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März 2014


 
Ach, es ist herrlich. Wunderbares Wetter, die Leute sind zufrieden, man kann sie mit allem vollstopfen, was die Kreativität der Kreativen hergibt; das Produktmanagement der Mediagroupies schaltet einen Gang höher, der internationale Wettbewerb® macht auch hier keine Atempause. Geschichte wird gemacht, es geht voran.

Krims Märchen

Keine Wertung haben wir heute für die Nachrichtenlage der Sportereignisse zwischen Kiew und Sewastopol. Der eine will russische Truppen anhand russischer Uniformen erkannt haben, der andere sah Söldner von Blackwater/Xi/Academi oder wie ich sie zu nennen pflege: Donald’s Daisies. Einer zählt 20 Demonstranten anti und 3000 pro, der nächste kommt mit dem mindestens Zehnfachen um die Ecke, weiß aber nicht wovon und wofür. Na ja, die Russen, immer besoffen und im Delirium, und diese Ukrainer sind ja auch nur Russen. Oops, hab’ ich das was missverstanden? Wie dem auch sei: Jeder Depp macht sich seine passenden ‘Nachrichten’ draus und überzeugt sich selbst..

Free Uli

Auf Platz vier der heutigen Charts findet sich alles, was Uliuliuli His Royal Hoeneß erwähnt. Ob ernst oder satirisch, kurz oder lang, ein Musthave und Nogo, inhaltsleerer Großskandal in Wartestellung. Der Uli kann nicht in den Knast. Schon weil der Multimillionär, Großschlachter und schwerkriminelle Schweiztourist ein Arschloch von einer solchen Dimension verkörpert, dass es unangreifbar bleiben muss. Woran soll der Zuschauer sonst noch glauben? Wozu sich noch anstrengen, wenn selbst solche Karrieren im Topf enden?

Daily Terror

Platz drei geht an uuuh, Gruusel Al-Kaida, Qaeda oder weiß der Kuckuck wie sich das am besten römisch buchstabieren lässt. Die kommen nämlich jetzt mit der Bravo für Talibanse, dem Terrortagesspiegel, der Dschihaddington Post. Was trägt man heute zum Anschlag, wo ist der Feind am attraktivsten, welche Sure passt am besten zum explosiven Vorhaben? Täglich aktuell und online.

Ill Kim

Nur auf Platz zwei schafft es der dicke Diktatorjunge von Pjöngjang. Vorbei die Zeiten, da sich ‘kommunistische’ Komiker Wahlerfolge von neunundneunzig Komma etwas Prozent bescheinigten und sich damit vor der Welt und den angrenzenden Ortschaften blamierten. Kim 100% kann hundert Prozent. Drunter kann nämlich jeder. Wie er das noch steigern kann, werden wir sicher auch bald erfahren.

Rent a Friend

Da sind wir doch hoch und höchst überlegen in der besten freiheitlichen Demokratie, an die sich mit den passenden Drogen noch glauben lässt – um dennoch brav produktiv und arbeitsfähig zu bleiben. Platz eins geht klipp und klar an David Cameron, der so viele Freunde hat, weil er sich’s eben leisten kann. So macht’s der Profi, der Demokrat, der gewählte Vertreter®. Zeit für den Adelsstand, wenn ihr mich fragt.

 
centKlammheimlich nahm die Zahl dieser Schuhgeschäfte zu. Das ist ja wohl ein bekanntes wirtschaftliches Phänomen, aber traurig, wenn man es wirken sieht, denn je mehr Schuhgeschäfte es gab, desto mehr Schuhe hatte man herzustellen und desto schlechter und immer weniger tragbar wurden sie. Und je weniger die Schuhe tragbar wurden, desto mehr mussten die Leute kaufen, um immer Schuhe an den Füßen zu haben [...] Resultat: Zusammenbruch, Ruin, Hungersnot.

Pispot Gargravarr 1980, Übers.: Benjamin Schwarz 1985

Schuhfetisch einmal anders. Derselben Quelle entstammt übrigens einer meiner Lieblingssätze: “Der Wirt tunkte ein Geldstück in eine Bierlache und wir bedankten uns dafür” (A.Dent). Aber wir müssen wohl erst einen Schritt zurück gehen, um grobe Missverständnisse zu vermeiden.

