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kollateralschaden


 
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An Tagen, an denen es für die beginnende Altersweisheit zu heiß ist, beschleicht mich regelmäßig die Verzweiflung. “Gamification” ist so ein Phänomen, das löst in mir die ganze Batterie der Wünsche aus. Ich wünsche ihnen, dass sie für den Rest der Ewigkeit auf Wesen ihrer eigenen Intelligenz angewiesen sein werden. Nein, schlimmer: Ich wünsche ihnen, dass sie in einer Welt leben müssen, in der alle so beschränkt sind wie sie selber und in der es auch nichts gibt, dass jemand mit einem höheren Grad an Orientierung geschaffen hat. Sie sollen in einer exklusiven Gesellschaft von Idioten leben, in der ihnen niemand mehr den Arsch abwischt.

Was hilft’s, wir müssen das analysieren. Es lassen sich also Massen von Smartfonnutzern dazu abrichten, virtuellen Tierchen hinterher zu rennen, was zu entsprechenden Ansammlungen führt. Du kannst ihnen sagen, dass ein übermächtiger Staat alles über sie weiß, ihre Kommunikation speichert und zensuriert, dass ein paar Kilometer weiter das nackte Elend herrscht und langsam auf sie zu kriecht, das interessiert sie einen Dung. Aber wenn in ihrem verfickten Streichelbrett ein mies gezeichnetes Comictier sich anschickt zu erscheinen, rennen sie meilenweit dafür, massenhaft und wie die Lemminge. Ach ja, zu gewinnen gibt es auch was. FACE. PALM!

Dingsbums befiehl …

Okay, das war noch nicht die Analyse. Was sind das für Menschen, was zeichnet sie aus? Am Ende dasselbe wie die Zyniker, die sie umher laufen lassen: Sie hinterfragen nicht für einen Cent den Sinn ihres Handelns und ebenso wenig die Konsequenzen. Sie sind, da hat Fefe völlig Recht mit seinem Vergleich, Befehlsempfänger, die sich von einer Maschine vorgeben lassen, was sie tun sollen und glauben, das sei gut für sie. Ich will gar nicht hören, welche irren Ausreden aus solchem Gewürm kommen, wenn man sie darauf aufmerksam macht.

Er hat “Gewürm” gesagt, wie die Nazis! Ja, was soll ich denn machen, wenn Vertreter einer Spezies mit dem Potential zu Verstand und Vernunft sich benehmen wie Amöben? Wir streiten uns, so wir politisch, sozial, oder geisteswissenschaftlich denken, um Konzepte von Vernunft, Individualität und Freiheit, und eine Masse von Sprallos bittet ersichtlich darum, von irgendwem oder irgendwas möglichst sinnfreie Befehle zu erhalten, ohne eine Sekunde über die Folgen nachzudenken. Was Gamification repräsentiert, ist dabei dasselbe, was in der großen Masse zumindest schlummert: die Sucht nach starken Männern, das anbeten von Autorität, die dümmlichen Vereinfachungen, Stereotypen, Vorurteile, die allesamt nur der Flucht dienen – vor den Mühen, sich als Individuum in der Welt zu orientieren.

Endgegner Auschwitz

Die Katastrophe besteht nun darin, dass auf dieser Individualität und deren blöde wiederholten Behauptung das ganze Konzept von Demokratie und bürgericher Gesellschaft fußt. Die Lebenslüge der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Freiheit findet inzwischen Ausdrucksformen wie Hammerschläge in die Fresse. Kann das dann vielleicht auch mal jemand zur Kenntnis nehmen? Erinnert sich wer:

Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie, wenn ich den Kantischen Ausdruck verwenden darf; die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen“ ?

Gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem Wildbrand politischer Brutalität, der entsetzlichen Dummheit unkritischer Konsumenten und dem völligen Versagen bürgerlicher Bildung? Ich rede hier nicht von romantischen Vorstellungen von Menschwerdung, sondern von einer weiteren Form, in der der Kapitalismus sich selbst in seinen Grundfesten zersetzt. Die übelsten vorzeitlichen Tyranneien konnten die Freiheit nicht annähernd so gründlich zerstören.

 
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Kollege Pantoufle wirft fahrlässig mit Konfetti um sich, weil ein paar Physiker behaupten, es sei jetzt aber endgültig irre wahrscheinlich, dass sie Gravitationswellen nachgewiesen hätten. Ich bin ja der Ansicht (womit ich ausdrücklich nicht den Kollegen meine), dass Leute, die sich noch nie mit Gravitation befasst haben, dergleichen nicht lesen müssen und schon gar nicht schreiben dürfen. Sonst kommt dabei herum, dass es ein deutscher, ein deutscher ein deutscher!!! Laser war, der das gemessen hat. So kommt der Laser zum Leser. Ich halte die bisher bekannt gewordenen Fakten für wacklig – sprichwörtlich. Zudem meldet der “Spiegel” das, was immer ein Indiz für eine Ente ist, und erblödet sich der Forderung eines “schnellen” Nobelpreises. Das hat sich ja schon bei Obama bewährt.

