Der Schuhfetisch und die Sitten
Posted by flatter under best of , kapital , kunstlyriklamauk[44] Comments
07. Mrz 2014 15:49
“Klammheimlich nahm die Zahl dieser Schuhgeschäfte zu. Das ist ja wohl ein bekanntes wirtschaftliches Phänomen, aber traurig, wenn man es wirken sieht, denn je mehr Schuhgeschäfte es gab, desto mehr Schuhe hatte man herzustellen und desto schlechter und immer weniger tragbar wurden sie. Und je weniger die Schuhe tragbar wurden, desto mehr mussten die Leute kaufen, um immer Schuhe an den Füßen zu haben [...] Resultat: Zusammenbruch, Ruin, Hungersnot.”
Pispot Gargravarr 1980, Übers.: Benjamin Schwarz 1985
Schuhfetisch einmal anders. Derselben Quelle entstammt übrigens einer meiner Lieblingssätze: “Der Wirt tunkte ein Geldstück in eine Bierlache und wir bedankten uns dafür” (A.Dent). Aber wir müssen wohl erst einen Schritt zurück gehen, um grobe Missverständnisse zu vermeiden.
“Fetisch”, ein Wort, das die Wikipedia daher auch nicht kennt, hat nichts mit “Fetischismus” zu tun. Ein Fetisch ist nicht etwas Seltsames zum Ficken. Es ist vielmehr ein magisches Ding; etwas, dem geheime Kräfte innewohnen, ein Ding mit Macht und Seele, aus der Perspektive des Erwachsenen in der Moderne also eine besondere Form des Irrtums: In dem geschnitzten Stück Holz wohnt nämlich gar kein Gott, der Teddy war schon tot, bevor ich ihm den Kopf abgerissen habe, und es ist nicht das Geld, das den Dingen ihren Wert verleiht. In aller Kürze gesagt.
Magisches Denken eben; in meinem Lieblingssatz oben rutscht der kindliche Augenschein gleich auf die Zunge: Es passiert immer dasselbe, daher besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Immer, wenn das Geld in die Lache getunkt wird, bedanken sich die Leute. Hunde wissen das übrigens auch. Als die Underdogin noch etwas hören konnte, lief sie zu Tür, wenn ich auf den Tisch geklopft habe. Hans-Werner Sinn würde sicher dasselbe tun.
Sofort verstanden
Kommen wir zum Schuhfetisch: Immerhin ist Gargravarrs Beobachtung um einige Stufen komplexer; er stellt sogar mehrschrittige Zusammenhänge her. Leider waltet aber auch in seiner Schilderung noch magisches Denken, er spricht der Erscheinung einen Sinn zu, der woanders zu finden ist. Ihm kann das nebenbei auch egal sein, hat sein Körper sich doch jüngst von ihm getrennt; da lässt sich natürlich leicht fetischisieren.
Es sind aber eben nicht die Schuhläden oder ihre Zahl, die zur Qualitätsminderung führen. Es sind zweitens die Ressourcen, die knapper und teurer werden (eine Korrelation, die übrigens auch keine unmittelbare ist) und erstens die Profitraten, die dazu führen, dass “Leder” bald nicht mehr Tierhaut ist, sondern Pappe, die mit einem chemisch gewonnenen Tierhautextrakt besprüht wurde. Eine doppelt geile Idee, freilich nur für Investoren®, halten die Dinger nämlich erstens nicht mehr vom Laden bis nach Hause, weswegen man gleich zwei Paar kaufen muss, und ist das Material obendrein billiger. Höherer Absatz (nein, nicht der von den Schuhen, ihr Dödel!) bei höherer Marge also. Supergeil!
Hinter dem magischen und tragikomischen Effekt des Untergangs per Schuhfetisch steht also eine strunzlangweilige und dennoch skandalöse Errungenschaft sozialer Marktwirtschaft®: Geplante Obsoleszenz. Ich werde immer wieder mit Mundgeruch eingedeckt, wenn ich diese Vokabel zum Besten gebe; halten mich die damit Behelligten doch sofort für einen unfassbar Gebildeten, Klugen, Wissenschaftler, Magier der kompliziertesten Denkkunst. Wenn ich es ihnen erkläre, verstehen sie aber sofort, wie einfach das ist, was sich dahinter verbirgt. Der globale Wettbewerb®! Die Chinesen! Der allgemeine Verfall der Sitten!
