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Um die politischen Tätigkeiten von Parlamenten und Regierungen, ihren Ablegern und Zuträgern, Lobbyisten und Behörden und den ganzen Rest noch zu verstehen, ist Politologie schon lange nicht mehr die richtige Wissenschaft (man darf auch bezweifeln, dass das je eine war). Schon gar nicht kommt man dem bei, wenn man die Herrschaften als Autoritäten bebuckelt und sie nicht in jeden erdenklichen Zweifel zieht. Wenn man dann aber versucht, sich noch irgend einen Reim zu machen, schallt es aus dem Betrieb “Verschwörungstheorie!”.

Nun, die Theorie der Verschwörungen ist eine, die Not tut, spätestens, wo die Mafia regiert. Nein, das ist keine Metapher, siehe B wie “Berlusconi” zum Beispiel. Das ist aber Deutschland hier, da läuft das alles dezent eleganter, zum Beispiel, indem die Personalabteilung des Verteidigungsministeriums sich mit Heckler&Koch berät. Man ist halt unter sich, und genau das ist das oberste Prinzip jeder Verschwörung: Gemeinsame Interessen verfilzen, gegen alle Gesetze, im Schatten, verschwiegen.

Drohung mit der Pflicht

Wie schon einige Male hier betont, ist jede Beschäftigung mit Geheimdiensten notwendig eine Theorie der Verschwörung, weil die ‘Dienste’ eben konspirativ arbeiten, per definitionem. Deshalb ist es auch extrem wichtig, nein, wäre es, sie streng zu kontrollieren. Was aber haben wir? Losgelassene Rechtsbrecher, die das Erbe ihrer Gründungsnazis unkontrolliert ausüben. Die Kanzlerin, ihr Amt, ihre Partei und deren zuständige Minister haben nie versucht, das zu ändern. Die koalitionäre SPD hat neulich immerhin damit gedroht, ihre verfassungsgemäße Pflicht zu tun.

Und jetzt? Wird ein Persilscheinspender gesucht, der dafür sorgt, dass die Dienste ihre Geheimhaltung gegenüber dem Parlament aufrecht erhalten können. Dieser permanente Verfassungsbruch wird also weißgewaschen, indem man so tut, als erführe irgend ein Freund und Helfer von den Schnüfflern, was diese so tun. Dann verkündet er, das habe alles seine Ordnung, und das nennen sie dann “Kontrolle”. Noch einmal, zum in die Stirn Ritzen: Kein Geheimdienst darf irgend ein Geheimnis vor dem Parlament haben. Niemals. Alles andere ist sogar eine besonders finstere Verschwörung.

Wie dumm ist noch realistisch?

Man könnte das alles als Versagen auslegen, sich vormachen, sie könnten es halt nicht besser. Das wäre der Ausweg aus der Diagnose “Verschwörung”. Dann müsste man aber erstens feststellen, dass so etwas nicht in Regierungen gehört und nicht in Ausschüsse. Wer zu dumm ist, das Grundgesetz zu verstehen, hat dort nichts zu suchen. Zweitens aber fragt man sich, wann Versagen galaktischen Ausmaßes denn jedwede Konsequenzen nach sich zieht. Dazu ein anderes Beispiel, das hier zuletzt besprochene:

Die aktuelle Völkerwanderung aus Nordafrika über das Mittelmeer ist nicht nur als solche ein Problem, die “Lösung” in Form von Schiffchenversenken und Verfolgung von Schleppern so hirnfrei wie zynisch. Die Situation verschlimmert sich aber drastisch durch die Lage in den Zielstaaten, die Länder Südeuropas. Seit Jahren war ersichtlich, dass das von der NATO verursachte Chaos zur Massenflucht führt. In derselben Zeit, bis heute ungebrochen, sorgt die EU mit ihren Kapitalpartnern für das Austrocknen der Staaten Südeuropas. Die Infrastruktur dort ist kaum mehr vorhanden, die medizinische Versorgung selbst für die Einheimischen nicht mehr ausreichend.

Die Panne als Weg

Anstatt also diese Länder mit allen nötigen Mitteln auszustatten, um eine besonders gute Infrastruktur auszubauen, passiert das Gegenteil: Alles, was irgend einem Investor Geld bringt, muss verschleudert werden, alles, was Kosten verursacht, wird dichtgemacht. In tränenreichen Feiertagsreden werden ergänzend das Erstarken von Rechtsextremismus und das Massensterben auf dem Meer bedauert. Nun frage ich mich, wo der Aufschrei bleibt angesichts derart unfassbarer Dummheit und eines Versagens, das man nicht steigern könnte, würde man absichtlich alles falsch machen.

Es kann natürlich auch sein, dass die Schreihälse, die ihre Leser, Zuschauer und Wähler mit dem VT-Vorwurf abbürsten, uns etwas ganz anderes deutlich machen wollen: dass sie nämlich zur Kenntnis nehmen, wie manche allmählich notieren, dass etwas, das aussieht wie Absicht, riecht wie Absicht und wirkt wie Absicht, Absicht ist. Der Titel “Verschwörungstheoretiker” folgt also dem Trend allen Neusprechs, und was einmal eine Beleidigung war, ist heute ein Ausdrucks des Respekts.

 
paris

Kai Gniffke schäumt schon wieder und sieht sich von „Verschwörungstheoretikern“ – die er gleich drei Mal erwähnt – umzingelt. Furchtbar, alle diese Geisterfahrer! Er vergreift sich für einen Mr. Seriös arg im Ton und fürchtet “auf die Fresse” zu kriegen; aber vielleicht ist das auch nur ein sprachlicher Hinweis auf den Tagesbefehl: Fresse halten, Verschwörungstheoretiker! So viel zur Souveränität im Angesicht der Kritik.

