Die enge Verbindung politischer und kirchlicher Macht vor allem protestantischer Funktionäre ist hier häufig Thema. Wohin man schaut, springen Pfaffen, Pfarrerstöchter und Kirchentagsvorsitzende aus der Schachtel. Deren Erziehung (aktiv wie passiv) ist einen zweiten Blick wert, und der Anblick, der sich einem dort bietet, ist kein schöner.
In der Niederschrift dieses Vortrags von Wolfgang Huber sind einige wichtige Fakten und Äußerungen der Evangelischen Kirche dokumentiert, die eine nachgerade verfassungsfeindliche Haltung belegen. Vor allem aber zeigt sich, dass bis in die 80er Jahre hinein ein völlig ungebrochen autoritäres Weltbild gepflegt wurde. Die Kirche ist nie in der Demokratie angekommen, sie hat sich vielmehr durch Lippenbekenntnisse und Verrenkungen ihren Einfluss auf Staat und Gesellschaft bewahrt. Einige Zitate:
“Die evangelische Kirche kommt aus einer Geschichte, in der explizites Thema kirchlichen Nachdenkens – so die Kundgebung – … vor allem die Verantwortung der Regierenden und der Gehorsam der Regierten war.”
“Und noch 1959 konnte sich der Ratsvorsitzende der EKD, Otto Dibelius, eine Obrigkeit nur in patriarchalischen Formen denken. Eine demokratisch gewählte Regierung besaß für ihn, da sie prinzipiell abwählbar war, keine wirkliche Autorität.” Dibelius, glühender Antisozialist, Antisemit und Reaktionär, war einer der einflussreichsten Kirchenführer der Nachkriegszeit.
Der Gehorsam der Regierten
Von dessen Leitlinien hat sich die EKD also 1985 unter Schmerzen verabschiedet. Das Problem der Kirche ist eine begrenzte Autorität und Macht. Sie behielt sich vor, auf unumstößliche weltliche Autorität zu beharren, die ihrerseits die göttliche anerkennt. Dies bedeutet unmittelbar, dass die EKD eine Monarchie oder Diktatur nicht nur bevorzugte, sondern anstrebte. Es sollte freilich keine sein wie bei Hitler, wo Gott und die Kirche zu kurz gekommen waren. Die schlimmste Variante wäre aber eine Gesellschaft freier selbstbestimmter Menschen gewesen. Gehorsam hat der Mensch zu sein. Es ist auch daher nicht verwunderlich, wie geschmeidig die Naziherrschaft in die evangelisch dominierten Regionen Deutschlands einfließen konnte.
In der BRD musste das Bestreben nach autoritärer Macht eingeschränkt werden. Nach einigen Jahrzehnten hat sich diese Einsicht in der EKD durchgesetzt. Sie hat also versucht, in die ‘Demokratie’ hinein zu retten, was zu retten ist:
“Sie [unsere Kirche] braucht vor allem Bürgerinnen und Bürger, die ihre politische Existenz als den weltlichen Beruf, als die Berufung aller Christenmenschen verstehen. Sie braucht Menschen, die Demokratie wagen, wo immer dies nötig ist, und dort mehr Demokratie wagen, wo es möglich erscheint. Die Ermutigung dazu gehört zu den Aufgaben kirchenleitenden Handelns.”
Halt’ du sie dumm
Die demokratische politische Gesinnung ist also eine Ableitung aus der religiösen. “Demokratie wagen, wo immer es nötig ist” ist ein Zugeständnis an Demokratie, das nicht einmal die Mindestanforderung erfüllt. Wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, versucht’s der berufene Christenmensch halt mit dieser Demokratie. Wenn es möglich ist. Wenn nicht, tja, dann hat der Kaiser vielleicht doch Vorrang. Schließlich muss der Christenmensch von seiner Führung in Gehorsam geübt werden. Wie so oft gehen hier die Interessen der Kalten Krieger, der Autoritären und des Kapitals Hand in Hand.
Unter der wird einmal mehr deutlich, dass “Eigenverantwortung” nichts anderes als Schuld bedeutet, die der gehorsame Christenmensch gar nicht loswerden soll. Statt eines mündigen Bürgers, der Entscheidungen für sich selbst trifft, will die Kirche einen Befehlsempfänger, der sich der göttlichen und weltlichen Ordnung fügt. Wenn letztere eine ‘demokratische’ ist, dann hat er sich halt den ‘gewählten Vertretern’ zu unterwerfen – solange es keine geborenen oder durchs Schicksal bestimmten gibt. Der gemeinsame Feind ist alles, was daran rüttelt, der Antichrist ist und bleibt der atheistische Kommunist, das quasi archaische Feindbild, das man so gut es geht aktualisiert. Zur Not geht da auch der böse Russe als bleiche Reminiszenz.
