muss darin liegen, den wahren Feind zu erkennen.

 
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Ich werde regelmäßig denunziert als jemand, der quasi die Weltrevolution mit anschließendem Bällchenbad fordert, und zwar spätestens bis nächsten Mittwoch. Wenn einem das Hirn einschläft, breitet sich ein sanftes Summen aus, das unbedingt mit Bekenntnissen übertönt sein will. Leider sind die Symptome nicht so eindeutig wie bei den Füßen, deren Kribbeln deutlich die Durchblutungsstörung anzeigt.

Ich sei also revolutionär, weil mich der ganze Quatsch nicht überzeugt, der sich die Erkenntnis verbietet, dass es der Kapitalismus ist, der mordet, zerstört und versklavt. Das sind keine Auswüchse, das ist die unvermeidliche Anhäufung von Kapital und damit der Macht eines furchtbaren Zwangs. Bei der Frage, was man denn dagegen tun könnte, kommen einem die ‘Reformer’, deren Reformen man als untauglich erkennt, eben mit dem Vorwurf, man sei revolutionär. “Revolutionär” wiederum ist irgendwie falsch und daher alles radikal Linke, zumal kommunistische, indiskutabel.

Ich möchte einmal bei einem Punkt ansetzen, der sich gar nicht mit Kapital, Wirtschaft, Reichtum und Armut befasst, sondern mit einer politischen Idee, die vom ‘real Existierenden’ genau so mit Füßen getreten wurde wie vom Kapitalismus. Es ist hier bereits Konsens, das in einer Gesellschaft, die etwas taugt, Menschen selbst entscheiden, wie sie leben und arbeiten wollen. Das wiederum tun sie gemeinsam dort, wo sie leben. Hierarchische Gesellschaften wie Preußen, Nordkorea, die Sowjetunion oder jeder kapitalistische Staat, sind das Gegenteil.

Wille und Macht

Kommunismus kommt von “Kommune”, und mir hat noch selten jemand widersprochen, wenn ich ausgeführt habe, dass echte Demokratie, also die Entscheidungsgewalt der Menschen über sich selbst, nur praktikabel ist, wenn die Kommunen die höchste Entscheidungsgewalt innehaben. Was immer also auf einer anderen Ebene entschieden wird, kann durch die Kommune aufgehoben werden. Alles, was auf regionaler oder ‘Bundes’-Ebene koordiniert wird, bedarf der Zustimmung der Kommunen. Wenn eine nicht mitmachen will, kann sie niemand dazu zwingen.

Als Marxianer ist mir klar, dass sich diese politische Forderung in einem Kapitalistischen System nicht umsetzen lässt, weil das Kapital Macht konzentrieren muss, vor allem im fortgeschrittenen Stadium, in dem sich Monopole Bilden. Nun sind es aber die ‘Reformisten’, die ich “Sozialdemokraten” zu nennen pflege, die vom Gegenteil ausgehen. In deren Weltbild gibt es ja eine politische Macht, die Kraft ihres Willens die Gesellschaft regeln und formen kann. Sie kann ja – wenn man nur will – sogar den Kapitalismus zähmen.

Nun frage ich mich, warum dann die naheliegendste Idee, innerhalb einer ‘Marktwirtschaft’, die politisch regelbar ist, nicht einmal diskutiert wird. Die holden Halblinken lassen sich nicht einmal auf die Veränderung der politischen Strukturen ein. Warum verzichten ausgerechnet diejenigen, die an den Primat des Politischen glauben, auf die entscheidende Reform der Machtverhältnisse, die sich in deren Universum relativ leicht umsetzen ließe? Weiterhin frage ich mich, ob sie erkennen würden, woran das scheitert. Wenn sie doch bloß wollten …

 
cl

Eine interessante Kritik zum „Equal Pay Day“ weist auf das ewige Problem hin, dass Frau vs. Mann eben ein erwünschter Effekt ist, der vom Klassenkampf ablenkt. Übrigens ist auch hier zu bemerken, dass „Gender Gap“ schon tendenziös ist, denn „Gender“ ist ein absurdes Konstrukt und es wird ja auch gar nicht erfasst, wie sogenannte ‚Gender‘ entlohnt werden, sondern nur die Geschlechter.

