Es lichtet sich bedenklich wenig im Gewirr von Informationen, Desinformation, Propaganda und Rechthaberei bei völliger Ahnungslosigkeit, kurz: auf dem Feld, wo jeder Journalist offenbar weiß, was von ihm erwartet wird und er es hemmungslos schreibt, sich mit der Sache gemein macht, die Redaktion und Verlag im Chor der ewigen Kalten Krieger anstimmen lassen. Putin, der Despot, Putin, der “bestraft” werden muss, das imperialistische Russland dort; hier die EU, immer auf der Seite des Völkerrechts, der Menschenrechte, und überhaupt immer im Recht.

Wenige halten dagegen, lobend zu erwähnen Jakob Augstein etwa. Noch deutlicher wurde Egon Bahr [der Link wird in wenigen Tagen vermutlich hinfällig sein, Säzzer] , der es keinem mehr recht machen muss. Es klingt zwar beinahe zynisch, was der Mann zu sagen hat, aber er weiß wenigstens, dass er nicht von einem Sandkastenspielchen redet.

Ich will noch immer nicht die Lage bewerten, obwohl einige Korrekturen sicher bitter nötig sind an dem, was da politisch und medial dilettiert wird. Vor allem die Anerkennung einer ‘Regierung’, die durch ausufernde Demonstrationen an die Macht kam, die Akzeptanz von Faschisten im Bündnis sogenannter “Gesprächspartner” und das völlige Ausblenden von Maulwurfsaktivitäten auf allen Seiten machen mich doch stutzen. Als sei das “Volkes Wille”, was da passiert – schlimm genug – aber gleichzeitig von Rechtsstaatlichkeit zu palavern ist so ungemein dreist, da wird der Mund doch arg trocken.

Spucke weg

Worauf ich mich beziehen möchte ist ein rhetorisches Manöver, das sich derzeit allseits größter Beliebtheit erfreut, obwohl es plumper nicht sein könnte. Weil es aber ‘alle’ machen, ist das scheinbar wie die Benutzung von Facebook und WhatsApp – dämlich, verwerflich, aber Lemmingspflicht: Ich spreche vom Aufrechnen der Missetaten und Makel des einen, um damit die des anderen zu rechtfertigen. Es ist wie im Kindergarten: “Wenn der das darf …”

Wenn ich etwa mit gewisser Bestürzung lese, dass ein eigentlich kluger Mann mir erzählt, “eher” seien es doch die von Putin gesteuerten russischen Medien, die einseitig berichteten, um damit die hiesige Propaganda vom Tisch zu wischen, bin ich dezent befremdet. Was soll das? Selbst wenn Putin jeden Abend Grimms Märchen vorliest, was hat das mit den Ressentiments und der Verblödungsmaschinerie hier zu tun? Natürlich gilt das auch umgekehrt: Selbstverständlich hat auch die russische Nomenklatura (Putin als Despoten zu betrachten, ist übrigens naiv) kein Recht, die Menschen zu belügen, aber ich kritisiere meine Presse hier. Das ist mein Job.

Der kleine Unterschied

Der Unterschied zwischen Rechtfertigung und diskursiver Betrachtung kommt in den Diskussionen als erster unter die Räder. Das Aufrechnen ist eine moralisierende Strategie. Etwas völlig Anderes ist es aber, die Konsequenzen von Handlungen aus der Betrachtung von Machtstrukturen abzuleiten. Legitimation – völkerrechtliche Betrachtungen etwa – ist gut und schön, wer aber weiß, wie es um deren Relevanz in strategischen und militärischen Entscheidungen bestellt ist, kann mir doch nicht mit dem Argument kommen, Russland verletze das Völkerrecht.

Ja warum tut es das denn? Weil es das kann. Warum kann es das? Weil es einen hässlich mächtigen Militärapparat hat. Ja darf es das denn? Nein, genau so wenig wie die NATO im Irak einmarschieren durfte, die Bundeswehr nach Afghanistan oder Killerdrohnen nach Pakistan. Das ist immer noch kein Aufrechnen, weil und insofern man das als Handlungsoption betrachtet. Wenn Legitimation überhaupt irgend eine reale Macht bremsen kann, weil diese ein Ohr für ethische Einwände hat, dann muss diese Ethik erst einmal gelten. Von einem Metzger lässt sich aber niemand das vegane Leben predigen.

Der Westen hat völlig versagt, weil er ein Spiel spielt, das er nicht beherrscht und moralisch längst derart verkommen ist, dass ihn niemand mehr ernst nimmt. Wenn also irgend etwas stimmte an der Legitimität des Illegalen durch das Illegale, dürfte der Mörder morden und der Lügner lügen, weil es Mord und Lüge halt gibt. Das wäre das Ende jeder Ethik. Nein, es ist ihnen nicht erlaubt, auch wenn man wissen muss, dass sie’s tun.

[Update:] In einer aktuellen Pressekonferenz macht Putin u.a. deutlich, dass Janukowitsch der legitime Präsident der Ukraine sei, da seine Absetzung nicht den Vorgaben der ukrainischen Verfassung entsprach. So kann das enden, wenn man auch noch auf dem Gebiet der (juristischen) Legitimität versagt und stattdessen meint, aus einer höheren Moral handeln zu können. Einer Moral basierend auf dem tumben Prinzip “Wir sind die Guten”. (Danke, Jens)