Es geht um die Bilder, die suggerieren – und das tun sie nachgewiesenermaßen – Staats- und Regierungschefs hätten den Trauermarsch von Paris angeführt. Tatsächlich haben sie nur in einem abgesperrten Areal posiert. Alles kein Problem, den Gniffke bescheinigt Gniffke:

Das ist harte journalistische Arbeit, die sich an ethischen und handwerklichen Standards messen lassen muss.“.
Die Quintessenz:
Wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, ist das immer eine Inszenierung [...] müssen wir uns – bei aller Selbstkritik – nicht [...] aus Angst vor den Verschwörungstheoretikern die eigene Arbeit schlecht reden..

Der Mann erklärt hier, wenn auch im Eifer verquer formuliert, dass die Arbeit der Journalisten darin besteht, Teil einer Inszenierung zu sein. Der Zuschauer hat das so hinzunehmen – und für was zu halten? Die Wahrheit? Oder nur irgend eine Geschichte, die so erzählt wird, wie sich die Herrschaft eben sehen will? Er bleibt die Antwort schuldig, allemal bleibt es allerdings eine Bankrotterklärung.

Reingefallen!

Einige Beispiele, warum es sehr wohl so aussehen sollte als ob: Spitzenreiter der harten journalistischen Arbeit ist das (auch bei Spiegel Online verlinkte) manager-magazin (Siehe Screenshot oben). Sicher sind sie dort nicht so klug wie die Zuschauer der Tagesschau und deshalb auf die Bilder hereingefallen. Dabei hätte das doch wohl jeder wissen müssen!

Der Tagesspiegel formulierte:

Als am Sonntag viele Staats- und Regierungschefs in Paris vor dem Trauermarsch für die Opfer der Attentate in Frankreich hermarschierten …

Ich war nicht dabei. Glaube ich also jetzt, dass die Herrschaften an der Spitze des Marsches waren oder erkenne ich die wahre Volksnähe dieser solidarischen Mitmenschen?

Und überhaupt, so derselbe an anderer Stelle, sei das ja gar keine “Seitenstraße” gewesen, wo sich die Prominenz traf, sondern ein abgesperrter Teil einer … na eben Nichtseitenstraße!! Angeblich seien sie sogar “250 m” marschiert. Die Inszenierung hat sich also an der Wahrheit orientiert, die sie gern gewesen wäre. Macht sie das besser?

Der “Spiegel” rührt ein wenig Spannung hinein und schreibt von “eine[r] logistische[n] Meisterleistung der Sicherheitskräfte” – ohne jeden Hinweis darauf, dass die Prominenz unter sich „marschierte“. Was stelle ich mir vor, wenn ich diese Worte lese? Dass da meisterhaft die Straße für ein Foto gesperrt wurde?

Meisterleistung, große Geste – Lobet die Herrschaft!

Die Sueddeutsche stellt im Nachhinein fest:

Jetzt kommt heraus: Die Aufnahme entstand in einer gesicherten Straße. An der Aufrichtigkeit der Geste ändert das jedoch nichts. … Immer schon war Politik auch Geste, Symbol, Haltung. Der Porträtist wie der Fotograf, der Blick des Betrachters und die Wahrheit im Auge des Betrachters: Das war immer schon Kalkül,

“Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters”. Diese Karikatur einer dümmlichen Ausrede kenne ich aus dem Kinderfilm “Der König der Löwen”. Auch hier wird so getan, als hätte sich der Qualitätsjournalismus schon immer als Theater verstanden, in dem Politik nur inszeniert wird.

Auch anderswo wird übrigens über diese Inszenierung diskutiert, ganz Europa ist fest in der Hand der Verschwörungstheoretiker!

Der Trümmerhaufen eines Journalismus, der sich inzwischen völlig der Hoftheorie verschrieben hat, zerfällt zu Pulver. Sie behängen sich mit Preisen, die ihre Unabhängigkeit® betonen, sie behaupten, sich “mit keiner Sache gemein” zu machen und tun das Gegenteil. Die “Gatekeeper”, die objektiv “Fakten, Fakten, Fakten” auswerten, bespucken ihr enttäuschtes Publikum, wenn sie als Regisseure eines Schmierentheaters auffliegen und werfen ihm vor, es müsse doch wissen, dass alles nur inszeniert ist. Obendrein gelingt diese Inszenierung über Staatsgrenzen hinweg, fast flächendeckend. Eine konzertierte Inszenierung. Doch, das darf der Zuschauer “Propaganda” nennen und auch “Gleichschaltung”, denn es kann ihm nicht abverlangt werden, sich immer differenzierter zu äußern als die Profis, von denen er getäuscht wird.

Ganz folgerichtig wird das – sicher alles andere als schöne oder wohl gewählte – Wort “Lügenpresse” zum “Unwort des Jahres”. Was soll das? Ich weiß als Profi schon lange, dass die Journaille inszeniert und arbeite mich seit Jahren daran ab, dass sie dauernd das Gegenteil behauptet. Die Leute da draußen sind maßlos enttäuscht, stinksauer und haben völlig recht, wenn sie von der “Lügenpresse” sprechen. Sie wurden belogen, sie werden belogen, und zwar von denen, denen sie vertraut haben. Wie sollen sie sich jetzt eine Vorstellung machen von dem, was los ist in der Welt? Wenn sie es nur versuchen, werden sie der Majestätsbeleidigung bezichtigt und zu Psychopathen erklärt. Verbrannte Erde.

Update; Ich habe nicht das Ziel, ein vollständiges Bild der Berichterstattung zu zeichnen, aber der hier ist noch wichtig:
Dutzende Staats- und Regierungschefs aus aller Welt marschierten vorneweg” schrieb wer? Die Tagesschau.

 
engelfrank

Als jemand, der versucht, sich aus widersprüchlichen und teils absurden Informationen ein Bild von der Lage zu machen, wird man inzwischen regelmäßig zum “Verschwörungstheoretiker” erklärt. Ich habe in einigen Artikeln schon dazu Stellung genommen, wo der Unterschied liegt zwischen (pathologischen) Verschwörungstheorien und Theorien, welche spekulieren, wobei sie Verschwörungen nicht ausschließen. Wie sich zuletzt in hoher Schlagzahl bestätigte, sind solche Theorien bitter nötig, um der Wahrheit nahe zu kommen.