Es wird hier noch einiges mehr übersehen. Dem Kapital ist‘s eigentlich egal, aber Männer sind offenbar marktkompatibler, jedenfalls als ‚Verdiener‘. Das hat u.a. historische Gründe, Männer sind aber auch eher darauf dressiert, sich „selbständig“ zu machen. Ihre Karrieren sind eher ununterbrochen (der Artikel spricht das an), sie streben geradliniger in Spitzenpositionen. Erst weiter oben wiederum entstehen die großen Unterschiede in den Einkommen. Im Übrigen, das hatten wir schon, sind es ‚typische Frauenberufe‘, die oft schlechter entlohnt werden, hier trifft es aber auch die Männer.

Zeitlose Verblödung

Bezogen auf Familieneinkommen sieht die Welt anders aus, denn es müssen alle mit der Kohle auskommen. Dass Einkommen generell so ungerecht verteilt wird, dass Familiengründung ein ruinöses Unterfangen wurde, trifft ebenfalls alle. Es dient dem Kapital, hier die Rechnung aufzumachen, Frauen würden benachteiligt, um den Mann zu animieren darauf zu beharren, sie gebe ja sein Geld aus. So lange es wenigstens noch Kleinfamilien gibt, ist solcher Streit hirnrissig. Dergleichen ist ein Luxus für kinderlose Alleinstehende, die Lieblingsdrohnen der Ausbeuter.

Die Erzählung, die mich aktuell einmal mehr belustigt, ist die von Cinderella oder Aschenputtel, ein zeitloser Klassiker der Herrschaftsliteratur. Sie stammt vermutlich aus dem späten 17. Jahrhundert. Die relevanten Geschichten drehten sich schon in der Antike um Fürsten. Die Kommödie war die Geschichte des Pöbels, wenn es aber um das große Schicksal ging, in der Tragödie, waren gekrönte Häupter die Spielfiguren.

Aschenputtel ist die Geschichte des Aufstiegs der unterdrückten mittellosen Schönheit, die vom Prinzen erlöst wird, indem er ihr einen Schuh reicht. Das Muster geht gerade heute wieder gut; Kinofilme, in denen der Millionär die Hure heiratet, sind die Adaption der Geschichte; für die emanzipierte Frau gibt es Zalando. Die postmoderne Variante verdient sich selbst die Moppen, um damit sinnlos Schuhe zu kaufen. Es darf aber weiterhin devot gestöckelt werden.

Du bist dein Feind

Als Konsumentin sorgt die Frau dafür, dass die Kohle nicht nur reinkommt, sondern auch wieder rausgehauen wird. Seit jeher ist sie die erste Adressatin der Werbung, sei es als Hausfrau, sei es als Prinzessin. Dabei wickelt die Psychiatrie der PR-Experten sie bis zur Schnappatmung ein. Will die Reklame den Kerl anmachen, schickt sie maximal halbnackte Genossinnen vor die Kameras. An denen wiederum soll das Weib sich ein Beispiel nehmen und sich wenigstens permanent zurecht renovieren, um zu gefallen und die Konkurrenz auszustechen.

Da wünscht sie sich beinahe die Zeit zurück, als sie noch die souveräne Entscheiderin im Haushalt war und ihr Lenorgewissen mit der Riesenwaschkraft zu beruhigen wusste. Wie gesagt: Dem Kapital ist‘s egal, Hauptsache irgendwer lässt sich ausbeuten und jemand streckt sich nach der Decke, um möglichst hohe Absätze zu sichern. Die Vorbilder leuchten uns stets entgegen: Lottogewinner, Prinzessinnen und andere erlöste Huren. Im echten Leben ist Erlösung rar, und doch bücken sich alle und hoffen. Das ist nirgends eine Frage des Geschlechts. Es ist Klassenkampf, Dummkopf!