Ich kommentierte heute, ich sei früher immer Hintertorwart oder Ball gewesen, wenn Fußball gespielt wurde. Hier möchte ich ergänzen, dass ich dereinst mit meiner ersten Freundin am Strand lag, in den Sternenhimmel schaute und über die Rotverschiebung im Spektrum sich entfernender Lichtquellen sinnierte. Eine dieser Geschichten ist möglicherweise wahr, zumindest signifikant wahrscheinlich.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Ich wollte aber auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich auf die sogenannte “Wissenschaft” der Politologie. Was die so an Wissen schafft und ausspuckt, ist mit signifikantester Wahrscheinlichkeit peinlicher Blödsinn, die Systemtapete in den geschlossenen Räumlichkeiten eines psychotischen Paralleluniversums. So ungefähr wie “Being John Malkovich”, nur mit Sigmar Gabriel anstelle von John Malkovich. Vor einigen Jahrzehnten trug ich einmal die Idee vor, soziale Systeme, zumal politische, müssten redundant sein, wenn sie nicht zwangsläufig im Innern zuwuchern und als Schwarzes Loch enden sollen. Will heißen: Eine Gesellschaft, die ihre Entwicklung und deren Prozesse nicht revidieren kann, wird instabil und zerstört sich selbst.

So weit, so Idee. Keine große, sondern historisch fast beliebig nachweisbar, das, was wir gerade wieder erleben und sowieso banal. Wo, frage ich mich jetzt, bleibt also die wissenschaftliche Forschung zu der Frage, wie sich Gesellschaft so formieren kann, dass sie fatale Prozesse erkennt, revidiert und korrigiert anstatt wie doof ins Verderben zu laufen? Man lacht sich ja tot, wenn man aus diesem Blickwickel so etwas wie Kapitalismus betrachtet. Ach, ihr meint, genau deshalb fragt sich das niemand an den Brutstätten solcher ‘Wissenschaft’? Na gut, ich geh’ dann mal wieder hinters Tor.

 
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Ich habe bei einigen Gelegenheiten bereits darauf hingewiesen, dass Vernunft oder das bessere Argument kaum eine Rolle spielen in ‘Diskussionen’, am ehesten noch die einer Staffage, einer chicen Applikation. Klaus Baum hat zu diesem Komplex angemerkt, er gehe davon aus, dass die Dummköpfe in dieser Gesellschaft “gezüchtet” werden. Das mag sein, aber vielleicht wird umgekehrt ein Schuh draus.

Die europäische “Aufklärung” fiel ineins mit einer revolutionären Phase, die Jahrtausende der Autorität zum Teufel jagte. Eine der scharfen Waffen der Revolution war die Vernunft, das Argument, das an die Stelle der göttlichen Ordnung trat. Man hatte sich zu legitimieren durch Gründe, nicht durch die schiere soziale Stellung. Diese Ehe von Vernunft, Argumentation und verbalem Streit manifestierte sich in den “Parlamenten”, in denen fortan politisch gestritten wurde.

Wen interressiert’s?

Das ging so ein bis zwei Jahrhunderte gut, bis die “Vernunft” in den Institutionen so abgenutzt und korrumpiert war, dass von ihr nur mehr ein Kult übrig war. Hie die “Propagandaministerien”, dort die Ansprache an den Instinkt aka “Werbung”, verlor das Wahre jede Majestät. Die bizarren Lügen der neuen Herrscherkasten, seien es sogenannte “kommunistische”, Faschisten oder biegsame Profiteure, die sich noch mit jedem Regime arrangiert haben, aus ihnen sprach die Macht und was sie kund zu tun hatte, so wie in den Jahrhunderten zuvor schon Klerus und Adel.

Es mag sein, dass befeuert durch die Schrecken zweier Weltkriege, die Wahrheit in Form eines sich kritisch versuchenden Journalismus und eines noch einmal um das Wahre und Rechte bemühten Parlamentarismus eine Renaissance feierte. Zu deutlich war geworden, wohin eine von der Macht entstellte Wahrheit führt. Es dauerte aber nicht lange (mit einem Intermezzo in den späten 60er Jahren, als die Jugend massenhaft am Schleier zerrte), bis der Reflex, das industriell perfektionierte ‘Argument’ und das virtuose Spiel der professionellen Lügner mit den Hormonen der Massen neue Dimensionen erreichte.

