2016
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politik ,
sozialzeugs[83] Comments 11. Nov 2016 19:03
Sehr feynen Dank an dieser Stelle an die großzügigen Spender, die mir nach meinem Aufruf ein paar wichtige Wochen Luft verschafft haben. Viele von ihnen kenne ich nicht, einige sind mir bekannt und von denen wiederum weiß ich in einigen Fällen, dass sie selbst nur sehr wenig haben. Auf der anderen Seite gab es Spenden, die mich leicht erröten lassen. Es ist nicht bloß Geld, das ich gut gebrauchen kann, es zeigt mir auch, dass mein Blog oder sein Betreiber da draußen einigen sehr wichtig zu sein scheint. Das werde ich mir merken.
Ich habe zumindest bei einem Kollegen für Aufregung gesorgt, als ich sagte, ich würde eher “Klauen und Abzocken” als einen Antrag auf ALG II aka Hartz IV zu stellen. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit gern noch einmal zum Thema machen. Vorweg halte ich es für völlig selbstverständlich, dass dahinter nicht die Message steckt “habe ich nicht nötig” oder “ich bin was Besseres”. Vielmehr ist mir völlig klar, dass die Hatz auf Arbeitslose neben dem Drücken von Löhnen genau diesen Effekt haben soll: dass so viele wie möglich gar nicht erst ihre Ansprüche geltend machen; sie kosten dann nämlich nichts und sind offiziell auch nicht arbeitslos.
Zwischen Tripper und Syphilis
Wenn du also (länger als ein Jahr) in Not gerätst, hast du diese beiden Optionen, auf deinen Anspruch auf Existenzminimum(!) zu verzichten oder einen kompletten Striptease zu machen, deine Intimsphäre aufzugeben, dich zum Befehlsempfänger und Willküropfer zu machen und jede Schikane zu ertragen, die sich wer ausdenkt. Okay, so lange du stark genug bist, kannst du dich hier und da wehren, vor ‘Sanktionen’ schützt dich das aber auch nicht.
Ich bin schon allein zu zornig für solche Strukturen. Da ich dem Ärger nicht aus dem Weg gehen könnte, würde ich recht schnell an die Grenze stoßen, an der mich der Verzicht auf Gewalt zu viel kosten würde. Das sind die paar Flocken nicht wert, ebenso wenig wie die Alternative, sich an einem Büttel der Maschine zu vergehen. Ich kenne die Situation wie gesagt aus Besuchen, bei denen ich Abhängige begleitet habe. Es gab Situationen, in denen ich, wäre es um mich gegangen, den Boden der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung verlassen hätte.
Es liegt durchaus nicht in meiner zweiten Natur eines guten Deutschen Arbeitsmannes, um Zuwendungen zu bitten, auch nicht weil ich meinte, meine Arbeit hier wäre das ‘wert’. Es ist ein Sprung über den Schatten, der freilich bei Weitem nicht so lang ist wie der des JobCenters. Ich respektiere jeden, der eine andere Entscheidung trifft. Der Skandal liegt darin, dass man Menschen tatsächlich dazu zwingt.
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politik[56] Comments 09. Nov 2016 13:05
Sagt er was? Er sagt was, denn es gibt so ein paar Ereignisse, von denen ich denke, dass ich sie nicht ignorieren kann, auch wenn ich das Ganze inzwischen müßig finde.
Sie nannten ihn “Hair Cut 100″, er aber wollte “The Ace in The Pack” heißen. Zweifellos talentiert, neigt Trump dazu, sich zu überschätzen. Er gehört zur Weltelite, hat aber noch nicht belegt, dass er zu den wirklich Großen gehört. Sein Lochspiel und vor allem seine Long Pottings sind herausragend, aber sein Framebuilding ist mau. Ob Judd Trump jemals Weltmeister werden wird, darf man bezweifeln.
Sein Namensvetter weist einige Gemeinsamkeiten auf, aber auch Gegensätzlichkeiten. Wenn der Donald eines kann, dann Framing. Mr. President ist einer, der es nicht nur schafft, sämtliche Botschaften an Dreiwortsätze anzupassen, er kann sie auch mit demselben Gesicht tausendmal wiederholen, um zur gleichen Zeit zweitausendmal das Gegenteil zu sagen. Nur die Stimmung ist immer gut, hurra!