 
kl

Bundesarchiv, B 145 Bild-F009346-0008 / Steiner, Egon / CC-BY-SA 3.0

Was mich an der ‘Jungen Linken’, die ich mir erlaube so zu nennen, besonders stört, ist ihre Geschichtsvergessenheit. Sie ist nicht die erste Generation, in der maßgebliche Teile das Ende der Geschichte für gekommen hält oder schon den Anfang verpasst hat. Neu ist vielleicht, dass man gar nicht viel studieren oder um Jahrhunderte zurückgehen müsste, um epochale Veränderungen aufzufinden. Es würde völlig ausreichen, Zeitzeugen zu befragen.

Unter denen, die heute als “privilegiert” gelten, sind noch welche, die den Krieg erlebt haben, vor allem aber die Nachkriegszeit. Ich beschränke mich wie meist auf die BRD in meiner Betrachtung, weil ich eben hier aufgewachsen bin. Die Generation meiner Eltern hat Hunger erlebt. Es ging für sie nicht bloß um fehlendes Fleisch oder leckeres Essen; sie hatten teils gerade genug, um nicht zu verhungern. Wer schon abgemagert aus der Kriegsgefangenschaft kam, hatte vielleicht Pech. So geschwächt, konnte jedes Zipperlein tödlich enden.

Auferstanden …

Apropos Krieg: Nicht nur die Nazis wurden zerbombt oder an der Front getötet. Familien ohne Väter waren ‘normal’, was den Müttern kein Trost gewesen sein dürfte. Das tausendjährige Reich hat nicht danach gefragt, woher wer kam, ob er Männlein oder Weiblein war, es hinterließ größtenteils Ruinen. Allein die Reichen sind reich geblieben – wenn sie keine Juden waren. Die Ausgebeuteten haben zuerst wieder aufbauen müssen, um dann – ausgebeutet zu werden.

Die Teilhabe der Arbeiter am ‘Wachstum’ wurde in den frühen Jahren teuer bezahlt. Im Bergbau hat sich niemand über Staublunge oder “jauchige Bronchitis” gewundert. Was die Ausbeuter heute wieder feiern wollen, ist dass viele Männer nicht viel von ihrer Rente hatten. Chemiearbeiter haben in Giftstoffen gebadet, auf dem Bau wurde mit Asbest geaast.

Hart, aber ungerecht

Niemand wäre auf die Idee gekommen, das Rauchen zu verbieten. Männer, die hart genug waren, Wetter, Buckelei und Gift zu ertragen, hätten es sich auch nicht verbieten lassen, ebenso wenig wie Frauen, die es nicht leichter hatten und oft aus Hunger damit angefangen hatten. Das Privileg gesund zu leben hatten die Reichen und erst allmählich die (gehobene) Mittelschicht.

Als elende Armut, Hunger und Tod zunehmend exportiert wurden, ging es den Menschen hier immer besser. Zwar wurde meine Generation noch fröhlich vergiftet (ich habe 30 Jahre in Schule und Uni in Asbest- und PCB-verseuchten Gebäuden zugebracht), die Lebenserwartung stieg aber durchaus mit dem Standard. Starke Gewerkschaften sorgten dafür, dass gerade in den Betrieben immer bessere Gesundheitsbedingungen umgesetzt wurden, was für die Industrie im Allgemeinen keine Einbußen bedeutete.

Konsum und Sühne

Aus der zweiten Generation bildeten sich Bürgerinitiativen und aus denen u.a. die Grünen. Deren Gründungsmitglieder waren deutlich antikapitalistisch aufgestellt. Ihnen wurde vorgeworfen, “industriefeindlich” zu sein und sie waren es durchaus auch, da sie eine andere Vorstellung von Gesellschaft hatten als eine, die zu Wohle des Kapitals die Umwelt zerstört und ganze Erdteile in Armut hält. Das hat sich sehr schnell geändert, denn schon bald sollten sie ihre politischen Ziele auf Massenkonsum zuschneiden. Konsum und Profit stehen nicht mehr infrage, dafür wurde der Mythos eines ‘sauberen’ Kapitalismus verfasst.