“Fetisch”, ein Wort, das die Wikipedia daher auch nicht kennt, hat nichts mit “Fetischismus” zu tun. Ein Fetisch ist nicht etwas Seltsames zum Ficken. Es ist vielmehr ein magisches Ding; etwas, dem geheime Kräfte innewohnen, ein Ding mit Macht und Seele, aus der Perspektive des Erwachsenen in der Moderne also eine besondere Form des Irrtums: In dem geschnitzten Stück Holz wohnt nämlich gar kein Gott, der Teddy war schon tot, bevor ich ihm den Kopf abgerissen habe, und es ist nicht das Geld, das den Dingen ihren Wert verleiht. In aller Kürze gesagt.

Magisches Denken eben; in meinem Lieblingssatz oben rutscht der kindliche Augenschein gleich auf die Zunge: Es passiert immer dasselbe, daher besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Immer, wenn das Geld in die Lache getunkt wird, bedanken sich die Leute. Hunde wissen das übrigens auch. Als die Underdogin noch etwas hören konnte, lief sie zu Tür, wenn ich auf den Tisch geklopft habe. Hans-Werner Sinn würde sicher dasselbe tun.

Sofort verstanden

Kommen wir zum Schuhfetisch: Immerhin ist Gargravarrs Beobachtung um einige Stufen komplexer; er stellt sogar mehrschrittige Zusammenhänge her. Leider waltet aber auch in seiner Schilderung noch magisches Denken, er spricht der Erscheinung einen Sinn zu, der woanders zu finden ist. Ihm kann das nebenbei auch egal sein, hat sein Körper sich doch jüngst von ihm getrennt; da lässt sich natürlich leicht fetischisieren.

Es sind aber eben nicht die Schuhläden oder ihre Zahl, die zur Qualitätsminderung führen. Es sind zweitens die Ressourcen, die knapper und teurer werden (eine Korrelation, die übrigens auch keine unmittelbare ist) und erstens die Profitraten, die dazu führen, dass “Leder” bald nicht mehr Tierhaut ist, sondern Pappe, die mit einem chemisch gewonnenen Tierhautextrakt besprüht wurde. Eine doppelt geile Idee, freilich nur für Investoren®, halten die Dinger nämlich erstens nicht mehr vom Laden bis nach Hause, weswegen man gleich zwei Paar kaufen muss, und ist das Material obendrein billiger. Höherer Absatz (nein, nicht der von den Schuhen, ihr Dödel!) bei höherer Marge also. Supergeil!

Hinter dem magischen und tragikomischen Effekt des Untergangs per Schuhfetisch steht also eine strunzlangweilige und dennoch skandalöse Errungenschaft sozialer Marktwirtschaft®: Geplante Obsoleszenz. Ich werde immer wieder mit Mundgeruch eingedeckt, wenn ich diese Vokabel zum Besten gebe; halten mich die damit Behelligten doch sofort für einen unfassbar Gebildeten, Klugen, Wissenschaftler, Magier der kompliziertesten Denkkunst. Wenn ich es ihnen erkläre, verstehen sie aber sofort, wie einfach das ist, was sich dahinter verbirgt. Der globale Wettbewerb®! Die Chinesen! Der allgemeine Verfall der Sitten!

 
Es lichtet sich bedenklich wenig im Gewirr von Informationen, Desinformation, Propaganda und Rechthaberei bei völliger Ahnungslosigkeit, kurz: auf dem Feld, wo jeder Journalist offenbar weiß, was von ihm erwartet wird und er es hemmungslos schreibt, sich mit der Sache gemein macht, die Redaktion und Verlag im Chor der ewigen Kalten Krieger anstimmen lassen. Putin, der Despot, Putin, der “bestraft” werden muss, das imperialistische Russland dort; hier die EU, immer auf der Seite des Völkerrechts, der Menschenrechte, und überhaupt immer im Recht.

Wenige halten dagegen, lobend zu erwähnen Jakob Augstein etwa. Noch deutlicher wurde Egon Bahr [der Link wird in wenigen Tagen vermutlich hinfällig sein, Säzzer] , der es keinem mehr recht machen muss. Es klingt zwar beinahe zynisch, was der Mann zu sagen hat, aber er weiß wenigstens, dass er nicht von einem Sandkastenspielchen redet.

Ich will noch immer nicht die Lage bewerten, obwohl einige Korrekturen sicher bitter nötig sind an dem, was da politisch und medial dilettiert wird. Vor allem die Anerkennung einer ‘Regierung’, die durch ausufernde Demonstrationen an die Macht kam, die Akzeptanz von Faschisten im Bündnis sogenannter “Gesprächspartner” und das völlige Ausblenden von Maulwurfsaktivitäten auf allen Seiten machen mich doch stutzen. Als sei das “Volkes Wille”, was da passiert – schlimm genug – aber gleichzeitig von Rechtsstaatlichkeit zu palavern ist so ungemein dreist, da wird der Mund doch arg trocken.

