Im Darkroom mit Thorsten Schäfer-Gümbel
Posted by flatter under politik[19] Comments
02. Apr 2015 12:36
Ich werde heute einmal in die Niederungen des Politikerjargons hinabsteigen. In den letzten Tagen habe ich mich gefragt, wie wohl der Aufstieg eines politischen Journalisten von innen aussehen mag. Ich mache das hier seit fast zehn Jahren, und nach so sechs bis acht davon war ich durch mit einer ‘Kritik’ des politischen Betriebs, die noch irgend etwas ernst nimmt von dem, was er an Verkündungen für das gemeine Volk absondert. Zuerst erkennt man die Propaganda, dann nennt man sie so, dann analysiert man sie vielleicht noch, und dann ist man so weit draußen, dass man es kaum mehr rekonstruiert bekommt, wie die Welt vorher aussah.
Wenn also ein Journalist, der im Grunde dasselbe Problem hat, sich ein ganzes Jahrzehnt lang oder noch länger täglich mit diesem Betrieb befasst, was passiert dann mit dem? Irgendwann muss er sich angewidert oder wenigstens gelangweilt abwenden oder er stumpft völlig ab oder er war es von Anfang an. Man darf also davon ausgehen, dass diejenigen, die es ganz nach oben schaffen, weil sie eine Ewigkeit mitmachen in diesem Theater ohne dessen Kulissen umzuwerfen, kaum eine Verlagsmeinung brauchen, um nur noch Propagandafetzen zu wiederholen. Das muss eine ihrer Kernkompetenzen sein.
Das Beispiel, vor dem ich mich heute ekle, ist im Grunde beliebig. Schäfer-Gümbel, der das rote Schreckgespenst Ypsilanti beerbte, hat der TAZ ein paar windschiefe Argumente verkauft, mit denen er seine Lebenslüge kittet. Was mich noch immer anspringt, sind Formulierungen wie:
“Menschen, die jeden Tag aufstehen, hart arbeiten, aber keine Reichtümer nach Hause bringen“.
Shades of Grey Work
Das ist sie, die Lieblingsvision der Partei der Sklaverei. “Harte Arbeit” ist das Wichtigste daran. Vielleicht nehmen wir das einmal wörtlich, um es zu verstehen. Bevor wir zum Kern vordringen, widmen wir uns der Schale: “Menschen, die jeden Tag aufstehen“. Also alle? Oder alle außer bestimmten Behinderten und Kranken? Gümbel meint hier eigentlich “früh” aufstehen, denn das ist das ursprüngliche sadomasochistische Bild, daher auch “harte” Arbeit. Hier müsste man eigentlich fragen: Gibt es auch weiche Arbeit? Bei der man den ganzen Tag sitzen oder liegen bleiben kann? Will er vielleicht Schäuble beleidigen?
Nein, es ist das Bild vom gequälten Arbeiter, der schon übermüdet aus den Federn kriecht, um dann bis zur körperlichen Erschöpfung zu malochen, eine knappe Mahlzeit verschlingt und dann wieder in die Falle fällt. Dieser Arbeiter, der optimale Mehrwertgenerator, hat nur ein Recht, nämlich sich zu erheben über jene, die sich nicht genau so quälen. Dieser Sadomasochismus ist es, was übrig geblieben ist vom Ideal der Arbeiterpartei.
Wenn Gümbel sich dann vorlügt: “Auch Menschen mit niedrigen oder ohne Einkommen arbeiten hart und wollen für ihre Kinder nur das Beste“, belegt er sein furioses Talent, Absurditäten zu jonglieren. Menschen ohne Einkommen arbeiten hart? Meint er jetzt alle? Oder nur die Hartz-Sklaven, die er aber nicht nennen darf, weil es ihn entlarvte? Aber selbst wenn man bis dorthin noch gewaltsam Sinn erzwingen kann, endet es bei den Kindern. Wenn ich ohne Einkommen arbeite, bekomme ich davon Kinder? Oder will ich für die auch das Beste, wenn ich gar keine habe?
Bis die Ohren bluten
Nein, es ist politischer Kitsch. Gebrochene Metaphern, Sprachbilder wie optische Täuschungen, die nur aus einer Perspektive funktionieren – der des abgestumpften Funktionärs, Ritter des toten Pferdes. Die Kunst der gebrochenen Scheinkritik am irrelevanten Detail beherrscht Gümbel ebenfalls, Markenzeichen jener ‘Kritiker’, die deshalb in der SPD sind, weil sie an den Tropfen auf dem heißen Felsen glauben, unerschütterlich:
“Mit dem Arbeitslosengeld II wurden Menschen, die zwanzig, dreißig Jahre lang gearbeitet haben, mit Menschen gleichgestellt, die noch nie gearbeitet haben.”
