Wenn man in diesen Zeiten lebt, wird man sehr schnell sehr alt. Jahrhunderte alt. Was ich allein in den letzten zehn Jahren an Jahrhundertwettern erlebt habe, dafür muss in normalen Zeiten ein Stein verdammt lange vor sich hin erodieren. Ich habe am vergangenen Montag einen Sturm erlebt wie noch nie in meinem Leben. So etwas gibt es hier eigentlich gar nicht. Man hätte es ahnen können: Das Pfingstwochenende war “das heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“.
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Schon in der Nacht hatte ich erlebt, wie uns eine halbe Tanne in den Garten geworfen wurde und der Essigbaum sich endgültig flachgelegt hatte. Am nächsten Tag bin ich dann noch einmal um den Block gezogen, zum Festivalgelände und zurück. Kaum drei Schritte gelaufen, lag der erste halbe Baum auf der Straße. Hundert Meter weiter lehnte einer entwurzelt am Brückengeländer, gegenüber ein anderer. Eine Birke ruht derweil auf einem Haus. Zweihundert Meter.
Unten an der Ruhr überall dasselbe Bild: Die Welt ist grün, nur irgendwie tiefergelegt. Verwüstung. Kyrill, der “Jahrhundertsturm” von 2007, war ein lauer Fön dagegen. Der hatte sicher eine größere Fläche betroffen als nur das halbe Rhein/Ruhr-Gebiet, aber bei diesem Kahlschlag hier fehlen mir die Worte. Ach, ich habe oben noch den Biergarten vergessen, der war übrigens offen, als die Hölle aufbrach. Das Festivalgelände kann man kaum richtig darstellen, denn das Grün hier unten, das aussieht wie Büsche, täuscht. Es gibt hier keine Büsche, das ganze Zeugs kam von oben auf die panische Masse herab. Der Weg zum Ausgang ist besonders dicht mit Gehölz bestreut. Die Bühne (Bild oben) ist verdammt stabil gebaut, der hat es nur die Segel komplett zerfetzt.
Zum Festival ist noch zu sagen, dass die “Love Parade” hier für sehr gute und notwendige Änderungen gesorgt hat. Dass da keiner zu Tode gekommen ist trotz der verheerenden Umstände – Hut ab! Früher war das ein völlig überfüllter enger Schlauch. Hätte wenn und wäre das vor ein paar Jahren passiert, gäbe es eine Riesentrauerfeier.
Ich bin gestern durch die Stadt gefahren und habe viel telefoniert. So wie hier sieht das überall aus, Rheinruhr fährt einspurig und ohne Oberleitungen. Dieses Monster von einem Gewitter wird nicht das letzte seiner Art gewesen sein. Es wird kuschelig, und das Wort “Klimapanik” bekommt eine nette neue Wendung. Ob wir daraus lernen? Wie immer jein. Dass der Kioskmann mitten in der Nacht seinen Laden aufgemacht hat und plötzlich Leute miteinander reden, die sich sonst kaum grüßen, ist schön. Dass das größte Problem der meisten zu sein scheint, dass sie pönktlich!! am Arrbeitsplatz zu erscheinen haben und dass sie ernsthaft Sanktionen befürchten, das Übliche. Et hät noch immer jootjejange.
Juni 11th, 2014 at 13:57
Ein paar stramme Sturmböen und halb Deutschland steckt im Verkehrschaos, bzw. wird unter Bäumen begraben. Nur war das nichts wirklich Wildes (vor fast genau einem Jahr hatten wir hier einen Wolkenbbruch, bei dem man im Freien in Luftnot kam) und kommt in Zukunft noch deutlich öfter, also seid bereit. Bei all der Hilflosigkeit und der genussvoll zelebrierten Betroffenheitsberichterstattung auf allen Kanälen, frage ich mich, wer eigentlich glaubt, dass wir einer echten Katastrophe gewachsen sind. Kürzlich las ich noch irgendwo, dass es tatsächlich so etwas wie Pläne für “havarierte” Atomkraftwerke in NRW gibt und dass deren Evakuierungsradien endlich mal eben verdoppelt (oder so) wurden. Wie man nun aber mal eben eine Million Menschen (optimistisch gerechnet wenn der Wind mitspielt) evakuiert, unterbringt und versorgt, funktioniert weder im Planspiel – noch in kleinem Maßstab bei einem strammen Lüftchen mit mittelprächtigem Gewitter.