Ich habe mich gefragt, wie man das Gegenteil einer VT nennen könnte und schlage daher den Begriff aus der Überschrift vor. Hoftheoretiker und Verschwörungstheoretiker stehen sich gegenüber, zwischen ihnen die Welt und ungefähr in der Mitte die Vernunft. Der VTer lässt heillose Spekulationen und Phantasien in sein Weltbild einfließen und gleicht jeden Einwand dagegen so an, dass er passt. Der Hoftheoretiker verbietet sich jede Spekulation, jede von der offiziellen Erklärung abweichende eigene Idee. Er glaubt an und verteidigt das geltende Narrativ mit allen Mitteln und gleicht jeden Einwand dagegen so an, dass er passt.

Kann gar nicht

In einer Welt, in der die totale technische Überwachung nicht mehr geleugnet werden kann, strickt der Hoftheoretiker sich die Welt so zurecht, dass das gut und demokratisch ist. Für ihn ist Folter gut für die Menschenrechte und Krieg Frieden – wenn und wo die Herrschaft es ihm so erklärt. Dass andere Motive hinter der Aushöhlung des Rechtsstaats stehen könnten, erklärt er zur VT. Wenn alte VTen sich als schreckliche Wahrheiten entpuppen, ist das für ihn Imperfekt – abgeschlossene Vergangenheit. Er lässt sich dieselbe Lüge zum drölften Mal erzählen und glaubt sie, weil sie diesmal eben wahr ist.

Der Zug der Hoftheoretiker, wie wild mit dem Vorwurf “Verschwörungstheorie” um sich zu werfen, erscheint ihnen vermutlich genial, weil sie damit eben nicht die wirklichen Gestörten treffen, deren krude Ideen keiner Überprüfung standhalten, sondern die Vernunft selbst, deren Dynamik die Prüfung fordert und nach Wahrheitsfindung strebt. Damit verteidigen sie ausgerechnet die “Dienste” der ‘Guten’, einen verschworenen Haufen, der im Geheimen operiert, sich stets für etwas ausgibt, das er nicht ist, sich jeder Kontrolle entzieht, lügt, betrügt, foltert und mordet – was sich gar nicht mehr leugnen lässt.

Auf diese Weise werden vermeintlich die krudesten Geschichten gedeckt, wird die große Erzählung als wahr und wahrhaftig verkauft, wo sie die absurdesten Blüten treibt und die albernsten Märchen hervorbringt. So haben wir heute zum Beispiel zu glauben, dass eiskalte Profis aus der Moslemterrorszene eine Bluttat begangen haben, dann ihren Ausweis hinterlassen, um unverzüglich selbst zu sterben. Diese Mischung aus Schwachsinn und einem Muster, das bislang ein starker Hinweis auf die Beteiligung von Geheimdiensten war, darf keineswegs so genannt werden. Wenn die Herrschaft erklärt, ein Schachbrett zeige kein erkennbares Muster, dann ist das so.

Das Böse vs. Die Guten

Magisches Denken ist das Mittel der Hoftheoretiker wie der VTler. Letztere wissen, dass hinter allem dieselbe finstere Macht steht, mit allem verbunden und überall wirksam. Hoftheoretiker hingegen wissen, dass das Gute immer recht hat, nur Gutes tut (auch wenn es schlecht ist) und immer die Wahrheit sagt.

Es gab ein Attentat, vor dem gewarnt worden war, begangen von Tätern, die schon lange beobachtet wurden in einem Land, in dem es die Vorratsdatenspeicherung gibt. Was schließt der Hoftheoretiker daraus? Wir brauchen mehr Macht und mehr Mittel für Sicherheitsdienste und natürlich endlich die Vorratsdatenspeicherung. Dass solche Persönlichkeiten jeden für irre halten, der anders denkt, ist logisch. Warum sie so konzentriert in der Nähe der Macht auftreten, kann man auch erklären.

 
lunat

Das Niveau journalistischer Produkte sinkt ins ewig Finstre, umso schneller, je mehr die Journaille auf ihre angebliche Qualität pocht oder ihren neuen Feind bekämpft, den Kommentator. Reflexhaft wird da ein Totschläger aus jenem bösen “Internet” geschwungen, das sonst doch immer Unrecht hat, der Vorwurf der “Verschwörungstheorie”, der auf alles angewendet wird, was nicht passt, von der rein sachlichen Kritik bis zum alkoholisierten Rant. Differenzieren ist nicht ihre Domäne, “im Internet” ist alles dasselbe.

Zwei Beispiele allein aus den letzten Tagen für die Vorwärtsverteidigung einer ruinierten Zunft, die exakt auf dem Niveau von Trollen angekommen ist. Blindwütige frei erfundene Vorwürfe, genau die Form der Projektion, für die man hier aus den Kommetaren fliegt:
Anna Prizkau sieht nur irre Verschwörer am Werk, “wo solche Geschichten immer stehen, im Internet“. Fehlt nur die Warnung vor Schreibtischen, wo so etwas ja immer geschrieben wird.

Katja Thorwarth kann gleich ganz faktenfrei und stellt fest, dass jemand, der zwei flugs eingebürgerte Manager von Goldman Sachs in der Ukrainischen Regierung anrüchig findet, ja nur ein Paranoiker sein kann. Ich muss dazu nichts sagen; diese Texte richten sich selbst. Hätten sie doch nur verstanden, dass man so etwas besser nicht ins Internet stellt. Nun stellt sich in der Tat die Frage:

Warum tendiert eine so große Zahl von Journalisten, die sich nur auf ihre ‘Freiheit’ berufen, auf eigenes Risiko zu publizieren, dahin, ganz spontan und ohne Zwang immer wieder eine Weltauffassung zu reproduzieren, die sich innerhalb der selben ideologischen Kategorien bewegt? Warum verwenden sie immer wieder ein so eingeschränktes Repertoire innerhalb des ideologischen Feldes?