März 7th, 2014 at 16:40
Nach heftigen Beschwerden der Rudelchefin sehe ich mich genötigt, Abbitte zu leisten: Es liegt mir fern, die nämlich äußerst kluge Hündin mit einem dahergetorkelten Ökonomen zu vergleichen.
März 7th, 2014 at 16:47
Bei der Gelegenheit – der Verband der alteingesessenen Greifvögel verwahrt sich gegen den Vergleich Steinmeiers mit einem, so wörtlich, ‘sedierten Uhu’. Das ist diesem prächtigen Tier gegenüber vollkommen unangemessen und unstatthaft. Die Journaille möge sich schämen.
März 7th, 2014 at 17:46
Es ist wie mit den Ärzten. Je mehr sich davon niederlassen, desto mehr Kranke gibt es. Je mehr Schuhläden, desto mehr Fusskranke.
Fusspilz, Allergien, Schweissgeruch, verkrüppelte Füsse wieder gut für die Ersteren. Wer will da noch entgegensetzen, dass der Markt, die Unsichtbare Hand, der Regulator schlechthin ist.
“Ein Fetisch ist nicht etwas Seltsames zum Ficken.” Scheisse! Hätte gern gewusst wie sich das fühlt.
Es soll ja Menschen geben, die beim Fühlen von Münzen und Scheinen, sowas bekommen wie… .
” Es sind aber eben nicht die Schuhläden oder ihre Zahl, die zur Qualitätsminderung führen.”
Bei so viel Schlachtvieh was verwurstet und verfressen wird, scheint mir die Ressource eher nicht das Problem zu sein.
Ich mag mich irren! Aber wenn ich einen Plastikschuh, für den Preis eines Lederschuhs verkaufen kann, dann gibt es wohl den Vergleich zwischen Materialeinsatz, Arbeitsaufwand und Profit.
So hast Du es wohl gemeint, oder?
März 7th, 2014 at 17:58
Fetische sind immer wieder lustig: Diamanten z.B. haben sogar noch einen gewissen Wert, weil sie gut zum Schleifen und Bohren geeignet sind und einen hervorragenden Heizwert haben. Der “Wert” des Goldes besteht dahingegen allein aus seiner Eigenschaft, sich sehr dünn auswalzen zu lassen und so, fein zerschnipselt, alkoholische Getränke oder Schokoglasuren hübsch zu dekorieren. Um mit Gold dennoch ein wenig Geld zu verdienen, bringt man es in homöopathischen Dosen auf Audiostecker auf und behauptet, dass damit die Musik besser klinge. ;-)
März 7th, 2014 at 18:23
ninja
Die Musik klingt dadurch natürlich nicht besser. Gold hat jedoch ein paar exzellente Eigenschaften. Da wären vor allem die sehr gute Leitfähigkeit und die Beständigkeit. Muss man nicht haben, macht bei sehr teurer Elektronik allerdings Sinn.
Hugh, der Tontechniker hat gesprochen!
März 8th, 2014 at 00:46
@ninjaturkey
Wenn schon denn schon:http://www.goldenstore.de/product_info.php/info/p528_24–Karat-Echtgold-gepraegtes-Toilettentissue.html
Oder gleich echtes:http://www.klonblog.com/2013/11/05/shopping-tipp-toilettenpapier-aus-gold/
März 8th, 2014 at 01:12
magisches denken allerorten (via neurotiker):
http://buggisch.wordpress.com/2014/03/03/homoeopathievertraeglich/
März 8th, 2014 at 01:21
#7
Ist das das vielbeschworene trickle down?