Ja, die Dummköpfe werden gezüchtet, vor allem, weil Wahrheit und Vernunft so langsam und ineffizient sind. Da mag der Geist sogar um die Sache wissen, er mag völlig klar sein in seinem Urteil; wo die Reflexe unter dem Dauerfeuer von Zeichen, Verlockungen und Triggern stehen, kapituliert der Verstand schon allein deshalb, weil er das Tempo nicht mitgehen kann. Niemand hat ein Interesse an der Wahrheit. Das aber ist es, was zählt: Interessen. Es gibt keine Klasse mehr, der Vernunft und Wahrheit dienlich wären. Im Gegenteil müssen inzwischen alle Angst vor ihr haben, weil sie ausspricht, was niemand hören will: Dass die Menschheit versagt hat.

 
Hier und bei allen, die ihren Verstand nicht im Club der Hurras abgegeben haben. Pantoufle bringt es schmallippig auf den Punkt. Von mir dazu nur einen Satz:
Der Funktionär heißt Funktionär, weil er funktioniert.

 

Ich habe mir neulich einen Unterhaltungsfilm angeschaut. Der Titel ist “The Man From U.N.C.L.E.”, deutsch “Codename U.N.C.L.E.”. Die Handlung ist eine Art billiger James-Bond-Imitation, die Anlehnung an die Original-Serie auch nur in dem Sinne gelungen, dass sie eben an ‘Handlung’ übrig lässt, was vom klassischen James Bond bleibt, wenn James Bond fehlt. Der Film soll die Optik der 60er/70er Jahre umsetzen und schießt dabei derart übers Ziel hinaus, dass Leni Riefenstahl feucht würde.

Die Bilder sind schlicht perfekt. So perfekt, dass es schon auffällt, wenn ein Stuhl nicht rechtwinklig zu den anderen Möbeln plaziert ist. Alles ist aufeinander abgestimmt; Farbe und Muster von Tapeten, Kleider, Frisuren, Schmuck, Accessoires. Selbst das Wasser, in dem ein Auto versinkt, harmoniert mit der Farbe des Kleides der Darstellerin. Alles ist geputzt, makellos. Keine Flecken, kein Stäubchen. Auch die Szene, in der eine Offroad-Fahrt stattfindet, zeigt vollendete Einstellungen, hier von den Sprenkeln im Gesicht des Darstellers, und obwohl es regnet, scheint die Sonne.

Alles bestens

Dieser Terror totaler Schönheit wird nur durchbrochen vom bösen Nazi, der alt und vernarbt über die Leinwand marodieren muss. Dieses Detail ist wie der finale Axthieb in den Schädel, um unmissverständlich zu klären, dass es sich bei all dem um brutal perfekten Kitsch handelt, der über jeden Verdacht eines Augenzwinkerns erhaben ist. Es gibt keine Ironie, nur Plattitüden und Zitate, die ohne jede Distanz die Produkte der Industrie aka “Stars” abfeiern. Es tut weh, hinzuschauen. Man sucht verzweifelt irgend etwas Natürliches, Schmutziges, Ungewolltes. Es ist aber nicht da.

Als ich “Grand Budapest Hotel” gesehen hatte, hielt ich die Akribie der Inszenierung für liebevoll, einfach tolle Bilder (die eine originelle Handlung untermalten, jedenfalls im Rahmen eines Unterhaltungsfilms). Vielleicht stimmt das sogar, aber diese visuelle Vergewaltigung eines Streifens lässt mich inzwischen daran zweifeln. Kann ein solches Stilelement, das tendenziell alles Fehlerhafte ausmerzt, etwas anderes sein als totalitäre Ästhetik?

Ästhetischer Terror

Zugerichtet, produziert, passend gemacht, harmonisch abgestimmt, schön, perfekt sind alle Objekte, einschließlich der stoffwechselnden Staffage, früher auch als “Menschen” bekannt. Das heißt folgerichtig, dass jeder Ton, der nicht passt, jede störende Farbnuance, jede Ecke oder Rundung, jeder Makel, alles, das nicht als dazugehörend identifiziert wurde, ausgemerzt worden sein muss. Es ist nicht die Lust am Leiden anderer, die der Quotennazi verkörpern muss, sondern die ‘Logik’ eines gnadenlosen Designs, die hier den Faschismus feiert.