Die nicht!
Burks wird jetzt einer abgehen, auch hurra, aber seine Wette war billig. Ich hatte dagegen gehalten und auch nicht gedacht, dass die Email-Affäre das Ereignis sein würde, das die Sache zum Kippen bringt. Uneingeschränkt richtig ist die Feststellung, dass die deutsche Journaille nur noch Propaganda kann und ihr die eigene Ahnungslosigkeit völlig wurscht ist. Trump konnte ja gar nicht gewinnen. Wer so wenig Ahnung hat, könnte wenigstens jetzt die Fresse halten, aber damit verdienen sie ja nichts.
In der Tat war das FBI die beste Hilfe, die Trump sich wünschen konnte. Hillary war für ihre Gegner das böse korrupte Establishment (“Sie ist korrupt. Sie ist korrupt. Sie ist korrupt. Sie ist korrupt.)”, was die Mails bestätigt haben, was vom FBI perfekt getimed wurde (für so etwas ist Engholm hier einmal zurückgetreten), was das FBI noch einmal auf die Spitze getrieben hat, indem es ihr unmittelbar vor der Wahl einen Persilschein ausstellte. Fazit: Sie ist zwar korrupt, aber sie ist so korrupt, dass es für sie keine Konsequenzen hat.
Anhänger und Folgende
Eine unsympathische Bratze wie Hillary muss so etwas erklären, ein Haudrauf wie Trump nichts. Der schlüpfrige Milliardär, der nicht Establishment ist, zieht als Tribun der Armen und Betrogenen ins Weiße Haus ein. Ja, das ist absurd, aber nicht absurder als das Ganze Gewese zwischen Endkapitalismus und neoliberaler Mythologie. Der große Unterschied ist der, dass Hillary den Charme eines Aktenordners im JobCenter hat, während der alte Lüstling total lustig ist. Hatten die empörten Genderexperten wirklich gedacht, es sei schlimm, eine Frau als Objekt zu behandeln? Kennen sie die Verhältnisse in ‘konservativen’ Familien?
Trumps Anhänger sind ein ekliger Mix aus Hurrapatrioten, Faschisten, Reaktionären, Religiösen, Idioten, Stammwählern und Leuten, die einfach die Schnauze voll haben. Normale Amerikaner eben und solche – wage ich zu vermuten -, die bislang nicht wählen gingen. “Eat this”-Wähler wie die von der AfD. Die Democrats wollten Clinton nicht, umso weniger, je mehr der Dreckwahlkampf zwei Dinge offenbart hat: Sie ist mindestens so eklig wie man vermuten musste, und sie kann es nicht. Womit hat sie denn überzeugt? Damit, dass sie kein sabbernder alter Depp ist, der Stammtischparolen als Politik verkauft? Das hat dann wohl nicht ganz gereicht.
Die Versager
Ein Schlusswort zur Atlantikerpresse hier: Peinlicher ist nicht einmal auszudenken. Keine Ahnung, Einheits-’Meinung’ und null Information. Was habe ich hier eigentlich erfahren über Clintons Politik, ihre Verbindungen, ihr Programm, die Meinung der Wählerschaft dazu (insbesondere der Democrats), die erwartete Wahlbeteiligung, kurz: Inhalte? Endlich verständlich: Nichts, gar nichts.
Schon überhaupt nicht hat das hiesige Establishment auch nur annähernd kapiert, dass es auf dieselbe Weise versagt wie Clinton und die Bevölkerung hier auf dem besten Wege ist, ebenfalls die Brandstiftung dem Systemerhalt vorzuziehen – wenn es nur noch diese beiden Optionen gibt. Die Amerikaner dürfen sich glücklich schätzen, dass es ein Schwätzer wie Trump ist und kein gut vernetzter Erzfaschist. Vielleicht haben sie tatsächlich die bessere Wahl getroffen.
