Bundesarchiv, Bild 102-05952 / CC-BY-SA 3.0
Es gab in der Geschichte der BRD einige Meilensteine, in denen das Narrativ sprichwörtlich auf den Punkt gebracht wurde, nämlich in ‘berühmten’ Reden deutscher Bundeskanzler und Präsidenten. Ich habe Adenauers Rede von 1946 bereits erwähnt, in der er fordert, den Nationalsozialismus endlich abzuhaken und ausgerechnet die Kirchen zum Hort des Widerstands verklärt hat. Der Zusammenhang zwischen Luthers Ideologie und den Voraussetzungen für das Gedeihen des Nationalsozialsozialismus wurde ebenfalls angesprochen.
Es gibt zwei weitere Reden von Bundespräsidenten, die jeweils bis heute erwähnt werden; eine davon ist Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation des Deutschen Reiches. Diese Rede vom Mai 1985 wurde skandalisiert, weil er von einem “Tag der Befreiung” sprach. Die Reaktionäre in der CDU/CSU und Vertriebenenverbänden konnten das kaum akzeptieren; Weizsäcker wurde dafür von Liberalen und Gemäßigten gefeiert, vor allem wohl für den Rest der Rede. Diese machte Kohls Ausspruch von der “Gnade der späten Geburt” zur Säule des Narrativs und verklärte den Nationalsozialismus zu einer Erfindung Hitlers, die er mit ein paar Getreuen über das Deutsche Volk gebracht hätte. Dieses steht als Opfer der Geschichte da.
Verführtes Volk
Das Kriegsende wird in düsteren Farben geschildert, denn “Unser Schicksal lag in der Hand der Feinde.”. Dabei war alles bloß ein Irrtum gewesen:
“Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient.”
Weizsäckers “Gedenken” gilt derweil ebenso den “Soldaten” wie den Opfern des Holocaust. Mehr ging wohl nicht.
Ein besonderer rhetorischer Kniff gelingt ihm, indem er den Fokus auf die Frauen lenkt, die er pauschal für unschuldig erklären kann:
“Sie haben in den dunkelsten Jahren das Licht der Humanität vor dem Erlöschen bewahrt.” Dies verknüpft er mit der Legende der Trümmerfrauen, die Heldengeschichte der frühen BRD, in derMord und Totschlag einmal nicht vorkommen. Ansonsten ist es das Lied von der missbrauchten Nation:
“Am Anfang der Gewaltherrschaft hatte der abgrundtiefe Haß Hitlers gegen unsere jüdischen Mitmenschen gestanden. Hitler hatte ihn nie vor der Öffentlichkeit verschwiegen, sondern das ganze Volk zum Werkzeug dieses Hasses gemacht.” Wie ihm das gelang, werden wir leider nie erfahren.
Dies soll an dieser Stelle genügen, und ich spule vor zum Schlussakkord:
“Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.”
Luther Reloaded
Die Weizsäckers sind Nachfahren evangelischer Theologen, die seit dem 19 Jahrhundert Ämter in diversen Regierungen innehatten. Richards Vater war ein in Nürnberg verurteilter Kriegsverbrecher, sein Bruder Teil der Gruppe, die für die Nazis an einer Kernwaffe arbeiteten. Wie viele geläuterte Nazis wurden die Weizsäckers amerikanisch demokratisiert. Richard selbst war Fähnleinführer der Hitlerjugend gewesen, später Offizier der Wehrmacht. Nach dem Stauffenberg-Attentat hat er offenbar einen der Verdächtigen geschützt.
Der letzte Absatz seiner Rede vereint seine Wurzeln wie die des deutschen Narrativs mustergültig. Ohne “Ehre” kommen die deutsche Nation und ihre Getreuen nicht aus. Wo die Nazis bedingungslose “Treue” ehrten, steht nunmehr die “Freiheit”, eine eher diffuse Angelegenheit, denn wovon oder wozu wird nicht so recht so klar – es sei denn, man denkt ökonomisch, aber dieser Teil kommt nicht vor in der Rede. “Arbeit” darf keineswegs fehlen, nicht beim Deutschen und schon gar nicht beim Lutheraner. “Frieden” ist das Ergebnis der Arbeit seitdem also. “Arbeit” rhetorisch weiterhin mit “Freiheit” zu verknüpfen, wäre wohl zu verfänglich gewesen.
