Ich habe mich bereits in diesem Artikel eingangs über das Demokratieverständnis geäußert, das gemeinhin Petitionen zugrunde liegt. Es wird in Zeiten der Langeweile, die manche vor ihrem PC partout nicht totgeschlagen bekommen, aber immer erbärmlicher, was an sogenannten “Petitionen” – die übrigens meist gar keine sind, sondern eine Art Statement zum Abnicken – im Internet kursiert. Für ein Highlight in dieser Hinsicht haben just die Nachdenkseiten samt ihrer Tochterfirma Spiegelfechter gesorgt. Dort heißt es – nachdrücklich ernsthaft – “Anstand retten“, gemeint ist eine Kampagne gegen den Verbleib von Uli Hoeneß im Amt des Präsidenten des FC Bayern, drei Wochen vor dem ersten April. Welch ein intellektueller Limbo!

“Anstand retten”! Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, den in diesem Imperativ geronnenen Schwachsinn zu sezieren. Ein Appell ausgerechnet an die FC Bayern AG, in deren Vorstand schon ein verurteilter Steuerhinterzieher sitzt, deren Ex-Präsident aus steuerlichen Gründen gar nicht erst in Deutschland wohnt und nebenbei keine “Büßerkäppis” oder “Ketten” in Katar zu sehen bekam, womit für ihn das Thema “Sklavenarbeit” dort erledigt war. Ein Verein, dessen sportlicher Anstand seit Jahrzehnten darin besteht, der Konkurrenz die besten Spieler abzukaufen, um sie notfalls auf die Tribüne zu setzen. Vor allem aber, und da darf der Unterkiefer dann endgültig auf den Schuhspitzen Urlaub machen, ein Laden mit Millionen Fans. “Fans”, das ist nicht nur die Abkürzung von “Fanatics”, die sind auch tendenziell so.

Hoffentlich merkt’s keiner

Die Speerspitze der linksliberalen Publizistik macht sich hier also auf, einen millionen Köpfe starken Pöbel mit den Mitteln des Pöbels herauszufordern. Das ist eine der mutigsten Troll-Aktionen, die mir bislang begegnet sind. Hoffentlich merkt das keiner! Immerhin ist diese Aktion en passant dazu geeignet, eine große Schwäche sogenannter “Petitionen” jenseits des Petitionsrechts aufzuzeigen. Es kann nämlich nur dafür votiert werden und nicht dagegen. Ihr Glück diesmal, denn der durchaus mit Siegen verwöhnte FCB würde diesen Mumpitz in einer Weise pulverisieren, die Grund zu einer Extrafeier gäbe. Sowohl der Fußballverein, der da plötzlich zur moralischen Instanz avancieren soll als auch dessen Anhänger- und Kundschaft würden euch also sicher gern zeigen, was sie unter “Anstand” verstehen, aber die werden ja nicht wirklich gefragt.

So viel kurz und launig zum Kontext, in dem sich das bewegt. Was mir aber wirklich die Hand ins Gesicht nagelt, ist das Niveau dieser Hetze, das mit viel Schwung vielleicht die Stammtischkante von unten erreicht. Nur weil das Opfer dieser Ameisen ein Elefant ist, bloß weil man Uli Hoeneß aus nachvollziehbaren Gründen für einen Drecksack halten kann, erklären diese Musterdemokraten einmal mehr das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung für eine Marginalie. Ja richtig: Auch Uli Hoeneß ist unschuldig – im Gegensatz zu Karl-Heinz Rummenigge übrigens. Der Mann ist noch nicht verurteilt, und wer nicht kapieren will, dass exakt das mit “Unschuldsvermutung” gemeint ist, stellt seine selbstherrliche Moral über die Rechtsstaatlichkeit.

Hinzu kommt, aber das kapieren diese Reförmchenschubser ja eh nicht, dass es einem kapitalistischen Unternehmen egal sein muss, welche moralischen Standards ihr Spitzenpersonal spazieren trägt. Im Zweifelsfall sind gar keine die besten. Moral ist ineffizient. Moral kostet Geld. Moral ist etwas für Leute, die es sich leisten können zu verlieren.
Auf der anderen Seite ist sie ein tolles Spielzeug für Leute, die immer recht haben. Die schon den kurzen Prozess kaum abwarten können. Auf jeden Fall für solche, die das intellektuelle Rüstzeug nicht mitbringen, Prozesse und Systeme zu analysieren und stattdessen darauf beharren, sie würden nach Maßgabe eines höheren Willens bestimmt.