Stuart Hall, zitiert nach Burks.

Die einfachen Antworten darauf vermuten tatsächlich Verschwörungen. Sie sind angesichts der (atlantisch dominierten) Zirkel von Adabeis und der Hierarchien einer Medienindustrie auch nachvollziehbar, aber zu einfach und daher eben falsch. Allerdings ist der journalistische Reflex, sich immer gegen das Dümmste zu richten, das der vermeintliche Feind in Stellung bringt, ein Offenbarungseid. Argumentieren ist das nicht mehr.

Es gibt viele Thesen zu bilden, und ich werde mich jedenfalls demnächst näher mit Stuart Hall befassen. Derzeit umschmeichelt mich die Ahnung, dass Kompetenzen wie Intelligenz, Trotz, Mut und Neugier, die zu einer kritischen Haltung befähigen, nicht nur in der Schule, sondern danach noch einmal sehr effektiv im System Journalismus ausgesiebt werden. Warum sollte es dort auch anders sein als in den meisten anderen Branchen? Welchen Stellenwert jene Talente haben, die zur Selbstkritik und zu umsichtiger Auswertung von Fakten befähigen, lässt sich an ihren ‘Argumentationen’ jedenfalls deutlich ablesen.

Dabei sind zwei Tendenzen erkennbar, die sich vermutlich fatal auswirken. Erstens ein aus dem politischen Establishment eingesickertes Freund/-Feind-Denken. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Der Ton wird aggressiver, die Urteile schnell und ohne Anhören der Gegenpartei gefällt. Dies im Verbund mit zweitens der immer noch gepflegten Überheblichkeit, sie, die Qualitätsjournalisten, hätten stellvertretend für alle anderen das alleinige Recht, Nachrichten zu bewerten, atmet den Geist der Diktatur, ohne dass jemand Befehle geben muss.

Dass die Konsumenten ihnen allmählich dieses Recht streitig machen, aus besserem Wissen, Unbehagen, Unsicherheit oder Enttäuschung, können sie nicht akzeptieren. Wie herrlich einfach ist es dann doch, die bizarrsten Meinungen der Enttäuschten ans Licht zu zerren und ihren unbeholfenen Widerspruch bloßzustellen. Im nächsten Schritt wird jede Kritik darauf reduziert. Mit berechtigter Kritik, die jederzeit auch zu finden wäre, muss man sich dann nicht mehr befassen. So sehen Sieger aus.

 
seils

Die Ernte des Qualitätsjournalismus ist reich. Ich nenne ihn bekanntlich gern Q-Journalismus oder gleich Kuhjournalismus, aber wer sich intensiver mit der jüngeren Geschichte dieses Berufsstands beschäftigt, für den ist schon das Original ein Schimpfwort. Unabhängigkeit? Gibt es nicht. Die einen arbeiten für Medienkonzerne, die wiederum von privaten Geldgebern abhängen. Die anderen arbeiten für eine von Parteiinteressen durchseuchte öffentlich-rechtliche Firma. Alle treffen sie sich in Zirkeln, die wiederum politisch-industriell geprägt sind und vor allem als “transatlantische” Karrieren machen oder sie beenden.

Als Begleitmusik läuft das Requiem auf die Auflage, es wird immer weniger verkauft und gelesen. Wenn überhaupt, ist Boulevard angesagt, von dem echte Journalisten früher wussten, dass das der Rinnstein ist, in den sich ergießt, was ernsthafter Journalismus sprichwörtlich ausscheidet. Nachwuchs kann man sich nicht leisten, Freiheit schon gar nicht, und so nagen längst jene, die sich nicht in den Hierarchien nach oben buckeln konnten. am Hungertuch. Freie Journalisten dürfen bestenfalls noch auf Nebeneinkünfte hoffen, was sie wiederum noch abhängiger macht.

Das muss der Leser nicht wissen

Nebenher hat sich die gefühlte Elite zu einem Pool von Adabeis entwickelt, die sich in Hinterzimmern von der nächst höheren Scheinelite erzählen lassen, was sie berichten dürfen. Heraus kommt eine dumme Propaganda, die obendrein auch noch dauernd auffliegt. Ihre Verwalter werden für dieses gekonnte Versagen mit Preisen ausgezeichnet.

Das ist vordergründig eine Chance für die Alternativen, die wirklich Unabhängigen und meist Unbezahlten. Ihre Kritik am “Mainstream-Journalismus” war wichtig und richtig. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man das heute noch sagen kann. Obwohl viele inzwischen wissen, dass vieles von dem, was früher als Verschwörungstheorie galt, sich als wahr herausgestellt hat, wird die Kritik am Mainstream nicht präziser, im Gegenteil: Es tummeln sich so viele Spinner und Hetzer im Pool einer angeblichen Medienkritik, dass durch die Rostlöcher im Mainstream nicht klares Wasser, sondern braune Brühe einsickert.

Wenig Hoffnung

Wenn Leute wie Jebsen und Ulfkotte zu Heroen einer vorgeblich medienkritischen Alternative werden, ist der Totalschaden perfekt. Es wird dadurch nicht einfacher, sondern noch einmal schwieriger, Wirklichkeit zu beschreiben und Probleme zu analysieren. Was dagegen hilft, ist nicht allzu viel.