“Halten wir uns an das Recht” ist die neue Formel für Unterordnung. Wo die von Hitler Verführten Gehorsam gelobt hatten, stellt sich der ‘Freie’ nunmehr willig unters Recht. Wie dem auch sei: Es braucht Autorität, wenigstens abstrakt als „Recht“. Der vorletzte Satz klingt kryptisch, ist aber wohl der eindeutigste Bezug auf die protestantische Ideologie. Die “inneren Maßstäbe” zeichnen den eigenverantwortlichen Christen aus und machen “Gerechtigkeit” zu einer Sache des Einzelnen. Am besten gefällt mir freilich der Schlusssatz mit der kabarettreifen Einschränkung “so gut wir können“. Nach bestem Wissen und Gewissen eben. Kann nicht immer klappen. Dann ist halt der Führer schuld.
siehe dazu auch Jenningers Versagen
März 25th, 2017 at 23:48
“Dann ist halt der Führer schuld.”
Haha, wenn der Führer das gewußt hätte…
März 25th, 2017 at 23:52
Wobei mir gerade einfällt, dass ich auch “schulz” hätte schreiben können. :oP
März 26th, 2017 at 10:12
Moin .. oder Merkel
Merkel wir hassen dich für Flüchtlinge Umvolkung
Fußpilz und Zahnbelag .. !!!
Und lasst mir ma den Chulz ,den Mann des kleinen Mannes in Ruh,mit dem geht es endlich wieder gerecht zu in Deutschland ..
März 26th, 2017 at 10:28
@Lazarus: Umvolkung? Merkel hassen? Du schreibst Quatsch.
März 26th, 2017 at 10:34
Mein lieber R@iner das ist natürlich nicht meine Sicht der Dinge sondern dass was auf sogenannten sozialen Netzwerken kommuniziert wird … du siehst ich hab viel Kreide
März 26th, 2017 at 13:27
Für Nutzer sozialer Netzwerke sollte ein Deutschtest Pflicht sein, bei Nichtbestehen sofort ab nach Afghanistan und umgevolkt!
März 26th, 2017 at 21:32
ot bzw. halbwegs anknüpfend an #2 folgt der kommentar zur spd und den wahlen im Saarland – nur 13 sekunden: http://dai.ly/x30s98i?start=5460
März 27th, 2017 at 11:50
Ähm, sicher, dass der Link richtig ist?
Btw.: Ich sollte vielleicht meine eigene Demoskopenrampe aufmachen. Ich habe drauf gewettet, dass der ‘Schulz-Effekt’ nahe Null liegen würde. Welch ein erbärmliches Theater!
März 27th, 2017 at 11:59
Das Theater scheint aber zu wirken: Umfragen Ansichten zur Gesellschaft
Nichts ändert sich, aber anscheinend empfinden das viele als Verbesserung. Da sich einige Grafiken in den Aussagen widersprechen, würden mich die Fragen interessieren.
Der hier ist auch gut: Was sind die wichtigsten Gründe für das Wahlergebnis im Saarland?
Personen sind auch noch im Jahr 2017 wichtiger als die Inhalte. Deal with it!
März 27th, 2017 at 13:10
Der Schulz-Effekt und der Quandt-Effekt: Wahlen sind dem Stockholm-Syndrom unangenehm ähnlich
März 27th, 2017 at 20:26
ot Interessierten empfehle ich diese beiden artikel zur lektüre: How to Think About Vladimir Putin und Russia, Trump, and a New Détente
März 28th, 2017 at 11:05
OT. Elon Musk’s Neuralink wants to boost the brain to keep up with AI
So langsam finde ich das nicht mehr witzig.
März 28th, 2017 at 11:13
@Rainer – Ist es auch nicht. Das ist blind durchgeknallter Fortschrittsglaube in Reinkultur und hochgefährlich.
Edith meint, da wäre es ja fast tröstlich, wenn sich KI tatsächlich auf Gimmicks und Konsum beschränken würde.
März 28th, 2017 at 11:17
Ja, Peinhart von Borg.
März 28th, 2017 at 11:52
OT. Geht gerade weiter: Hyperloop könnte innerdeutsche Flüge ersetzen
März 28th, 2017 at 15:14
OT
@12
Das sehe ich nicht so, aber das mag einfach an meiner offenen Einstellung zu Technologie an sich liegen. Mir machen solche Ideen die alle unter dem Oberbegriff “Technische Singularität” zusammengefasst werden können nicht an sich Angst/Sorgen, sondern was die Menschen daraus machen werden. Wir sind fantastisch darin gute Ideen in dystopische Bahnen zu lenken.