Aber hast recht: Wichtig ist, rechtzeitig im Büro zu sein.
Juni 11th, 2014 at 13:59
“Nur war das nichts wirklich Wildes” – ähm, wo fängt das bei dir an? Wenn die Erdkruste brennt?
Juni 11th, 2014 at 14:12
Nehmen wir mal an, wenn zB die Stromversorgung großflächig so beschädigt wird, dass die Wiederherstellung Tage, wenn nicht Wochen in Anspruch nimmt…
Juni 11th, 2014 at 14:23
Ich dachte, wie reden übers Wetter und nicht über mögliche Weltkriege …
Juni 11th, 2014 at 14:47
Relativieren bringt in dem Zusammenhang vielleicht nix. Das ist wie mit dem neuen Buch von Krischan W.. Was für ihn “ganz unten” bedeutet, wäre für viele die Erfüllung ihrer Lebensträume.
Juni 11th, 2014 at 15:12
»…wo fängt das bei dir an? Wenn die Erdkruste brennt?…«
@2. flatter: Gut, bleiben wir beim Wetter. Tatsächlich war Kyrill 2007 ein anderes Kaliber und hat gleich europaweit großflächig Weideland geschaffen – und das im Winter, wo die Bäume mangels Laub noch nicht soviel Winddruck aufnehmen.
Ich frage mich, ob es irgendwas aus der aktuellen Situation zu lernen gibt, bevor die nächsten dicken Wetterlagen übers Land rauschen. Im deutschen Osten gibts seit einigen Jahren ja schon bis heute noch weitgehend unbekannten Tornados zu bewundern.
…gerade im Radio: Lt. Deutsche Bahn sind die Schäden am Streckennetz “verheerend” – schlimmer als bei Kyrill!
Die haben in den letzten 7 Jahren schon mal nichts gegen zukünftige Situationen getan.
Juni 11th, 2014 at 16:05
Ob es daraus etwas zu lernen gibt? Ein entschiedenes Nein! Vor einiger Zeit dachte ich noch, Menschen lernten bestenfalls aus Katastrophen, aber selbst das ist hinfällig. Da brauche ich nur meine Nachbarn fragen, die wischen alles weg mit “das war schon immer so”, egal ob es um Überwachung, Klimakatastrophen, Mord und Totschlag geht.
Wehe, da fragt noch einer nach Evakuierung und Versorgung in Katastrophenfällen, schließlich gilt bei jedem Problem das Prinzip der Eigenverantwortung©, siehe auch nach unter “selbst schuld!”, “war schon immer so”, “hilf dir selbst, sonst hilft dir Gott”, etc.
Juni 11th, 2014 at 17:04
@7, Maxim
Das kenne ich nur zu gut dieses, “das hat es schon immer mal gegeben” und dann erzählt mir meine Beste, dass sie im Fernsehen nach einer Naturkatastrophe die Betroffenen vorführen.
Die Häuser voller Schlamm, die Dächer abgedeckt aber dennoch nicht deprimiert. Mit der Schaufel in der Hand, kommt da sogar noch ein Lächeln über die Lippen!
“Ja tragisch wäre das alles schon, aber jetzt müsste man erstmal aufräumen und die Solidarität unter den Menschen, die wäre noch nie so gross gewesen wie gerade jetzt.”
Sicherlich hat man die ausgeblendet, die andere Töne angeschlagen haben. Nicht alle können so blöd sein und nichts merken.