Angesichts dieses antidemokratischen und unmittelbar auf den Einfluss illegitimer Macht ausgerichteten religiösen Extremismus’ muss man sich eigentlich fragen, ob die Evangelische Kirche zu Deutschland gehört. Bislang scheint es sich eher umgekehrt zu verhalten.
Update: Pfarrer Gauck war diese Kirche übrigens zu “linkslastig”.
Mai 15th, 2016 at 14:21
Die Familie Dibelius ist übrigens nach wie vor gut vernetzt.
Mai 15th, 2016 at 15:33
und was macht die Kirche nun mit den ganzen Ostdeutschen, die in Sodom und Gomora aufgewachsen sind?
Habe irgendwann mal gelesen, das in unserem Teil, also Osten die Missionierung aufgeben wurde. Ich glaube es war MegPom.
Mai 15th, 2016 at 15:33
Nur zur Erinnerung: Als ich gestern beim Zubettgehen wie jeden abend meine Lutherbibel zur Hand nahm, um mich daran zu erbauen, hatte ich das Glück, mal wieder auf den Brief des Paulus an die Römer zu stoßen: “Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.[...].” Zu Lebzeiten mehr zu erwarten ist Häresie. Der Schlaf war tief und fest.
Mai 15th, 2016 at 15:36
Es geht aber noch schlimmer als “evangelisch” – man nennt es “evangelikal”, und es kommt aus den USA bzw. ist auch schon Teil mancher Partei in Deutschland – Ich meine sogar der AFD (kann aber auch falsch liegen).
Was den “Gottesstaat Deutschland” angeht, da hat ja die Dienstags-Sendung “Die Anstalt” doch letztes mal was Gutes gebracht – Gauck und Merkel als Mullahs bezeichnen *grins* und anzeigeverdächtig, denn die Idee hatte ich auch schon…..
Die haben mir meine Idee geklaut, die Kabarettisten um Max Uthoff;-) :-)
Was den “Gehorsam” angeht, und das “dumm” halten – diese Strategie ist auch uralt, nicht nur in der evangelischen Kirche war Intelligenz verpönnt. Nein, auch in der katholischen.
Gruß
Bernie
Mai 15th, 2016 at 16:12
Ach was? Ich bemühe mich hier darum, allgemeine Wertungen erst vorzunehmen, wenn ich entsprechende Fakten und Hintergründe an der Hand habe. Daher auch dieser Artikel. Ich verstehe daher nicht, was das jetzt mit “auch Evangelikale” oder “auch Katholiken” zu tun hat. Das ist diesebe abstrakte Argumentationsweise, die jederzeit auch so etwas zulässt wie “aber die Juden …”.
Mai 15th, 2016 at 16:38
tut mir leid, ich halte in Zukunft meine Gusche
Mai 15th, 2016 at 18:50
@ Gabi (6),
verstehe ich nicht ganz. War doch nicht an Dich adressiert.
Und wenn ich mich recht erinnere, dann war doch die Kirche in der DDR zumindest geduldet. Sonst hätten sich dort die Systemkritiker oder besser, diejenigen, die sich für den “wahren” Sozialismus eingesetzt haben unter dem Dach der Kirche nicht versammeln können.
Und es ist sicher kein Zufall, dass ein Pfaffe und eine Pfarrerstochter aus dem Osten dem gesamtdeutschen Bürger stets auf’s Neue vermitteln dürfen, das ihnen die Demokratie und ihre Freiheiten wichtiger sein müssen, als ihre individuellen Lebensbedingungen.
Ich glaube nicht an Zufälle!
Mai 15th, 2016 at 19:51
Jetzt verstehe ich endlich, was es mit der neoliberalen Ausrichtung der EKD auf sich hat. Die Beziehung zum Markt ersetzt die Beziehung zu Gott, Schulden sind Schuld, Eigenverantwortung ersetzt das schlechte Gewissen, die Staatsverschuldung ist die Erbsünde, und die Hure Brüssel ersetzt Rom. Wo bleiben die Jesuiten, wenn man sie braucht? Sonst beschleunigt Deutschlands Politik noch die Ankunft des jüngsten Gerichts in Form eines Finanzcrashs.
Mai 15th, 2016 at 23:14
Geschichtlich ist die christliche Kirche aus einem Guss.
Historische Leistung des Christentums ist die Negation der Sklaverei – im Unterschied zu Judentum oder Islam. Die Heilige Kirche ist der Ideologieträger des aufstrebenden Feudalismus des Mittelalters mit deren Kardinaltugenden Treue, Glaube, Gehorsam. Eine „Ankunft der Kirche in der Demokratie“ wäre faktisch Selbstverrat.