Gib aber dafür nicht dem Fortschritt oder der Wissenschaft die Schuld. Sie zeigt nur auf was möglich ist, wie man es dann nutzt ist eine ganz andere Geschichte (da spielen ja dann auch Ethik und Moral eine Rolle). Atomenergie ist doch ein schönes Beispiel der jüngeren Vergangenheit. Wäre unser Fokus damals z.B. beim Bau der ersten Kernspaltungsreaktoren die möglichst sichere und effiziente Energieumwandlung (also Stromerzeugung) gewesen und nicht die Gewinnung von waffenfähigem Plutonium, dann hätten wir wohl ein paar Atombomben sowie Reaktorunfälle weniger. Und vermutlich hätten wir dann auch schon heute einige wenige effiziente Kernfusionsreaktoren. Oder zumindest alternative Kernspaltungstechniken wie Flüssigsalz/Thorium, die wohl um einiges sicherer sind.
Ich bin auch kein Fan von blindem Fortschrittsglauben a la Fortschritt um des Fortschritt willens, aber die Schwächen des menschlichen Körpers überwinden -> sign me up. Da könnte ich genauso mit “blindem Naturglauben” argumentieren, dass die Evolution alles besser/richtig macht. Oder aus religiöser Warte, dass es Gotteslästerei wäre sich am menschlichen Körper zu schaffen zu machen. Aber ja, ich stimme dir zu, dass wir geistig nicht reif genug sind für solche Technologien. Obwohl nur Fiktion, zeigt der Film Transcendence schon ganz gut auf worin die Probleme liegen. Was passiert z.B. wenn eben eine AI soweit dem menschlichen Geist überlegen ist, dass wir Menschen ihre Gedankengänge gar nicht mehr nachvollziehen können?
März 28th, 2017 at 16:48
@Umdenker – fürs erste reicht es mE völlig, wenn wir die Verhältnisse, in denen wir leben, verstehen und sie nicht auf eine vermeintliche Unfähigkeit der menschlichen Spezies reduzieren.
Es geht hier nicht wirklich um irgendwelche Technologien, sondern um die Knete, die damit verdient werden kann.
Btw. vielleicht in diese Richtung mal ein Umdenken riskieren;)
März 28th, 2017 at 17:53
@16 Glaubst du, die Menschheit ist irgendwann reif für eine solche Technologie?
Ich will ja nicht griesgrämig erscheinen, aber auf mich wirkt die Menschheit eher, als ob sie seit dem Beginn der Geschichtsschreibung im selben Rahmen ihrer Möglichkeiten von rechts nach links und zurück schwappt.
Und von dem Fortschritt der Technologie bei Stagnation der Weisheit (wieso ists mir peinlich so ein theatralisches Wort überhaupt zu benutzen?) zunehmend überfordert.
März 28th, 2017 at 18:25
@Umdenker
Da möchte ich @Wat. zustimmen.
Deutsche Firmen liefern Brennelemente in ein AKW (Tihange), welches eigentlich abgeschaltet gehört.
Gehts noch absurder?
Deine im letzten Satz gestellte Frage wird man sich nie stellen müssen, da Maschinen natürlich niemals werden “denken” können.
März 28th, 2017 at 19:21
@Mecki – Deine im letzten Satz gestellte Frage wird man sich nie stellen müssen, da Maschinen natürlich niemals werden “denken” können.
Bereits bei recht ‘einfachen’ Expertensystemen bleibt dem auskunftsuchenden Menschen am Ende doch auch nur noch die Option, das Ergebnis zu ‘glauben’ oder eben nicht. Und eine weitere Gefahr besteht darin, dass das solchermaßen ein- und damit ‘weg’-programmierte Wissen auf der menschlichen Ebene mangels Übung abhanden kommt, was die Abhängigkeit noch weiter verstärkt.
@Wat. – …fürs erste reicht es mE völlig, wenn wir die Verhältnisse, in denen wir leben, verstehen und sie nicht auf eine vermeintliche Unfähigkeit der menschlichen Spezies reduzieren.
Ach, wär das schön…
März 28th, 2017 at 19:51
#8 Ja, warum nicht oder: in Lubitschs ‘To Be or Not To Be’ gibt es diverse running gags u. a. “Schuulz!”, die spd hat ihren running joke Schulz – ich warte auf das große pardauz! am ende der aufführung.
März 28th, 2017 at 22:49
ON topic: Interessiert irgendwen der Opener? Nicht schlimm, wenn nicht, ich wüsste nur gern, ob das hier deplaziert ist. Ich hätte als nächstes noch den Herzog, aber das kann ich auch offline lassen.
März 28th, 2017 at 23:39
@flatter: Also ich fand ihn sehr interessant. Habe mich nie näher damit auseinandergesetzt – ebensowenig wie mit Herzogs Ruck-Rede damals – und würde mich insofern über die ‘Zugabe’ freuen. :)
März 29th, 2017 at 08:06
“Von der Entlausung zur Entlaubung!”
