flug

“Hängt das Schwein auf” las ich schon gestern und mich überkam spontan tiefes Mitgefühl mit denen, die schon immer die Todesstrafe für Selbstmordattentäter gefordert haben. Nein, das ist kein Witz. Der Ruf nach härteren Strafen® ist Teil eines Rituals, das mit Sinn und Verstand nichts anfangen kann. Affekt ist gefragt, wogegen ich nicht einmal allzu große Rede halten könnte, wäre es nicht exakt der Affekt, der übermüdeten Kindern den Schlaf raubt. Es kann nie genug sein, nie laut und groß genug, und wenn man die Müllmedien machen lässt, geht das eben wochenlang so und bis zur rasenden Barbarei.

Was die Hetzzeitung hetzt, mag noch immer das strahlende Vorbild sein für den Rest der verseuchten Landschaft, aber in einem sind sie sich längst einig, still und ohne den zartesten Stimulus einer verantwortlichen Synapse: Alles muss raus! Schnellschnell Meldung, Kommentar, Sen-sa-tion. Das ist eben Journalismus 2.0: Wer heute ein Geschäft verpasst, macht es morgen schon gar nicht mehr. It’s all about the money.

Boom

Wenn ich also lese – ein beliebiges Beispiel – “Die Ratlosigkeit nach der Katastrophe“, ist das genau so Machwerk wie ein “Das ist das Schwein und das seine Schweinefamilie”. Es hat keine “Katastrophe” stattgefunden, sondern ein Verkehrsunfall. Niemand ist “ratlos”, aber das klingt so schön verzweifelt und passt ins Corporate Design des Verlags, dessen Printausgabe “Ausgeliefert” titelt und den Grusel der Stunde zu nutzen weiß. Gerade haben sie sich noch das ehedem Selbstverständliche als gloriosen Qualitätsanspruch selbstbescheinigt, da reißen sie es mit dem Hintern wieder um. Wer am Wühltisch zögert, geht eben leer aus. Höhere Anforderungen stellen nur “organisiert auftretende, anonyme” Konterrevolutionäre.

Es gibt nichts zu berichten, gar nichts. Es ist eben nicht geklärt, was passiert ist. Guter Journalismus, der leider nicht auf die Verwertungskette zu bringen ist, hätte sich die Weisheit zu eigen gemacht: “Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten”. Ganz im Gegenteil ist aber der Mix aus Leichengeruch, Explosionsstaub und Ungewissheit der optimale Nährboden für jede Art Schauergeschichte und Betroffenheitslyrik. Angesichts des Booms, den das auslöst, sollte man darüber reden dürfen, ob so ein Knall nicht eine Wohltat ist, etwas ungemein Soziales. Wir reden hier schließlich von Arbeitsplätzen!

Für jeden etwas

Wer es lesen will, erfährt also, was das Pilotenschwein geträumt hat, warum der schon immer eine Sau war und man nur den gesunden Volkskörper hätte fragen müssen, wie man solche ausmerzt. Wer es nicht ganz so hart mag, kriegt auf dem anderen Kanal die bemüht kultivierte Version der Denunziation geboten. Auch da war noch nichts bewiesen, aber wir sind ja nicht vor Gericht. Medien Suchen nicht die Wahrheit und können sie eh nicht rechtzeitig finden. Da setzt dann halt ihre Kreativität ein.

Die Resteverwerter kommen ebenfalls auf ihre Kosten, sei es der politische Weihrauchschwenker oder der Longtail, der mit einsetzender Ebbe leisere Töne anschlägt und übergangslos die Heuchelarbeit einleitet. Da muss eine chice Location her, na klar: Der Kölner Dom, weil wir es uns wert sind. Ein bisschen sparsam ist das eher, wir haben reichlich luxuriöse Fußballstadien, in denen auch multimedial mehr geht. Vielleicht beim nächsten Mal. In der Zwischenzeit werden ein paar Gurken sauer eingelegt; ein bisschen transatlantische Handelspolitik, ein paar geostrategische Wühlarbeiten, solche Dinge eben, für die sich niemand interessiert. Irrelevantes Zeug halt.