p> 
ddv

Quelle: Wikimedia Commons / Colin Smith

Vorab eine Bemerkung zu den Kommentaren: Es kommt vor, dass ich einen überlese oder gar mehrere. Höfliches nachfragen hilft da eventuell, es kann zwar auch sein, dass mich ein Kommentar nicht besonders interessiert und ich kann auch nicht jeden beantworten, aber manchmal geht mir einer durch wie zum Beispiel der hier. Die Frage darin: “inwiefern ist z.B. die Menschenwürde nicht auch bloß eine “festgelegte Wahrheit?” Kommunikationsbeschränkungen kann man ja auch in dem Fall ausfindig machen.
Das Thema ist hier ein Dauerbrenner, derzeit ist auch ein anderer Strang damit befasst, man könnte es vielleicht die “Autosuggestion des Bürgertums” nennen.

Ich verdamme das – im Gegensatz zu anderen Linken – keineswegs, im Gegenteil finde ich die Zielsetzungen, die sich sowohl in der bürgerlichen Revolution als auch in dem Versuch, Menschenrechte zu verfassen, manifestieren, ungemein wichtig. Da unterscheidet sich mein Denken grundlegend von streng ‘materialistischen’ Sichtweisen. Der Mensch setzt sich Ziele, das macht ihn aus, und wenn er damit aufhört, hört damit gleichzeitig alles auf, worüber wir hier diskutieren, nämlich Theorie, Politik, Ethik, das Leben des bewussten Universums. Die Antwort auf die Frage der Landratte ist von daher, dass es eben nicht bloß eine festgelegte Wahrheit ist, sondern ein Ziel, die Vorstellung eines Zustandes, wie er sein soll. Dass tatsächlich die bürgerliche Gesellschaft in Form der kapitalistischen ‘Demokratien’ noch immer von Menschenrechten schwafelt und sich der überprüfbaren Wirklichkeit dabei nicht schämt, liegt nicht an der Zielbestimmung.

Soll das alles sein?

Zielbestimmungen wie die Menschenrechte, die bürgerliche Freiheit und andere sind unerlässlich für die Bildung eines Common Sense, der an historischen Schnittstellen den Stand des Bewusstseins markiert. Dieses ist eben nicht bloß durch den Stand des materialen Sein bestimmt, wenn es sich selbst (und) eine Welt entwirft. Es sind gern Versprechungen, deren Einlösung gar nicht vorgesehen ist von denen, die sie in die Welt setzen. Sie können aber immer nur in Form von Widersprüchen den Kurs wenden; Orwell brachte es auf den Punkt: „Pigs are more equal“. Die Sprache bricht ebenso zusammen unter der Gewalt der Herrschaft wie die Idee vom Paradies, das für alle geschaffen werden sollte. Das Missverständnis ist immer ein doppeltes: Dass das Versprechen so gemeint war und dass der Bruch des Versprechens alternativlos sei.

Insofern bestimmt das “Sein” – die Form der Herrschaft und ihrer (Produktions)bedingungen – das Bewusstsein. Das Bewusstsein aber, wenn es eben nicht mehr mit den herrschenden Zuständen zu versöhnen ist, bestimmt die Frist dieses Seins. Zwar kann man den Wandel im Bewusstsein der Menschen ebenfalls als Wirkung der Herrschaft betrachten, es bleibt aber an genau diesem Punkt dem Bewusstsein vorbehalten, die Ketten zu sprengen und die Widersprüche gegen jene zu verwenden, die sich zu spät von ihren Lügen distanzieren. In der aktuellen Situation des sogenannten “Westens” befinden wir uns in der Phase, in der noch ausreichend materieller Wohlstand und eine Propaganda, die noch als glaubwürdige in die Köpfe gepflanzt wurde, auf himmelschreiende Widersprüche treffen. Die Propaganda degeneriert zusehends, das wird nicht ohne Wirkung bleiben.

Der bürgerliche Staat, dessen Verteidiger sich gemeinhin wirklich einbilden, was da auf dem Papier steht, sei schon darum wahr, ist ein in seinen Grundzügen oft ungemein ehrlicher, wachsamer und kluger Versuch, das Versprechen einer gerechteren Welt zu etablieren. Er ist umso blöder, je weniger sich noch wer um seine Substanz schert und den Versuch aktualisiert. Natürlich ist einer seiner Grundwidersprüche der, dass es eine unausgesprochene wirtschaftliche Basis dieses Experiments gibt, mit deren Kollaps auch das Staatsmodell scheitert. Wer aber darum alle Ideen, die Milliarden in den Bann zogen und noch immer ziehen, ebenfalls verwirft, hat nicht kapiert, dass der Mensch immer wieder zum Barbaren wird, weil er sich das Bewusstsein vom Sein und dessen Verwaltern vernebeln lässt.

Und hier euer Disclaimer: Nein, ein Bewusstsein kann an den Verhältnissen heute nichts ändern. Es sollte aber gerade deshalb den Anspruch haben, dass sich das ändert.