Wie die Älteren unter uns vielleicht noch wissen, hat sich von W. in seiner Zeit bei Boehringer Ingelheim stets engagiert für den Frieden eingesetzt. Stichworte: Vietnam-Krieg, Dow Chemical, Agent Orange, Boehringer.
Eine sehr gute, weit über wikipedia hinausgehende Recherche hab ich hier gefunden. Selbst die damaligen, wegen ihrer Politik in den 80er Jahren heute noch geadelten Grünen spielten dabei eine erbärmliche Rolle.
Weniger öffentlich bekannt ist seine 13 %-ige Beteiligung an der Robert-Bosch-GmbH (mit 99 Mio DM) seit 1974). Die Robert Bosch GmbH und die Allianz AG hatten gemeinsam eine Sperrminorität bei der MBB GmbH. Heute kontrollieren diese beiden Gesellschaften die MBB GmbH über die Daimler-Benz AG. Messerschmidt lieferte seinerzeit fleißig Raketen, Hubschrauber und dergl. an Saddam Husseiyn. Von W. wußte von alledem nichts.
http://www.alfredmente.de/USA__EU__DE/Mordsprasident_Ritschy_W..txt
März 29th, 2017 at 09:47
OT. “Ende der Anonymität im Netz”: Maas verschärft Gesetzesentwurf gegen Hate Speech
Erinnert mich daran: Spanischer Maulkorb
Wahrscheinlich würden die meisten Parlamentarier in D-land anfangen zu weinen, wenn jemand wie Herbert Wehner sie ansprechen würde.
@flatter: Wir ließen dich doch immer schreiben, was du wolltest. :-p
März 29th, 2017 at 10:25
@Peinhart
Wobei die eigentliche Gefahr mehr aus der Reduktion des Menschen auf rationales, maschinengläubiges Funktionieren, denn auf tatsächliche intellektuelle Überlegenheit heraus resultiert.
Mensch ist noch zuviel mit gefühlsduseligen Dingen beschäftigt.
Zum “Glück” nimmt man ihm die wirklich wichtigen Dinge ab.
@flatter
Um das Narrativ anzuschieben, bedurfte das faule Volk halt ab und an eines präsidialen Arschtritts.
Btte mehr Infos.
März 29th, 2017 at 11:41
Geht eigentlich mehr Propaganda:
“US-Militär schließt Mitschuld an zivilen Opfern nicht aus“.
Es ist theoretisch denkbar, dass diese Kugel, die wir Ihnen jetzt in den Kopf schießen werden, mitursächlich an möglicherweise gesundheitsschädlichen Folgen sein kann.
Auf der anderen Seite hieß das mal: “Putin, der Kriegsverbrecher, tötet unschuldige Syrerkinder.” Gibt es in Mossul eigentlich keine süßen Dreijährigen, die twittern? Ich weiß, a waste of words.
März 29th, 2017 at 11:56
@flatter: Besorg dir ein Schild.
März 29th, 2017 at 13:57
Niemand hat die Absicht …
März 29th, 2017 at 15:30
@29: Der Sigmar scheint schon mehr zu wissen: Gabriel will Hürden für Missionen der Bundeswehr senken
Außenminister Sigmar Gabriel hat sich für eine Begrenzung des Mitspracherechts des Bundestags bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ausgesprochen. Die Beteiligung der EU an einem UN-Einsatz dürfe beispielsweise nicht am Einspruch des Bundestags scheitern, “weil es vielleicht kurz vor einer Wahl ist”, sagte der SPD-Politiker bei einer verteidigungspolitischen Tagung der SPD-Fraktion. Das sei ein Thema, “das die Politik in unserem Land herausfordern wird”. [..]
Wer schützt uns eigentlich vor dem Hass der Bundesregierung?
März 29th, 2017 at 16:08
Er spekuliert wohl darauf, dass niemand mehr in Grundgesetz zur Hand nimmt, mit dem er sich ständig den Arsch wischt.
Oh, schon wieder Hate Speech®!
März 29th, 2017 at 16:38
Du glaubst, der kann sich den Arsch wischen? Ich bezweifle das. Er wäre nicht der einzige Adipöse, der ein Problem damit hat. Rein rational betrachtet natürlich … Sicher hat er ein Bidet.
