Ich lache hart und weine laut. Jemand hat die ersten vier Folgen der Fantasy-Serie “Game of Thrones” noch vor dem Serienstart der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die also lustig heruntergeladen werden können, während die Zuschauer von HBO (US-Pay-TV-Sender) noch drauf warten müssen. Jetzt geht natürlich ein “Haltet-den-Dieb!”-Spielchen los auf der Suche nach der Person (mutmaßlich wahrscheinlich ein Journalist), die so frei war.
“Game of Thrones” ist ein Fantasy-Epos, von dem bisher fünf Bände erschienen sind; am Ende sollen es sieben werden. Der Autor, George R. R. Martin. lässt sich gern Jahre Zeit dafür. Der erste Band erschien 1996, der letzte 2011, danach hat der Meister sich der Fernsehserie gewidmet. Nach vier Jahren des Wartens bekommt er von seinen Fans oft zu hören, er möge sich doch der Arbeit am sechsten Band widmen. Denen hat Martin zuletzt mit einem entschiedenen “Fuck you!” geantwortet.
Fuck the Fans
Wenn man eine gewisse Größe erreicht, kann man sich das leisten. Die Prioritäten verschieben sich. Es muss geerntet werden, auch wenn die Frucht noch nicht ganz reif ist. Das Tolle an einer gewissen Größenordnung ist, dass man von oben bestimmt. Es ist nicht mehr nötig, Rücksicht zu nehmen ausgerechnet auf diejenigen, von deren Gunst man lebt. Eine Geschichte, so erzählt, dass sie sich optimal verwerten lässt und das Glück, entsprechende Verwerter zu finden, machen aus dem Geschichtenerzähler einen reichen mächtigen Mann.
Er hat die Rechte. Punkt. (Das erinnert mich an dieser Stelle stark an die Meinung Kai Biermanns zu Movie2k.to.) Der Rechteinhaber bestimmt , was wann wie gelesen und geschaut wird, das unterscheidet ihn vom Geschichtenerzähler, der froh sein kann, wenn die anderen für ihn Nüsse sammeln, auf dass er mit speisen darf. Dazwischen ist das Kapital, das scheue unsichtbare Wesen.
Erhatdierechtepunkt bedeutet natürlich, dass er sich reichlich bedient an Vorläufern aus Märchen, anderen Fantasystories und der einen oder anderen Familiensaga. Aber es werden keine Geschichten mehr erzählt, um zu unterhalten und Gemeinschaft zu bilden. Es wird Schöpfungstiefe ausgelotet, produziert und aufgelegt, verlegt, beworben, verkauft und geschützt, als Produkt und Marke. Auch hier – wie schon an anderer Stelle bemerkt – ist der Produktionsprozess von jedem Blick auf soziale Beziehungen befreit.
Geben, nehmen, hängen
Es ist keine Beziehung, und durch diesen Schnitt wird gleichzeitig das Produktionsverhältnis unsichtbar. An die Stelle der Beziehung vom Erzähler zum Zuhörer tritt die des Anbieters zum Abnehmer, wobei der Anbieter das Monopol hat auf seine Geschichte. Was bleibt, ist der Herr, der den Pöbel im Griff hat. “Fickt euch!” ist die Formel für die Ansprüche derjenigen, die ihn durch ihre Arbeit zu dem gemacht haben, als das er sich heute empfinden darf.
Warte, “ihre Arbeit”? War das nicht seine Arbeit, für die er darum allein alle Rechte hat? Ja, so sollen wir es sehen, mit “Punkt”. Weil wir von Halbhirnen belehrt werden, die nicht begreifen, dass nur Geld gegen Geld und Arbeit gegen Arbeit aufgerechnet werden kann. In jedem Dollar, den Herr Martin sich angeeignet hat, steckt die Arbeit seiner Kunden, dem “Fickt euch!”- Pöbel. Das ist jetzt alles seins. Punkt. Doch jetzt haben sie ihn bestohlen, sein Werk dem Pöbel zugänglich gemacht, der dafür keine Gegenleistung erbringt. Haltet die Diebe – und vergesst nicht, sie auch zu hängen!
April 14th, 2015 at 21:31
@flatter
Danke für den Hinweis auf Frederick, das passt mir sehr gut in den Kram.