Genau aus dieser Perspektive laboriert die linksgrüne Jugend von sich hin, die die Erfahrungen der älteren Generationen ignoriert, die Kritik am Kapitalismus aufgegeben hat und stattdessen lieber Verhaltensvorschriften erfindet, mit deren Hilfe die Umwelt sauber, die Arbeit gut, das Leben gesund und die Gesellschaft gerecht werde. Damit vertreten sie nicht nur unmittelbar Kapitalinteressen; sie sind auch völlig mit der protestantischen Wurzel der religiösen Ideologie versöhnt, die den Kapitalismus seit jeher getragen hat.

 
tz

Wieso halten Bäckereifachverkäuferinnen ihre Kunden eigentlich mehrheitlich für doof? Ich mag ja ungern meinerseits Schlüsse vom Job auf die oberstübliche Möblierung schließen, aber ist es nicht vielmehr so, dass sich in der täglichen Geringschätzung der Kundschaft vielmehr die eigene Wachstumsdelle bezüglich kognitiver Kapazität offenbart? Ihr wisst, was ich meine: “Die Tüte offen lassen, die Brötchen sind frisch aus dem Ofen!

Als die Dame heute Morgen bei “Tüte” war in ihrem üblichen Befehl, hatte ich bereits einen Kabelbinder um deren Öffnung gezurrt. Während ich ihr ein sibirisches “Wiedersehen” entgegen hauchte, verrammelte ich den Ausgang noch mit Gaffa Tape. Ob diese kleine Vorführung ein wenig dazu beiträgt, die Welt probeweise aus einer anderen Perspektive zu betrachten, man weiß es nicht. Kann es sein, dass sie von der anderen Seite der Theke völlig anders aussieht? Hat der Mann vielleicht Gründe, die Tüte nicht offen zu tragen?

Kann doch nicht …

Ist er mit seinen rund 50 Lenzen wirklich schon (oder noch) in der Lage, solche Entscheidungen selbst zu treffen? Kennt er die Konsequenzen seines Handelns? Als Fachkraft muss die Verkäuferin das offenbar verneinen. Sie ist schließlich gelernt, ein Profi. Was weiß der schon, dieser Kunde! Und so kommt es, dass sich einmal mehr die parallelen Universen gegenüber stehen und es ums Verrecken nicht zum versöhnlichen Urknall kommen will.

So ist das auch zum Beispiel mit mir und meinen Freunden, den Sozialdemokraten. Sie wollen “ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit“, alles im Rahmen von Sozialemarktwirtschaft®, versteht sich. Ganz schlimm finden sie den “neoliberalen Wachstumsimperativ” – und Marxismus natürlich. Diese Extremisten tun ja auch dauernd so, als sei das mit der Geldvermehrung eine Art Zwang und nicht bloß der Auswuchs schlimmer persönlicher Gier und ihrer Ideologen.

Ein ehemaliges Nachrichtenmagazin hat derweil festgestellt, dass es eine besonders perfide Art von Armut gibt, nämlich eine, bei der man nicht mal mehr ordentlich einkaufen kann. Nein, wie furchtbar! Sie nenen es “Kaufkraftarmut“. “Kaufkraftarmut”! Müsste ich nicht diese Brötchentüte und die zwei Hunde irgendwie am Stück nach Hause bringen, ich schmisse mich auf der Stelle weg. Wozu haben wir jahrelang den Rabatt bei Porsche und Drittvilla in die Inflationsrate eingerechnet? Verräter, verdammte!

 
hcc

In Spanien gibt es eine große Genossenschaft, die noch die Vorstellung einer starken Arbeitnehmerschaft verkörpert. Hinter dieser Genossenschaft (bzw. dem Zusammenschluss von Genossenschaften) steht die sozialdemokratische Interpretation einer alten Forderung, von der sich europaweit die Sozen ganz allgemein verabschiedet haben: dass man sich nämlich nicht mit Krümeln abspeisen lässt, wenn man die ganze Bäckerei haben kann. Gerade solche Ideen waren es aber, die die Sozialdemokratie für die Arbeiterschaft überhaupt attraktiv gemacht haben. Hätten die Sozen schon in den 50ern gesagt, sie würden auf jede reale Machtbeteiligung, nämlich die ökonomische, verzichten, wären viele zu den Kommunisten übergelaufen.

