gt

Quelle: Pixabay

In meinem seltsamen Gespräch mit den Herren DeLapuente und Wellbrock gab es einige Situationen, in denen ich hätte ein Fass aufmachen können; dazu gehören insbesondere die Bemerkungen, in denen eine geradezu aufreizende Geschichtsvergessenheit zutage kam. “Das war ja eine ganz andere Situation” ist so ein Spruch und am anderen Ende die Hohlphrase “Wir leben ja im digitalen Zeitalter“. Genau – alles anders, der Goldfisch dreht wieder seine erste Runde und weiß nichts von der letzten. In den ersten 20 Minuten dieses Vortrags von Adorno gibt es hingegen bereits reichlich Stoff zum Staunen. Ich fasse das einmal zusammen:

Aspekte des neuen Rechtsradikalismus” heißt der und ist von April 1967. Die NPD schickte sich damals an, sich im politischen Betrieb zu etablieren. Adorno stellt fest, dass Nationalismus in der politischen Landschaft im Grunde paradox sei, zwischen den Blöcken (NATO / Warschauer Vertrag) und in einem Europa, das sich gerade zur EWG (Vorläufer der EU) zusammenschloss. Er nannte die “Angst vor der EWG” als einen wichtigen Faktor der neuen Rechten. Warte: Nationalismus als Kraft gegen die EU? Eine militärische Großmacht als Feind im Osten? Das ist ja heute völlig anders.

Die Reaktion

Als anti-sozialistische Kraft, so Adorno, wendet sich die Rechte “statt gegen die Apparatur“, die die Lage verursacht, gegen einen ideologischen Feind. Die SPD mit ihrem “Keynesianismus” beschreibt er als “Bedrohung“, dass ihr “Expansionismus” die Mittelschicht durch Inflation bedroht. Heute besteht diese Bedrohung in dieser Form nicht, da ist der Sozialstaat, der den fleißigen Deutschen alles abnimmt, die Bedrohung. Den gab es damals noch nicht, weil er nicht gebraucht wurde.

1967 bestand vielmehr die Sorge, das “Ende der Vollbeschäftigung” stehe bevor, und “das Gespenst der der technologischen Arbeitslosigkeit” ging um, wodurch sich die Aufsteiger “potentiell überflüssig” fühlten. Adorno sah dies bereits kommen, bevor es überhaupt Arbeitslosigkeit gab. Seitdem gab es immer wieder Schübe, in denen sowohl die Arbeitslosigkeit sich verschärfte als auch fremdenfeindliche Tendenzen sich verstärkten. 1980 war es die erste Million Arbeitsloser, die die neoliberale Wende einleitete; vier Millionen Ausländer wurden zum Ventil in Form von Pogromen, die Zuwanderung sollte eingedämmt werden.

1990, als die DDR angeschlossen wurde, die nächste Welle. Morde und Pogrome gegen Asylbewerber und die Beschneidung des Rechts auf Asyl waren die Folge. Immer wieder wurden konkrete Probleme des Kapitalismus durch Ausländerfeindlichkeit ‘gelöst’. Aktuell ist die Parallele zu den von Adorno analysierten Zuständen bemerkenswert: Sofern es das Kleinbürgertum betraf, stellt der fest, dass “kleine Einzelhändler” durch die “Konzentration in Warenhäusern” bedroht waren und daher politisch nach rechts tendierten. Konzentrationsprozesse und ihre Folgen. Kennt man heute gar nicht mehr. Ach, falsch, es sind ja die Warenhäuser, die verschwinden.

Die nächste Runde

Den ländlichen Faschismus betreffend, sei die “subventionistische Struktur” (der EWG) keine Lösung. Zur Rolle der EU siehe oben. Faschismus sei “die Narbe” einer formalen Demokratie, die “ihrem Anspruch nicht voll gerecht” werde. Ökonomisch sei das verbunden einerseits mit der “Konzentrationstendenz“, andererseits mit der “Verelendungstendenz“. Darauf reagiere die Rechte mit der “Antizipation des Schreckens“, sie nähre sich “von Weltuntergangsphantasien” und schüre das “Gefühl der sozialen Katastrophe” – hier sei hinzugefügt, dass der Auslöser die Fremden sind, die das Land bedrohen.

Wenn man diese Zusammenhänge nicht sehen will, ist es halt “heute völlig anders”. Die Entwertung der Arbeit, die Konzentrationsprozesse, Automatisierung (“Rationalisierung”, “Digitalisierung”) und ein fatales Verhältnis von Kapital zu Arbeit sind Faktoren, die in den Büchern aus dem 19. Jahrhundert bereits erkannt und genannt wurden. Dieses Spiel wiederholt sich ständig, aber Kapitalhörige von liberal bis ‘sozialdemokratisch’ wissen nichts davon. Einige verzichten gleich ganz auf die Analyse und ergehen sich lieber in Phantasien, was sie nicht alles täten, wenn nur alle das Gute wollten.