Aber mir gehen diese (französischen) Dumpfbacken mächtig auf den Keks.
“Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott.” Die Versicherungen erhöhen ihre Risikoprämien und diejenigen, die sie sich nicht mehr leisten können, denen hilft weder Gott noch der Staat.
Heute 34° im Schatten. Viel zu heiss für den Beginn des Monats Juni. Und hier gibt es noch nicht einmal öffentliche Schwimmbädder, so zum abkühlen… .
Juni 11th, 2014 at 17:08
Nachbarschaft zu Düsseldorf. Man konnte keine fünf Meter mehr schauen, nur noch eine Wand aus Regen und was der Orkan so mitgetragen hat. Hier hat´s die Bäume zu hunderten entwurzelt oder gespalten. Dann ein Blitzlichtgewitter, das den Namen verdient. Stromausfall in diversen Stadteilen, auch in der Nachbargemeinde, ich hatte einen Logenplatz im 7. Stock mit Blick in drei Himmelsrichtungen. Dann heulten die Sirenen und bis in den Morgen lalüte es in der ganzen Gegend.Ich weiß ja nicht, ob andere so arschcool sind und das mal eben zu den Akten legen. Ich hab richtig, richtig Schiss gehabt. Braucht keiner. Die Menschen waren geschockt. Jeder hat gecheckt, ob seine Leute heil durchgekommen sind. Was wir draus lernen ? Daß der Klimawandel läuft ? Geschenkt.
Juni 11th, 2014 at 17:54
Für klamme Kommunen kann das richtig teuer werden, denn beim Bau von Infrastruktur wird dieses “Jahrhundert…” mehr als nur Klamkauk. Da gilt die hydrologische Statistik für die Häufigkeitsverteilung extremer Niederschlagsereignisse. Nach der wird dann sagen wir mal für eine Brücke, für die im Bebauungsplan eine gewisse Benutzung veranschlagt wird, eine dementsprechende Auslegung auf extreme Ereignisse fällig.
Mit anderen Worten: werden die Jahrhundertfluten von gestern zu dekadischen Geschehnissen von heute, dann müsste nach geltendem Recht bald jede kleine Baumaßnahme auf Noahs Sinflut hin geplant werden. Somit gibt es einiges Interesse, die Statistik da erstmal nicht zu aktualisieren (gutdeutsch den “Wiederkehrsintervall des Bemessungsniederschlags”) und uns in diesem Jahrzehnt noch weitere Jahrtausendereignisse zu ermöglichen. Es liegt also nicht nur am Journalismus, das Wetter wird wohl auch so extrem, dass die bisherigen Methoden zur statistischen Festlegung eines Extremereignisses einfach nicht mehr taugen. Die Welt verändert sich einfach zu schnell für die Behördenmathematik.
Juni 11th, 2014 at 18:35
Mannmannmann, ich hause ja eher an den Randgebieten und mir hats schon gereicht. So einen Flurschaden hatte ich auch noch nicht erlebt und mir ist zwischendurch verdammt mulmig geworden – so ein Blitzeinschlag in 50 Meter Entfernung scheppert ganz ordentlich und als die Platanen von der anderen Straßenseite bedrohlich an zu krachen fingen, uiuiui. Aber in BO/D/E etc. muss es ja richtig zur Sache gegangen sein, meine Fresse!
Aber Hut ab vor Feuerwehr, Polizei, THW und vor allem den hiesigen städtischen Servicebetrieben! Die haben reingehauen wie die Berserker und das Gröbste schon heute wieder im Griff gehabt. Sogar die Schwimmbäder waren z.T. wieder geöffnet.
Juni 11th, 2014 at 19:56
Was ich soll ich sagen? Hey, – ihr Nordiker in der Mitte? Bissken was Elementares mit bekommen? Oooooch. Das tut mir aber ganz furchtbar leid.
Juni 11th, 2014 at 20:46
Geh kacken eb !