Aus dem Blickwinkel ist Pfarrer Gaucks Ablehnung demokratischer Ideen begreiflich. Gaucks Verhalten ist nicht mal opportunistisch, sondern historisch konsequent.
Mai 15th, 2016 at 23:58
“Negation der Sklaverei” – ähm, das heißt seitdem “Lohnarbeit” und hat den Vorteil, dass die Niggger nicht mehr gefüttert werden müssen. Ach so: Die Amis hatten das wohl nicht mitgekriegt. Und die anderen halten also noch Sklaven? *koppkratz*
Die Kirche ist u.a. Ideologieträger des späteren Römischen Reiches btw.. Geschichte ist dann doch etwas komplizierter und, ja, nie so ganz unabhängig von den Produktionsbedingungen, was ebenso für die Religionen gilt.
Darüber hinaus wiederholt mein Hinweis, dass es Kirchen gibt (Plural), mit eminenten Unterschieden, die gerade aktuell zum Tragen kommen. Siehe Weber, siehe Marx, siehe Ekkat-Göring.
Mai 16th, 2016 at 00:02
OT – Beim Belehren über den Gegenstand des Beitrags die Herkunft der Merkelschen Raute erkannt: https://de.wikipedia.org/wiki/Bischof#Kongregationalistische_Konfessionen — just emotionally restrained official-looking …
Mai 16th, 2016 at 08:00
@flatter (10) – die Sklaverei war in der Antike gesellschaftlich akzeptiert und reguläre ökonomische Grundlage. Um das zu illustrieren, die Ordnungsmacht hätte einen entlaufenen Sklaven damals dem rechtmäßigen Eigentümer übergeben.
Im alten Rom war religiöser Starrsinn unbekannt; dennoch wurden die Christengemeinden herzhaft verfolgt. Denn diese speisten sich aus Sklaven. Das Christentum ist eine Sklavenideologie. Sie bedrohte die ökonomische Basis Roms. Die Christenverfolgung war eine pragmatische Maßnahme, auch wenn langfristig vergeblich.
Die Sklavenwirtschaft wurde verdrängt durch Feudalwirtschaft mit kleinen „freien“ Bauern.
Der ökonomische Erfolg bestand in Überwindung der Begrenztheit der Sklavenwirtschaft. Die einzige Waffe des Sklaven zur Wahrung der Würde war Dummheit: er bekam effizientes, fein gearbeitetes Werkzeug in kürzester Zeit kaputt. Der Herr konnte dem Sklaven kein Pferd anvertrauen, nur widerstandsfähige Esel; nur einfachste Pflüge waren für Feldarbeit möglich, weil unkaputtbar.
All diese Beschränkung fiel weg beim „freien“ Bauern. Auch die „Leibeigenen“ waren nicht Sklaven, da nicht frei handelbare Ware, sondern ihrem Land verbunden.
Der Ideologieträger des aufstrebenden Feudalismus war konsequent die Kirche.
Die Sklaverei der amerikanischen Südstaaten war konkret verachtet in Europa. Sie war keine reguläre ökonomische Basis im Sinn von gesellschaftlich anerkannt, und sie wurde durch reguläre gesellschaftliche Interaktion abgeschafft, nämlich Gesetzesänderung (statt Sklavenaufstand wie z. B. Haiti).
Um dem nächsten Einwand vorzugreifen, den darauffolgende Bürgerkrieg betrachte ich im weiteren Sinn als reguläre gesellschaftliche Interaktion.
PS es gäbe viel dazu zu sagen, aber das spränge den Rahmen.
Mai 16th, 2016 at 11:16
Das P.S. kam mir auch schon in den Sinn.
Nur noch so viel: Ich meine das sehr ernst mit der Lohnarbeit. Sie ist die konsequente Fortführung von Sklaverei und Leibeigenschaft. Und wenn du so willst, nach deinem Modell, wäre der Protestantismus für die Lohnarbeit, was das frühe Christentum für den Feudalismus ist. Auch das ein eminenter Unterschied.
Mai 16th, 2016 at 11:35
@flatter – zur Lohnarbeit sind wir mit Sicherheit einer Meinung; jedoch ging es mir um Begriffsschärfe. Lohnarbeit mit Sklaverei gleichzusetzen verstellt den Blick auf Perspektive zu politischen Zielen. (Nicht als Vorwurf missverstehen, bitte.)