Zum Text: Langweilig gut, halt bisiness äs juschuel!
April 14th, 2015 at 21:34
“Langweilig gut” sollte eine eigene Kategorie werden ;-)
April 14th, 2015 at 22:17
And now a `flattering comment´:
Es ist schön, wenn man weiß, was nur kommen kann, wenn bei geschichtenerzähler bereits das anklickbare “mit speisen darf” ins auge fällt – Leo Lionni über “gesellschaftlich notwendige arbeit”. ;-) (hier mal animiert)
Textbilderbücher für kinder und erwachsene, so viele, die man lieben “muss” und wie oft habe ich in buchhandlungen nach bilderbüchern als mitbringsel für die kinder und mich gestöbert und oft haben die kinder mitgestöbert, dort oder in der bücherei.
Der Frederick gehört dazu – oft vorgelesen. Und so ein bisschen bedauere ich, dass ich dir da nicht bei früherer gelegenheit zuvorgekommen bin – siehe oben von wegen gesellschaftlich usw. – macht aber garnix, passt hier ganz wunderbar.
Andererseits dann auch die gelegenheit doch noch einen link zu einem anderen kinderbuch zu setzen, das mir beim lesen von “Zurück ins Meer. Der Hering.” einfiel, der, wenn ich es recht erinnere, hier schon mehr als einmal auftauchte, also der hering. (Damals habe ich´s gelassen, das weitere wäre musikalisch zu nah am wasser gewesen)
Sehr, sehr schöner text.
April 14th, 2015 at 22:38
Ich habe meiner Lütten so oft “Wo die wilden Kerle wohnen” vorgelesen, dass ich es heute noch weitgehend auswendig kann (das Kind ist Anfang 20). Allein der letzte Satz, immer rituell gemeinsam gesprochen … “und es war noch waaam”!
April 14th, 2015 at 23:25
Der Erfinder des “Sams” sagte mal vor einiger Zeit in einem Interview, früher habe man gesagt “das Buch ist gut”, heute hingegen sage man “das Buch verkauft sich gut”.
April 14th, 2015 at 23:59
Naja, man kann es auch übertreiben.
Wenn es Herrn Martin ausschließlich ums Geld ginge, dann hätte er die Bände schneller rausgehauen (die verkauften sich auch schon vor der Serie wie irre) und beim siebten festgestellt, dass es doch noch drei mehr werden müssen.
Das “Fuck you” ist eher ein “ich mache das in meinem Tempo, mir wurscht ob ich schneller bin als die Verfilmung.”
Im Kontext klingt es jedenfalls etwas anders:
Im Übrigen sind auch die vorherigen Staffeln runtergeladen worden bis zum geht-nicht-mehr, und einer der Produzenten sagte sinngemäß, da könne man ja stolz drauf sein. Finanziert kriegen sie die 10 Mio. pro Folge ja anscheinend trotzdem. Mir geht eher auf den Sack, dass ich in D Sky haben soll um das zu gucken, und dann auch noch in gruseliger Synchronisation, weil die Amis Ausländer selbst mit Prepaid-Visa und VPN von ihrem Angebot aussperren.
Das was du da geschrieben hast, trifft insgesamt auf Junk wie Harry Potter irgendwie wesentlich besser zu.
April 15th, 2015 at 00:10
Der Witz ist, dass alle diese Argumente klein werden gegen die Bedingungen, das Produzieren. Ich rede von einem Skandal, der gerade darin besteht, dass er keiner ist. Kollateralschaden eben – Bedürfnisse werden produziert, es wird aus dem Off kommuniziert. Geschichte(n) erzählen und sie hören, das ist das, was unter die Räder kommt. Millionen hängen an solchen Geschichten wie an der Nadel, das Erzählen folgt der Verwertung. Martins Tempo ist nicht das eines Erzählers, noch weniger ist das Interesse seiner Leser das von Zuhörern. Sie sind gierige Konsumenten.
April 15th, 2015 at 00:25
Was ist denn das “Tempo eines Erzählers”? Der Mann schreibt so schnell wie er schreibt, bei allen die es sich leisten können nicht von Deadlines irgendwelcher Verlage anhängig zu sein wird das recht individuell sein. Ähnliches (im Bereich Unterhaltung) wie Martin “leistet” sich in Deutschland Walter Moers, ist schade aber besser so als wenn er auf einmal Dreck “produziert” um schneller zu sein.