Als der Nazi versehentlich in seinem elektrischen Stuhl verbrennt, veranlasst das den Hauptdarsteller zu der lakonischen Bemerkung: “Zu dumm! Ich hab mein Jackett darinnen gelassen.“. Auch das ist keine Ironie. Zwar ist es nur der personifizierte Unmensch, dessen Wert gegen den des chicen Sakkos vernachlässigenswert ist, es fehlt aber jeder Anker für die Vermutung, dass anderes Hässliche oder eben nicht Perfekte mehr Gnade erführe. Fürs Wachstum ist es freilich das Beste: Was kann man nicht alles kaufen, um sich zu verschönern! Die Alternative nämlich ist das Verschwinden aus jeder Szene, die Wertlosigkeit als Opfer der ästhetischen Selektion.

 
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Reingefallen, mal wieder. Fehleingeschätzt, wie alte Männer das so zu tun pflegen. Ihr wisst schon, die Jungs, die immer noch alles taxieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist und für die es zwei Definitionen von “alt” gibt: Erstens Frauen, die nicht mindestens zehn Jahre jünger sind und Zweitens können wir ein anderes Mal besprechen. Eigentlich wusste ich das ja und hatte bereits vor Jahren gesagt, das sei das letzte Mal, aber ich bin ja fit. Wer vierstellige Kilometerzahlen pro Jahr und zehn Prozent Steigung zum Frühstück frisst, kann ja wohl ein paar Treppen hoch und runter laufen.

Ich gestehe: Ich habe schon wieder jemandem beim Umzug geholfen. Alles richtig gemacht und wegen ewig Rücken wirklich in jeder Höhe alles fein aus den Beinen gehoben. Ich hatte seit dreißig Jahren, wenn überhaupt jemals, nicht mehr einen solchen Muskelkater. In den Beinen. Ich. Scheiße, ich bin wirklich zu alt für so etwas. Seid so gut und erinnert mich gelegentlich daran.

Alles so schön bunt

Ich frage mich manchmal, ob diese Form der Verblödung unvermeidlich ist und selbst unsereiner am Ende noch eingefangen wird von der Bilderproduktion, die einem ständig vorgaukelt, man müsste und wäre. Jung, dynamisch, bescheuert. Der Kollateralschaden, den schon das frühe Wirtschaftswunder® derbe ausgelebt hat, die Lüge von der ewigen Party, unendlichem Komfort, Lust ohne Reue, weiß und weich zugleich. Das Lenorgewissen strahlt, und Mutti greift zu, weil alles gut ist. Ein Glasreiniger warb vor Jahrzehnten mit dem Spruch “Mit Super Salmiak”, um nach der Grünen® Gehirnreinigung mit der Riesenwaschkraft den Slogan “Ohne Salmiak!” der nächsten Generation um die doofen Ohren zu hauen.

Ich bin so frei, Dingscafé ist dabei, ich will so bleiben wie ich bin, da weiß man, was man hat, Blabla muss mit, Tilly spült ihre Hände in Quietschsauber, während Villarriba schon wieder Ex und Hopp sexy mini top hop, aber hallo Herr Kaiser! Der freundliche Tankwart empfiehlt wie immer Egal, Hauptsache den Schwanz versichert – Sicherheit mit Dividende! Noch nicht genug? Dann hört euch doch das Gewäsch der Kapitalsauger von Banken und Versicherungen an, denen offenbar keine Slogans mehr einfallen und die deshalb das wehrlose RTL-Opfer minutenlang vollschwallen. Tenor: Du Bank, du, sag’ mir doch mal, warum ich dir ganz dolle vertrauen darf, du, und wie supi du mein Partner bist und dich um mich kümmerst und gäähn …, da lobt man sich am Ende noch die Ficksimulationen der Stinkstofflabore, in denen bis zur Unkenntlichkeit entkleidetes abgemagertes Jungvolk die hervorstehenden Beckenknochen ineinander verhakt, dass es knirscht. Sexy!

So ist das Leben

Wir nehmen das alles hin. Nicht nur das, allen ist bekannt, dass die offizielle Lügenindustrie ganz selbstverständlich die Nachrichtenproduktion finanziert. Kein Verlag, der nicht am Tropf der Werbung hängt. Kein Problem, oder? Tatsächlich haben diese Medien allein deshalb schon den Titel “Lügenpresse” verdient, weil es ihr Job ist: Lügen über Waren zu verbreiten. Lügen, die mit jedem denkbaren Aufwand so gesponnen werden, dass sie wirken, dass niemand merkt, wie alle betrogen werden. Die Zitate da oben kullern mir am Band aus dem Kopf, ich habe hunderte, wenn nicht tausende Slogans verinnerlicht. Ist das kein Schaden? Muss ich das hinnehmen? Ich will jemanden verklagen!