März 8th, 2014 at 11:22
Gold als Korrosionsschutz, wetterfest und sieht auch noch schön aus. Fetisch isn Ding aus Holz und Fell, mit Perlen und Federn und ähnlichem Kram, wer auf sowas steht … ;-)
cu
renée
März 8th, 2014 at 12:09
“Die Lebensdauer wird nicht begrenzt, um den Kunden zu ärgern, sondern im Gegenteil, um sein Nutzerprofil möglichst genau abzubilden», sagt Sven Matthiesen, Professor am Karlsruher Institut für Technologie…. ”
Zum Glück räumt “Experte” Hirstein in seinem NZZ Artikel mit der “Legendenbildung vom geplanten Defekt” auf!
http://tinyurl.com/llr4zu3
Schliesslich sind Schuhe zum TRAGEN und nicht zum LAUFEN da.
Das Nutzerprofil sieht Onlineshoppen und stundenlanges Abhängen vorm Trash-TV vor.
Wenn sich alle gefälligst daran hielten, hätte man auch länger was von seinen Schuhen.
März 8th, 2014 at 15:49
@troptard: Ich meine, wenn man Profit erwirtschaften will, muss man vor allem dafür sorgen, dass die Leute kaufen, und das geht eben nicht, wenn man Zeugs herstellt, das hält. Stell’ dir den armen schuhverkäufer vor, der sich jedesmal von seinen Kunden fürs Leben verabschiedet!
Ich habe übrigens tatsächlich ein paar Schuhe, das ist mehr als 30 Jahre alt. Habe es nie geplegt, sonst könnte ich sogar noch mal andere Sohlen drunter machen.
März 8th, 2014 at 17:33
Eierköpfe. Der Neuigkeitswert ist umwerfend, aber insbesondere solche ‘Feststellungen’:
“Diese Phase [...] endete nach Pikettys Analyse Anfang der Siebziger Jahre, weil die Politik begann, die Steuern zu senken, soziale Leistungen zu kürzen [...]”
begeistern mich immer wieder ob ihrer nicht enden wollenden Neugier – haben die nie Sesamstrasse sehen dürfen? Nie die ‘Was-passiert-dann’-Maschine gesehen, die geeignet war den Begriff der Kausalkette in’s kindliche Gemüt zu senken? Nie ein zweites Mal ‘wieso weshalb warum’ gefragt weil ein ‘weil’ offenbar schon ausreicht? Aber es ist sicher nur ein Zufall, dass bei dieser Methode oft und gern wieder nur ein simples ‘die Politik ist schuld’ herauskommt…
März 8th, 2014 at 17:53
@flatter,11
Ich stimme Dir zu. Inzwischen gibt es hier in den Städtchen auch wieder Schuhmacher. Darüber habe ich mich gefreut und meine Schuhe dort zur Reperatur geben wollen.
Nur dann hiess es jedesmal, die lassen sich nicht reparieren.
Die sind eben so hergestellt, dass sie entsorgt werden müssen. Ich selber kann mir keine Schuhe für 200 Euro leisten, die dann vielleicht auch noch mal zu reparieren sind, wenn ich Glück habe.
30 Jahre alte Schuhe! Die sind dann ja schon museumsreif. Also nicht wegwerfen!
@ Markus
Also habe ich das richtig verstanden!
Wenn mir beim Schlafanzug nach dreimaligen Bücken die Naht am Hintern aufreisst, so ist dass meinem Nutzerprofil geschuldet, also letztendlich in meinem Sinne , weil Ressourcen schonend.
Und wenn ich mich darüber ärgere, dann weiss ich jetzt, dass das nicht in der Absicht des Herstellers ist, denn der möchte ja, dass ich weiterhin bei ihm kaufe.
Und wenn das alles aus ein und der selben Klitsche kommt, nur mit anderem Etikett versehen, dann treffe ich doch auf immer den gleichen Mist.
Ausser ich bin bereit in ein Spezialgeschäft zu gehen und bezahle für meinen Schlafanzug 300 Teuronen. Einen zum Wechseln macht 600 Euro.
Gut, ich bin zu blöd, um das zu kapieren.
März 8th, 2014 at 18:22
@Troptard
Du hast verstanden!
Ein Schlafanzug ist zum Liegen da – fehlerhafte Nutzung (Bücken z. B.) ist nicht vorgesehen und in Deinem Interesse resourcen – und preisschonend bereits eingerechnet.