Zu Reiner Wandlers Artikel in #25: Cassandra Vera Paz wurde vorhin zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Damit verliert sie auch die staatliche Unterstützung für ihr Studium. Sie meint: “Sie haben mein Leben ruiniert.” (Quelle)
Die Schwester des derzeitigen Königs wurde derweil kaum von der europäischen Presse beachtet der Geldwäsche freigesprochen und ihr Ehemann – verurteilt zu 6 Jahren und 3 Monaten Knast (Quelle) – darf weiterhin unbehelligt in der Schweiz leben, wo er vom spanischen Staat 3000 Euro monatlich für seine Unkosten erhält. Die 10 Millionen, die er sich durch Betrug sicherte, hat er meines Wissens nach behalten. (Okay, da bin ich mir nicht ganz sicher.)
Diese Rechtsstaatlichkeit ist jedenfalls eine super Sache.
Franco lebt!
März 29th, 2017 at 18:46
@Mecki,26
ich erlaube mir hier mal etwas einzuschieben, wovon ich ausgehe, dass diese Einlassung nicht unbedingt auf Zustimmung stossen wird.
Claus Peter Ortlieb, ehemaliger Professor der Mathematik an der Uni Hamburg und Redakteur der Exit, Wertabspaltungskritik, hat auf seiner privaten Hompage zahlreiche Texte zur Kritik der heutigen, mathematisierten (Natur-)Wissenschaft eingestellt und dort hinterfragt, ob und inwieweit das heutige naturwissenschaftliche Denken/ Wissenschaft nicht einem typischen bürgerlichen Bewusstsein entspringt und deshalb selbst in seinen Denkstrukturen gefangen bleibt.
Hier ein kleiner Auszug aus einem seiner Texte:
Zitiert aus : einem Dialog zwischen Claus Peter Ortlieb/ Jörg Ulrich
Die mataphysischen Abgründe der Modernen Naturwissenschaft
Hier der Link : http://www.math.uni-hamburg.de/home/ortlieb/Exit04CPOJUNatWiss.pdf
« Der Gedanke, dass es zwischen der Rationalität, die der Naturwissenschaft zugrunde liegt, und den Problemen, die mit ihren Mitteln „gelöst“ werden sollen, einen tief liegenden ursächlichen Zusammenhang gibt, dass hier also möglicherweise der Bock zum Gärtner gemacht wird, blitzt nur selten auf und konnte sich jedenfalls bisher nicht durchsetzen. »
« Es geht hier also nicht um ein moralisches Problem, wie es in Sonntagsreden zur „Verantwortung des Naturwissenschaftlers“ gern beschworen wird, nicht um die von uns unbestrittene Korrumpierbarkeit „deutscher Professoren, die manches soviel besser wüssten, wenn sie nicht auch noch fressen müssten“, wie es einmal in einem in einschlägigen Kreisen populären Song hieß, und nicht um Kritik an einer „Wissenschaft im Kapitalinteresse“, die schon deswegen verkürzt bleibt, weil sie das Kapital nicht als gesellschaftliches Verhältnis, sondern als eine Machenschaft finsterer Machthaber auffasst und „Aufklärung“ im Sinne eines nicht korrumpierten wissenschaftlichen Denkens daher für das probate Gegenmittel hält. Gegenstand unserer Kritik ist vielmehr die Blindheit dieses Denkens selbst. »
März 29th, 2017 at 19:03
Der Streit müsste an dieser Stelle über den Begriff des “Denkens” und den der “Wissenschaft(lichkeit)” geführt werden.
Was ich vertrete (und nach meinem Verständnis auch R@iner), ist erstens eine Methodologie, mit deren Hilfe es möglich ist, Vorgänge zu erklären und prognostizierbar zu machen. Nehmen wir die mathematischen und physikalischen Grundlagen der Architektur. Ich betrete lieber Gebäude, die nicht frei Hand errichtet wurden.
Zweitens ist sich seriöse Wissenschaft jederzeit über den Unterschied bewusst zwischen Methode, Erkenntnis und Zweck. Diesem Anspruch wird der Betrieb sehr oft nicht gerecht. Eine Naturwissenschaft hingegen, die sich ihrer Grenzen nicht bewusst ist, ist nicht bloß “blindes Denken”; sie ist jederzeit auch mangelhafte Wissenschaft, weil sie die Basis ihres eigenen Erkenntnispotentials ignoriert.
März 29th, 2017 at 20:12
@flatter (31)
Man kann doch nicht den ganzen Tag … unterm Arm und so …
Der Opener iss Klasse – durchaus neue Erkenntnisse – allein man kann nich viel dazu sagen, oder OT (iss ja auch gut, oder?)
