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Wie neulich schon erwähnt, personalisiert die Journaille gern, und der „Spiegel“ ist dabei ganz weit vorn. Das Dauerfeuer gegen Putin ist dabei ein probates Mittel, gegen Russland zu hetzen ohne sich der sprichwörtlichen Volksverhetzung schuldig zu machen. Ich weiß nicht, ob sie dort so denken, allemal trauen sie sich aber nicht zu sagen, die Russen seien ein finsteres Volk, das stets Böses will, finstere Pläne schmiedet und an allem schuld ist, was irgendwo in der Welt vermeintlich schiefgeht. Dem Bösen Mann hingegen kann man’s jederzeit in die Schuhe schieben.

Personalisierung birgt aber noch andere ‘Vorteile’, vor allem die Sündenbockfunktion. Die wiederum bietet zwei strategische Vorteile für Lügner und Propagandisten: Man kann jederzeit Gegner schlechtmachen, um die eigenen Interessen hinter solchen Bezichtigungen zu verbergen und man kann von den sachlichen Hintergründen ablenken. Letzteres, weil Information die eigene Position schwächt und windschiefe Lügen entlarvt. Menschen, deren Aufmerksamkeit sich auf Personen lenken lässt, denen man ihre Emotionen vorkauen kann, lassen sich leicht führen. Wer sich aktiv sein eigenes Bild macht, ist hingegen für die Propaganda verloren.

Er hat die Briten verführt

Das aktuelle Beispiel, der sogenannte „Brexit“, ist ein besonders trauriges. Zunächst war es Boris Johnson, der „begnadete Populist“, dem der Spiegel die Verantwortung für das „Leave“ zuschob: „Der Mann, der den Brexit herbeiführte, um sein Ego zu befriedigen“ (Letzteres ist übrigens derselbe Vorwurf, der schon GdL-Chef Weselsky gemacht wurde).

Als nächstes fanden sie Nigel Farage: „Der Rechtspopulist Nigel Farage hat 25 Jahre auf den Brexit hingearbeitet. Wer ist der Mann, der sein Land aus der EU gedrängt hat?“ Der Eine drängte die Briten also hinaus, der Andere führte das herbei.
Auch der ewige Putin durfte selbstverständlich nicht fehlen: „Putin wirds freuen“, wissen die Kampagneros, die geglaubt hatten, ihr „Bittebitte bleibt“-Dauerfeuer hätte irgendwen auf der Insel interessiert. Teufel Putin freut sich halt über alles Schlechte.

Vade retro

Der „Spiegel“ sucht überhaupt fieberhaft nach all den bösen Motiven jener Abtrünnigen, die nicht länger Bürger der EU sein wollten (es war die Mehrheit, hört ihr?). Schon die Unfähigkeit sich klar zu machen, dass nicht die Mehrheit der Briten vom Teufel besessen sein kann und daher kein böser Wille den Ausschlag gegeben haben kann, verweist auf die Qualität solchen Denkens. Es ist religiöser Wahn, kollektives magisches Denken, das sich den Zugang zu Analysen zwanghaft verbietet. Die bleiben daher aus, stattdessen projiziert man die eigene Scheu vor der Rationalität auf den Gegner, der sich hat verführen lassen.

Der einzig zielführende Weg zur Erklärung des Ereignisses führt über die Frage, was die EU eigentlich ist. Ihr Anspruch – bei ihrer Gründung und heute, ihre Wirklichkeit und das, was bei den Menschen davon ankommt. Wenn man freilich glaubt, die Glaubenssätze der Guten müssten es doch sein, die in den Köpfen sitzen und plötzlich feststellt, dass die ganze Wucht der medialen Verkündung nicht ausreicht, kann man nur noch nach Schuldigen und Bösen suchen, die den wahren Glauben zersetzen. Auf dieses Niveau ist solcher „Journalismus“ gesunken. Es schreiben dort bloß noch mäßig nützliche Idioten, und selbst die haben sich nicht selbst gemacht.