Die Hersteller kommen ganz nebenbei ihrer sozialen Verantwortung nach, indem sie Kindersklaven beschäftigen, die sonst nur auf der Straße rumlungern würden.
Alles nur für Dich!
Was haben wir denn noch außer unseren Zynismus.
März 8th, 2014 at 18:27
Ich glaub ich weiss, was er falsch macht – trägt Schnürschuh zum Schlafanzug. :p
März 8th, 2014 at 18:46
Womöglich als Schlafwandler – geht gar nicht!
März 8th, 2014 at 20:23
@ Markus, 16
Wohlmöglich schon möglich. Zumindest eine Erklärung, warum der liegengebliebene Abwasch vom Abend morgens nicht mehr da ist.
Und ich hab’s noch nicht einmal bemerkt. Dabei ziehe ich mir wohlmöglich auch Schnürschuhe an, mache ein paar unerlaubte Kniebeugen vorm Abwaschbecken und wundere mich dann über aufgerissene Nähte.
Aber genau wissen, weiss ich das auch nicht.
März 8th, 2014 at 20:40
Obsoleszenz, püh – Überbeanspruchung!
Beim Abwaschen Schnürschuhe, nimm die Hauspuschen, die reichen ja wohl bei Scherben im Traum ;-)
März 8th, 2014 at 20:53
Genau.
Nimm Puschen, lass das Bücken, lass das Schlafen und vor allem: LASS Abwaschen (-:
Kmiebeugen ohne Trainingsanzug….tsss
März 8th, 2014 at 20:58
@Markus: Bitte erst Morgen wieder, heute ist noch Frauentag. Wenn bei uns an einem Tag im Jahr die Kerle abwuschen und Kaffee kochten, dann am 08. März.
März 8th, 2014 at 21:05
@Wat
Was denkst Du von mir? Ich dachte selbstverständlich NATüRLICH an eine Spülmaschiene – äh, die Elektrische. (-;
März 8th, 2014 at 21:31
Kennst du GroKo und den Gegenspieler KlOpp? Natürlich auch GüLi, die beiden Parteien der KlOpp?
-ich kaufe meine Schuhe nur noch bei Berufsbekleidung, denn Arbeitsschutzschuhe schützen vor Arbeit und tragen mich schon den 3. Winter, für nur 36€!
März 8th, 2014 at 21:57
Naja, der Tag bestätigte halt immer die Spezialisierung bei der Arbeitsteilung, odda so.
März 8th, 2014 at 22:18
Mir wurde die ganzjährigen Arbeitsteilung antrainiert….habe mich schließlich gefügt.
März 9th, 2014 at 07:50
Sittenbild – geplante Obsolenz des Menschen.
März 9th, 2014 at 14:43
@25 Peinhart
Jepp, die halten viel zu lange. In dem Interview gibt es einen Hinweis auf das Solidaritätslied, ich schau mir den Text mal wieder an.
OT: Beim Lesen diverser Artikel und Kommentare in letzter Zeit komme ich zu der Idee, dass von unserer Regierung nur noch vom “Merkel-Regime” gesprochen werden sollte, entsprechend auch von allen anderen Regimes im “freien Westen”. Andauernd “Putin-Regime” nervt jetzt.
cu
renée
März 9th, 2014 at 16:11
Eine Lösung gegen Obsololololeszenz? – Seit Ende 2013 klopft der Hype um die sog. Futurzwei-Stiftung an meine Sinnesorgane. Ich erfuhr davon beinah zeitgleich im DB-Magazin, Zeit, taz, goethe-institut, DFunk, 3sat, zdf … Precht hat es auch schon verwurstet. Entsprechend haben das Konzept des Sozialpsychologen Harald Welzer auch schon einige Blog- und Forenseiten wohlgesinnt aufgegriffen. Es geht um gelungene Nachhaltigkeit, ein Beispiel: “Konkret sieht das Ganze so aus, dass wir ein Redaktionsteam haben, was Geschichten des Gelingens recherchiert und schreibt, also die Beschreibung von jemandem, der eine Schuhmanufaktur betreibt und dabei nur Produkte aus der Region verwendet und gleichzeitig seinen Beschäftigten, also den Schuhmachern und so weiter, mehr bezahlt als sich selber. ”
Zu Ende gedacht geht die Manufaktur natürlich bankrott oder das Interesse des Manufaktors. It’s Capitalism, stupid!