Gegen diesen Clusterfuck ist eine Gemüsezwiebel Kernobst. Lügen finanzieren die gängige Erzählung, die als Wahrheit gehandelt wieder aufgenommen wird. Dabei kommt alles zur Sprache, wird jede Intimsphäre einmal mit dem Bagger durchgewalkt, nur nicht das Eine: Die Notwendigkeit, der die Lügen entspringen, seien sie als “Werbung” oder “redaktioneller Anteil” oder gar nicht mehr deklariert. Im Gegenteil ist es sogar gelungen, nachdem ganz selbstverständlich die politischen Wahrheiten direkt von der Lügenindustrie vorformuliert werden, den Deppen, an die sie adressiert sind, unbemerkt die Eselsmütze aufzusetzen.

Die große Psychose wurde erfolgreich so kalibriert, dass sämtliche Probanden sich nach dem Schleudergang und dem anschließenden All-You-Can-Eat am Halluzinogenbuffet für total souverän halten. “Werbung? Davon lasse ich mich nicht beeinflussen!“. Findet mir zwei Menschen, die sich anders einschätzen. Ergo: Werbung findet gar nicht statt, hat keinen Effekt, schadet niemandem. So muss man das sehen. So ist die Welt halt. So dumm sind die Menschen nämlich nicht. Die wissen doch, dass das ein klitzekleines bisschen geflunkert ist, und solange es nicht wehtut, ist es doch okay, oder?

p.s.: Das Ganze gibt’s auch in der Kurzversion. Die gefällt mir eigentlich noch besser.

 
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Wirklichkeit kann witzig sein. Okay, meist ist sie ein wenig deprimierend, zuerst für diejenigen, die relativ einsam sind vor der Höhle der Verblödeten, dann für die anderen, wenn sie sie eben aufgeweckt und ins Licht gezerrt werden. Wenn man aber weit genug zurück tritt und sich das Ganze von außen anschaut, ist es schon komisch, so wie ein Irrenwitz, in dem die Bekloppten Wörtern immer die falsche Bedeutung zuordnen.

Fefe verlinkt einen Arikel der Irish Times, in dem die jüngsten Erfolge ‘linker’ politischer Kräfte wie Syriza, Podemos und Corbyn als Folge des Zusammenbruchs einer konstruierten Wirklichkeit erklärt wird. Da lacht der Zyniker. Die neoliberale Ideologie, ihr Zwiesprech, ihre Schleifen der ewig gleichen Lügen, sie taugen nicht mehr. Das hat seine Logik.

Ganz richtig wird dort erwähnt, dass in Südeuropa, insbesondere Griechenland, die Austeritätspolitik, das Plündern des Staates zugunsten der Profite, einfach sichtbare Fakten geschaffen hat, die sich nicht mehr ohne massiven Einsatz von Drogen in die Erzählung von der segensreichen Marktwirtschaft zwingen lassen. Aber das ist nur ein Symptom. Aus dem Süden des Südens wird sie nämlich derzeit schlicht überrannt, da rutschen sogar Seehofer die einstudierten Phrasen in die hängenden Schultern.

Da sind wir

Das Vielzweckwerkzeug barbarischer Kriege, menschenverachtenden Waffenhandels, der Zerstörung der Menschenrechte im Namen des perfiden Kampfes gegen den Terror, die ganzen Strategien zur Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen, fällt sprichwörtlich auf die Mitverursacher zurück. Schwimmend, zu Fuß, zur Not auf allen Vieren, und unaufhaltsam. Die Standardreaktion darauf – Sprüche aus dem Stahlhelm und das Anzünden von Asylbewerberheimen durch Verfassungsschützer und deren Freunde – erweist als nicht ausreichend. Es kommen trotzdem immer mehr. So ist das halt bei einer Völkerwanderung.

Derweil hat sich der Hauptverursacher bereit erklärt, auch 10.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Das nenne ich großzügig, nachdem Afghanistan (30 Millionen), Irak (30 Millionen), Libyen (6 Millionen), Syrien (21 Millionen) direkt und die umliegenden Staaten mittelbar destabilisiert wurden. Wie war das noch? Da gab es Terroristen, die wären sonst hierher gekommen. Da könnten die Falschen das gute Öl an sich reißen. Womöglich würde gar einer eine Gaspipeline in die falsche Richtung bauen. Hat eigentlich schon jemand Ukrainer an der Grenze gesichtet?

Jaja, so was kommt von so was, und kaum kommt es raus, springt der linke Spinner aus dem Karton. Eine andere Reaktion der Reaktion war nicht zu erwarten, denn die Mittelschichtshündchen, die den Hoffunk besorgen, werden die Letzten sein, die ihren Meinungsbaukasten von Realitäten erschüttern lassen. Flüchtlinge? Man muss nur diese Schlepperbanden bekämpfen. An allem anderen ist Putin schuld.