Mai 16th, 2016 at 11:37
Aber noch im 19. Jahrhundert erkannte auch die katholische Kirche die Zeichen der Zeit: “Am 15. Mai 1891 erließ er [Papst Leo XIII] die Enzyklika »Rerum Novarum«, die forderte: »Der Staat muss sich zum unerbittlichen Hüter des Privateigentums machen« und durch »die öffentlichen Gesetze« ihm »Schirm und Schutz bieten«. Wer die Aufhebung des Privateigentums verlange, müsse »im Namen der Moral, deren Fundament er zerstört, als außerhalb des Gesetzes stehend erklärt werden«. [...] Seine Forderung nach Zerschlagung der sozialistischen Arbeiterbewegung kleidete Leo XIII. heuchlerisch in Kritik am Reichtum der Bourgeoisie, weshalb er als »Arbeiterpapst« in die Kirchengeschichte einging.”
Heuchelei auf der einen und ausgerechnet ‘Unerbittlichkeit’ auf der anderen Seite, sozusagen der ‘Markenkern’ der christlichen Kirchen. Lasset uns beten. Vergebung und vergeblich sind ja auch vom selben Stamm.
Mai 16th, 2016 at 12:14
“Heuchelei auf der einen und ausgerechnet ‘Unerbittlichkeit’ auf der anderen Seite” – genau, und das markiert den wesentlichen Unterschied. Heuchelei bietet immer eine offene Hintertür, Unerbittlichkeit strebt zur Totalität, daher auch zur Vernichtung. Dass die Katholen sich der ökonomischen Entwicklung (und der weltlichen Macht) nicht entziehen können und auch deren Macht daran hängt, ist logisch, aber die Protestanten liefern den Eifer dazu.
Mai 16th, 2016 at 13:11
Interessant finde ich, was Elisabeth Wehling in “Politisches Framing” S. 118 ff. schreibt:
[..] Die Begriffe »sozialer Aufstieg«, »Abstiegsgesellschaft«, »Unterschicht«, »in die höhere Schicht aufsteigen«‚ »in die Armut rutschen«, »in die Oberschicht aufsteigen«, »sozialer Abstieg«‚ »Oben« und »unten« — sie alle aktivieren das Konzept der Vertikalität und wenden es auf die Gesellschaft an: Wer wenig Einkommen, Einfluss, Prestige und Bildung besitzt, der ist unten. Wer viel Einkommen, Einfluss, Prestige und Bildung besitzt, der ist oben.
Die Mittelschicht liegt beispielsweise zwischen der Unter- und Oberschicht, und wer verarmt, der steigt aus der Mittelschicht nach unten ab – in die Unterschicht.
Allerdings funktioniert der Vertikalitäts-Frame nicht nur als metaphorisches Vehikel, um Quantität – also die Frage nach viel oder wenig finanziellem Vermögen – zu kommunizieren.
Es gibt insgesamt sechs Metaphern, die hier relevant sind, und die allesamt auf dem Konzept von »oben und unten« aufbauen. Sie umfassen Quantität, Kontrolle, Tüchtigkeit, Moral, Glück und Göttlichkeit. Der Einfachheit halber liste ich sie einmal mit Sprachbeispielen der Reihe nach auf.
Quantität: Die Preise sind gestiegen, sie sind heute besonders hoch. Wann werden die Preise wohl wieder niedriger sein? Die Spitzenverdiener, die »oberen« Zehntausend
Kontrolle: Ich hatte in der Debatte die ganze Zeit über die Oberhand, mein Gegner war mir unterlegen.
Tüchtigkeit: Ich brauche morgens erst einmal Kaffee, um mein System hochzufahren. Ich arbeite auf Hochtouren. Ich habe mein System für heute schon runtergefahren.
Moral: Das waren niedrige Beweggründe. Er ist ein aufrechter Mensch. Dazu würde ich mich nie herablassen. Ich würde wirklich niemals auf Dein Niveau sinken. Das ist ein Spitzentyp! Ganz große Spitze!
Glück: Es ist ein wahres Hochgefühl! Ich bin seit gestern niedergeschlagen. Ich fühle mich down.
Göttlichkeit: Der Teufel sitzt unten in der Hölle und Gott oben im Himmel als die höhere Macht.
Wir ordnen also Bürger mit viel Vermögen als oben ein, weil sie mehr besitzen als Bürger mit wenzg Vermögen: Quantität als Ver- tikalita’t. Und wir ordnen sie dabei zugleich auch als diejenigen ein, die mehr Kontrolle über unsere Gesellschaft haben, tüchtigere, bessere und glücklichere Menschen und näher bei Gott sind.
[..]
Die Metapher Tüchtig ist Oben beispielsweise suggeriert, dass Bürger mit Berufen, die sprachlich oben angeordnet werden – Akademiker, Direktoren, Manager, bestimmte Beamtengruppen und so fort – die tüchtigeren Bürger sind. Damit werden die zentralen Leistungen sogenannter unterer Berufe ausgeblendet. Mit entsprechenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen.