Spucke weg

Worauf ich mich beziehen möchte ist ein rhetorisches Manöver, das sich derzeit allseits größter Beliebtheit erfreut, obwohl es plumper nicht sein könnte. Weil es aber ‘alle’ machen, ist das scheinbar wie die Benutzung von Facebook und WhatsApp – dämlich, verwerflich, aber Lemmingspflicht: Ich spreche vom Aufrechnen der Missetaten und Makel des einen, um damit die des anderen zu rechtfertigen. Es ist wie im Kindergarten: “Wenn der das darf …”

Wenn ich etwa mit gewisser Bestürzung lese, dass ein eigentlich kluger Mann mir erzählt, “eher” seien es doch die von Putin gesteuerten russischen Medien, die einseitig berichteten, um damit die hiesige Propaganda vom Tisch zu wischen, bin ich dezent befremdet. Was soll das? Selbst wenn Putin jeden Abend Grimms Märchen vorliest, was hat das mit den Ressentiments und der Verblödungsmaschinerie hier zu tun? Natürlich gilt das auch umgekehrt: Selbstverständlich hat auch die russische Nomenklatura (Putin als Despoten zu betrachten, ist übrigens naiv) kein Recht, die Menschen zu belügen, aber ich kritisiere meine Presse hier. Das ist mein Job.

Der kleine Unterschied

Der Unterschied zwischen Rechtfertigung und diskursiver Betrachtung kommt in den Diskussionen als erster unter die Räder. Das Aufrechnen ist eine moralisierende Strategie. Etwas völlig Anderes ist es aber, die Konsequenzen von Handlungen aus der Betrachtung von Machtstrukturen abzuleiten. Legitimation – völkerrechtliche Betrachtungen etwa – ist gut und schön, wer aber weiß, wie es um deren Relevanz in strategischen und militärischen Entscheidungen bestellt ist, kann mir doch nicht mit dem Argument kommen, Russland verletze das Völkerrecht.

Ja warum tut es das denn? Weil es das kann. Warum kann es das? Weil es einen hässlich mächtigen Militärapparat hat. Ja darf es das denn? Nein, genau so wenig wie die NATO im Irak einmarschieren durfte, die Bundeswehr nach Afghanistan oder Killerdrohnen nach Pakistan. Das ist immer noch kein Aufrechnen, weil und insofern man das als Handlungsoption betrachtet. Wenn Legitimation überhaupt irgend eine reale Macht bremsen kann, weil diese ein Ohr für ethische Einwände hat, dann muss diese Ethik erst einmal gelten. Von einem Metzger lässt sich aber niemand das vegane Leben predigen.

Der Westen hat völlig versagt, weil er ein Spiel spielt, das er nicht beherrscht und moralisch längst derart verkommen ist, dass ihn niemand mehr ernst nimmt. Wenn also irgend etwas stimmte an der Legitimität des Illegalen durch das Illegale, dürfte der Mörder morden und der Lügner lügen, weil es Mord und Lüge halt gibt. Das wäre das Ende jeder Ethik. Nein, es ist ihnen nicht erlaubt, auch wenn man wissen muss, dass sie’s tun.

[Update:] In einer aktuellen Pressekonferenz macht Putin u.a. deutlich, dass Janukowitsch der legitime Präsident der Ukraine sei, da seine Absetzung nicht den Vorgaben der ukrainischen Verfassung entsprach. So kann das enden, wenn man auch noch auf dem Gebiet der (juristischen) Legitimität versagt und stattdessen meint, aus einer höheren Moral handeln zu können. Einer Moral basierend auf dem tumben Prinzip “Wir sind die Guten”. (Danke, Jens)

 
altgruen

Bundesarchiv B 145 Bild-F065187-0032, Bonn, Pressekonferenz der Grünen, Bundestagswahl

“Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.” Dieser Satz ist umso wahrer, je mehr man weiß und erfährt, auch die Dinge an sich heran lässt, die man lieber nicht wissen will. Die Ironie des Satzes weist darauf hin, dass er nicht einfach Werbung für Depressionen ist. Im Gegenteil ist er Ausdruck jenes Humors, der den nachdenklichen Optimisten vorbehalten ist. Sind wir schon tot? Nein? Dann ist ja noch nicht alles schiefgegangen.

