Wir waren härter. Zum Beispiel Schuhe – keiner wäre auf die Idee gekommen, auf Chucks zu einem Konzert zu schluffen. Springerstiefel, ja, oder irgendwas mit Stahlkappen halt. Chucks sind geil – super zum Fusseln aus dem Teppich Bürsten, da gibt es nichts Besseres. Aber für ein Festival? Never!
Tanzschule fand ich scheiße, schon weil ich kichernde Ischen scheiße fand. Die Dreißigjährigen haben sich nicht für mich interessiert, als ich im Tanzschulalter war, also war erst mal nix mit Mädels. Wäre aber eh fürn Eimer gewesen, gab es doch weit und breit keine einzige Tanzschule, in der sie Pogo angeboten haben.
Pogo. Mit allem. Mühle, Kick und Ellbogen. Wer kein Blut sehen kann, ist hier falsch. Das hat übrigens nichts mit Gewalt zu tun, schon gar nicht mit Feindseligkeit, ihr Pussies. Das ist Völkerfreundschaft. Man nimmt es sich nicht übel. Passiert halt. Wenn einer fällt, ist er vorher geflogen. Alles gleicht sich aus. Niemand tritt drauf. Wer drauftritt, ist raus. Ist? War. Kennen die Schnösel nicht mehr. Kein Blut sehen, aber drauftreten. So sind die heute drauf. Jugend von heute – war schon immer nichts wert.
Wovon redet der alte Mann? Na von früher, wovon sonst? Der Jungspund hier hält sich ja auch schon für alt und lallbackt einen von “damals”. Hält sich für patiniert, weil er “HWS” hat. HWS hatte ich schon vor meiner Geburt. Und Hüfte. Brustwirbel, Füße. Alles. Na und? Ich mische heute noch 50/50. Ein Gramm Ibu, ein Gramm Diclo, und der Tag ist mein Freund. Also geh’ ich jetzt mal gucken, was die Schnöselei beim Open Air nebenan macht.
Aha, umsonst, draußen und voll, also zu. Nein, nicht besoffen, das auch. Geschlossen! Keiner kommt mehr lebend rein, sagt der Sicherheitsmann. Jugend schnöselt nicht lange und findet Gefahr. Guut! Gebt euch ganz eurem Hasenhirn hin!
Auf der Tanzveranstaltung, deren Finanzierung nebulös bleibt, gibt es gar einen Hauptakt mit Schlager aus dem Radio. Braucht kein Mensch. Independent ist angesagt. Und radikal. Extremistisch. Böse. Verboten. A.C.A.B.!
Immerhin gibt es hier die Blaskapelle einer Fischfabrik, der man zugute halten muss, vom VerfaSSungSSchutz für antifaschistisch gehalten zu werden. Ich will sowas auch! Sie spielen gefällige Trompetenmusik mit Guitarren und deutschem Gesang. Die Texte der sogenannten “Punkband” werden deutlich vorgetragen. Deutlich. Die Texte. Kein Gebrüll, niemand rotzt. Oppa wird pampig und spinnt stellvertretend einen Spuckefaden. Das sitzt, die Jugend gerät in Bewegung.
Laut Veranstalter ist “Crowdsurfing” verboten. Die Jugend fragt das Internet und findet heraus, dass man also nicht Gedrängewellenreiten darf. Man lehnt sich locker an den nächsten Wellenbrecher und gibt sich folgsam. Derweil wird ein Junger Mann vom Publikum auf Händen getragen. Der Arme findet wohl den Ausgang nicht, da ist man hilfsbereit. Die Identifizierung des Verwirrten anhand meiner Fotos führt dazu, dass die mitfühlenden Ordner ihn bis zum Ausgang begleiten. Nichts zu danken!
Nebenbei bemerkt sind das hier zweiundvierzig Grad – im Schatten der Kühltasche. Kein Wetter für nix. Abkühlung verschaffen nur die straffen Leiber, die sich um mich herum winden. Ich, ein reifer Mann im mittleren Alter, die anderen hier gehen gerade auf die Mittlere Reife zu. Ja, lauft ruhig über mich drüber, ich bin eh bald tot. Irgendwo laufe ich an einer Frau um die Vierzig vorbei, die mich anstarrt. Schatz, was soll ich mit einer Vierzigjährigen? Noch atme ich.
Die Jungs in meinem Alter hier sammeln Flaschen. Für Zähne hat es nicht mehr gereicht. Deo war auch aus. Alter, ich bin der Hengst vom Partyplatz! Ich knipse noch reichlich Körperwelten für später. Am Ausgang steht eine metalhörige Headbanggang ohne Scham und Barthaar und schaut mich mitleidig an. HWS hin oder her, einmal Nicken kriege ich noch hin. Einer der langhaarigen Affen blutet aus dem Zinken wie eine Sau.
Respekt. Die Jugend braucht mehr Respekt.
Juni 9th, 2014 at 21:20
Pogo …
Eben drum und nicht nur das, er bleibt auch nicht lange liegen, dem wird sofort wieder auf die Beine geholfen.
Juni 9th, 2014 at 21:56
Achgott, zu meiner Zeit – in den späten 90ern – war Punk noch eine Lebenseinstellung und kein “lol unser Bandname LOL”.