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kapital ,
narrativ[37] Comments 05. Nov 2016 18:22
Die wichtigste tragende Säule des Kapitalismus in Europa, insbesondere in Deutschland, ist die Sozialdemokratie, vor allem das Narrativ betreffend. Sie bringt alles mit, um die Erzählung von der guten Marktwirtschaft zu transportieren, und zwar als Geschichte wie als Tabu. Sozialdemokratie grenzt sich vor allem und eigentlich konsequent ausschließlich nach links ab. Sie ist nicht kommunistisch, im Gegenteil: Sie war und ist unversöhnlich antikommunistisch. Ob Wehner als ‘geläuterter’ Kommunist, Schmidt als erster Transatlantiker und Kalter Krieger oder jedwede Parteigremien zu einer beliebigen Zeit, die SPD war stets der Feind der Kommunisten und Linksradikalen, schon um nicht selbst aus dem Kreis der ‘Guten’ ausgeschlossen zu werden.
Als politisch-ökonomische Konstruktion ist die Sozialdemokratie der absurde Versuch, Sozialismus zu verwirklichen unter der strikten Bedingung, dass es ein kapitalistischer zu sein hat. Der Titel ‘Soziale Marktwirtschaft’, den sie sich ausgerechnet noch von den Rechten hat vorgeben lassen, suggeriert, ein ‘Markt’, der nichts anderes ist als eben Kapitalismus – die Konkurrenz privater Eigentümer – könne und müsse ‘sozial’ sein. Sie nennt das ernsthaft bis heute “Sozialismus”, der als Ziel nach wie vor im aktuellen Parteiprogramm steht.
Eine absurde Idee
Dabei hat sie keinerlei Konzept. Keines für Demokratie, weil sich für sie Demokratie in der Existenz eines parlamentarischen Systems erschöpft. Keines für Sozialismus, weil sie sich überhaupt nicht damit beschäftigt, welcher Bedingungen denn ein sozialistisches Wirtschaften bedürfte. Schon gar nicht hätte sie ein Konzept oder eine Theorie des Kapitalismus. Den Marx verbietet sie sich, weil der halt am Kommunismus schuld ist. Dieses Tabu wird so konsequent aufrecht erhalten, dass sie auch völlig unfähig ist, die Ursachen sogenannter “Krisen” jemals im Kapitalismus selbst zu suchen. Dabei müsste sie mit dem Kopf darauf gestoßen werden, denn die Absurdität eines geforderten Sozialismus vor dem Hintergrund ihrer neoliberalen Ausrichtung erfordert dringend eine Klärung bzw. Entscheidung.
Es kann aber eben nicht sein, was nicht sein darf. Die SPD ist sozial. ‘Marktwirtschaft’ ist sozial. ‘Marktwirtschaft’ ist kein Kapitalismus. Diese Glaubenssätze einer bizarren Religion machen sie zum treuesten Vasallen noch des brutalsten Kapitalismus; sie segnet jedes Mittel, noch irgendwie Profite zu ermöglichen, ab und verkauft dies stets als Segnung, denn das Ziel ist ja der marktkompatible Sozialismus, in dem es allen Fleißigen gut geht. Sie darf daher auch weder Konzept noch Theorie haben, denn das würde den ganzen Schwindel sofort auffliegen lassen und den Nachweis erbringen, dass die Idee der Sozialdemokratie ein einziger großer Irrtum ist.
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kunstlyriklamauk[10] Comments 03. Nov 2016 12:53
Ich schreibe hier selten über Privates, aber der aktuelle Trend beim Schutz vor Minderheiten zwingt mich dazu. Durch meine Erziehung gehöre ich zu einer Minderheit, die sowohl sozial als auch in sexueller Hinsicht u.a. durch vielfache Traumatisierung beeinträchtigt ist. Für fast jede Spielart der Sexualität und Partnerschaft gibt es inzwischen ein ‘Gender’, nur Meinesgleichen wurde dabei völlig vernachlässigt.
Ich stehe unter dem Zwang, nur Sexualpartner zu akzeptieren, die sich auf jede erdenkliche Weise erniedrigen lassen. Das hat nichts mit meinem grundsätzlichen Respekt vor denen zu tun; ich kann halt nicht anders. Man kann sich ja kaum vorstellen, wie schwierig es für einen ohnehin unattraktiven alten Mann ist, ein Stück Fleisch zu finden, das auf mein irreversibel eingebranntes Programm positiv reagiert. Die meiste Zeit meines Lebens bin ich deshalb allein.