Ausgerechnet jene Tugenden nämlich, die sich der Journalismus noch heute auf die Fahnen schreibt, um sich damit den Hintern zu wischen: Sich mit keiner Sache gemein machen zum Beispiel. Zusammenhänge herstellen, Hintergründe beleuchten zum Beispiel. Eine eigene Sicht entwickeln und deutlich machen, wie man dazu kommt. Vor allem aber mehr Fragen Stellen als Antworten geben. Daran erkennt man wahre Unabhängigkeit, das ist der Kern der publizistischen Haltung, die sich keine Ideologie leisten kann: Es gibt niemals eine letzte Frage und schon gar keine Antwort darauf.

 
fon

In den USA loten die großen Technikkonzerne ihre juristischen Möglichkeiten aus, den Knebel zu lösen, der ihnen von den Geheimpolizeien verpasst wurde. Dabei erweisen sich die Überwacher als professionelle Herren der Lage, die gerade einmal weitgehend geheime Verhandlungen darüber zulassen, ob man überhaupt sagen darf, dass etwas geheimgehalten werden muss. Das Geheimnis ist nämlich geheim, die Methoden der Geheimhaltung, der Grund für die Geheimhaltung und diejenigen, die zur Geheimhaltung verpflichtet werden. Erst recht natürlich die Informationen, die geheim abgeschöpft werden, die Methoden dazu, die Personen und Körperschaften, die abgeschöpft werden, wer sie abschöpft und wozu.

Wenn man dort also weiß, dass Informationen gesammelt werden, selbst wenn das einmal öffentlich war, dann darf man darüber nicht reden, sobald sie für geheim erklärt werden. No shit, Sherlock: Wenn die ‘Dienste’ der Regierung es für geheim erklären, wie ich heiße, darf ich meinen Namen nicht mehr nennen. Das ist keine Übertreibung oder Illustration; so funktioniert das. Google, Amazon und Co. schließen sich derzeit einer Klage an um zu erreichen, dass sie wenigstens sagen dürfen, dass sie etwas nicht sagen dürfen. Respekt, Imperator, du hast es echt drauf!

Datenschutz im Überwachungsstaat

In Deutschland ist die Szenerie bescheidender, und auch das Niveau dieses Theaters erinnert mächtig an die letzten Tage der DDR, den Charme vergilbter Gardinen, soldatischer Zucht und Hirntaubheit, die Herrschaft des Aktenordners. Es gibt, wie wir erfahren, eine Frau Dr. Erika Mustermann, Datenschutzbeauftragte des BND. Keine Sorge, die Frau hat so wenig Ahnung von ihrem Job wie ihre Personalabteilung sich das nur wünschen kann, das Dumme ist nur: Es hat niemand daran gedacht, diese Perle schalldicht in die Muschel zu sperren, und so plauderte sie fröhlich vor dem NSA-Ausschuss über all das, was da oben kein Thema ist.

Zwar hat das Bundeskanzleramt jemanden hingeschickt, der versuchte, wenigstens ein paar Erkenntnisse übder die Arbeitsweise von Clever und Smart im Ausland zu unterdrücken – damit der Terrormann keinen “Vorteil” daraus zieht, aber was wir da erfahren, hätte das FBI daheim im leichten Trab verhindert: Alles auf den Boden, keiner regt sich! So erfahren wir etwa, dass erfasste Metadaten “bis in die vierte und fünfte Ebene der Kontakte” analysiert werden. Hallo, nicht einschlafen, das ist jetzt nämlich spannend!

Fünfte Ebene der Metadaten heißt folgendes: Du telefonierst mit wem, schreibst wem eine Mail, kommunizierst mit ihm in ‘Sozialen Medien’. Du ‘kennst’ ihn also. Jetzt geht’s los: Das ist die erste Ebene. Der kennt jetzt wen, der wen kennt, der wen kennt, der wen kennt. Das sind die fünf Ebenen. Die werden ausgewertet. Mithin beinahe die ganze Welt. Es gibt ein Modell, nach dem die sechste Ebene alle mit jedem verbindet. Gehen wir also davon aus, dass alles irgendwie verwendet wird bei Bedarf, so wird das Bild rund.

Was wäre, wenn …

Was heißt das nun aber? Nehmen wir mal Geschwister, Kollegen, Geschäftsbeziehungen. Die sind in vielen Fällen schon so lose, dass sie auf der zweiten Ebene bereits wild umher streuen. Was weiß ich, mit wem mein Kollege Müllerschmidt saufen geht? Wohin soll das auch führen, ist sein Kegelbruder jetzt ein Terrorist, bloß weil ich einer bin? Nun kann man sagen, da werden dichtere Netzwerke gesucht; Kontakte, die ein Muster ergeben. Ist das plausibel? Wohl kaum auf der fünften Ebene, und schon kaum mehr auf der zweiten. Wozu ist das dann gut, was kann man damit tun?

Ich hätte da eine Idee: Passiv nützen diese Informationen herzlich wenig. Wer einen kennt, der einen kennt, hat mit dessen Bekanntschaft in der Regel null zu tun. Was aber, wenn ich diese Verbindungen aktiv nütze, wenn ich Informationen nicht abrufe, sondern einspeise? Wenn ich also, um eine Zielperson zu beeinflussen (z.B. ihren Ruf zu zerstören oder sie zu erpressen), die zweite Ebene impfe? Ich gehe also hin und schaue mir an, wen die Bekannten der Zielperson kennen und trete an diese unabhängigen Quellen heran, um ihnen etwas zu flüstern. Vielleicht hier und da auch noch weiter in der Peripherie. Dann geraten Dinge in Bewegung, ohne dass das Ziel überhaupt merkt, woher die Einschläge kommen. Hei, das wird ein Spaß!

Das ist sicher wieder nur eine Verschwörungstheorie. Man nützt doch keine Geheimdienste, um Menschen oder gar Geschäfte zu beeinflussen – das sind doch die Guten, die unsere Demokratie schützen!
Solche Gedankenspiele jedenfalls werden möglich, wenn das Geheime des Geheimen öffentlich diskutiert wird. Ein Desaster. Das Gute ist allerdings: Die Tagesschau wird das wörtlich zitieren können und melden: Der “BND wertet Metadaten bis in die fünfte Ebene aus, um Terrornetzwerke aufzudecken“. Wer wird das schon für bedenklich halten?
Guten Abend, das Wetter!

 
wiwa

Über die Macht Erich Mielkes in der DDR gibt es keinen großen Streit der Gelehrten. Man mag darüber fachsimpeln, ab wann und in welchem Ausmaß Figuren wie Mischa Wolf die Geschäfte in die Hand nahmen, aber den generellen Einfluss der Stasi auf den Staat bestreitet schon deshalb niemand, weil die es selbst nicht tat und ebenso wenig die Nomenklatura. So transparent war die DDR.

