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Ich weiß gar nicht, ob ich das hier je thematisiert habe. Sozialer Status, das ist weit mehr als ein vermeintlicher Rang im gesellschaftlichen Ansehen, dieser aber korrespondiert auf fatale Weise mit seinem biologischen Ursprung.
Als soziales, quasi Rudeltier ist es dem Menschen zu eigen, viel Energie auf die Orientierung am Status zu verwenden. Daher ist es am leichtesten, irgendwann ‘seinen Platz’ zu finden und sich dort einzurichten. Es ist schon absurd, durch öffentliche Kommunikation zu suggerieren, jeder müsse nach einem Alpha-Status streben; noch absurder ist es, diesen als etwas Wünschenswertes zu feiern, wo er ersichtlich keine soziale Funktion hat.
Finde deinen Platz
Die intuitive Beziehung auf den sozialen Status hat viele Ausdrucksformen. Erröten etwa, wenn etwas als peinlich empfunden wird oder man sich ‘erwischt’ fühlt. Es mag eine Art Beschwichtigungsreaktion sein. Das permanente Bewerten und bewertet Werden steht am anderen Ende der Skala. Hier geht es ganz offensichtlich um Rang und Namen, und hier wird gekämpft. Bin ich nicht gut genug, muss wenigstens wer schlechter sein.
Dies ist dann auch die Schnittstelle zwischen Status und Moral. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben (ein Grund mehr, Moral als solche abzulehnen). Gut und Böse sind eine Oberfläche des Systems von Belohnung und Strafe. Beides dient dazu, den adäquaten Platz in der Gemeinschaft mit dem adäquaten Verhalten einzunehmen.
Kann weg
Dieses ganze Gewurschtel ist eine wichtige Säule der evolutionären Entwicklung; in einer fortschrittlichen Gesellschaft ist es nur mehr eine absurde Veranstaltung. Je älter ich werde, desto lästiger erscheint mir dieses andauernde schwachsinnige Judgement. Dabei muss ich hart daran arbeiten, es selbst zu lassen. Es ist auch mir so hartnäckig eingetrichtert worden, dass es noch ständig hochsteigt wie eine Gasblase aus dem Sumpf.
Das kann weg. Es war auch einmal einer der Kerninhalte linker Politik, Menschen als Gleiche zu betrachten, und zwar so konsequent, wie das Bürgertum es nie konnte, weil es lediglich den Adel überwinden wollte, keineswegs aber soziale Hierarchie und Dynastien. Veränderung hängt davon ab, dass sozialer Status irrelevant wird. Das bedeutet nicht, dass temporäre funktionale Hierarchien verschwinden, es bedeutet aber, dass niemand den Anspruch hat, etwas Besseres zu sein.
Februar 28th, 2021 at 23:11
Beim Stichwort ‘sozialer Status’ fiele mir als erstes Konkurrenz ein, nicht Moral. Oder höchstens eben die zweifelhafte ‘Moral’ der Konkurrenzgesellschaft, die wiederum in einer amoralischen Zweckrationalität besteht. Nicht aber Moral ‘als solche’. Im Gegenteil, wenn einer sich als ‘unverbesserlicher Moralist’ bezeichnet, so gibt er damit doch eigentlich zu verstehen, dass ihn der ‘soziale Status’, den er sich damit womöglich einbrockt, herzlich wenig interessiert.
Februar 28th, 2021 at 23:17
Das ist der Status Quo im Kapitalismus, den ich ja auch anspreche. Da ich aber am anderen Ende auch evolutionäre Aspekte bedenke, erscheint mir der Bezug auf Moral (kulturgeschichtlich) relevanter – zumal der K. ja in der Hinischt Ausgeburt einer Variante christlicher Religiosität ist. Da ist der Moralist halt Gefangener seiner Kurzsichtigkeit.
Februar 28th, 2021 at 23:45
Der ‘unverbesserliche Moralist’, an den ich dabei dachte, wäre Günter Anders. Dem würde ich weder eine besondere Affinität zum Kapitalismus noch zur christlichen Religion unterstellen, und auch keine Kurzsichtigkeit. Die Moral, die er vertrat, ist für mich nicht nur eine quer zur ‘herrschenden’, sondern vor allem eine ‘selbstbestimmte’, deren Aufgabe es gerade ist, sich einerseits immer wieder und beständig mit der fremdbestimmten ‘auseinander’ zu setzen, andererseits aber auch Argumenten und Appellen gegenüber zugänglich bleibt. Eine Art intuitive Moral, die Kooperation oder zumindest Koexistenz anstrebt.
Februar 28th, 2021 at 23:51
Schöne Konstruktion. Ich kann da aber keine Substanz erkennen. Das ist m.E. purer Idealismus, der sich wie so oft nicht schert um die Rahmenbedingungen. Von daher: Doch, das ist kurzischitg. Blind geradezu. Sorry, dem kann ich nichts abgewinnen. Ist im Kontext wohl auch eher ein Nebengleis.
edith: Ich meine das, was du zusammenfasst, nicht die Texte, auf die du dich beziehst. Die sind mir unbekannt.