Akzeptiert mich!
Schlimmer aber noch: Permanent verlangt man von mir, Frauen in einer bestimmten Weise zu begegnen, zu behandeln und anzusprechen. Auf gar keinen Fall dürfe ich sie wie einen Putzlappen benutzen; ja, ich soll sie sogar siezen! Wie soll jemand mit meiner Behinderung so jemals eine Schlampe finden, die sich willig im Staub windet? Mir ist die Ausübung jeglicher Sexualität faktisch verboten, obwohl ich damit nicht einmal gegen Gesetze verstoße. Diskriminierung kann nicht gnadenloser sein.
Aber auch im ganz alltäglichen Umgang mit Menschen werden mir meine Rechte aberkannt. Mir werden die Rechte auf Meinungsäußerung und Freizügigkeit verweigert, ich werde gar zu absolutem Schweigen verurteilt. Meine Störung, eine Personalisierte-Tourette-Manie, tritt in Form abweichender Kommunikation zutage.
Inklusion sofort!
Ich nähere mich Menschen mit gefährlichen Gegenständen und stoße unwillkürlich zu, dabei treffe ich sie gemeinhin gar nicht. Außerdem muss ich sie zwanghaft beleidigen und Naziparolen brüllen. Habe ich deshalb kein Recht mehr auf soziale Teilhabe? Nicht einmal in lustigen Kostümen darf ich mich ausleben, dann schreit sofort wer nach schärferen Gesetzen.
Die Menschen da draußen haben ein Wort für uns, das wir nicht länger zurückweisen, sondern fortan mit Stolz zu unserem Label machen wollen. Wir kämpfen wie andere Minderheiten auch für unseren Platz in der Gesellschaft. Wie einen zweiten Namen tragen wir den Titel „Arschloch“ und nehmen ihn an. Wir, der freie Zusammenschluss „Union Stolzer Arschlöcher“, haben getagt und stellen für den Anfang drei Forderungen:
- Anerkennung als Gender
- Uneingeschränkten Zugang zu Clubs und Gesellschaften
- Befreiung von der permanenten Retraumatisierung durch den Zwang zur Höflichkeit
01.11.2016
U.S.A.
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kunstlyriklamauk[51] Comments 29. Okt 2016 20:40
Furchtbar: Horrorclown realisiert Diele des Schreckens und droht: “Dies ist erst der Anfang!”
Man muss das einfach einmal gemacht haben: einen Rucksack am Bahnhof in eine Menschentraube geworfen und „Allahu akbar“ gerufen. Als Horrorclown verkleidet mit einem Baseballschläger nachts Kontakt zu jungen Frauen gesucht. Wer nicht weiß wie sich das anfühlt, hat es offenbar nicht nötig.
Womöglich ist er erwachsen, es geht ihm zu gut oder hat nicht die Eier, seine sichere Existenz gegen das kribbelnde Risiko einzutauschen. Pech für dich, denn du bewirkst nichts. Niemand hat Angst vor dir, du hast nichts zu erzählen und kein Schwein interessiert sich für dich. Du bist nicht nur ein Loser, du willst es auch gar nicht anders. Du hast Angst und duckst dich auch noch.
It’s Better to Burn Out
Besser ist das, denn auf der anderen Seite wartet Null Toleranz® auf dich. Man bestraft nämlich die Bösen® mit aller Härte®. Das ist der Deal: Duck dich und sei brav, dann darfst du einstimmen in den großen Chor der Gerechten, der die Bestrafung der Abtrünnigen fordert. Erhebe dich und ernte ein kleines bisschen Ruhm, dann wirst du in der Hölle schmoren.
Politik ist nur mehr Religion. Es werden Rituale vollzogen, die immer gleichen Formeln gemurmelt, und das Spannendste, das passieren kann, ist die öffentliche Anklage der finsteren Mächte unter Ankündigung von Höllenqualen. Noch nie haben die Pfaffen, ihre Ministranten und die Kniefälligen kapiert, welches Spiel sie selbst da spielen und dass es immer welche geben wird, die lieber Aufmerksamkeit erregen als auf eine Ewigkeit der Langeweile im Himmel hinzuarbeiten.