Kann eben nicht jeder so flott und gleichzeitig gut sein wie der kürzlich verblichene Sir Terry.
Und woher weißt Du wie das Interesse “der Zuhörer” gelagert ist? Es gibt bei GoT im speziellen den Teil der nur über die Serien-Adaption “an den Stoff gekommen ist” (die sind sicherlich ungeduldiger und vielleicht auch “gieriger” weil sie fürchten dass der Serie der Stoff ausgeht) und im Allgemeinen sicherlich auch Serienjunkies die alles nacheinander wegglotzen weil sie mit sich nichts mehr anderes anzufangen wissen. Das trifft aber glücklicherweise noch lange nicht auf alle “Zuhörer” zu. Ich habe z.B. lieber was schön Erzähltes wie “Lilyhammer” mit nur acht Folgen im Jahr als 500 Folgen CSI, CIS etc. pp in der gleichen Zeit. Man kann ja auch abseit des TV in Vergessenheit geratene Dinge machen wie Arbeiten, Lesen, Spazieren, Kochen, Sex uvm. und bei so gut wie jedem den ich persönlich kenne ist das ähnlich ;-)
April 15th, 2015 at 00:43
Die Frage ist: Wo gehst du auf die Produktionsbedingungen ein? Ich rede nicht von einem Schreiber, der irgendwo sitzt und erzählt. Ich rede auch nicht von romantischen Vorstellungen, die unabhängig von Produktionsbedingungen wären. Die gibt es nicht.
“Serienjunkies die alles nacheinander wegglotzen weil sie mit sich nichts mehr anderes anzufangen wissen.” – wo kommen die denn her? Sind sie so geboren? Im übrigen bin ich dezent amüsiert, dass du als Alternative “Lesen” angibst, wo ich von Büchern spreche. Das ist ein Voltreffer,
April 15th, 2015 at 07:48
Die olle Frage des Dings des “warums”, – zwischen authentischer Überzeugung und eben Funktionalität, ist eigentlich ein schöner Indikator für einen generellen Zustand. Eigentlich eine ziemlich alte Kernfrage in der Kunst, (naja, zumindest das was sich da so schön und bildend nennt und jetzt in Auktionshallen rum gammelt) speziell aber zwischen Kunst und Werbung. Erstere erhebt den Anspruch der Unfunktionalität und letztere ist funktional. Das geht bis zu der Frage an der Decke der Halle, ob Kunst nun eine mit-gestaltente Kraft der Gesellschaft, – oder einfach nur ihre Deko ist, – und bei den Künstlern dann an der fiesen Frage endet, ob die darüber jetzt Werbung für sich oder für die Kunst machen. Natürlich geht das oft ineinander über, – ist in diesem Markt, aber wohl schwer in Richtung, zudem noch extrem wettbewerbsschwangerer Produktion fürs gelangweilte “funktionale” Konsumententum abgedriftet. Und ich wüsste jetzt nicht, wo ich diese animierte Spielerei mit dem “funktionalen” endlosen Aneinanderreihen der Königsstühle der Klischees, – anders hin machen könnte, als ebenfalls ein wenig arg konzentriert in diese Richtung. Ich hab da jetzt nix gelesen von den Büchern, aber wenn der verfilmte Inhalt annähernd deckungsgleich ist, riechen auch die für mich bereits schon schwer nach quantitativem “funktionalem” Nachfrage-Abgleich eines potentiellen Interessenspektrums tatsächlich im Sinne der “funktionierenden” Serienjunkies. (Ich hatte zwischendurch mal wieder Fernsehen geschaut, – und schlechte Werbung für Fortsetzungen, geht auch an mir nicht vorbei.)