Ach was?! Die Lösung war doch gerade Hartz IV, das “aktiviert”, “fordert und fördert” und den Abstand der Sozialhilfe zu den Löhnen sichert? War das nicht das Gute daran? Dazu erkämpften sie den Mindestlohn, der dasselbe erreichen soll. Ist das also doch alles “Quatsch”? Muss das ALG II noch weiter gesenkt werden oder kennt Gümbel einen Trick, wie man die Hartz-Gesetze sonst noch anders denn als Strafe für Verlierer auslegen könnte? Und wie vor allem passt der ganze Ausdruckstanz zur Legende von der “harten Arbeit”? Wie bringt man künftig alle dazu, mitzuarbeiten? Die einzige Lösung, die mir dazu einfällt, entsteht farblich durch die Mischung von Rot und Grün.
Bis hierhin vielen Dank! Es lohnt sich mal wieder nicht. Den Rest besorgt ein Blick ins Vokabular: “Themen der arbeitenden Mitte“, “nachhaltiges Wachstum“. “Chancengleichheit“, “Gerechtigkeitslücke“, “Soziale Sicherheit” “soziale Stabilität” “Wohlstand und Sicherheit“, “Glaubwürdigkeit und Vertrauen“. Bla. Bullshit. Bingo.
April 2nd, 2015 at 13:03
…den Abstand der Sozialhilfe zu den
zuLöhnen sichert?***
TSG, der “letzte Mensch” – ob die Leute für die er beispielhaft steht, eigentlich wissen, woher der Kern ihrer Argumentation kommt? In der viktorianischen Zeit war der Käse wenigstens noch ‘organisch’, nach Abzug von “Gott”, bzw. dessen Ersetzung durch “Markt” ist die Sinnhaftigkeit nurmehr analoger Aufschnitt.
April 2nd, 2015 at 13:11
Sehe ich da exakt anders. Die Ersetzung von Gott durch Markt ist nicht bloß oberflächlich. Das sieht nicht nur so aus und riecht wie Religion. Ähnlich wie Rock’n Roll ohne Rock’n Roll kommt der Monotheismus auch ohne Gott bestens zurecht. Die Ordnung ist Selbstzweck.
p.s.: thnx for horst ;-)
April 2nd, 2015 at 13:18
Ritter des toten Pferdes, fest mit seinem Unterbau verwachsen west er dahin. Schönes Bild. :)
April 2nd, 2015 at 16:46
Ich hab zusätzlich beim Satz: “Die neoliberale These, mehr Ungleichheit produziere mehr Wohlstand für alle, ist widerlegt.” – irgendwie das nervöse Zittern bekommen. “These”. Man könnte auch sagen, die wilde Spekulation mit offenem Experimentierfeld an Menschen fürs Wachstumsziel, ist wiederlegt. Mit dem Menschenbild und Trial-and-Error Spieleverhalten mit Legobausteinen, was diese Lüdden so auf die Kante bringen…….
April 2nd, 2015 at 18:42
Wer ist Thorsten Schäfer-Gümpel?
Bis in die französischen Medien hat er es noch nicht geschafft.
Mit harter Arbeit, dabei arm bleiben und sich trotzdem den Arsch verrenken, damit es der eigenen Brut mal besser geht, so dumm sind sie dann doch nicht, die Franzosen, um nicht zu kapieren, dass ihnen der berühmte Bär aufgebunden werden soll.
Also blasen die Trompeten der Sozialisten immer wieder hinaus, wir halten unnachgiebig an Reformen fest.
Der Treppenterrier von Hollande, Valls, verkündet dann auch nach dem Wahldebakel mit geschwellter Brust: Beschäftigung, Beschäftigung, Beschäftigung, daran halten wir fest.
Was sie damit meinen, erschliesst sich nur, wenn man die ständigen Verweise auf die sog.deutschen Erfolge in der Arbeitsmarktpolitik einbezieht.
Dann wird vielleicht auch deutlich, vielleicht auch nur Wenigen, welche Rolle die parlamentarische Linke in der derzeitigen Politik spielen darf.
Wer braucht diese falschen Freunde noch? Ich brauche sie nicht!
April 2nd, 2015 at 20:30
Weil ich gerade noch so gut aufgelegt bin, eine weitere unbedeutende Geschichte, was mit Sozialisten alles möglich wird.
Ein Gesetz wurde gerade verabschiedet, dass Eltern mit zwei Jahren Haft und 30.000 Euro Strafe bedroht, die ihre Kinder nicht impfen lassen.
Impfen heisst hier mit 6 Wochen den 6er-Pack, nach weiteren 3 Monaten die sog. Auffrischung, da weht frischer Wind ins Blut, und nach weiteren 3 Monaten nochmals frischer Wind hinnein.
2 Babys sind nach einer Impfung gegen Gastroenterites mit den Impfstoffen Rotaria und Rotateq verstorben. Kein Grund innezuhalten! Nein! Jetzt erst recht weiter so.