Der Vertikalitäts-Frame führt also zur Aufwertung reicher Menschen und zur Abwertung armer Menschen.
Ja, richtig – ich habe gerade von Auf- und Abwertung gesprochen. Und Sie haben mich problemlos verstanden, denn auch Sie nutzen automatisch die Metapher von Gut als Oben und Schlecht als Unten. Ebenso wie die anderen fünf Metaphern, die auf Vertikalität aufbauen.
@flatter: Ich weiß nicht, ob ich Ärger verursachen kann, wenn ich das hier (aus dem Buch) reinkopiere. Falls Bedenken bestehen – weg damit!
Mai 16th, 2016 at 13:18
@flatter #16 – Der Eifer dieser päpstlichen Erklärung ist aber auch nicht von Pappe – Privateigentum gleich als ‘Fundament der Moral’, und jemanden als ‘außerhalb des Gesetzes stehend’ zu bezeichnen heißt wohl auch nicht viel weniger als ‘vogelfrei’. Aber immerhin, da gebe ich dir recht, können sie überhaupt noch Kritik am Reichtum heucheln statt ihn als ‘Zeichen der Gottgefälligkeit’ zu betrachten.
Mai 16th, 2016 at 13:43
@Peinhart – der ‘irritierende’ link in #15 – dieser artikel zum 125jährigen (es gibt auch diesen zum 120jährigen)?
Mai 16th, 2016 at 13:44
@Peinhart: Ich meine vor allem die psychische Disposition, die diese Ideologien mit sich bringen. Der Protestant ist nicht nur ein Sklave; er hat eigentlich keine Hoffnung auf Erlösung. Die sind nicht mal im Himmel alle gleich, also müssen sie auf Erden zusehen, dass sie sich bewähren; als Herren oder Sklaven. Die einzige Alternative dazu ein guter Slave zu sein, ist selber Herr zu werden, und beides ist gottgewollt. Alternativen wären nicht nur eben Ketzerei, sie brächten auch die unerträgliche Kränkung mit sich, den ganzen Eifer für ein Trugbild, für den Selbstbetrug investiert zu haben. Es ist eigentlich viel einfacher für Protestanten, andere ins Unglück des ohnehin verordneten Verzichts zu ziehen als jemals glücklich zu werden. Zielloses Eifern ohne Sinn, eine knallharte sadomasochistische Konkurrenz um Gottes Gunst auf Erden und am Ende nicht mal das Paradies. Selbstverständlich auch keinen Sündenablass, das schlechte Gewissen schleppen die auch noch ständig mit sich herum. Druck ohne Ende. Welch eine idiotische Ideologie!
Mai 16th, 2016 at 14:15
Zu text und diskussion ein paar links, weil mich das ‘aktuelle’ hieran erinnerte und wenn man es vergessen hat oder neu dazukommt, kann man es bei interesse (noch einmal) lesen:
flatter: Wie Religion entsteht
Thomas Konicz (3 teile, 2013): Kapitalismus als säkularisierte Religion
Den bei Konicz ausführlich zitierten Walter Benjamin findet man hier: KAPITALISMUS ALS RELIGION
(ergänzend und ot und speziell für Peinhart, diesmal so ganz nebenbei als feiertagslektüre ;-), Hans Schmid Teil 2.
Mai 16th, 2016 at 15:33
@oblomow – Vielen Dank für den Hinweis, auch wenn ich es mit Freuden grad schon selbst gesehen hatte. Noch schöner, dass da auch ein Satz drin vorkommt, der gleich den Bogen zurückspannt zu flatters #20: “In den puritanisch geprägten USA geriet der Film auch deshalb in Verdacht, der Unzucht Vorschub zu leisten, weil so viele Einwanderer aus katholischen Ländern im Kino saßen. Katholiken standen bei Puritanern in dem Ruf, unmoralische Wüstlinge zu sein, die zur Beichte gingen, um dann wieder sündigen zu können.”
Mai 16th, 2016 at 17:59
Sehr guter und passender Artikel. ich werde ggf. da mal anknüpfen.
Mai 16th, 2016 at 18:32
@12
Mit dem Aufstieg des “Paulus” haben sich damals allerding die meisten der ursprünglichen Ideen ins krasse Gegenteil verkehrt. Wenn man so will, hat er den richtigen Obrigskeitsglauben in die christliche Religion gebracht…
Mai 16th, 2016 at 18:43
Ich glaube nicht an den Einfluss Einzelner. Wenn sich etwas durchsetzt, dann weil es seine Zeit hat.