März 29th, 2017 at 21:38
@ flatter,
dass wäre genau das, worüber es zu streiten gäbe. Der Begriff des Denkens, den Du einführst, ist eben kein in Zement gegossener, und auch von einer Wissenschaft nicht, sondern lässt sich für mich vom bürgerlichen Bewusstsein eben überhaupt nicht trennen.
Das, was da methodologisch und experimental und in mathematischen Formeln eingepackt wird, das wird den Menschen als logische und nicht mehr hinterfragbare Entsprechungen einer Naturgesetzlichkeit bedient, die in den Methoden und Experimenten immer wieder ihre Richtigkeit bestätigt und sich somit gegen alle Kritik immun erweist.
Und deshalb, weil eben das bürgerliche Bewusstsein sich vollständig immun gegen jede Anfeindung ihres in Geld bemessenen Fetisch erweist, deshalb werden auch die metrischen Naturwissenschaften kaum noch hinterfragt.
Der olle Marx hat die Religion für die Menschen doch noch recht gut verstanden, als Rettungsanker in einer Welt, die den Menschen nichts mehr zu versprechen hatte, als sein eigenes Leid in einer Zukunft ausserhalb des irdischen Lebens.
Ebenso wenig hat er die Abstraktion akzektiert , die sich aus der metrischen Verortung des Menschen ergibt, sondern diese als menschenfeindlich, gegen den Menschen in Stellung gebracht erkannt hat.
Im Prinzip gibt es heute nichts zu versprechen und auch ebensowenig etwas einzuhalten, was nicht schon vor dreissig Jahren versprochen wurde und ebenso nicht eingehalten werden konnte.
Also für mich ist dass ziemlich viel lange Weile, weil da für mich immer nur heisse Luft rauss kommt.
Und wo die bürderlichen Gesellschaften immer mehr abkacken, da muss immer noch ‘ne Duftwolke drauf.
März 29th, 2017 at 21:49
Marxens Analyse war exakt das, was du “bürgerliche Wissenschaft” nennst. Es ist übrigens grundfalsch zu behaupten, diese Wissenschaft sei bürgerlich. Ihre Basis liegt teilweise noch vor der Antike, so etwa die Konstruktion natürlicher Zahlen, die eine paradoxe Annahme sind, mit der man aber verdammt weit gekommen ist. Das Gros der Mathematik entstammt der Antike. Das Modell der experimentellen Wissenschaft stammt aus der Renaissance, ebenfalls vorbürgerlich. Schließlich ist es mir auch wurscht, ob etwas ‘bürgerlich’ ist oder nicht. Die Freiheit zu denken musst du dir nehmen, dann sind Theorien nur noch Werkzeuge. Spätestens seit dem Beginn der Moderne (19. Jhdt. [korrigiert, Säzzer]) ist uns auch Philosophie gegeben, die das Denken von seiner jeweiligen Epoche unabhängig macht – wenn man diese Option nutzt. Nein, es liegt nicht an der Wissenschaft selbst, wenn man hinter sie zurückfällt. Das Schlimmste sind aber die, die es ganz absichtsvoll tun: Wissenschaft abzulehnen, um der Mythologie anheim zu fallen. Euch passt etwas nicht an der Wissenschaft? Dann verbessert sie!
p.s.: Hegel war quasi der bürgerlichtse aller Philosophen. Seine Wissenschaft war es, die den Kollegen dazu nötigte, dessen Theorie vom Kopf auf die Füße zu stellen.
März 29th, 2017 at 23:01
@flatter(37)
Die Marx’sche Analyse bezeichnest Du als Bürgerliche Wissenschaft :P
Ich erinnere mich noch, daß Du vor Jahren mal meintest: Marx würde ja teteologisch an seine Analyse herangegangen sein.
Ja, was denn nun?
Teteologisch oder bürgerlich…
Wir haben uns hier immer mal wieder um den Begriff der Wissenschaft, immer mal wieder ums Handeln und Denken.
Ja, ganz zugespitzt muß ich sagen – dann bin ich auch gegen Wissenschaft. Ich bin für Wissen, bin für eine sachliche Methode (nennen wir sie ruhig weiter wissenschaftliche Methodik), aber ganz sicher gegen einen Wissenschaftsbetrieb, wie er hier und heute nur noch vorkommen kann.
Welcher Wissenschaftler sitzt denn noch ‘unabhängig’ von seinem Broterwerb und brütet über Wissen?
Wissenschaft war noch nie etwas außerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Und auch ein Marx fing erst einmal mit rein bürgerlicher Kritik an den Verhältnissen an. Der Tatsache, daß er sich nicht ‘korrumpieren’ mußte, scheint mir ein wesentlicher Punkt dafür zu sein, daß er aus dem Verstehen der bürgerlichen Verhältnisse dann später zu einer Kritik der Politischen Ökonomie aus proletarischem Blickwinkel kommen konnte.