Es macht keinen Spaß mehr? “Tiefes Misstrauen” legt sich wie Gewitterwolken über die politischen und privaten Verhältnisse? Ich kann sehr gut nachempfinden, was Vera Bunse da beschreibt. Ich gebe mich dem aber keinen Meter hin, gerade weil sie recht hat. Wenn die Paranoia unumgänglich ist, muss man der Paranoia halt die komische Seite abringen.

Machen wir uns nichts vor – ja richtig, genau das ist das Problem, dass wir uns nichts vormachen, während sich fast alle anderen willig eine Beruhigungspille nach der anderen servieren lassen, um alles aufzuhübschen, was das Gemüt trüben sollte: Totalüberwachung, Armut per “Sparprogramm”, Unruhen, Kriege. Was wir erfahren haben über Maß und Art der Bespitzelung stellt die Stasi weit in den Schatten. Alles im Namen der Völkerfreundschaft gegen den Terrorismus. “Na und?”, sagt der Spontanoptimist, “Morgen kommt des neue Eifon raus. Muss ich unbedingt haben!”.

Nichts Neues an der Front

Aber machen wir uns auch auf der anderen Seite nichts vor: Wir sind nicht die Ersten und nicht die Letzten, die wissen, was die Masse nicht wissen will, die hinschauen, wo andere nichts gesehen haben wollen. Ähnliche Erfahrungen finden sich noch in jüngster Vergangenheit.

1949 wurde die BRD gegründet als ein Staat, in dem die Nazis sprichwörtlich massenhaft ihre Karrieren fortsetzen durften. Industrielle, Politiker, Richter, Lehrer, Polizisten – beinahe alle Kollaborateure und Täter eines unfassbaren Massenmordes hatten ihre Jacken gewendet und durften weitermachen.
Derweil ging mit der DDR ein Hilfsregime von Moskaus Gnaden an den Start, dem das eigene Volk derart suspekt war, dass es von vornherein ein dichtes Netz von Spitzeln und politischer Polizei knüpfte.

Die Situation in den 60er Jahren in der BRD war geprägt vom widerlichen Muff, der sich zwischen dem neuen Sofa und der handbestickten Decke etabliert hatte. Nazirichter sprachen “Recht” über verbotene Kommunisten. Alte Gestapo-Schergen bauten neue Geheimdienste auf. Wehrmachtstäter wurden wiederbewaffnet. Eine demokratische Kontrolle dieser Prozesse fand nicht statt. Wozu auch? Es gab Konsumgüter reichlich und erschwinglich. Es gab realen Zuwachs an materiellem Wohlstand. Es gab gefühlte Freiheit in nie bekannten Dimensionen. Wen interessierte da die Rückkehr der Nazis in die ‘Sicherheitsdienste’? Das war 50 Jahre vor Edward Snowden.

Die nächste Runde

Entgegen aller Voraussagen erhob sich eine Generation gegen die Alten, die den Holocaust zwischen Beichtstuhl, Amnesie und Geschäftigkeit im Wirtschaftswachstum haben aufgehen lassen wie zuvor den Rauch aus den Krematorien. Dabei waren zunächst alle, nicht zuletzt die Medien, gegen jene Student/innen, die ihnen den Massenmord ebenso wenig durchgehen ließen wie ihren neuen ‘Freunden’ die Napalm-Angriffe auf Dörfer in Vietnam. Was folgte, hat die Oberfläche der Republik durchgeschüttelt wie ein schweres Erdbeben. Mehr allerdings auch nicht, denn die Helden von 68 wurden bei ihrem Rutsch durch die Institutionen zu willigen ‘Leistungsträgern’ umprogrammiert.

In der DDR kam der vorläufige Wandel Ende der 80er Jahre nicht minder überraschend. Binnen weniger Jahre brach ein Regime zusammen, das alle Register der Reaktion gezogen hatte, um sich an der Macht zu halten – vergebens. Es wurde hinweggefegt, aber auch diese Bewegung wurde vom großen bunten Konsumautomaten neutralisiert. Nur die gnadenlose Spitzelei des alten Regimes scheint überlebt zu haben, unter neuen technischen Voraussetzungen, unauffälliger und viel raffinierter gemacht.

Also was? Alles vergeblich? “Ja”, antwortet der Pessimist. Da er aber auch an dieser Stelle nicht aufhört nachzudenken, kommt sogleich der Optimist in ihm zum Vorschein. Auch heute ist nicht das Ende der Geschichte, und in der nächsten Runde sind wir wieder dran!

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