Mai 16th, 2016 at 23:00
Es ist seltsam: Ich habe Theologie studiert, habe eine Lehrerausbildung: ev. Religion, Deutsch und Philosophie, habe aber stets eine große Distanz zur Kirche und zur Schule gehabt. Das heißt, ich habe zwar das 1. und 2. Staatsexamen erworben, aber habe danach die Schule gemieden. Kirche ist für mich unerträglich. Die schlimmste Gruppe die ich als Leiter der guided tours auf der DOCUMENTA IX hatte, war eine, die aus Pfarrern bestand. Diese Menschen hatten ein geschlossenes Weltbild und waren nicht offen für ihnen bis dato unbekannten Denkweisen.
Mai 17th, 2016 at 02:16
@oblomow #21: Danke für den Hinweis auf die drei Artikel von T.Konicz (von 2013) – selbst wiederum weiter mit nützlichen Hinweisen gespickt – äußerst lesenswert!
Mai 17th, 2016 at 06:48
OT: In den internen newslettern der nsa, die von Greenwald und seinen Leuten veröffentlicht wurden, finden sich Passagen zu Guantánamo, die aus Reisekatalogen zu stammen scheinen: tweet
water skiing and boarding … relaxing is easy
Milestone reached: For Obama, an Unexpected Legacy of Two Full Terms at War
President Obama came into office seven years ago pledging to end the wars of his predecessor, George W. Bush. On May 6, with eight months left before he vacates the White House, Mr. Obama passed a somber, little-noticed milestone: He has now been at war longer than Mr. Bush, or any other American president. [..]
“War doesn’t exist anymore, in our official vocabulary,” Mr. Gordon said. [..]
Die Friedrich Ebert Stiftung meint, wir sollten mal diskutieren: Wachsende Ungleichheit als Gefahr für nachhaltiges Wachstum (pdf, 16 S.)
Umverteilungs-Blabla.
Mai 17th, 2016 at 20:42
Natürlich ist die Idee, wir könnten durch Umverteilung wieder ein ‘schönes nachhaltiges Wachstum’ bekommen und alles wäre in bester Ordnung, grober Unfug. Dennoch würde ich Umverteilungspolitik jederzeit unterstützen, da sie durchaus auch für weiterführende Perspektiven ‘konstitutiv’ sein könnte. So zB allein schon für die Minderung der ständigen Existenzangst, die immer mehr Menschen davon abhält, sich überhaupt noch ‘politische’ Gedanken zu machen, geschweige denn dafür tätig zu werden. Auf ähnliche Weise könnte die Lähmung zumindest angegangen werden, die sich aus der ständigen Verschlechterung der Lebensbedingungen ergibt – indem schlicht gezeigt wird, dass es doch noch Alternativen gibt. Das könnte also schon mal zweifach ‘belebend’ wirken.
Ein weiterer nicht uninteressanter Punkt ist der, dass Umverteilung natürlich zu Lasten der ohnehin angeknacksten ‘Profitrate’ gehen würde – es könnte sich auf diese Art zeigen, dass die Forderungen nach sowohl einem ‘menschenwürdigen’ Lohn wie auch die des Kapitals nach ausreichend Rendite längst strukturell unvereinbar geworden sind. Ganz so, wie es Peter Frase in seinem Blog schrieb: ’15$ Mindestlohn sind unbezahlbar? Großartig!’.
Mai 17th, 2016 at 23:54
Hi @ Peinhard
Auf einer belebten Vorstadtstraße rollte mir heute nachmittag ein silbernes Tablett vor die Füße, worauf ein Plastikteller mit einem Burger befestigt war. Das Gefährt gab einen quiekenden Ton von sich, dazu blinkte der Preis, den ich (kurzsichtig) nicht erkennen konnte. Als ich mich bückte, packte ein Gestänge meinen Kragen und riss mich hoch. Auch das Gestänge hielt mir einen tropfenden Burger unter die Nase, forderte meine Karte, quiekte intensiv und schnarrte “DD, schönste Stadt, Kredit, du gut, du schön, du Kredit, Debt!” Ich riss mich los.
Aus dem Fenster der Bahn, in die ich in Panik gesprungen war, sah ich wie das Gestänge meinen Hemdkragen aus seinen Fingern zu schütteln versuchte, aber es war zu spät. Aus allen Richtungen flogen Drohnen auf das arme Burgergepenst zu und wedelten mit T-Shirts und Hemden und ich sah noch, wie ein Drahtverhau mit aufgespannten Hosen von der anderen Straßenseite heranfegte.
Eine gelbe Blechdose schnarrte mich an: “Deinen Fahrausweis pitte!” Ich hatte keinen. Und schon landete ein Hubschrauber auf dem Dach der Bahn.
Jedenfalls könnt ihr mich nicht am Kragen packen, dachte ich.