Heute ist dergleichen kein Thema mehr, aber in der BRD hatten sich u.a. zwei große und zeitweise sehr erfolgreiche Konzerne gebildet, die in der Hand der Gewerkschaften waren: Die Neue Heimat und der Handelsriese COOP. Das Schicksal dieser beiden Unternehmen wurde besiegelt durch die Entwicklung der Nachfrage, mangelnde Kontrolle (Zentralisierung) und nicht zuletzt Korruption. Beide gingen in Skandalen unter, die ausgerechnet in den 80er Jahren, zur Zeit der neoliberalen Wende, vom “Spiegel” aufgedeckt wurden.

Gescheitert?

Es geht hier nicht um eine Verschwörungstheorie. Die COOP wurde wegen Misswirtschaft und Korruption zerschlagen. Dabei ging das Gros der Firma in die COOp eG über, die bis heute eines der großen deutschen Unternehmen im Lebensmittel-Einzelhandel ist. Diese verzichtet allerdings darauf, die verbrannte Marke als Namen für ihre Geschäfte zu verwenden. Zu gründlich wurde die Idee der Genossenschaft diskreditiert, nachdem das Projekt an sehr konkreten Ursachen gescheitert war. Die heutige COOP ist kein Modell mehr, sondern nur mehr ein Geschäft.

Die Neue Heimat ist ihrerseits vor allem am Kapitalismus gescheitert. Das Kernproblem der Gesellschaft war ihre Ausrichtung auf den Wohnungs- Und Projektbau. Der Bedarf musste nach dem Ende der Nachkriegszeit zwangsläufig zurückgehen. Wie jede andere Firma, die aus Geld mehr Geld machen muss, hätte die NH für die sinkende Nachfrage eine Lösung finden müssen. Der Versuch, ins Ausland zu expandieren, ging schief. Es wäre ja auch klüger gewesen, bei sinkendem Bedarf zu verkleinern. Das aber hätte tausende Stellen gekostet. Kann ein Gewerkschaftskonzern Massenentlassungen überleben?

Zweierlei Maß

Obendrein waren die Machtverhältnisse in der NH fatal. Wie viele andere Unternehmen konzentrierte sich die Macht auf wenige Chefs, vor allem den Oberboss Albert Vietor. Der Mann war ein Glücksfall für die (frühen) Neoliberalen: SPD-Mitglied, Gewerkschafter, korrupt ins Mark. Ergo: Die Sozen können nicht mit Geld umgehen, sind selbst die schlimmsten Kapitalisten, und nur der Markt regelt den Markt gut. Dergleichen hat man übrigens nie über die ewigen großstädtischen Bausümpfe gehört, vor allem den in Berlin. Als Gerhard Schröder sich zum Retter des Baukonzerns Holzmann aufschwang, wurde er dafür gefeiert. Niemand verurteilte Baukonzerne als Geschäftsmodell oder diskreditierte die Firma und ihren Namen.

Für die Ideologie waren diese Fälle das Beste, das passieren konnte. Es wurde nicht etwa diskutiert, ob es nicht gerade für große Baukonzerne absurd ist, dass sie noch wachsen müssen, wenn schon alles bebaut ist. Es wurde auch nicht diskutiert, ob die Herren, die Milliarden bewegen, quasi zwangsläufig gierig sein müssen. Schon gar nicht wurde die Idee der Genossenschaften vor dem Kapital geschützt. Im Gegenteil wurde der Kapitalismus von den Ketten einer sozialen Ausrichtung befreit. Wirtschaftlich hat er das ganz allein geschafft, für die Ideologie aber brauchte er die Neoliberalen. Die Sozen haben sich davon erst erholt, als sie selbst diese Ketten abgestreift haben. Sie wurden zu den eifrigsten Freunden und Förderern des Profits und nannten das dann einfach “sozial”.