April 15th, 2015 at 08:47
OT – Schöne Synthese der letzten beiden Themen: Konsumterror reversed. Und auch hier bleiben die Produktionsbedingungen hübsch außen vor. ‘Die Gesellschaft’ weiß nur, dass sie ‘ein Recht darauf hat’, dass ‘Bedürftigkeit beendet’ wird, dass nichts und niemand das Recht hat, von fremder Arbeit zu leben. Komisch irgendwie…
April 16th, 2015 at 15:50
auch wenn ich den kapitalismus nicht kategorisch ablehne, muss ich sagen, dass er in diesem kontext versagt.
rechteverwertung bzgl. audio/video/schriftsätze ist als geschäftsmodell einfach nicht sinnig. so einrichtungen wie die gema dürften eigentlich nur für diejenigen künstler arbeiten bzw. denen kohle zuschanzen, welche sich finanziell nicht über wasser halten können.
wenn kosten/gewinn/umsatz vordefiniert erreicht worden sind, ist jeder € mehr an einnahmen nahezu brutto wie netto (von verschwindend geringen materialkosten zb für ne cd abgesehen). es wird nix mehr produziert, sondern nur noch abkassiert. und das abkassierte geht nur an den rechteinhaber. preise? aus inhabersicht völlig latte. der muss nur gucken, bei welchem preis der meiste umsatz gefahren wird und gut is.
April 16th, 2015 at 16:53
Und wie, meinst du, macht zB Apple die Preise…?
April 16th, 2015 at 17:08
Kapital kennt keine moral, wie also kann der kapitalismus “in diesem kontext”, und in welch anderem auch immer, versagen, es sei denn, er versa(e)gt (sich) als produktionsverhältnis/gesellschaftliches verhältnis in toto?
Wie schrieb der geld vorschießende, kapitalverzinsung erwartende verleger Georg Joachim Göschen (verleger, sic, geschäft, nix kultur, wiewohl an solcher auch interessiert, solche als vehikel für ein mögliches geschäft sehend/erkennend, kollateralkulturverbreitung quasi) im jahr 1802, als sich ein kapitalistisch verfasster buchmarkt mit ausprägungen, wie wir sie heute noch kennen, bei aller beschränktheit des marktes, auch in “Deutschland” weitgehend herausgebildet hatte:
“Ob ein Goethe das Buch geschrieben hat, ob es die höchste Geisteskraft erfordert hat, darauf kann ich als Kaufmann keine Rücksicht nehmen: ein Krämer kann kein Mäzen sein.”
Heute wird selbst der schriftsteller zum krämer, oder muss es werden, wenn das konsumierende publikum die gelegenheit qua verkaufszahlen/=erfolg eröffnet und er nicht nur lohnschreiber ist oder prekär existiert (und gerade dann). Von dem fundamentalen wandel, der sich auf dem literarischen markt/buchmarkt abzuzeichnen beginnt, mag ich gar nicht sprechen.
April 16th, 2015 at 17:36
Da kann einer aus den edelsten Motiven Verleger von guten Büchern sein wollen – er muss zuallererst, als conditio sine qua non, darauf achten, dass ‘die Zahlen stimmen’. Der ‘stumme Zwang’ überlagert alles. Dennoch kann durchaus ein Krämer auch Mäzen sein – aber eben nur, wenn er dabei Krämer bleibt.
April 16th, 2015 at 17:46
Nicht nur der verleger kann mäzen sein, wenn er sich’s als krämer leisten kann und als “kulturbeflissener” oder aus edelsten motiven heraus sich und anderen gönnen will – keine frage.
April 17th, 2015 at 15:48
@Peinhart meint:
April 16th, 2015 at 16:53 “Und wie, meinst du, macht zB Apple die Preise…?”
da gibt es immerhin noch eine reale produktion, d.h. für jedes weitere telefon wird noch etwas getan. sie haben also u.a. noch produktionskosten. bei ner folge got ist das nicht der fall.
oblomow meint:
April 16th, 2015 at 17:08″
Kapital kennt keine moral, wie also kann der kapitalismus “in diesem kontext”, und in welch anderem auch immer, versagen, es sei denn, er versa(e)gt (sich) als produktionsverhältnis/gesellschaftliches verhältnis in toto?”
dann formuliere ich es genauer: der kapitalismus im engeren sinne als form des wirtschaftens mit produktivität, wachstum, investition, kosten etc. ist hier absolut sinnlos. es gibt nichts mehr zum reininvestieren um die ausbringungsmenge zu erhöhen.