Gorbatschow, Putin und George H. W. Bush zum Beispiel waren Geheimdienstler, letzterer sogar Direktor der CIA. Es ist also normal, dass Geheimdienstler unmittelbar politische Macht ausüben, und es ist schon aus dieser Sicht anzunehmen, dass eine entsprechende Vernetzung herrscht. Das ist ebenso normal wie undemokratisch.

Wenn in diesen Zeiten die Herrschaft der Geheimdienste offenbar wird und jede Verschwörungstheorie in den Schatten stellt, hat das entsprechende Folgen. Die Bundesregierung versteckt sich wortwörtlich hinter “geheimdienstlichen Gründen“, um die Erklärung ihrer politischen Einschätzungen und Handlungen zu verweigern. Die Regierung handelt also erklärtermaßen unmittelbar im Sinne der Geheimdienste, nicht umgekehrt.

Wer kontrolliert wen

Ebenso sieht es aus mit der Kontrolle: Niemand kontrolliert die ‘Dienste’. Der zuständige Ausschuss des Parlaments wird regulär vorgeführt, wenn Akten nicht verschwinden, werden sie halt komplett geschwärzt. Das ist nicht weniger als eine Demonstration der Dienste in einem offenen Machtkampf, den sie wohl nach ihrer Einschätzung gewonnen haben.

Wie auch nicht, wo wäre denn ein Gegner? Im Inneren haben sie gerade gezeigt, dass sie faschistische Mörderbanden finanzieren, unterhalten und gegen Strafverfolgung schützen können. Im Äußeren sind sie Teil einer NATO-Struktur, die ebenfalls völlig offen die Herrschaft über die Regierung ausübt, vom Parlament ganz zu schweigen: Informationen über jene Vorgänge, die schon aus geheimdienstlichen Gründen verweigert wurden, werden auf anderen Kanälen unterdrückt, um “die Freundschhaft zu den USA nicht zu gefährden“.

Aus solchen Gründen wird das Recht auf Information unterlaufen. Die Dienste verantworten sich nicht vor dem Parlament, die Regierung nicht vor der Öffentlichkeit. Priorität hat das Interesse eines militärisch-geheimdienstlichen Komplexes, der ausdrücklich Industriespionage für die USA betreibt.

Geheimhaltungsarbeit

Dagegen hilft auch keine Aufklärung, weil das Gegenteil stattfindet. Die mediale Öffentlichkeit, bestehend aus Medienmanagern, (politischen) Funktionären und Experten, hat ein unmittelbares Interesse an Desinformation. Die Informationen auch hierzu sind völlig öffentlich, die Clubs bekannt, in denen sich Industrielle, Banker, Politiker, Journalisten und sonstige Funktionäre treffen. Allen voran mein Lieblingsverein “Atlantik-Brücke“. Die Überschneidungen von deren Mitgliedern mit denen neoliberaler Think Tanks und anderer NATO-Anhängsel sind frappierend.

Der Sargnagel auf diesen Strukturen sind die eingebundenen Journalisten, Teils eitle Adabeis, teils überzeugte Propagandisten. Durch deren Einbindung, die vor allem schon im Frühstadium der Karrieren stattfindet, wird eine kritische Berichterstattung im Keim erstickt und eben durch Propaganda ersetzt. Die Resultate sehen wir nicht nur in der Propaganda für ‘Antiterrorkampf’ und Ukraine-Krieg, sondern vor allem in der Zurückhaltung gegenüber Totalüberwachung und Ermächtigung durch Geheimdienste.

Der feine Unterschied

Ich kann auf Anhieb zwei Dutzend deutsche Journalisten finden, die sich unter Industriellen, Politikern und sonstigen Mächtigen wohlfühlen und zur Geheimhaltung verpflichten lassen. Das sind nur diejenigen, die ohne Aufwand zu finden sind und ihre Kontakte nicht leugnen, darunter einige der einflussreichsten und höchst bezahlten.

Nur weil im ‘Westen’, der seit Jahrzehnten den fördernden Einfluss des Kapitals direktem Zwang vorzieht, keine offene Zensur herrscht, sind die Zustände keinen Deut demokratischer als im ehemaligen Ostblock oder sonstwo. Im Gegenteil fehlt noch die Hoffnung auf die Kraft der Wahrheit, weil diese untergeht im Dauerfeuer einer Propaganda, die gezielt alle die Aspekte der Wirklichkeit angreift, die nicht ins gewünschte Bild passen. Eine viel effektivere Strategie.

Wolfgang Storz hat mich einmal gefragt, ob ich glaubte, Blogger könnten die traditionellen Medien ersetzen; Jakob Augstein hat ähnliche Zweifel geäußert. Ich glaube das immer noch nicht, aber etwas muss sie ablösen, denn sie sind nicht mehr zu retten. Wir brauchen dringend eine Öffentlichkeit, die nicht komplett produziert ist, um den Interessen einer kleinen Minderheit zu dienen.

 
natf

Etwas ziemlich Visionäres habe ich auf den Tag vor sieben Jahren geschrieben, ich wiederhole mich daher mit aufgeschlagenem Rad:


Sie haben sie nicht alle, aber sie kriegen sie! Eine weitere Idee zur aktiven Abschaffung des Datenschutzes ist die europaweite Datenbank für Fingerabdrücke, eine bunte Sammlung von Daten, die “in einer einzigen, gigantischen europaweiten Datei die Fingerabdrücke aller Personen speichern [soll], die Gewaltverbrechen oder terroristischer Aktivitäten verdächtig oder überführt sind”.