Überall Realos

Der eingangs verlinkte Artikel würdigt im Übrigen die neoliberale Wende der “Sozialdemokraten” (u.a. Blair und Clinton) als wichtigen Schritt in Richtung Realitätsverlust. Das ist korrekt, und es gibt eine Ergänzung dazu, die ich für sehr wichtig halte: Epikur weist auf den fragmentierten Widerstand hin, der keiner ist, weil er den Gegner aus den Augen verloren hat.

Das ist die Geschichte der “Grünen”, einer Vereinigung von Bewegungen, die im Ursprung noch wussten, dass ihr Widerstand – gegen Atomkraft, Umweltzerstörung, Unterdrückung, Krieg und Machtkonzentration – einen Fluchtpunkt hatte, nämlich das Kapital. Als Fischer sich zum Führer ausrufen ließ und Auschwitz in Serbien bekämpfte, waren die kommunistischen und marxistischen Wurzeln der Partei bereits verödet, die Basisdemokratie windschnittig zurecht gebügelt und die Ideale der Gründungszeit in die Ausschüsse verwiesen. Dies geschah ebenso im Namen einer “Realpolitik” wie die Entsorgung des letzten sozialen Gedankens auf dem Grund der Agenda 2010.

Die Getretenen haben stillgehalten, die Gemobbten sind draußen geblieben, die Unterdrückten sind in die Depression geflohen. Die Korrupten haben das Ruder übernommen, in den Gewerkschaften, der parlamentarischen ‘Linken’ und überall, wo eben Funktionäre sitzen. Sie haben sich eingeigelt in ihrer rosa Gagawelt und von dort die gültige Wahrheit® verkündet. Das hat erstaunlich lange funktioniert. Bis gestern. Was jetzt kommt? Eine Ahnung hätte ich, aber ich möchte mir nicht dauernd vorwerfen lassen, zu demoralisieren. Begrüßen wir es doch einfach:
Willkommen in der Wirklichkeit!

 
gar

Sozialdemokraten können einen in den Wahnsinn treiben mit ihrem Glauben an einen ‘Willen’, ihre Konzepte unter dem Banner “Man müsste nur …”, ihrer Ignoranz gegen Mächte und Zwänge, die eben alles das verhindern, was in ihrem Kosmos der gute Wille will und vernünftigerweise getan werden müsste. Wir hatten das immer wieder hier, sei es als Kritik gegen die Flying Flassbecks oder gar Heinz-Josef Bontrup, der es besser weiß und dennoch Lösungen vorschlägt, denen entscheidende Interessen und Prinzipien entgegenstehen.

Ich will hier heute aber einmal auf die andere Seite der Sache eingehen, nämlich auf jenen Willen, die Sphäre der Eigenschaften von Menschen, das vorgeblich Gute® oder auch nur Vernünftige, das zu aktivieren wäre, um die Welt zu retten. Es sei sogar so weit eingeschränkt, dass die Frage ausgeklammert wird, ob das selbst im besten Fall zu relevanten Veränderungen führen kann. Dann bleibt immer noch die Frage, wie sich so etwas wie Charakter überhaupt bildet.

Keine Wahl

Ich will diese Frage bei aller Verzweiflung über die ungünstigen Bedingungen gar nicht abwerten, im Gegenteil: Es ist nämlich gar keine gute Idee, dies der Bertelsmann-Stiftung (vulgo: den Schulen) oder den Esos zu überlassen. Was aber kann man tun, um die permanente Überforderung eines respektablen Charakters gegen die Reize einer asozialen Restpersönlichkeit in glänzender Hülle schmackhaft zu machen?

Ein bisschen konkreter: Ich bin Vater zweier Töchter und habe versucht, ihnen zu erzählen, was so ungefähr richtig und falsch ist, gut und gar nicht gut, wahr und falsch. Ich habe sogar versucht, ihnen das halbwegs passabel vorzuleben. Ich fürchte aber, das war gänzlich verschwendet, denn egal, was unsere Generation noch an Illusionen und Idealen, Korruption und Egoismus tradiert hat, es lässt der nächsten keine andere Wahl. Sie können es mit Charakter versuchen und schon früh die Früchte der Depression ernten oder mit Karriere und eben später davon kosten.

Persönlichkeit? Wat dat denn?

Verständlich, dass Sozialdemokraten aller Fraktionen immer noch nach dem Willy schreien, dass sie große Persönlichkeiten suchen, denen sie große Eigenschaften andichten können, auf dass wir ihnen nacheifern. Was wir haben, ist Merkel. Es sind Gabriel, Özdemir, Gauck. Anne Will. Jauch. Dagi Bee und Doggy Dog Kitty Cat. Was wir haben, ist die Entscheidung zwischen Pest und Cholera, Krebs und Aids, in den Geschmacksrichtungen Erdbeere, Vanille, Traumschaum-Motoröl und Leckerlecker-DDT.

