System und Sünder
Posted by flatter under politik , sozialzeugs , theorie[44] Comments
19. Mrz 2018 17:11
Vielleicht bin ich ein Freak, ein Nerd, einer, der sich immer übersetzen muss, damit man ihn versteht. An diesem Ort sicher nicht der einzige, aber eben so weit anders, dass die eigene Sprache zur Fremdsprache wird. Ein Beispiel dafür, womöglich das wichtigste, ist mein Beharren auf die Wirkung des Systems, das Spiel der Kräfte, den Rahmen der Optionen, Möglichkeiten, Hindernisse, Illusionen. Dabei ist der Glaube, das sei anders – weil ja schließlich immer Menschen entscheiden – eher eine Modeerscheinung.
Als Foucault am Ende von “Die Ordnung der Dinge” schrieb, der Mensch sei wie ein Gesicht im Sand, das verschwinden werde, hatte er vermutlich Recht. Die Idee “Mensch”, der moderne Glaube, Menschen träfen Entscheidungen, womöglich bewusste, und entschieden so über ihr Schicksal und das ihrer Nationen, ist jung und doch schon hinfällig. Noch vor zweihundert Jahren hätte man sich rechtfertigen müssen, wenn man dem Menschen solches Bewusstsein und solche Entscheidungsfähigkeit überhaupt nachgesagt hätte.
Gott lenkt
Es war Gott, der entschied. Was der Mensch tat oder nicht, war das Ergebnis der Wirkung höherer Mächte; Gottes selbstverständlich, aber auch des Teufels, der Dämonen, des Schicksals. Was heute noch in den Religionen – auch und gerade in den christlichen – an Irrationalem lauert und jedem Gedanken an Verstand und Vernunft Hohn spricht, ist ja noch immer nicht neutralisiert. Schaut man sich an, was die Menschen global bewegt, wie sie denken, entscheiden und wonach sie leben, spielen Bewusstsein und Rationalität überhaupt keine Rolle. Das gilt für alle Menschen, also auch für solche, die man “Entscheider” nennt.
Es ist also völlig normal, davon auszugehen, dass nicht die Einzelnen und ihr Wille, Ihr Verstand oder sonst etwas Menschliches darüber entscheidet, was sozial und politisch geschieht. Lediglich der fromme Wunsch der Intellektuellen des 18. Jahrhunderts und die damals als probat erkannte Basis von Verträgen haben dazu geführt, dass Willensbekundungen und Verhandlungen zu einer relevanten Größe wurden. Diese aber mit der Wirklichkeit zu verwechseln, ist allzu menschlich – und völlig widersinnig.
Gehen wir einmal mehr zurück zu Freund Luther und der Befreiung der Christen von der Jahrhunderte währenden Befehlsgewalt einer reaktionären Einrichtung, die jeden geistigen und technischen Fortschritt erfolgreich verhindert hatte. Mit der neuen ‘Freiheit’ kamen aber ebenso neue Ketten, Denkverbote und ein jetzt noch raffinierterer Psychoterror. Ja, der Mensch wurde befreit aus seiner Rolle als Sünder, der reuig zu seiner Kirche kriechen musste, um sich Gottes Gnade bescheinigen zu lassen. Er war jetzt frei davon.
Dein Wille geschehe
Künftig thronte ein zorniger Gott über ihm, dessen Gnade bis in alle Ewigkeit ungewiss ist. Man kann sich nie genug anstrengen, rechtfertigen, die Ordnung stützen, unterordnen. Besser, man bückt sich im Zweifelsfall tiefer. Man muss sich ‘verantworten’, all sein Leben lang, und bleibt doch ohne Absolution. Der von der kirchlichen Gnade ‘Freie’ ist fortan ein hoffnungsloser Sünder – es sei denn, Gottes Wille hat ihm zum Fürsten bestimmt.
In der Moderne sind die Fürsten Oligarchen, die Sünder nach wie vor Sünder, denen man ihre Eigenverantwortung einbläut. In der neuen Hölle erzählt man ihnen, sie seien nicht bloß selbst schuld, sondern sie – als Menschen – selbst ihres Glückes Schmied, denn das Ganze sei die Summe des Willens der Einzelnen und jeder einzelne Wille der Grund für das dazugehörige Los. Alles eine Frage der Mühe, der Einsicht, der Hingabe. Der Kontostand, so die Auslegung der Calvinisten und Kapitalisten, ist dabei der Indikator dafür, was man so ‘verdient’ hat (an Gottes Gnade).
Das, liebe Freunde des freien Willens, ist die ideologische Basis für den bekloppten Irrglauben an die Macht der Menschen, ihren Willen und wie man diesen bloß gestalten müsste, um jene zur Glückseligkeit aller einzusetzen. Es hat in der Geschichte der Menschheit noch kein Land gegeben, keine Gesellschaft und keinen Staat, deren Form, Wohl und Wehe von irgendeinem menschlichen Willen abhing. So etwas wird es auch niemals geben.
März 19th, 2018 at 17:45
Von Putin und seinem Russland behauptet man es. Vermutlich macht das einen Großteil dieser kranken Faszination aus.