Juni 11th, 2014 at 20:49
@piet. Hab ich schon gemacht. Mehr bleibt auch nicht übrig.
Juni 11th, 2014 at 21:05
Dummes Getrolle.
Juni 11th, 2014 at 21:07
Ok, – damit kann ich leben.
Juni 11th, 2014 at 21:07
@Marcus(10): Ja, da müssen die Kommunen jetzt feste sparen.
Juni 11th, 2014 at 21:48
OT: 28J Global Call: SOZIALE BEWEGUNGEN SIND KEIN VERBRECHEN, INTERNATIONALE SOLIDARITÄT GEGEN REPRESSION!! [DE]
Wer in der Nähe eines span. Dingseriats wohnt und am 28. hingeht, erhält eine Lavalampe.
Im Ernst: Die Geschichte mit dieser Verurteilung (Carlos und Carmen) ist echt der Hammer. Heute mussten die beiden ihre Gefängnisstrafe antreten.
Juni 12th, 2014 at 18:06
Frank Schirrmacher ist tot.
Juni 12th, 2014 at 19:02
Schock!
Juni 12th, 2014 at 19:11
Dieser Sturm kann an Genialität kaum überboten werden. Selten soviel geballte Blödheit in der breiten Masse gesehen. Da fahren Tausende Leute in Sackgassen rein, die ausgeschildert sind als gesperrt und wundern sich dann, dass da nach einem km tatsächlich ein Baum auf der Strasse liegt und es wirklich oh oh Wunder nicht weiter geht. Ich verwette sogar meinen Arsch darauf, dass am nächsten Tag wieder eine Vielzahl von Leuten dabei sind, die es bereits den Tag davor versucht hatten.
Oder das nette Rentnerpaar, dass am Tag danach Blumen kaufen fährt… klar, war ja auch nirgends zu erfahren, dass in Düsseldorf gar nix mehr geht und die Leute sogar ihre Autos einfach stehen lassen und zu Fuss weitergehen… Blumenkaufen geht da vor.
Oder die beiden Genies bei mir um die Ecke, die tatsächlich kaum glauben konnte, dass das Unterbacher See Freibad an dem Tag doch eher ein wenig zu ist… usw, usf…
Die Krönung aber war ein Autofahrer, der in einer Schlange Stossstange an Stossstange mit einem Freund stand, ausstieg und den Kollegen anranzte, warum er denn bitte sehr nicht weiterfahren würde… wohlgemerkt direkt davor ein Haufen weiterer Autos im Stau.
Primaten sind glaube klüger als wir.
Juni 12th, 2014 at 19:16
»…Primaten sind glaube klüger als wir…«
Offensichtlich stammen wir doch eher von den Lemmingen ab.
OT: Schirrmacher Tod ist wirklich ein Verlust! Sein “Methusalem-Komplott” basierte zwar weitgehend auf falschen Zahlen und Interpretationen, hat damals aber eine spannende und überfällige Diskussion losgetreten.
Juni 12th, 2014 at 21:23
# 19
Habs gegen 19 Uhr im Radio vernommen. Bei Maggie Thatcher dachte ich noch, “toll, 30 Jahre zu spät”, aber hier blieb mir tatsächlich nur ein sprachloses “oh”. Ganz ohne Zynismus
Juni 13th, 2014 at 03:00
wenigstens legt sich der Sturm im Wasserglas der Medien kurz vor solchen Ereignissen. 2007 wäre noch pönktlich ein Jahrhundertname für den neuesten Jahrhundertsturm publiziert worden.
Heute redet man davon das Pfingsten schön wird, Schönwetter zum Sonnenbaden. Wohl auch, um nicht auf die Entwicklungstendenzen hinweisen zu müssen.
Juni 14th, 2014 at 10:48
Ein Nachtrag noch. http://www.derwesten.de/staedte/essen/fluechtlinge-kuemmern-sich-um-durchnaesste-festival-besucher-aimp-id9464088.html klasse