Juni 9th, 2014 at 23:18
In meiner Jugend bin ich barfuss Pogen gepogt. Ich habe mit mit verschwitzen, dicken Skins mich herumgeschubst. Ich hatte nie Blut im Gesicht dabei oder danach. Wenn ich das heute mal bei nem Konzi tue, glotzen mich die Modepunks und möchtegern-Ois verdaddert an, das ein so dürrer Kerl wie ich, solch eine Leidenschaft und Kraft entwickelt. Denn plötzlich landen die Plollköppe, die Pogen mit Prügeln verwechseln schneller auf den Boden als ihnen lieb ist. Gelernt ist gelernt, denn zu meiner Zeit war Pogo ein Ritual zum entfrusten und Training zugleich.
A.C.A.B. (ArbeiterClubAuschwitzBirkenau bittscheen)
Juni 9th, 2014 at 23:18
Hm, sie haben den Laden evakuiert, wegen der Klimaparanoia.
Juni 10th, 2014 at 12:35
Hm. Wenn man sofort weiß (und gedanklich reißt es schon in den Gelenken), was sich hinter Ibu (profen) u. Diclo (fenac), den zwei schmeichelnden Gesellen, versteckt, gehört man dann endgültig zur Generation Pharma-Punk ?
Juni 10th, 2014 at 12:53
Yes, you surrendered to the dark force.
Juni 10th, 2014 at 16:28
Die Blaskapelle keiner …
Zur Information: Wenn schon Verfassungsschutz,
dann für die Öffentlichkeitsarbeit nutzen!
Mehr zur Band im Fleischvorstadt-Blog unter „Feine Sahne Fischfilet“. Aber Achtung alle Beiträge haben eingebettete (embedded ) Videos und solche sind hier laut Impressum verboten! :-(
Grüße aus der mehr praktisch veranlagten Zone dieser Republik; früher bekanntlich fast tomatenketchupfreie SBZ. ;-)
Juni 10th, 2014 at 22:12
lederchucks.weiss.roter rand. was hat sich der neurotiker nur gedacht?
danke für deinen bericht.
Juni 10th, 2014 at 22:20
@DKT: Nicht hetzen, muss er selbst wissen. Ich persönlich habe ein neues Wort gelernt: Turnschuhe heißen jetzt also “Chucks”. Meine Kosten/Nutzen-Analyse ergab vor 20 Jahren, dass Bergschuhe das einzig Wahre sind. Aus Leder. Ganzjährig. Am besten steigeisenfeste. Einmal 170 Euronen auf die Theke gelegt, halten die Dinger locker 10-15 Jahre. Im Suff in den Scherben hat man auch keine Probleme.
Ein Mal hatte ich eine Nacktschnecke drin. Drei Tage Fest im Hochsommer ohne die Dinger auszuziehen. Geiler Geruch. :-))
Juni 10th, 2014 at 22:46
@R@iner: nene, dat sind tatsächlich “chucks”:
gugstdu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Chucks
Juni 10th, 2014 at 22:48
@DKT: Oh Jessas, wie wenig mich diese Konsumscheiße doch interessiert. Noch ein paar Jahre, und Du kannst mir einen Mercedes als Bmw verkaufen.
Danke für die Aufklärung.
Juni 10th, 2014 at 23:09
@r@iner: deswegen meine betonung der markengläubigkeit; die pseudochucks ausm real für n 10ner tuns genauso ;) (thnx an den säzzer fürs linkformatieren)
Juni 10th, 2014 at 23:18
Btw: Ich hab echte Chucks für 30 euronen . 3 Paar. Restewegwerframpe. Brave new capitalism …
Juni 10th, 2014 at 23:26
Nur noch 30,0 Grad in der Bude. Alles wird gut.
Juni 10th, 2014 at 23:30
Dieser Schrott hat vor vielen vielen Jahren mal fünf Mark der Deutschen Demokratischen Republik gekostet…und hat ne volle Saison gehalten…
Juni 10th, 2014 at 23:50
Zum Thema Festival und so. Man kann so etwas durchaus selbst machen. Alles was man braucht, ist eine Mannschaft aus 6-8 Leuten, die weiß was sie will. Mit Kettensägen, Brettern und Stahlrohren vom Bauhof baut man ein Gerüst für eine Bühne auf einem frisch gemähten Feld. Ein paar Tage vorkochen, ein paar Bands einladen und fertig ist die Laube. 150-300 kommen immer auf Einladung. Alles schon gemacht.
Juni 11th, 2014 at 00:23
weeste flatter, ich könnte wetten, daß die “echten” chucks aus dem gleichen fertigungsband wie die “unechten” stammen (jaja, ist eh bekannt, ich bin halt n korinthenkacker).
@r@iner: spezielle bandwünsche? käptn peng & die tentakel hätte ich anzubieten, vielleicht nicht jedermans (möglicherweise nich unsere altersklasse), aber live machen die richtig was her.
Juni 11th, 2014 at 00:31
@DKT: Iss alles schon ein paar Jahre her. Die Jugend wollte nicht nachziehen und ich habe im Moment keinen Kontakt mehr mit den Leuten. Wie das halt so läuft.
Aber: Die selbst gemachten waren die besten Feten ever. Selbst mit einer Woche Schufterei lohnt sich so etwas.
Juni 11th, 2014 at 11:39
[...] endgültig flachgelegt hatte. Am nächsten Tag bin ich dann noch einmal um den Block gezogen, zum Festivalgelände und zurück. Kaum drei Schritte gelaufen, lag der erste halbe Baum auf der Straße. Hundert Meter [...]
Juni 11th, 2014 at 12:59
Ausholen und … ach ja keine Mukke links …
Party on ;)! Ist wichtig meiner meinung nach das man sich ab und an mal seine Menschlichen Akkus auflädt.
Waynes Wourld … May i help you riff …
No Stairway to heaven ;)
Party on ;) ganz stumpf ohne Weltschmerz .