 
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Lustige Entwicklungen gibt es, so etwa einen “progressiven Neoliberalismus“, dem fortgeschrittene Sozialdemokraten eine “neue Linke” entgegensetzen wollen. Irgendwie ist es immer dasselbe. Mir ist ja schon schleierhaft, wieso “linke” “Ökonomen” nicht begreifen wollen, dass selbst die klügste Dressur beim Kapitalismus versagen muss. Im Zweifel sind sie immer für den Kapitalismus, sonst gäbe es ja nix mehr zu zähmen, vor allem aber sollten sie aufhören, sich “links” und “Ökonomen” zu nennen. Selbst Hans-Werner Sinn, der alte Schlawiner, hat da mehr begriffen. Der glaubt allerdings noch immer an Wachstum und hat sicher auch schon eine Idee, wie wir unseren Tinnef nach Mars und Saturn exportieren – ich meine die Planeten!

Yo, und dann gibt es noch die ganz Harten, die sogar Killary “links” nennen. Das ist dann Sozialdemokratismus im Endstadium. Einer nämlich, der sich von der Arbeiterschaft so gründlich abgewendet hat, um “progressiv” zu bleiben, dass er sich mit der Form des Kapitalismus verbündet, die seine ehemalige Klientel kalt verhungern lässt. Die Sozen sind nicht nur zu doof, etwas wie “Kapital” zu denken und schwafeln stattdessen von “Gewinnen”, “Vermögen” und “Märkten”. Die alte Linke täte hier eher Not, um ein Pferd wenigstens wieder “Pferd” nennen zu können. Nein, die Sozen kapieren vor allem überhaupt nicht, dass die Lohnabhängigen längst zwischen alten und neuen Oligopolen zerrieben werden. Sozialdemokraten sind einfach für den Fortschritt.

Zwischen Mühlsteinen

Der ist blöderweise aber der des Kapitalismus, und je fortschrittlicher der wird, desto weniger Arbeitskräfte werden gebraucht. Alles Menschen, die nicht mehr essen müssen, da ist der Soze ganz beim Ausbeuter. Was heute ‘linker’ Habitus ist – Genderblabla, Multikultiblabla, Chancenblabla, deckt exakt die Bedürfnisse der neuen Industrien. Google, Facebook, Microsoft, Amazon, Ebay und Co. brauchen freien Zugang zu relativ wenig hoch qualifizierten Mitarbeitern, freien Handel und eine Illusion von Wohlstand, die auf die Mittelschicht zurecht geschnitten ist. Flottierenden Konsum, entwurzelte, aber ständige Kommunikation und die Konsumhaltung süchtiger Einzelgänger.

Donald Trump wurde in diesem letzten Gefecht noch einmal von den Rückwärtsgewandten ins Amt gehievt. Menschen, die sich Zeiten herbeisehnen, in denen man noch eine Familie gründen konnte und als einfacher Arbeiter gewertschätzt wurde. Die Industriearbeiter der Produkte aus Kohle, Stahl und Öl, deren Chefs sich um Trump scharen, weil ihre Profitinteressen und die Ideologie der Altrechten prima zusammen passen. Dahinter, drum herum und überall wie immer das Finanzkapital, dem es wurscht ist, mit wem es zockt. Für Investmentbänker sind das tolle Zeiten, in denen noch einmal die alte Industrie auftrumpft, ehe sie endgültig untergeht. Das sind Hochs und Tiefs, das ist Dynamik, und mit der macht man auf dem Parkett Gewinne – egal ob man auf Sieg oder Niederlage wettet.

Eine neue Linke wollt ihr? Noch progressiver vielleicht oder einfach wieder menschenfreundlicher, mit noch besseren Ideen, wie man die Märkte für das große linke Comeback nutzen kann? Es ist Kapitalismus, du Idiot, der gewinnt immer – es sei denn, man wendet sich endgültig von ihm ab. Das wiederum ist aber ganz alte Linke. Die verbotene, ihr wisst schon. An der kommt keiner vorbei, wenn er wirklich etwas Neues will.