Teufelszeug
Nein, es darf keine Toleranz geben gegenüber kleinen Spackos, die sich eine Gesichtsmaske überziehen und Omas erschrecken. Wenn du Horrorclown werden willst, stell dich hinten an und lasse dir eine Hackfresse wachsen! Es kann sich nicht jeder einfach nehmen, wofür Rauten-Chucky sich ein Leben lang gebückt hat. Auch der Horrorclown aus dem Spukschloss Bellevue war Jahrzehnte lang ein Nützlicher Idiot, ehe er ganz legal seinen Grusel entfalten durfte.
Andererseits kommen die Gumminasen wie gerufen. Sollte die Welle bald abebben, sollte der Verfassungsschutz seine Sprallos entsprechend ausrüsten. Die Rechung ist einfach: Wenn man mit der Unterstützung eines Viertels des Wahlviehs durchregieren will, muss man dafür sorgen, dass die Hälfte nicht hingeht und die blödere Hälfte vom Rest gut unterhalten wird. BUH! Hilfe!!
Geht doch!
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kapital ,
politik[30] Comments 26. Okt 2016 12:27
[Via Zeitgeistlos] Schon Oskar Lafontaine wurde bei der Bundestagswahl 1990 hart bestraft für seine richtigen Prognosen bezüglich des Anschlusses der DDR an die BRD. Gregor Gysi hat 1998 die Konsequenzen der Euroeinführung präzise vorausgesagt; der Linken hat es nichts genützt. Im Gegenteil drängen dort heute diejenigen nach vorn, die mit den Neoliberalen gemeinsame Sache machen und die dritte sozialdemokratische Partei damit auf Linie bürsten wollen.
Klick aufs Pic führt zu Youtube.
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kollateralschaden ,
theorie[24] Comments 24. Okt 2016 12:11
Ich bin noch nicht ganz durch die aktuelle ‘Alternativlos’, in der es grob um ‘postfaktische’ Kommunikation und Politik geht. Ggf. werde ich mich dazu später noch äußern. Epikur hat heute einen kurzen Text am Rande des Komplexes gepostet, in der es um fehlende Haltung geht. Es scheinen sich alle Konzepte aufzulösen, die einmal das Bürgerliche Denken und seine Philosophie ausmachten: Identität, Wahrheit, Bildung – von Gleichheit ganz zu schweigen. Übrig bleibt ein digitaler Liberalismus, der das Subjekt abgeworfen hat. “Digital”, weil die nackten Zahlen die Herrschaft übernommen haben. Es ist ein Kapitalismus, der nur mehr den Größenverhältnissen dient. Thatcher hatte recht: Es gibt keine Gesellschaft (mehr).
Letzteres ist aber das Ergebnis der letzten Politik, die sich selbst abgeschafft hat. Der Zwang Zahlen zu vergrößern, früher bekannt als “Profit”, heute zum Mythos Wachstum® verbrämt, hat wie ein schwarzes Loch alles andere in seinen Bann gezogen und zermalmt. Effizienz ist der neue Geist; aus möglichst wenig möglichst viel machen, von möglichst viel möglichst wenig investieren. Übrig bleibt selbst von den Persönlichkeiten eine leere Hülle. Nix drin, reichlich Schaum drum herum. Wir dienen Mammon und wissen nicht einmal mehr, dass es ihn gibt. Wir stellen dar ohne zu wissen, wen oder was. Alles so schön bunt hier.
Gaga? Muss ich sofort haben!
Freud hat einmal beschrieben, wie Realität aus Wunschabwehr entsteht. Statt sich der Halluzination einer Befriedigung hinzugeben, macht der Mensch sich auf den Weg. Er steckt seine Wünsche zurück, macht Umwege, sucht Lösungen und kommt zum Ziel. Heute taumeln wir umher zwischen der Befriedigung von Wünschen, die wir gar nicht haben und der ständigen Produktion neuer Wünsche, die gleich die Angst zu kurz zu kommen gratis dazu liefert. Wir haben längst keine Möglichkeit mehr, Einfluss zu nehmen, wissen eigentlich schon kaum mehr, worauf eigentlich. Was will ich? Wie kann ich es erreichen? Wie kann ich so handeln, dass ich mich nicht sozial isoliere?