Unsere Hausärztin ist zur Bundesärztekammer nach Paris geladen, weil sie angezeigt wurde, über die Risiken einer Impfung aufgeklärt zu haben und selber nicht impft. So wie die Dinge stehen,wird sie ihre Zulassung als Ärztin wohl verlieren, nachdem sie in einem angeblich vertraulichen Gespräch mit einem sog. Amtsarzt schon mal als allgemeingefährlich für die Menschheit eingestuft worden ist.
So ich bin jetzt wieder weg. Bin nur noch müde von diesem ganzen Dreck, der täglich auf mich einstürzt.
April 2nd, 2015 at 21:10
flatter, hömma, Du hast das Tüpfelchen auf dem i glatt vergessen die “Chancengerechtigkeit”!
April 3rd, 2015 at 14:15
@flatter(2): Schönes Ei, daß du mir da ins Körbchen gelegt hast – muß ich erstmal heideggern. Danke dafür, auch wenn es mir wohl das Wochenende ‘versaut’ (wie ist jetzt noch entspanntes Saufen drin?).^^
April 3rd, 2015 at 16:39
@troptard:
was ist das denn für ne gruselstory? hast mal quelle parat?
April 3rd, 2015 at 18:32
“Es lohnt sich mal wieder nicht.”
Genau so ist es. Bullshit-Bingo, Buchstaben-Lego und Phrasendrescherei ohne Substanz. Selbst die Analyse ist schon zuviel der Ehre.
April 3rd, 2015 at 20:58
Sehr verehrte Reisende,
ihr Lokomotivführer begrüßt die zugestiegenen Fahrgäste aus Lummerland. Als Reiseroute hat die erste Klasse für sie ein besonders unwegsames Gelände gewählt. Um die Anhöhen zu überwinden, bitten wir unsere Gäste aus der zweiten Klasse, ihr Reisegepäck aus dem Fenster zu werfen. Da uns auf halber Strecke die Kohle ausgeht, bitten wir Freiwillige zu bestimmen (harhar), die sich zum Verheizen beim Schaffner melden.
Für Beschwerden ist ihr Zugbegleitpersonal leider nicht zuständig, richten sie diese bitte gegebenenfalls an Herrn Tur Tur, unseren Scheinriesen aus dem Beschwerdemanagement.
Für unsere Gäste aus der ersten Klasse stehen Büffeltrüffelhäppchen bereit, die unser Chefkoch Schu Fu Lu Pi Plu für sie kredenzt, und das königliche Symphonieorchester, unter Leitung von Schildnöck Uschaurischuum, heißt sie in unserem Konzertwagon herzlich willkommen.
Die zweite Klasse bitten wir, sich nicht den Wilden 13 anzuschließen, die in diesen Gefilden wüten, da wir Sympatisanten ins Tal der Dämmerung hinabstoßen müssen. Wir bitten herzlichst um ihr Verständnis.
Gute Reise wünscht ihr Lokomotivführer. Tüüt-tüüt.
April 4th, 2015 at 03:39
ich meinte doch schon gelegentlich, dass snowpiercer die beste parabel seit langem zum thema ist. (sorry, but i fucking love this movie)
April 4th, 2015 at 13:32
Da hier keiner Lust auf die Mannen der spd hat … Wie wäre es mit einem Interview mit Winfried Kretschmann: Zeit online, “Ich habe zu eng geglaubt”
Schon toll, wenn ich mir anschaue, wie die Grünen in BaWü mauern, wenn es ums Informationsfreiheitsgesetz geht. Oder der noch: Da haben sie endlich einen Untersuchungsausschuss für die nsu-Morde gegründet und der erste Grüne nahm dann mal ein paar Originalakten mit nach Hause, weil er meinte, er wolle sich das in Ruhe durchlesen und das wäre doch gar nicht so schlimm. Naja, jetzt isser raus.
@DKT: Kennst Du schon “The Zero Theorem”?
April 4th, 2015 at 15:12
*würg* Danke vielmals!
April 4th, 2015 at 15:25
@flatter: Da ärgern sich auch andere drüber: Betroffene aus Baden-Württemberg nehmen Stellung
April 4th, 2015 at 18:27
@r@iner: ne, immer noch nicht (und das als alten gilliam-addict), steht aber auf der liste ganz oben (preisfrage: wo in snowpiercer ist in plainsight die hommage an den filmgrossmeister der groteske untergebracht?).
April 4th, 2015 at 20:42
OT: Wie süß: Fefe plädiert für Vernunft in Diskussionen.
April 8th, 2015 at 16:13
@flatter, nochmal kurz (und fad) zu 2.:
*nod*, und thnx für die Justage.
Die Unterschiede die ich sah, sind, wenn auch nicht belanglos, so doch hinsichtlich der eigentlichen Frage sekundärer Art.
April 16th, 2015 at 08:10
”Sprachbilder wie optische Täuschungen, …”
Hoffentlich mal keine Täuschung, ab Juli besteht große Hoffnung für Deutschland!