März 1st, 2021 at 10:08
OT: Buch: Der Lehrling und sein Meister
Der europäische Faschismus wird üblicherweise als ein Angriff auf die liberale Politik, Kultur und Wirtschaft beschrieben. Ishay Landa, Professor für Geschichte an der Open University of Israel, betont hingegen die lange vernachlässigte Wesensverwandtschaft zwischen liberaler Tradition und Faschismus. Weit davon entfernt, die Antithese des Liberalismus zu sein, war der Faschismus sowohl in seiner Ideologie als auch in seiner Praxis dialektisch dem Liberalismus, insbesondere seiner wirtschaftlichen Variante, verhaftet. Landa untermauert seine These durch eine prägnante Lesart politischer Denker von Locke und Burke bis hin zu Proudhon, Bagehot, Sorel und Schmitt. Der Faschismus, so Landas These, war das organische Ergebnis von Entwicklungen, die zum Großteil innerhalb der liberalen Gesellschaft und Ideologie stattfanden. Er war der extreme Versuch, die Krise des Liberalismus zu lösen, indem man dessen innere Widersprüche durchbricht, um die Bourgeoisie auf diese Weise vor sich selbst zu retten.
Ach.
März 1st, 2021 at 11:30
Interessanter und ehrlicher Text zu einem Thema, das selten grundsätzlich diskutiert wird, in meinen Kreisen(;
Ich finde ja auch, daß “das weg kann”, was aber wenn wir als Menschen unsere animalischen sozialen Verhaltensmuster nicht (vollständig) hinter uns lassen können?
Davon einfach auszugehen fände ich jedenfalls kühn.
PS
Für mich ist es ein grosses Vergnügen, mir in gewissen Situationen den untersten sozialen Status zuweisen zu lassen, und dann alle zu überraschen und mit sehr steilen Vorlagen unter Zugzwang zu setzen, ihren Status sehr sauer zu verdienen oder in Absurdität zu erstrahlen. Kann ich weiterempfehlen.
März 1st, 2021 at 12:19
Können wir nicht. Immerhin ist es ja gemeinhin verboten, sich gegenseitig aufs Maul zu hauen oder ungefragt Weibchen zu bespringen. Im Gegensatz dazu wird dieses Statusgehabe aber auf allen Ebenen gefördert.
März 1st, 2021 at 13:39
Stimmt, aber aufs Maul hauen und Weibchen bespringen dienen ja auch nicht dem Zusammenhalt und der Organisation der Gruppe, äh, normalerweise. Status jedoch schon (nach meinem Verständnis), wenn auch auf einer Weise die eher im Kontext von Schimpansen als von einer hochkomplexen menschlichen Zivilisation funktioniert.
Ich meine damit die von dir erwähnte Bestätigung/Förderung des Statugehabe könnte leider Teil des schwer überwindlichen Verhaltensmusters sein.
Das ist nicht eine Meinung die ich vertrete, aber ein Punkt über den ich gern mehr Gewissheit hätte.
Unbestreitbar ist natürlich, daß dieses “Gehabe” *gewissen Interessen* sehr entgegenkommt, und daher naheliegenderweise auch bewusst gefördert wird.
März 1st, 2021 at 14:11
Ich habe nie irgendwelche moralphilosophischen Schriften gelesen, mich nie mit Ethik befaßt. Moral, bzw. einzelne moralischen Regeln habe ich in jungen Jahren nur dann thematisiert, wenn ich sie nicht einhalten wollte. Alle anderen Regeln habe ich unhinterfragt und ohne sie mir bewußt zu machen einfach übernommen. Nun stelle ich aber fest, daß Du, flatter, immer wieder gegen ”Moral“ schießt. Und so, wie ich Dich aus Deinen Texten einschätze, denke ich, daß Du gute Gründe dafür hast. Gründe, die mir komplett verborgen sind. Kritisierst Du dabei ”Moral“ als solche, abstrakt, oder hast Du dabei eine bestimmte Moral (zb. unsere), bestimmte Regeln im Sinne? Eine Gesellschaft ohne Moral, wie soll das gehen? Wo ist mein Denkfehler?
Das soll keine Kritik sein, sondern eine ernst gemeinte Frage.
Das einzige, was ich kritisieren könnte, ist die Behauptung, daß der Kapitalismus »Ausgeburt einer Variante christlicher Religiosität« wäre. Umgekehrt scheint es mir der Fall zu sein: der Protestantismus ist die Folge der Hemmung der Entfaltung des kapitalistischen Wirtschaftens durch den katholischen Adel. Das Sein bestimmt das Bewußtsein.
März 1st, 2021 at 14:41
Zu Moral habe ich mich hier und hier schon grundsätzlich geäußert. Sie fußt auf Konzepten von Gut und Böse, die ich ablehne.
Zur Religiosität: Webers “Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus” ist aus meiner Sicht eine richtige Analyse, der ich zustimme.