Diese Fragen sind dem schieren Zwang gewichen, einer Hatz zwischen nur suggerierten Zielen und scheinbarer Vorsehung. Das ist schlimmer als jede Halluzination und weniger Freiheit als die eines Tieres, das sich wenigstens im Rahmen seiner Instinkte bewegen kann. Wo wäre hier Raum für Vernunft? Kommunikation ist eine Frage der Strategie, wodurch Wahrheit nicht einmal mehr zur Option wird. Nicht nur ist das Bemühen um Wahrheit ein großer strategischer Nachteil; sie lässt sich auch kaum mehr konstruieren, weil einem ohnehin niemand glaubt.
Verrückt unter Verrückten
Der Bezug auf Wahrheit, Haltung, Bildung, der ganze Krempel bürgerlicher Ideale, war aber kein Konstrukt einer finsteren kapitalistischen Absicht, sondern durchaus die Errungenschaft einer philosophischen Entwicklung, ein Höhepunkt der Menschheitsgeschichte. Diese Ideale mögen von Anfang an den Keim der Ungleichheit getragen und die Voraussetzung für eine Gesellschaft geschaffen haben, in der das ganze Geschacher einen fruchtbaren Boden fand. Darin liegt aber eben auch der benennbare Widerspruch, in dem sich die reale Hoffnung auf Besseres erhält. Die bürgerlichen Werte wurden allesamt zersetzt. Es hat sich gezeigt, dass eine Gesellschaft der Gleichen zerfällt, wenn es Gleichere gibt. Gerade Vernunft zwingt hier zur Korrektur und verlangt, dass die Voraussetzungen geschaffen werden müssen für echte Gleichheit.
Raul Zelik hat geschrieben: “Das Drama der bürgerlichen Gesellschaft ist ja, dass sie Gleichheits- und Freiheitsrechte postuliert, die sie aufgrund ihrer Eigentumsverhältnisse gar nicht einlösen kann.” Schlicht, folgerichtig und wahr. Es gilt also, die Voraussetzungen der Eigentumsverhältnisse grundlegend zu ändern. Die Vernunft, die zu dieser Erkenntnis führt, kann sich in dieser Gesellschaft unmöglich durchsetzen. Sie kann aber in jedem Einzelnen von uns überwintern. Das fängt damit an, völlig zweckfrei wahrhaftig zu sein und zu seinen Fehlern zu stehen. Man muss sich eigentlich nur anschauen, wie Öffentlichkeitsarbeit® funktioniert – und das Gegenteil tun.
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interna[32] Comments 21. Okt 2016 11:30
Es ist Herbst; Zeit wieder ein wenig zurück zu schauen und in eine kleine Bettelei zu münden. Feynsinn ist beinahe unbemerkt ins zwölfte Jahr gegangen, da tragische Umstände keine Geburtstagsfeier zuließen. Am 26.09. wurde das Blog elf, am Morgen darauf ist Uena gestorben, meine liebe Frau, die ich in den zweieinhalb Jahren davor betreut und gepflegt habe. Die staatliche Unterstützung häuslicher Pflege ist ne dolle Sache, zuletzt gab es immerhin 65 Cent/Stunde bei einem 24/7-Job. Wir haben doch den besten Sozialstaat der Welt!
Immerhin haben mich die paar Moppen, ein bisschen Substanz, Hilfe von Freunden und einige Dollar für ein paar Texte mäßig über Wasser gehalten. Inzwischen kommt noch weniger rein, ich brauche also Anfang nächsten Jahres dringend einen Job. Bis dahin und ggf. darüber hinaus muss ich mich mit Kleingeld und Spenden durchschlagen. Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle, die Feynsinn schon unterstützt haben und ein kleines Zaunpfählchen für solche, die es auch erwägen. Spenden Sie jetzt, denn schon morgen kann Hillary dem Iwan zeigen, wie ein toughes Weib der Welt den Frieden® bringt.
