sarrazIch weiß, dass viele derer, die sich gern als aufgeklärt, kritisch oder links bezeichnen, große Probleme damit haben, wenn man ihnen an die Religion geht. Meist wird dann argumentiert, die Religion könne ja nicht der einzige Grund sein, warum etwas ist es wie es ist oder einzelne einflussreiche Männer könnten nicht so relevant sein, weil es ja immer das System sei, und in dem jeder ersetzbar.

Zu ersterem sei nur vermerkt, dass in aller Regel niemand behauptet hat, etwas sei “der einzige Grund”. Der rhetorische Versuch, derart ein Argument zu entkräften, trifft es also gar nicht. Was die Einflussreichen anbetrifft, so stimmt es weitgehend, dass irgendwann ein anderer gekommen wäre, aber es ist eben vor allem im Rückblick zu analysieren, ob nicht gerade die konkreten Auslegungen konkreter Personen zu einer konkreten Zeit die Geschichte um entscheidende Nuancen verändert und Möglichkeiten eröffnet haben, die es ohne sie nicht gegeben hätte.

Bloß das System

Man nehme zum Beispiel das kongeniale Duo Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb und Muhammad ibn Saud. Wäre es richtig zu behaupten, der Einfluss dieser beiden, der Reichtum der Sauds, der Einfluss ihrer Ölpolitik und in deren Schlepptau der religiöse Extremismus ibn ʿAbd al-Wahhābs wäre unerheblich? Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass die Entwicklung durch den Einfluss Saudi-Arabiens entscheidend verändert wurde.

Ebenso verhält es sich mit Luther und dessen Einfluss auf das deutsche Narrativ. Ich verweise auf diesen Aufsatz von Hubertus Mynarek hier, in dem sogar R.D. Precht einmal mit einem zutreffenden Satz zitiert wird. Das macht den trotzdem nicht falsch. Wie gesagt ist Luther der deutsche Religionsstifter, der die Hälfte der Bevölkerung auf die Knie gezwungen hat. Seine Botschaft ist: “Ordne dich unter, denke nicht, verdiene dein Leben durch Arbeit und Fleiß und hasse alle, die anders sind als wir”.

Faulpelze, Fremde, Juden

Der fleißige Deutsche, die faulen Fremden, der nichtsnutzige widerliche Jude, der ganze Hass und alle die Klischees, in denen er seine mal mehr mal weniger aggressive Form findet, bestimmen Luthers Ideologie und einen Großteil des deutschen Narrativs. Als der Nationalsozialismus endlich nicht mehr nur darüber redete, sondern Taten folgen ließ, vollstreckten die Nazis und ihre Mitläufer®, was der große Reformator seinen Schäfchen eingeflüstert hatte und die völkischen Autoritäten einige Jahrhunderte lang kultiviert haben.

Der gnadenlose Sadomasochismus mündet zwangsläufig in den Eifer von Hass und Verfolgung, weil er Menschen generell für minderwertig und sündig erklärt und ihnen abverlangt, das durch Fron und Unterwürfigkeit zu büßen. Die Buße wiederum kann nie tief genug sein; es gibt keine Absolution. Linderung gibt es allein durch die Projektion auf jene, die noch schlechter sind, unrettbar minderwertig und schuldig – wie eben die Faulen, die Aufmüpfigen oder die Juden. In der Neuzeit wurden sie noch manuell angezündet, später fand die moderne Form der Arbeit und ihrer christlichen Ethik effizientere Methoden.

Update: Noch mehr über Luther und seinen theologischen Sadomasochismus

Bildquelle oben: Wikimedia Commons / Richard Hebstreit