Geist, Verstand, Intelligenz, Zeit, meinetwegen auch Dein Begriff des Denkens und der Wissenschaftlichkeit sind dafür, um es mit Deinen Worten auszudrücken, weder hinreichend noch notwendige Bedingungen.
Wie Peinhart immer zu sagen pflegte: Das Außen ist immer schon da, wenn wir das Innen betrachten wollen, odda so ;)
Noch einmal – WissenSCHAFT ist Herrschaftsmittel und im wesentlichen taugt sie auch nur dafür.
(Nein, Grundlagenforschung meine ich mit “wesentlich” ausdrücklich nicht)
März 29th, 2017 at 23:33
Liebe Wat., manchmal musst du aufmerksamer lesen.
Erstens:
“Man kann Marx vorwerfen, teleologisch (auf ein Ziel/einen Zweck) ausgerichtet zu sein, sicher, aber das ist eben eine Entscheidung, die jeder treffen kann, ob er das unterstützt: Die klassenlose Gesellschaft, wahlweise auch in der Formulierung des Blogmottos hier.” Das war mein Kommentar. (Teleologisch, l statt t.)
Das ist eher dahingehend gemeint, dass Marx jenseits(!) seiner Analyse auch eine Vorstellung hatte, wie Gesellschaft denn besser sein könnte. Ich weiß gar nicht, ob Wissenschaft jenseits ihrer Methodologie anders sinnvoll sein kann, aber was Marx betrifft, bin ich doch ganz bei ihm. Ich sehe auch nicht, dass er das vermischt hätte – seine Analyse und seine Ausrichtung auf einen Zweck. Im Gegenteil hat er das als guter Wissenschaftler getrennt, so wie es moderne Theorie eben kann.
Ich halte das sogar für bahnbrechend, im Gegnsatz zu Weber, der ernsthaft meinte, man könne “wertfrei” forschen.
Zweitens:
Die notwendige Bedingung besteht genau darin, diese Bereiche zu trennen, aber nie zu vergessen, dass Wissenschaft in einem Rahmen stattfindet, den man nicht zementieren darf, sondern sprengen muss.
Wissenschaft, die ihre Bedingungen mitdenkt, ohne sich davon einengen zu lassen, ist die Kunst – weswegen ich sie auch neulich mit Journalismus verglichen habe. Ich behelfe mir da mit der schwachen Stütze “seriös”. Seriöse Wissenschaft und seriöser Journalismus machen sich (seit der Moderne) eben nicht gemein. Wenn es beides kaum mehr gibt, ist das nicht dem Selbstanspruch geschuldet, sondern der Korruption durch das System. An diesem Punkt widerspreche ich Troptard.
oh, sorry, wegens lesen:
Troptard warf das Thema “bürgerliche Wissenschaft” ein, ich erkläre nur, dass das kein Kainsmal ist. Es ist (s.o.) ja eben so, dass Marx wie Hegel im Rahmen ‘bürgerlicher’ Wissenschaft philosophiert haben; Marx nur konsequenter. Seine Teleologie zwecks gesellschaftlichen Fortschritts hat er aber nicht in die Analyse (Das Kapital) vermurkst. Was man ihm hier vorwerfen kann, wäre ein Text wie das Manifest, das wäre demnach zu analytisch.
[edith2] Und noch ein p.s.: Die Entscheidung in der Wissenschaft wäre demnach die, nicht zu forschen, wenn es (falschen) Zwecken dient, ein ganz netter Bogen zu Bruder Weizsäcker und seiner Teilnahme am Kernwaffenprojekt der Nazis.
März 29th, 2017 at 23:58
Danke, geht schon in Ordnung.
Wissenschaft kann aber nunmal nicht entscheiden, daß sie nicht forscht.
Alleine macht die nämlich immer noch nix sondern Menschen in ihr. Und diese wollen/ müssen essen und dreist wenn sie sehr spartanisch dafür leben wollen würden, käme da irgendein holdes Eheglück um die Ecke, das da meinen würde, es möchte materiell viel besser leben ;)
Den Anspruch so zu formulieren hieße, jemandem im luftleeren Raum verorten zu können.
Zweck von hier ist immer noch nichts anderes als Geld und Verwertung der Ware Arbeitskraft.
Tolle moralische/ ethische Ansprüche muß ‘man’ sich leisten können.