Update: Fast vergessen, der Putin des Tages with no comment.
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kapital[46] Comments 18. Okt 2016 13:36
Ich weiß nicht, ob jemals irgendwer wirklich geglaubt hat, dass Neoliberalismus funktioniert. Die Trickle Down-Theorie als Opium für die Leser der Wirtschaftsspalte ist nicht paradox, sie ist absurd. Es wurde behauptet, wenn es den Reichen gutgehe, wenn die Profite stiegen, falle für alle etwas ab. Die Bevölkerung besteht fast vollständig aus Lohn- und Hilfeempfängern, und indem man beides drastisch kürzt, soll von den dadurch höheren Profiten für alle mehr abfallen. Diesen Schwachsinn haben sie Jahrzehnte lang erzählt. Hier ist eine gute Ergänzung dazu.
Auswüchse
Der Neoliberalismus setzte sich durch, um Profite zu retten, weil der Kapitalismus schon Mitte der Siebziger Jahre wieder in die Krise rutschte. Selbst die bald darauf folgende technologische Umwälzung, holprig auch “Digitalisierung” genannt, konnte daran nichts ändern. Der Kapitalismus hatte längst wieder zu viel Kapital bei zu wenig Verwertungsmöglichkeiten (sprich “Mehrwert”, sprich “Lohnarbeit”) geschaffen. Alle Tricks wie künstliche Konsumanreize, kurze Haltbarkeit von Produkten und der große Kapitalparkplatz an den Börsen konnten das Problem nicht lösen.
Ökonomie ist seitdem eine einzige Palliativmaßnahme. Jeder, der sich ernsthaft mit ihr befasst und nicht verblödet ist, weiß, dass die Spreizung zwischen Arm und Reich systembedingt ist, ebenso wie die Bildung von Monopolen bzw. Oligopolen, die Kriege um Ressourcen und Einfluss, wuchernde Korruption und Missachtung der Menschenrechte. Wie oft muss sich das wiederholen, bis es nicht mehr für die Tat Einzelner, böser Mächte aka “Auswüchse” gehalten wird? “Man müsste doch nur” – ja, endlich damit aufhören!
Schwarze Messe
Man muss eigentlich nur zur Kenntnis nehmen, wie deprimierend die Aussichten sind, die uns präsentiert werden, und das obwohl wir nach Strich und Faden belogen werden. Selbst die Märchen, die sie uns erzählen, haben kein Happy End mehr. Krise hier, Krise dort, Krieg, Terror, Elend und Sanktionen. Nennt ihr sowas “Politik”? Niemand geht hin und sagt, dass wir den Laden nicht mehr im Griff haben. Niemand steht auf und sagt, dass es keine Lösung gibt, niemand versucht auch nur eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie man aus diesem Irrsinn aussteigen könnte.
Nein, wer das auch nur zaghaft wagte, würde geteert und gefedert. Das wären Spinner, Kommunisten, radikalisierte Radikale. Stattdessen kremen sie ihr totes Pferd ein und streiten darüber, ob es schneller rennt, wenn der verhungerte Jockey noch eine Diät macht. Die letzten Aufrechten warten noch immer darauf, dass das Wasser bergauf fließt. Sozen und Lutheraner wissen, dass wir uns nur mehr anstrengen müssen. Der nächste Pfaffe wird der nächste Präsident. Auf die Knie, Brüder und Schwestern, im Klassenkampf hilft nur Frömmigkeit!
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best of ,
kollateralschaden[68] Comments 11. Okt 2016 12:39
Was ist das eigentlich für ein Wort, und in welcher behämmerten Welt lebe ich, in der jemand vom “postfaktischen Zeitalter” schwadronieren kann ohne dass ihm die Halsvenen explodieren? Die Bedingung der Möglichkeit dieses nicht einmal unpassenden Titels einer kaputten Epoche ist die totale Verblödung. Sagte er “Bedingung der Möglichkeit”? Wat dat denn? Intellektuelle Scheiße. Ja, richtig. Dergleichen findet keinen Salon mehr, in der Worte seziert und durchgedacht werden wie ein zähes Hirnsteak. Wo einmal die bürgerliche Aufklärung zu Kritik und Analyse strebte, trieft heute das Fett Sloterdijkschen Sozialdarwinismus’, bestenfalls Philosophische Fancy Fashion, präsentiert von Ihrem Schwiegersohn Richie Precht und Mäppelin Jade.