Eine weitere Forderung ist auch hier die Vermeidung von Obsoleszenz, um das Müllaufkommen zu reduzieren – und: Weil’s Spaaaß macht! – Nicht bedacht wird dabei, dass die Unterschicht vom Abfall der bürgerlichen Mittelschicht profitiert. Seien es Müllsammler in indischen Slums oder China etc. Selbst in Europa, inzwischen auch hier in D., wird durch die zunehmende Pauperisierung eine Abfallwertung der Unterschicht mehr und mehr zum existenzsichernden Faktor.
Auch das wird schlicht aus dem Diskurs ausgeblendet, weil Hauptsache: Es soll dem Bürger ja Spaaaß machen. Und gut für’s schlechte Gewissen ist es allemal.
Kurzum: Bei solchen Ansätzen fehlt es ganz konkret an kritisch-materialistischer Analyse, die am bürgerlichen Naturverhältnis, verkürzt: dem kapitalistischen Produktionsverhältnis ansetzt und es nicht diskursiv umschifft.
März 9th, 2014 at 16:25
“Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘” – je mehr Waren also, desto reicher erscheint auch die Gesellschaft.
März 9th, 2014 at 17:44
Die Schuldökonomie – auf jeden Fall hörenswert. Schnell noch runterladen, bevor es verschwindet…
März 9th, 2014 at 21:56
@Peinhart
Da hast du aber schon weitaus bessere Links aufgeboten. ;)
März 10th, 2014 at 10:03
@Peinhart 26
Das Interview gibt `ne Menge her…
“Berthold Seliger: Ich würde das auch ungern immer nur an der Musik festmachen. Für mich ist das Musterbeispiel die Achtziger-Jahre-Friedens-Combo Bots….”
Auf der anderen Seite war Adorno z. B. diese Mucke insofern suspekt, als das sie wg. Verkommerzialisierung in letzter Konsequenz für ihn dann doch systemkonform bzw. -bejahend war.
März 10th, 2014 at 12:15
Geplante obsoleszenz!? – ich wäre schon zufrieden, wenn so mancher (gut, ganz schön viele) “elitäre” vertreter der species mensch infolge unvermuteter obsoleszenz spontantranszendieren würde(n).
März 10th, 2014 at 12:52
@Boris ’30 – Och, für Meanstream ist das doch schon recht beachtlich. Weitertasten! ;)
Zurück zum Gottesdienst. Was ich ebenfalls immer wieder ‘beachtlich’ finde (diesmal im Sinne von merkwürdig): dass in Artikeln wie zB diesen beiden der Selbstzweckcharakter der ganzen Veranstaltung eigentlich vollkommen offen und greifbar zu Tage liegt, zB im ‘Fazit’ des letzteren:
“Solange aber Menschen keine Arbeit finden und Maschinen brach liegen, muss irgendjemand mehr ausgeben und dazu auch die Mittel – notfalls direkt von der Zentralbank – bekommen.”
Wir müssen halt mehr und immer mehr konsumieren, um auch weiterhin möglichst alle arbeiten zu dürfen – und die armen brachliegenden Maschinen zu bedienen. Von Bedürfnissen ist dabei so wenig die Rede wie von der eigentlich sattsam bekannten Tatsache, dass unser westlicher Konsum schon lange nicht mehr verallgemeinerbar ist. Was soll das, ihr Gefangenen eurer eignen Denkfiguren? Warum fällt euch da nix auf? Und kommt mir bitte nicht damit, dass ein hierzulande weiter und weiter steigender Konsum dann irgendwann auch mal Wasserleitungen in Äthiopien bewirkt… Die könnten wir schließlich auch jederzeit direkt bauen.