Vereinzelt, berieselt, bespaßelt und verhätschelt, belogen und auf stählerne Ellbogen trainiert, kennen schon zwei Generationen keinen Zweck mehr, zu dem man einen Ballast wie Ehrlichkeit, Treue, Zuverlässigkeit oder Zivilcourage bräuchte. Dafür kennen sie für jede Eigenschaft, die es vorzutäuschen oder anzuheucheln gilt, tausend schauspielerische Tricks. Wo ist da Raum für eine ‘Individualität’, die nicht industriell produziert wäre, für ‘Charakter’ und am Ende ‘guten Willen’? Die böse Zunge kann sich hier schließlich doch nicht ganz beherrschen und fragt, in welchem Verhältnis der Wille zum Besseren also zum Zwang der Verwertung steht.

 
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Ich lache hart und weine laut. Jemand hat die ersten vier Folgen der Fantasy-Serie “Game of Thrones” noch vor dem Serienstart der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die also lustig heruntergeladen werden können, während die Zuschauer von HBO (US-Pay-TV-Sender) noch drauf warten müssen. Jetzt geht natürlich ein “Haltet-den-Dieb!”-Spielchen los auf der Suche nach der Person (mutmaßlich wahrscheinlich ein Journalist), die so frei war.

“Game of Thrones” ist ein Fantasy-Epos, von dem bisher fünf Bände erschienen sind; am Ende sollen es sieben werden. Der Autor, George R. R. Martin. lässt sich gern Jahre Zeit dafür. Der erste Band erschien 1996, der letzte 2011, danach hat der Meister sich der Fernsehserie gewidmet. Nach vier Jahren des Wartens bekommt er von seinen Fans oft zu hören, er möge sich doch der Arbeit am sechsten Band widmen. Denen hat Martin zuletzt mit einem entschiedenen “Fuck you!” geantwortet.

Fuck the Fans

Wenn man eine gewisse Größe erreicht, kann man sich das leisten. Die Prioritäten verschieben sich. Es muss geerntet werden, auch wenn die Frucht noch nicht ganz reif ist. Das Tolle an einer gewissen Größenordnung ist, dass man von oben bestimmt. Es ist nicht mehr nötig, Rücksicht zu nehmen ausgerechnet auf diejenigen, von deren Gunst man lebt. Eine Geschichte, so erzählt, dass sie sich optimal verwerten lässt und das Glück, entsprechende Verwerter zu finden, machen aus dem Geschichtenerzähler einen reichen mächtigen Mann.

Er hat die Rechte. Punkt. (Das erinnert mich an dieser Stelle stark an die Meinung Kai Biermanns zu Movie2k.to.) Der Rechteinhaber bestimmt , was wann wie gelesen und geschaut wird, das unterscheidet ihn vom Geschichtenerzähler, der froh sein kann, wenn die anderen für ihn Nüsse sammeln, auf dass er mit speisen darf. Dazwischen ist das Kapital, das scheue unsichtbare Wesen.

Erhatdierechtepunkt bedeutet natürlich, dass er sich reichlich bedient an Vorläufern aus Märchen, anderen Fantasystories und der einen oder anderen Familiensaga. Aber es werden keine Geschichten mehr erzählt, um zu unterhalten und Gemeinschaft zu bilden. Es wird Schöpfungstiefe ausgelotet, produziert und aufgelegt, verlegt, beworben, verkauft und geschützt, als Produkt und Marke. Auch hier – wie schon an anderer Stelle bemerkt – ist der Produktionsprozess von jedem Blick auf soziale Beziehungen befreit.

Geben, nehmen, hängen

Es ist keine Beziehung, und durch diesen Schnitt wird gleichzeitig das Produktionsverhältnis unsichtbar. An die Stelle der Beziehung vom Erzähler zum Zuhörer tritt die des Anbieters zum Abnehmer, wobei der Anbieter das Monopol hat auf seine Geschichte. Was bleibt, ist der Herr, der den Pöbel im Griff hat. “Fickt euch!” ist die Formel für die Ansprüche derjenigen, die ihn durch ihre Arbeit zu dem gemacht haben, als das er sich heute empfinden darf.