Wie kam das noch? Wartet, gleich sagt er wieder das K-Wort! Gemach, aber sicher. Als das Bürgertum den Adel als herrschende Klasse ablöste (Ja doch, mit Einschränkung. Selbstverständlich haben sie paktiert. Selbstverständlich hat sich nur ein Teil des Bürgertums tatsächlich an die Macht gekämpft), war Vernunft eine seiner Waffen. Klerus und Adel hatten Jahrhunderte lang den intellektuellen Fortschritt blockiert, nicht zuletzt weil die Dummheit der anderen ihre Macht sicherte. Nicht zuletzt, weil Aufklärung Herrschaft zersetzt, weil deren Rechtfertigungsstrategien unvernünftig sind, nicht logisch, falsch und erlogen – und zwar immer.
Der talentierte Organist
Deshalb ist die Beziehung von Aufklärung, Vernunft und Demokratie auch eine organische. Deshalb hat die Überwindung der Alleinherrschaft von Alleinherrschern Wissenschaft und Geist befreit. Deshalb werden diese unter der Ägide einer neuen Gewaltherrschaft in den Boden getreten und hinterlassen nicht einmal mehr eine neue Mythologie, sondern die Apokalypse. Der Antigeist geht um; Schwachsinn, Lüge, Psychose und Trollerei. Inhalt, Struktur und Sinn wurden einem vermeintlichen Zweck geopfert, der nicht einmal erreicht wird.
Vor den Kulissen werden Pappkameraden herumgetragen: Wenn man selbst nur mehr dummes Zeug propagiert, braucht es ersichtlich Geisteskranke, an denen man sich abarbeitet. Danke Internet, hier findet sich jede Art Idiot, die man zum Popanz aufblasen kann. Aluhut, Chemtrail, Ufologie – das sind die Quellen der Putinversteher. Verschwörungstheoretiker skandieren “Lügenpresse”, woraus man nur folgern kann, dass die Presse die Wahrheit sagt. Dass übrigens in Zeiten wuchernder Geheimdienste und auffliegender Verschwörungen, Geheimverträgen und ausufernder Korruption der Vorwurf der Verschwörung denjenigen disqualifiziert, er ihn erhebt, Schwamm drüber. So macht’s der Troll eben; weil er’s kann und die Empörungsorgel beherrscht.
Das Mittel heiligt den Zweck
Es geht um Effekt, also Affekt. Es soll Wirkung erzielt werden. Man will etwas erreichen, und die Welt ist das Mittel dazu. Die ganze Welt, also folgerichtig auch die der Kommunikation, der Vernunft, der Logik, der Wahrheit. Das alles sind Instrumente, weiter nichts. Wahrheit ist das, was sich durchsetzt. Ein bisschen schummelt doch jeder. Tu’ ich’s nicht, tut’s ein anderer. Man muss sehen, dass man nicht auf der Strecke bleibt. Das ist fairer Wettbewerb®. Die Konkurrenz aller gegen alle ist das allgemeine Gesetz. Vernunft war noch auf die Idee gemeinsamer Interessen angewiesen, war mit der Vorstellung allgemeiner Menschenrechte verbunden – auch weil dies eine Waffe im Kampf gegen die Erbhöfe war.
Inzwischen kann man sie nicht mehr gebrauchen. Im Gegenteil braucht die totale Konkurrenz wieder die stumpfe Blödheit des Glaubens an den Einzelnen. Diesmal sind es nur keine Fürsten mehr, sondern Milliarden Zerstreute, die alle ihr eigenes Reich zu bewirtschaften haben. Die Einen halt auf der Müllkippe, die Anderen im Marmorpalast. Das ist hetzutage eben so, und damit ist den Fakten Genüge getan. Ab hier geht es nur noch darum, wer Recht bekommt.
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