März 10th, 2014 at 15:25
@Peinhart
Ob Mainstream oder nicht, dies wäre auch die Kritik an dem Postoperaisten Lazzarato als auch an Heidenreich gewesen, da du allerdings ebenfalls aus der wertkritischen Ecke kommst wäre es nur ein eindreschen auf einen falschen Gegner gewesen. ;)
“Zurück zum Gottesdienst” :D
Es ist wahrlich beeindruckend wie dieser “Selbstzweckcharakter der ganzen Veranstaltung” eskamotiert wird.
Bei Flassbeck hat es schon etwas tragikomisches…so liest sich dass dann eben wenn auf einer komplett arbeitsontologischen Basis mit Begriffen hantiert wird die nur Oberflächenkategorien darstellen, die ganze ‘Ereignisgeschichte’ Flassbecks ist krisentheoretisch nur eine Black Box (und die Krise wird in subjektiven, freien Willenshandlungen “aufgelöst”).
http://www.math.uni-hamburg.de/home/ortlieb/ZahlMediumFetischInternet.pdf
März 10th, 2014 at 16:28
@34
Das geht auch etwas prägnanter…;-)
Statistiken, Studien, Umfragen und ihre Bedeutung
In der Regel kennen wir nur selten die Parameter.
Die Umfragen sind oft beeinflusst von unterbezahlten, freiberuflichen Mitarbeitern, die genau wissen, das die Bevölkerung hier an der Nase herumgeführt wird.
Ich kenne jede Menge derartiger Umfragen, und auch die dafür nötigen Institute, die sich das sehr gut bezahlen lassen.
Vor Allem die Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftsprognosen aber auch Statistiken ganz allgemeiner Art, entsprechen weder dem Volksempfinden und entbehren häufig jeder Grundlage.
Statistiken werden von den Großkonzernen, aber auch von der Regierung selbst dazu benutzt, bestimmte Bedürfnisse und Meinungen überhaupt erst zu bilden.
Auch die Werber bedienen sich dieser Studien, um den Bedarf nach ihren Produkten zu wecken.
Deswegen ist bei den Ergebnissen äußerste Vorsicht geboten.
Merke:
“Statistiken sind immer nur so gut wie die Auftraggeber, die sie erstellen ließen”!
März 10th, 2014 at 16:50
@Der Viewer
Entweder hast du den Text von Ortlieb nicht gelesen oder nicht verstanden.
Um “Manipulationen” jedweder Art geht es dort nicht, “Großkonzerne”, “Arbeitslose” oder “Werber” sind nur Charaktermasken. Verlass doch mal dieses geistige Mittelalter, alles immer nur als subjektive/politische Willenshandlung zu deklarieren.
März 10th, 2014 at 17:12
@ BorisGruschenko
Zu den Charaktermasken kam mir sofort eine Assoziation über:
Wir tragen viele Masken und haben kein Gesicht.
Wir sprechen eine Sprache, versteh’n einander nicht.
Wir leben in der Fülle und sind im Herzen leer.
Wir sehnen uns nach Stille, ertragen sie nicht mehr!
(Gisela Spitzer/Klaus Panthel)
März 10th, 2014 at 18:37
@36
Wenn man den kapitalismuskritischen langen Mittelteil weglässt kommen wir wieder genau auf meine Schlussfolgerun…lächel
Außerdem, jede Handlung entspringt doch einem Willen.
März 10th, 2014 at 18:42
Definitely not.
edit: Manchmal frage ich mich, wozu wir hier jahrelang diskutieren, wenn dann ein solcher Stuss noch erzählt wird. Wo Sklaverei, Nötigung, Erpressung und überhaupt Klassenherrschaft mit Händen zu greifen sind, von “Willen” zu palavern, grenzt an Bosheit, selbst wenn man erhebliche Dummheit als mildernden Umstand einräumt.
März 10th, 2014 at 20:42
Um noch mal an das Video von Peinhart anzuschliessen:
Ich selbst erkenne darin keinen wertkritische Analyse, allenfalls eine Aneinanderreihung von Erklärungsmustern, wie sie für die Attac-Generation nicht untypisch ist.
Einen bunten Cocktail aus Erklärungsmustern für die sog. Krise.