Sortieren: Nicht die Datei ist europaweit, sondern die Daten werden europaweit erhoben und abgerufen, und es wird auch keine Datei werden, sondern eine Datenbank. Letzteres ist nicht nur ein technisches Detail, sondern höchst relevant, da man gleich noch DNA und sonstige Daten reinpacken kann, ohne großen Mehraufwand. Wer würde dann übrigens darauf wetten, daß es bei “europaweit” bleibt, zumal bei einer derartigen Verbreitung der Missbrauch vorprogrammiert ist.

Jeder ist verdächtig

Unter solchen Bedingungen ist Datenschutz schlicht unmöglich. Das Beste an der Sache kommt aber im SpOn- Artikel zu kurz: Die Zusammenfassung der Daten von Tätern und Verdächtigen. Böse Zungen mögen sagen: “Zwischen Verdacht und Täterschaft liegt immer nur ein überzeugendes Verhör”. Aber tatsächlich steckt mehr dahinter: Zunächst wird es einige Unschuldige treffen, die ein bisschen schikaniert werden, vielleicht ihren Job verlieren oder sonstige Unannehmlichkeiten zum Wohle der Sicherheit hinnehmen müssen.

Auf lange Sicht aber wird sich herausstellen, dass so viele Menschen verdächtig sind, dass man sie gar nicht mehr verfolgen kann. Die Strafverfolgung wird dem entsprechend ineffizient, es werden daher noch mehr Daten erhoben, die zu noch ineffizienterer Strafverfolgung führt etc.. Die Wahrscheinlichkeit, verhaftet zu werden, wenn eh erst mal alle in der Datei stehen, ist recht gering. Und den “Terroristen” geht’s dabei am besten. Die kriegt nämlich keiner, und ihr Ziel ist erreicht: Einen Rechtsstaat europäischer Prägung wird es dann nicht mehr geben.

Die Symptome waren schon erkennbar, bevor Doc Snowden den ganzen Befund und damit die Diagnose geliefert hat. Es gibt eine Logik des Terrors – sogenannter ‘Sicherheitsdienste’, die man recht verlässlich anwenden kann. Eine angewandte Theorie der Verschwörung führt also durchaus zu korrekten Analysen und ermöglicht zutreffende Prognosen. Man muss wohl – so wie sich die Dinge inzwischen offenbaren – obendrein noch vom Schlimmsten ausgehen und annehmen, dass die Befürchtungen für die Zukunft bereits Gegenwart sind.

 
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Abb.: “Am Rande der Kinderpornographie” und jetzt auf deiner Festplatte!

Vorab: Die Rolle der Medien in der Affäre Edathy ist von Anfang bis Ende die von Erfüllungsgehilfen eines nahezu perfekten Rufmords. Es wurde heillos spekuliert ohne jedes Wissen über die relevanten Vorgänge, ein Mann ohne die Formulierung eines Zweifels als Pädophiler dargestellt und schließlich eine sogenannte “Moral” in Anschlag gebracht, als der angebliche strafrechtliche Vorwurf zu kollabieren begann. Was bleibt, ist die Hetze.

Die Art und Weise, wie Sebastian Edathy politisch vernichtet wurde, fügt den Strategien sogenannter Verschwörungen eine weitere, besonders perfide Variante hinzu, und es ist dabei in keiner Weise tröstlich, dass das Opfer dieser Machenschaften einer ist, der selbst maßgeblich die juristischen Bedingungen dafür geschaffen hat. Markus Kompa macht sich hier übrigens derselben Geschwätzigkeit schuldig wie die versammelte Journaille, indem er Handlungen kommentiert, die Edathy nur unterstellt werden.

Es ist irrelevant, ob er etwas Illegales getan hat. Es geht um den Dreck, der an ihm haften bleibt. Dieser Dreck, auf diese Weise geschleudert, kann an jedem hängen bleiben, auf den damit gezielt wird, und es gibt kein Mittel dagegen. Das ist das Entscheidende an dem Fall. Es gibt vor allem deshalb keinen Schutz dagegen, weil der medial Beschuldigte eben kein Krimineller, ja nicht einmal ein wirklich Verdächtiger ist. Sonst hätte er nämlich bessere Karten. Ich schrieb das bereits in einem Kommentar:

Tödliche Dreckschleuder

Da und insofern es sich nicht um eine Straftat handelt, wird es auch keine Ermittlungen geben, in deren Verlauf sich klären könnte, dass die Vorwürfe auch inhaltlich haltlos sind. Es wird also keine Ermittlungen geben, die Edathy entlasten könnten. In der Tat ein Meuchelmord.

Edathy war ein prominenter Politiker, der sich viele Feinde gemacht hatte und offenbar keine mächtigen Freunde, die ihn vor einer solchen Kampagne hätten bewahren können. Der nächste Fall, der deutlich macht, welche Macht die großen Medienhäuser haben, vor allem im Verband mit ‘Sicherheitskreisen’ und deren ‘Informationen’. Wenn aus dem Sumpf der Dienste etwas kolportiert wird, können damit unmittelbar Karrieren zerstört werden. Es ist eigentlich nicht zu fassen, dass dergleichen behandelt wird als sei es wahr, ausgerechnet wenn es aus geheimen Ermittlungen stammt.

Der Eifer geht aber noch viel weiter; jedes Gerücht wird dankbar aufgenommen und gestreut. Es war und ist die Rede von “Kinderpornographie”, mit der es ersichtlich nichts zu tun hatte. Es wurde behauptet, Edathy habe Festplatten zerstört, was selbst die Staatsanwaltschaft dementiert. Egal, es bleibt mit jedem Satz etwas hängen. Selbst wenn er beweisen könnte, dass er nichts mit alledem zu tun hat, wäre er vernichtet.