Mai 18th, 2016 at 08:33
@Peinhart: Zwei Dinge zur Antwort.
1. Die Bedeutungslosigkeit sozialer Ungleichheit
Gleichheit ist ein gedankliches Konstrukt. Politik, die Menschen einander gleichmachen will, ist zum Scheitern verurteilt
2. Im gleichen Buch (#17) schreibt E. Wehling ab S. 107:
Die Idee, dass wir Steuern an den Staat als eine von uns getrennte Entität zahlen, anstatt sie als unseren Beitrag zu einer Gemeinschaft zu sehen, mit der wir uns grundsätzlich verbunden fühlen, geht Hand in Hand mit dem Begriff der »Umverteilung«.
Das Wort aktiviert nämlich den Frame des Verteilens, und nicht den des Teilens. Die beiden mögen auf den ersten Blick relativ austauschbar erscheinen. Sind sie aber nicht! Denn der Frame vom Verteilen profiliert eine Instanz, die Objekte an Dritte verteilt. Zum Beispiel so: »Peter verteilt den Geburtstagskuchen. Der Frame vom Teilen hingegen profiliert eine Gruppe, die untereinander teilt. So etwa: »Die Kinder teilen sich den Geburtstagskuchen.«
Nun ist es ja tatsächlich so, dass »der Staat« derjenige ist, der Steuern erhebt und entscheidet, wofür das durch unsere Steuerbeiträge zusammengekommene Geld ausgegeben werden soll, der Schulen und Kindertagesstätten einrichtet, Förderprogramme auflegt, Sozialleistungen auszahlt und vieles mehr. Nur – er tut all dies aufgrund demokratisch beschlossener Gesetze mit den Bürgern und im Auftrag der Bürger.
Was hat es also damit auf sich, wenn wir von Umverteilung sprechen? Man könnte auch, wenn man wollte, davon sprechen, dass die Gemeinschaft »untereinander verteilt«. Aber so wird der Begriff in unseren Debatten nicht genutzt, es geht um die »Umverteilung durch den Sozialstaat« (SCHÄFER in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.1.2015).
Der Begriff »Umverteilung« ist in mindestens zweierlei Hinsicht interessant. Erstens: Der Staat wird als vom Bürger getrennte Entität begreifbar gemacht. Auf dieses Phänomen habe ich auch bei einigen der Frame-Analysen in Kapitel 4 hingewiesen. Zweitens: Die Idee des Miteinander-Teilens findet gedanklich nicht statt. Den Bürgern werden sowohl die Handlung selbst als auch die dahinterstehende Handlungsintention abgesprochen.
Ganz ähnliche Schlussfolgerungen legen übrigens auch Frames nahe, die über Begriffe wie »freie Bildung« aktiviert werden. Es heißt dort eben nicht »gemeinschaftlich finanziert«.
Und nicht zuletzt impliziert der Begriff »Umverteilung« über das Affix »um-«‚ dass die Güter (auch metaphorische Güter wie etwa Zugang zu guter Bildung) bereits fest verteilt sind. Umverteilung wird als ein Eingriff in einen vermeintlich festgeschriebenen Zustand der Güterverteilung begreifbar gemacht. Das bedeutet zwangsläufig auch, dass denen, die Güter haben, etwas weggenommen werden muss, woher sollten sonst die umzuverteilenden Güter stammen.
Der Frame blendet aus, das die Verteilung metaphorischer und tatsächlicher Güter in unserer Gemeinschaft ein Prozess ist, in dem und über den demokratisch immer wieder neu entschieden wird. Er blendet aus, dass niemandem etwas weggenommen wird, was ihm eigentlich zustünde, dass einmal erworbene Rechte nicht unantastbar sind, seien es die Rechte derer, die bisher von unserer Gesetzgebung profitiert haben, seien es die Rechte derer, die künftig mehr profitieren sollen.
Das Affix »um-« hat zudem in unserer Alltagssprache oft, wenn auch nicht immer, die Bedeutung, dass etwas um 180 Grad gedreht wird, sich nicht nur unten und oben etwas angleichen, sondern verkehren – ein 2-Euro-Stück »umdrehen«, den Garten »umgraben«, das Ruderboot »umkippen«. Das mag dazu beitragen, Ängste vor einer Umverteilung zu schüren.
Ab und an lohnt es sich, in unser Grundgesetz zu schauen, zumal, wenn man um die richtige Formulierung ringt. Dort heißt es in Art. 20 Absatz 2: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.« Diese Organe brauchen wir, um als Volk von mehr als 80 Millionen Bürgern handlungsfähig zu sein, so wie jeder Verein seine Vereinsorgane hat.