 
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Solidarität kam im Kapitalismus endgültig unter die Räder. Das ist kein Zufall. Nicht nur sind Parteien, die sie sich auf die Fahnen geschrieben haben, inzwischen rechts abgebogen, sie hatten ohnehin schon immer nur solche Formen von Solidarität im Auge, für die man einer großen Organisation angehören musste. Es war die Arbeiterpartei, die Gewerkschaft, die Sozialkasse, der man angehörte; amtlich mit Unterschrift und Stempel. Solidarität ist dort Verwaltung.

Gelebte und direkt erlebte Solidarität wäre etwas anderes. Sie wäre das Kollektiv, dem man freiwillig und gleichberechtigt angehört. Selbstbestimmt Ziele verfolgen, Zeit verbringen und sich umsorgen, das wäre die Stärke eines Kollektivs, in dem jeder mitbestimmen kann und sich auskennt. Diese Form der Gesellschaft wäre urdemokratisch.

Der Moloch

Ehe ich den Blick auf die Möglichkeit und Wirklichkeit solcher Kollektive richte, will ich zunächst den Ist-Zustand beschreiben. Kapitalismus und das wirtschaftsliberale Weltbild, das ihm zugrunde liegt, kennt keine Kollektive, sondern im Gegenteil nur gesellschaftliche Formationen, die denkbar weit davon entfernt sind. Gefragt und gefeiert sind hier die Einzelnen, vorgeblich freie Individuen einerseits und Korporationen anderseits. Diese sind hierarchische Gebilde mit Befehlskette, die einem Zweck dienen, mit denen die Einzelnen nichts zu tun haben.

Zudem entwickeln sich solche Korporationen zu immer größeren Riesen, die niemand mehr überschaut. Flankiert wird diese Entwicklung ‘privater’ Organisationen von zentralistischen Staaten, in denen eben eine Führungsebene jederzeit die Entscheidungen und Interessen der Vielen überstimmen kann. Diese Staaten wiederum schließen sich zu noch größeren Konglomeraten zusammen (EU, NATO, ‘Freihandelszonen’).

Hier hat niemand mehr etwas mit sich zu tun, schon gar nicht mit seinem Nachbarn. Es ist Befehl und Gehorsam, Hire and Fire, fremdbestimmtes Arbeiten für einen äußeren Zweck, Zwang. Moralisch wird hingegen stets der Einzelne für sein Tun und Gelingen verantwortlich gemacht, und zwar um so drängender, je weniger Einfluss er tatsächlich hat. Wer aus dem System fällt, wird zum Objekt eines gigantischen Versicherungsapparates, der unter anderem die Aufgabe erfüllt, den Menschen, die der Solidarität bedürfen, dafür eine unverzeihliche moralische Schuld aufzubürden.

Durch die Maschen

Das ökonomische und soziale Netz (wobei „sozial“ hier nicht meint, dass jemand Hilfsgelder bekommt, sondern die konkrete gegenseitige Hilfe) ist dem entsprechend absurd großmaschig. Es gibt überhaupt keine Einheit mehr, keine relevanten gesellschaftlichen Gruppen, in denen sich Menschen aufeinander beziehen können. Immer noch hat Thatcher recht: There is no such thing as society. Vor nichts hat der Kapitalismus mehr Angst, darum kennt sein Narrativ Kollektive auch nur als willenlose “Borg” oder Zwangsgemeinschaften einer Diktatur.