Und da gebe ich Tropthard recht, davon (Edit: Der Idealvorstellung Moral/ Ethik) geht gemeinhin das Bürgerliche Subjekt aus.
März 30th, 2017 at 00:04
Menno, aber das ist doch das Argument gegen Troptard und seine Zitatquelle, dass nämlich im gegebenen Rahmen Wissenschaft nich anders kann – nicht wegen ihres (seriösen) Selbstverständnisses, sondern wegen des Rahmens. Dieses Selbstverständnis ist kein ethisches, sondern ein methodologisches. Die Basis der Wissenschaft wird durch den Kap. korrumpiert.
März 30th, 2017 at 00:09
O.K. Flatter,
Du willst/ Du kannst Dich nicht darauf einlassen, was ich Dir auch nicht vorhalten will, sich auf die Wissenschaftskritik von Claus Peter Ortlieb, Exit, einzulassen.
Für mich selber hat diese Einlassung ziemlich viel durcheinander gebracht und ich befinde mich gerade in einer Situation, wo meine bisherigen Gewissheiten ziemlich ins Wanken geraten.
Claus Peter Ortlieb u.a. nehmen den Ausgangspunkt für das moderne und heutige naturwissenschaftliche Denken nicht bei Hegel sondern im Vergleich von Aristoteles und Galilei.
Das eine beruht auf Erfahrung, das andere zwängt in ein Experiment, was nur unter den Bedingungen des Experimentes Gültigkeit beaanspruchen kann, aber daraus Allgemeingültigkeit und Naturgesetzlichkeit postuliert.
Und wenn ich Dich richtig verstanden habe, dann ist es dieser unverbrüchliche Glaube daran, dass unsere Epoche nicht ebenso nur ein Produkt unserer Epoche ist, der Beschränktheit seiner eigenen Epoche unterliegt, sondern darin nur einen Fortschritt der Erkenntnis sieht.
Allerdings unterliegt man da selbst einer Mytologie, die man sich selbst abstreifen will. Wenn man das so sieht wie Du, dann verbleibt Wissenschaft nur noch als einziger fester Anker in einer Welt, die auseinander bröselt und ihr Anteil daran wird nicht mehr gesehen.
Warum soll eine Wissenschaft, die selbst zu den Problemen der Menschheit enorm beigetragen hat, ausgerechnet zu deren Lösung beitragen?
März 30th, 2017 at 00:17
Die Basis der Wissenschaft wurde in der Antike durch die Sklavenhaltergesellschaft korrumpiert, dann von der Feudalgesellschaft… bis hin zum Staatssozialismus.
Auch Menno ;)
Die Basis der Wissenschaft ist nicht die Methodik sondern die Methode. Ok, statt Mehtode sage ich: Menschen die Zugang zu Wissen haben (dürfen/ können)
PS – Ganz ehrlich, was interessieren mich denn irgendwelche sich selbst linksverortende Wissenschaftler.
Was können die denn tatsächlich mehr als Du, ich und alle anderen (zusammen).
Im Gegenteil, wir halten uns hoffentlich nicht mal für klüger als andere und können und wollen uns genau deshalb mit anderen beraten/ verständigen.
Sorry, ich muß ins Bett – Sleep well @flatter
März 30th, 2017 at 00:24
@ Toptard: Du missverstehst mich fundamental. Ich kann und will mich nicht zu irgendeinem Buch äußern, das ich nicht mal eben gelesen habe, weil du es erwähnst, aber mit Wissenschaftskritik beschäftige ich mich seit Jahrzehnten intensiv. Hier zählt nach wie vor das Argument und nicht die Heiligkeit einer Quelle.
Was du in den letzten beiden Absätzen beschreibst, ist das Resultat von Kapitalismus, nicht das von Wissenschaft. Es ist keine Wissenschaft, Waffen zu konstruieren und zu bauen, sondern es sind die Produktionsbedingungen.
Was Geschichtlichkeit anbetrifft (Epochen), so ist das ein weites Feld. Wissenschaftliches Denken, und nur das, hat das Potential, die Beschränkungen der Epoche(n) zu sprengen. Du wüsstest ohne Wissenschaft nicht einmal, dass es Epochen gibt. Wie soll derweil Wissenschaftskritik eigentlich sein, wenn nicht wissenschaftlich?
Gute Nacht!
Mai 9th, 2017 at 14:16
[...] eine Rede zur Feierstunde im Bundestag, die ihn sein Amt kosten sollte. Drei Jahre nachdem die Rede Weizsäckers als Jahrhundertrede bejubelt worden war, erfuhr Jenninger, wie man in Deutschland nicht sprechen [...]