In Abwandlung des Spruches »Wir sind das Volk!« sollten wir uns fragen, ob es nicht unserem Selbstverständnis in einer Demokratie entspräche zu sagen: »Wir sind der Staat!« Dann wäre sowohl in unserem Selbstverständnis, als auch in unserer Sprache kein Raum für die Idee des Staates als eine von uns getrennte Entität, mit allen Konsequenzen – zum Beispiel würden wir »von jedem von uns seinen Steuerbeitrag einfordern«, anstatt »von dem Staat zur Kasse gebeten zu werden«.
tl;dr: »Verteilen« impliziert, es gebe eine feste Quantität von Objekten, von denen jeder in einer Gesellschaft im Sinne der Gerechtigkeit etwas erhalten sollte.
Die Progressiven wollen allen den gleichen Anteil zukommen lassen, während die Konservativen sich auf die per se vorhandene Ungleichheit der Menschen berufen und jeder sich “das Seine” gemäß seiner Fähigkeiten und Kräfte in Freiheit holen soll.
Das ist beides Quark, denn zum Einen ist die Menge an zu verteilenden materiellen und immateriellen Gütern nicht konstant und zum Anderen wissen wir, dass die Startbedingungen darüber entscheiden, wer im “Rennen um die Verteilung” eher gewinnen und wer eher verlieren kann. (I’m lost in frames …)
Außerdem müsste man sich Gedanken machen, ob man den Staat als stets wachenden Richter externalisiert oder ob man nicht selbst der Staat ist.
Mein Fazit: Wer von “Verteilen” spricht, stellt nichts infrage und hat schon verloren. Oder will verlieren?
Mai 18th, 2016 at 14:14
@ R@iner
Ich bin demnach Teil dieses Staates, die Dokumente belegen dies: Personal. Allererste Aufgabe die ich und diesbezüglich alle anderen hier höchst selbst zu erledigen haben: Die Würde des Anderen nicht anzutasten.
Da hier bereits das erste handfeste Versagen zu Tage tritt, wo immer man auch hinschaut, braucht man sich an anderen, tiefer gelegten Punkten, gar nicht abarbeiten. Oder doch?
Mai 18th, 2016 at 15:35
Zitat des Tages ganz passend: “Gib Deinen Kunden 3% Zinsen auf ihre Einlagen, verlange 6% für einen Kredit, mach um Drei Feierabend und geh dann Golf spielen. Würden alle Banker so handeln; uns wären die ganzen Crashs, Krisen und milliardenschweren Rettungspakete erspart geblieben.”
Drei Prozent Wachstum® pflückt der Soz nämlich vom Baum.
Mai 18th, 2016 at 16:38
@Rainer – Obwohl ich mir den Schuh, den Terminus ‘Umverteilung’ unreflektiert gebraucht zu haben, durchaus anzöge – als ‘Antworten’ würde ich das nicht betrachten. Mir ging es um mögliche positive Auswirkungen dessen, was ‘allgemein’ als Umverteilung bezeichnet wird. Das kann man gerne und auch mit Recht anders bezeichnen wollen, aber ändert das etwas an den Effekten?
Im übrigen ist das Verlinkte wie das Zitierte zwar durchaus anregend, aber auch verwirrend und widersprüchlich, an erster Stelle würde ich eine Vermischung dessen was ist mit dem was sein sollte nennen. ‘Wir sind der Staat’ wäre zwar schön, ist aber nicht der Fall. Und er wird es auch sicher nicht auf rein semantischem Wege.
Und dass Abstraktionen ‘gedankliche Konstrukte’ sind, scheint mir nun auch nicht so neu zu sein, mit Verlaub. Im Falle der Gleichheit sogar ein besonders ‘uraltes’, Evolutionsbiologen sagen, glaube ich, ‘ratiomorph’ dazu und schreiben es bereits Pantoffeltierchen zu. Natürlich ist das ‘im sozialen Raum’ und als Forderung nochmal was andres, aber schon diese Differenzierungen fehlen mir da eben irgendwie.
Mai 19th, 2016 at 10:41
@Rainer – Sorry, bin auch nicht gut drauf zur Zeit.
Mai 19th, 2016 at 10:47
Wer nicht gut drauf ist, hat hier nichts verloren.
Mai 19th, 2016 at 10:50
@Peinhart: Kann vorkommen, aber vielen Dank!
Mai 19th, 2016 at 11:34
@flatter – Aber das weiß ich doch, du Gute-Laune-Spaß-Clown. :p
August 31st, 2016 at 19:09
[...] der Nationalsozialismus spross, haben wir bereits zur Kenntnis genommen, ihre antidemokratische und fanatisch autoritäre Ausrichtung ebenso. Luther war voller Verachtung für Menschen, die nicht seinem Bild entsprachen. Juden hatten [...]