Kein Entrinnen

Das Spiel über Bande geht dabei so: Es ist nicht bloß der Effekt, dass die Kopplung “Edathy/Kinderpornographie” in den Köpfen steckt, was allein seine Zukunft als Politiker ruiniert. Es ist vor allem das zerstörte Verhältnis zwischen ihm und seinen politischen Weggefährten. Einmal in diesem Verdacht, nehmen die meisten schon aus Selbstschutz Abstand, ehe der Hahn dreimal kräht. Wer will schon einen Kinderficker decken? Dessen Reaktion auf die Reaktion besorgt den Rest. Der Verein, in dem er Karriere gemacht hat, ist für ihn verbrannt.

Dabei ist es vollkommen irrelevant, ob der Betroffene so unsympathisch ist wie Edathy. Es ist egal, ob er kriminell ist oder nicht, es hilft gar nichts, unschuldig zu sein. Im Gegenteil ist es wie gesagt ein gewaltiges Handicap, wenn nicht einmal ordentlich ermittelt wird, weil man ja eh nichts verbrochen hat. Natürlich war es hilfreich für die Strippenzieher, dass der Innenminister rechtswidrig einen Kollegen verpfiffen hat. Natürlich ist es da hilfreich, dass die Staatsanwaltschaft offenbar nur nach Schuldbelegen hat suchen lassen, nicht aber nach solchen, die Edathy entlasten könnten.

Es ginge aber auch ganz ohne solchen Dilettantismus. Einfach irgendwen irgendwo auf der Welt finden, der einer Polizei oder Geheimpolizei angehört, dort Verdachtsmomente formulieren lassen und eine Untersuchung lostreten. Das kann jedem passieren. Vor allen wenn er mit der Aufsicht über jene Erpresser befasst ist, die ihm das antun können. Thomas Oppermann zum Beispiel hat das offenbar verstanden.

 
Nein, auch ich kann Sebastian Edathy nicht leiden. Spätestens nachdem er seine Möglichkeiten dazu eingesetzt hat, eine Journalistin mundtot zu machen, die ihn als Vorsitzenden des Innenausschusses zur Überwachung von Paketen durch US-Behörden befragt hatte. Damals nannte man das übrigens noch einen “Datenschutzsskandal”. Heute glaubt niemand mehr an Datenschutz, und vor dem Hintergrund der Enthüllungen Snowdens macht sich das aus wie ein müder Scherz.

Edathy hatte sich bis zur Untersuchung der NSU/Verfassungsschutz-Sache auch immer nur als Holzschnitt eines Innenpolitikers Präsentiert: Für Überwachung (Vorratsdatenspeicherung), alle Rechte den Strafverfolgungsbehörden! Gern trat er mit der in der Charge nicht unüblichen Arroganz auf. Als er dabei erwischt wurde, wie er auf seinen Facebook-Account urheberrechtlich geschützte Bilder verwendet hatte, quittierte er dies mit einem fröhlichen “Leck mich”. Ein Unsympath ersten Ranges.

Als die SPD beinahe kritisch war

Tatsächlich war ich überrascht, dass er im Untersuchungsausschuss deutliche Worte fand. “Das war eines Rechtsstaates unwürdig“, meinte er und und warf den Sicherheitsbehörden multiples und “historisch beispielloses” Versagen vor. Dies in jenem Wimpernschlag der Geschichte, als man der SPD beinahe so etwas wie eine kritische Haltung abnehmen wollte – Thomas Oppermann veröffentlichte bekanntlich das Bild von der komplett geschwärzten Akte.

Ausgerechnet jetzt finden ausgerechnet jene Versager bei ausgerechnet Edathy also “Kinderpornographie”. Ich sehe das im Groben zunächst einmal genau wie Fefe, der schrub:

Mir ist Edathy aber nie als jemand aufgefallen, der aktiv gegen die Dienste arbeitet. Der hat immer nur gefordert, was sich gerade nicht mehr vermeiden ließ. Daher glaube ich das erstmal nicht. Aber das Timing ist durchaus auffällig.”

Etwas anderes finde ich noch wesentlich auffälliger, nämlich dass “aus Ermittlerkreisen” mithilfe der wie immer heillos geschwätzigen Presse kolportiert wird, es handele sich um “einen minderschweren Fall“. Was zur Hölle soll das sein? Hat er ein Handtuch über den Monitor gelegt? Hat er die “Kinderpornographie” nur kurz ausgeliehen? Ist er nur Gelegenheitspädophiler?

Fall eröffnet, Mann erledigt

Nein, Edathy ist vernichtet, wenn er nicht seine Unschuld beweisen kann. Man hat ihm aber angedeutet, dass man ihn vorläufig nicht in den Knast bringen will. So lese ich das. Vernichtet wurde der Mann durch Vertreter jenes Konglomerats von Erpressern, Versagern und Geheimpolizisten, denen er die Leviten gelesen hat. Sollte ihm das also nicht untergejubelt worden sein, ist er eh erledigt. Falls doch, weiß er jetzt, dass sie das jederzeit steigern können. Vor allem aber: Es ist egal, ob etwas dran ist. Jemand hat beschlossen, ihn jetzt abzuschießen. Woher die ‘Informationen’ kommen, ob es nicht bloß eine Denunziation ist, wer soll das beurteilen?

Niemand kontrolliert die Datenströme aus der Jauche deutscher Behörden, die in einer mutigen Überbietung Orwellscher Sprachvergewaltigung auch noch “Aufklärer” genannt werden. Wie so oft zeigt sich, dass die Struktur dazu angelegt ist, unmittelbar vernichtende Macht auszuüben: Geheim werden Daten gegen jemanden gesammelt, die dann von Komplizen aus der Presse, die das Wasser nicht halten können, ausgeplaudert werden. Fall eröffnet, Mann erledigt. So einfach ist das.

Als kritischer Beobachter sieht man sich einmal mehr in der verzwickten Situation, entweder über eine Verschwörung zu spekulieren oder den ‘Sicherheitsbehörden’ zu glauben. Wem Letzteres noch gelingt, der muss völlig taub sein um die Nase. Der Gestank ist längst unerträglich.

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