Der Beginn des Videos verrät durchaus Anknüpfungspunkte zur Wertkritik, die Schlussfolgerungen zum Krisenbeginn, Bezug auf den Fall der Profitrate, der aber in der Wertkritik nicht wesentlich zur Krisenerklärung beiträgt.
Dort doch bestimmender, die Auseinandersetzung mit der absoluten und relativen Mehrwertproduktion im Verhältnis zur verwurstbaren Arbeitskraft.
In dem Video kommt die Rolle der Finanzindustrie doch ziemlich penetrant als Verschwörungstheorie rüber, als Verschwörung gegen den Rest der 99%.
Dabei sollte Mensch jedoch nicht aus dem Blick verlieren, dass die sog. 99% sich ihrer “Opferrolle” erst dann bewusst werden wollen, wenn ihnen plötzlich die Luft zum Atmen genommen wird.
Oder andersherum: ” Wir haben ja nicht gewusst, dass wir so dumm sind und weil wir’s nicht gewusst haben schreien wir jetzt: ” Das sind nicht unsere Schulden.”
Was den Fordismus betrifft, sollte berücksichtigt werden, dass ohne Auto, Waschmaschinen, Spülmaschinen, Kaffeautomaten etc. hier schon längst After Work Party angesagt wäre.
März 10th, 2014 at 22:02
@Troptard
Sehe ich ebenso.
Um Missverständnisse auszuräumen, ich wollte unter #34 keinen Bezug der Wertkritik zu dem Beitrag “Die Schuldökonomie” herstellen, sondern Kritik an Peinhart ausschließen, da er ebenso wie meine Wenigkeit aus der Ecke kommt und ich mir sicher bin, dass er die komplette Sendung “Die Schuldökonomie” inhaltlich nicht 100% teilt.
Daher auch die Reaktion: “Och, für Meanstream ist das doch schon recht beachtlich.”
März 11th, 2014 at 00:23
@Peinhart (25) Habe gerade erst den Artikel gelesen. Finde ich ausgesprochen gut. Schon allein wegen der Verdeutlichung, dass ‘Kreative’ sich in ihren coolen Jobs und ihrer Pseudo-Freiheit alles andere als das empfinden was sie sind… auch nur ein paar Deppen, die sich ausplündern lassen. Wenn mir einer kommt mit ‘Wir Kreativen’ geh ich schon immer stiften. Ersten mag ich da nicht eingemeindet werden und zweitens sind das genau zwei Kategorien von Leuten, die das von sich sagen. Die die sich damit trösten müssen, dass sie wenigstens kreativ sein dürfen, wenn sie schon sonst nix haben und die, die in einem Dienstleistungsbereich unterwegs sind, der zwar einträglich ist, aber mit kreativ wahrlich nichts gemein hat. Klingt dann aber einfach schöner.
Und die Bedeutung dieses manipulierten und komplett dressierten Kulturappartes kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Oder die Frage, die auch aufkommt, wie macht man denn Revolution, wenn die sofort vermarktet wird? Wenn alles, was man aufwirft umgehend gefangen genommen und fein säuberlich in Produkthäppchen zerlegt wird?
März 11th, 2014 at 10:30
@Boris – Danke für den Ortlieb-Text, ich bin hier ja auch schon in dem Problemkreis herumgetappt. Hier noch eine daran anschließende Kritik der Neoklassik, die ja das theoretische ‘Fundament’ auch des Neoliberalismus darstellt – oder besser den Sumpf, in dem er dümpelt. Noch grundsätzlicher dann hier.
@Uena – Gute Frage. König Midas lässt grüßen…?
März 11th, 2014 at 12:53
@Peinhart: Ich hatte früher mit dem bwl-Prof. im Rahmen des Ingenieurstudiums öfter Diskussionen. Mich hatte weniger gestört dass er Alkoholiker war, sondern dass er den Quatsch den er uns erzählen wollte selbst auch noch zu glauben schien.
Fragt man jemanden, warum er bwl studiert, dann erhält man praktisch immer die Antwort, es wäre einfach, weil man nur auswendig zu lernen bräuchte. Tolle Motivation.
Dumm, dümmer, Homöopath, Wirtschaftswissenschaftler.