Warte, “ihre Arbeit”? War das nicht seine Arbeit, für die er darum allein alle Rechte hat? Ja, so sollen wir es sehen, mit “Punkt”. Weil wir von Halbhirnen belehrt werden, die nicht begreifen, dass nur Geld gegen Geld und Arbeit gegen Arbeit aufgerechnet werden kann. In jedem Dollar, den Herr Martin sich angeeignet hat, steckt die Arbeit seiner Kunden, dem “Fickt euch!”- Pöbel. Das ist jetzt alles seins. Punkt. Doch jetzt haben sie ihn bestohlen, sein Werk dem Pöbel zugänglich gemacht, der dafür keine Gegenleistung erbringt. Haltet die Diebe – und vergesst nicht, sie auch zu hängen!

 
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“Hängt das Schwein auf” las ich schon gestern und mich überkam spontan tiefes Mitgefühl mit denen, die schon immer die Todesstrafe für Selbstmordattentäter gefordert haben. Nein, das ist kein Witz. Der Ruf nach härteren Strafen® ist Teil eines Rituals, das mit Sinn und Verstand nichts anfangen kann. Affekt ist gefragt, wogegen ich nicht einmal allzu große Rede halten könnte, wäre es nicht exakt der Affekt, der übermüdeten Kindern den Schlaf raubt. Es kann nie genug sein, nie laut und groß genug, und wenn man die Müllmedien machen lässt, geht das eben wochenlang so und bis zur rasenden Barbarei.

Was die Hetzzeitung hetzt, mag noch immer das strahlende Vorbild sein für den Rest der verseuchten Landschaft, aber in einem sind sie sich längst einig, still und ohne den zartesten Stimulus einer verantwortlichen Synapse: Alles muss raus! Schnellschnell Meldung, Kommentar, Sen-sa-tion. Das ist eben Journalismus 2.0: Wer heute ein Geschäft verpasst, macht es morgen schon gar nicht mehr. It’s all about the money.

Boom

Wenn ich also lese – ein beliebiges Beispiel – “Die Ratlosigkeit nach der Katastrophe“, ist das genau so Machwerk wie ein “Das ist das Schwein und das seine Schweinefamilie”. Es hat keine “Katastrophe” stattgefunden, sondern ein Verkehrsunfall. Niemand ist “ratlos”, aber das klingt so schön verzweifelt und passt ins Corporate Design des Verlags, dessen Printausgabe “Ausgeliefert” titelt und den Grusel der Stunde zu nutzen weiß. Gerade haben sie sich noch das ehedem Selbstverständliche als gloriosen Qualitätsanspruch selbstbescheinigt, da reißen sie es mit dem Hintern wieder um. Wer am Wühltisch zögert, geht eben leer aus. Höhere Anforderungen stellen nur “organisiert auftretende, anonyme” Konterrevolutionäre.

Es gibt nichts zu berichten, gar nichts. Es ist eben nicht geklärt, was passiert ist. Guter Journalismus, der leider nicht auf die Verwertungskette zu bringen ist, hätte sich die Weisheit zu eigen gemacht: “Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten”. Ganz im Gegenteil ist aber der Mix aus Leichengeruch, Explosionsstaub und Ungewissheit der optimale Nährboden für jede Art Schauergeschichte und Betroffenheitslyrik. Angesichts des Booms, den das auslöst, sollte man darüber reden dürfen, ob so ein Knall nicht eine Wohltat ist, etwas ungemein Soziales. Wir reden hier schließlich von Arbeitsplätzen!

Für jeden etwas

Wer es lesen will, erfährt also, was das Pilotenschwein geträumt hat, warum der schon immer eine Sau war und man nur den gesunden Volkskörper hätte fragen müssen, wie man solche ausmerzt. Wer es nicht ganz so hart mag, kriegt auf dem anderen Kanal die bemüht kultivierte Version der Denunziation geboten. Auch da war noch nichts bewiesen, aber wir sind ja nicht vor Gericht. Medien Suchen nicht die Wahrheit und können sie eh nicht rechtzeitig finden. Da setzt dann halt ihre Kreativität ein.

Die Resteverwerter kommen ebenfalls auf ihre Kosten, sei es der politische Weihrauchschwenker oder der Longtail, der mit einsetzender Ebbe leisere Töne anschlägt und übergangslos die Heuchelarbeit einleitet. Da muss eine chice Location her, na klar: Der Kölner Dom, weil wir es uns wert sind. Ein bisschen sparsam ist das eher, wir haben reichlich luxuriöse Fußballstadien, in denen auch multimedial mehr geht. Vielleicht beim nächsten Mal. In der Zwischenzeit werden ein paar Gurken sauer eingelegt; ein bisschen transatlantische Handelspolitik, ein paar geostrategische Wühlarbeiten, solche Dinge eben, für die sich niemand interessiert. Irrelevantes Zeug halt.

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