Die Hoffnung auf eine zukünftige überlebensfähige Gesellschaft muss aber darauf Gründen, dass sich solidarische Gruppen, Einheiten, Zusammenschlüsse bilden, in denen Solidarität gelebt werden kann, in denen man sich kennt, gemeinsam entscheidet und sich gegenseitig trägt. Das größte Problem daran ist, neben dem Totalausverkauf der Welt, in der alles, was man braucht, schon irgendeiner großen Firma gehört, dass die Menschen gar nicht mehr wissen, wie man miteinander arbeitet, entscheidet und lebt. Dieses Manko muss behoben werden.

 
bp

Die wichtigste tragende Säule des Kapitalismus in Europa, insbesondere in Deutschland, ist die Sozialdemokratie, vor allem das Narrativ betreffend. Sie bringt alles mit, um die Erzählung von der guten Marktwirtschaft zu transportieren, und zwar als Geschichte wie als Tabu. Sozialdemokratie grenzt sich vor allem und eigentlich konsequent ausschließlich nach links ab. Sie ist nicht kommunistisch, im Gegenteil: Sie war und ist unversöhnlich antikommunistisch. Ob Wehner als ‘geläuterter’ Kommunist, Schmidt als erster Transatlantiker und Kalter Krieger oder jedwede Parteigremien zu einer beliebigen Zeit, die SPD war stets der Feind der Kommunisten und Linksradikalen, schon um nicht selbst aus dem Kreis der ‘Guten’ ausgeschlossen zu werden.

Als politisch-ökonomische Konstruktion ist die Sozialdemokratie der absurde Versuch, Sozialismus zu verwirklichen unter der strikten Bedingung, dass es ein kapitalistischer zu sein hat. Der Titel ‘Soziale Marktwirtschaft’, den sie sich ausgerechnet noch von den Rechten hat vorgeben lassen, suggeriert, ein ‘Markt’, der nichts anderes ist als eben Kapitalismus – die Konkurrenz privater Eigentümer – könne und müsse ‘sozial’ sein. Sie nennt das ernsthaft bis heute “Sozialismus”, der als Ziel nach wie vor im aktuellen Parteiprogramm steht.

Eine absurde Idee

Dabei hat sie keinerlei Konzept. Keines für Demokratie, weil sich für sie Demokratie in der Existenz eines parlamentarischen Systems erschöpft. Keines für Sozialismus, weil sie sich überhaupt nicht damit beschäftigt, welcher Bedingungen denn ein sozialistisches Wirtschaften bedürfte. Schon gar nicht hätte sie ein Konzept oder eine Theorie des Kapitalismus. Den Marx verbietet sie sich, weil der halt am Kommunismus schuld ist. Dieses Tabu wird so konsequent aufrecht erhalten, dass sie auch völlig unfähig ist, die Ursachen sogenannter “Krisen” jemals im Kapitalismus selbst zu suchen. Dabei müsste sie mit dem Kopf darauf gestoßen werden, denn die Absurdität eines geforderten Sozialismus vor dem Hintergrund ihrer neoliberalen Ausrichtung erfordert dringend eine Klärung bzw. Entscheidung.

Es kann aber eben nicht sein, was nicht sein darf. Die SPD ist sozial. ‘Marktwirtschaft’ ist sozial. ‘Marktwirtschaft’ ist kein Kapitalismus. Diese Glaubenssätze einer bizarren Religion machen sie zum treuesten Vasallen noch des brutalsten Kapitalismus; sie segnet jedes Mittel, noch irgendwie Profite zu ermöglichen, ab und verkauft dies stets als Segnung, denn das Ziel ist ja der marktkompatible Sozialismus, in dem es allen Fleißigen gut geht. Sie darf daher auch weder Konzept noch Theorie haben, denn das würde den ganzen Schwindel sofort auffliegen lassen und den Nachweis erbringen, dass die Idee der Sozialdemokratie ein einziger großer Irrtum ist.

 
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[Via Zeitgeistlos] Schon Oskar Lafontaine wurde bei der Bundestagswahl 1990 hart bestraft für seine richtigen Prognosen bezüglich des Anschlusses der DDR an die BRD. Gregor Gysi hat 1998 die Konsequenzen der Euroeinführung präzise vorausgesagt; der Linken hat es nichts genützt. Im Gegenteil drängen dort heute diejenigen nach vorn, die mit den Neoliberalen gemeinsame Sache machen und die dritte sozialdemokratische Partei damit auf Linie bürsten wollen.

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