März 19th, 2018 at 19:16
Abgesehen davon, dass selbst der ‘Wille’ eines Diktators in Rahmenbedingungen eingebunden ist, stellt sich ja die Frage, wie jemand zum Diktator oder wie jemand wie Putin zum mächtigen Präsidenten wird. Letzteres wollen sie aber eher nicht mehr wissen, ist er doch das mittelbare Resultat eines vorauseilenden Regime Changes durch die USA. Ohne Amis kein Jelzin, ohne Jelzin kein Putin. Aber das ist schon wieder diese Geschichte …
März 19th, 2018 at 19:32
Auch Geschichte: kleines Stück über regulierten Kapitalismus. Money quote: Von den beiden Zielen, die Strachey für die linkskeynesianische Politik vorgegeben hatte, »dem System das Fortbestehen zu ermöglichen« und »die Lebensbedingungen der Arbeiter erträglicher« zu gestalten, ist vor allem Ersteres erfüllt worden. Dies weniger wegen des oft gehörten Verratsvorwurfs, vielmehr, weil die Handlungsfähigkeit jeglicher Regierungspolitik, auch der reformistischsten, letztlich auf der Akkumulationsfähigkeit des nationalen Kapitals beruht.
Aktuell und bei Olaf Scholz (‘powered by Goldman-Sachs’) hört sich das dann so an: “Mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik steigen auch die finanziellen Spielräume.”
März 19th, 2018 at 20:14
Naja, – jetzt ist es das System, (welches auch immer), was die Narrative bastelt. Man kann die Terminologie endlos mit neuen Dingen erfrischen, bis selbst einem Teil der Wissenschaft klar wird, dass sie sich selber belogen hat. Irgendwann, müssen wir mal das Ding mit dem System auf den Punkt bringen. Schon der Wissenschaft wegen.
März 19th, 2018 at 20:24
‘Man’ kann sich jeweils auf der Höhe dessen, was möglich ist, ein Bild der Lage machen, das auf Analyse beruht und zu verstehen versuchen, was wie wodurch geschieht. Dann schaut man sich Optionen und mögliche Entwicklungen an und man ist halbwegs im Bilde. Vorstellungen, wie man die Welt gern hätte, sind irrelevant, sofern sie nicht im Rahmen der Optionen liegen.
März 19th, 2018 at 20:29
Sie sind dann Gegenstand der Kunst. Aber als Flucht- und Zielpunkt von Sehnsüchten auch nicht völlig irrelevant.
März 19th, 2018 at 21:46
Yes Sir.
März 19th, 2018 at 23:18
@pentimento: Kannste dich mal für ein oder zwei o entscheiden? Wäre eine Erleichterung ;-P
März 20th, 2018 at 07:30
Sorry @flatter, 1 o , und danke fürs Korrigieren.
März 20th, 2018 at 07:39
Moin,
Hr. K von der CXU stütz deine These.
Die Bundesregierung schafft das Amt eines Beauftragten für internationale Religionsfreiheit. Die Stelle werde beim Entwicklungsministerium angesiedelt sein, kündigte der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, am Samstag an. Bereits in der kommenden Woche werde die Stelle besetzt. Der CDU-Politiker rief vor etwa 400 Zuhörern dazu auf, überall auf der Welt “genau hinzuschauen, ob Religionsfreiheit gelebt werden kann”. “Wer dieses Menschenrecht verbietet, nimmt den Menschen einen Teil ihres Menschseins”, sagte Kauder. Er forderte von den Christen hierzulande, über solche Menschenrechtsverletzungen nicht zu schweigen. Er kenne wenige Staaten, denen es egal sei, als Christenverfolger angeprangert zu werden, sagte Kauder. […..](SZ, 19.03.18)
Und wenn man sich den Rest der KirchenfürstenInnen/Parlamentarier anschaut, na dann Prost.
Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen das die typische Schleswig-Holsteiner Kuh die Farben schwarz und weiß gewählt hat.
Der baucent oder baussant ist das Banner des Ordens(Templer). Baucent bedeutet zweigeteilt – in weiß und schwarz, wie die Mäntel der Templer je nach Klasse der Brüder schwarz oder weiß waren. Weiß steht für Reinheit und Keuschheit, Schwarz für Kraft und Mut, nach Jakob von Vitry
Zufälle gibt es:))
We are Borg. Resistance is futile.
März 20th, 2018 at 19:31
OT – Eine interessante, zumindest aber mal anregende Skizze. Ich mag ja diese Versuche, große Linien zu ziehen… ;)
März 20th, 2018 at 22:56
Tzia, aber das driftet – was ein Bezug ausgrechnet auf Steiner nicht besser macht – in idealistische Betrachtungen ab, die den Kernkonflikt der Gegenwart fast völlig ignorieren.
Wenn ich den Grundgedanken aufnehme, wäre doch die Frage eher, wie Idee/Bewusstsein und Sein/Sachzwänge wieder so verbunden werden können, dass eine nachkapitalistische Welt wenigstens denkbar wäre und wie überhaupt das nackte Leben nicht zwischen diesen Sphären (klassisch: Sein und Bewusstsein/Idealismus und Materialismus) nicht weiter aufgerieben wird. Die Zwänge des Kap. haben wir da noch längst nicht ansatzweise überwunden, aber ich lebe diesbezüglich gern in einer eher fernen Zukunft.
März 20th, 2018 at 23:53
Ist denn die Vorstellung, dass der menschliche Wille dafür maßgeblich sei, was politisch und sozial geschieht, nicht vor allem beflügelt worden durch die Französische Revolution? Immerhin wurde da doch eine Gesellschaftsordnung, die bis dahin als gottgegeben galt, einfach hinweggefegt.
Foucault ist in diesem Zusammenhang allerdings sehr aufschlussreich. In “Überwachen und Strafen” beschreibt er, wie sich mit der Individualisierung der Gesellschaft seit dem 18./19. Jahrhundert neue Machttechniken etablieren, die vor allem an der “Seele” des Menschen arbeiten. Anstatt vor Gott empfindet das moderne Individuum seine Schuld und Unzulänglichkeit nun vor der anonymen Macht der Gesellschaft.
März 21st, 2018 at 00:08
“Ist denn die Vorstellung, dass der menschliche Wille dafür maßgeblich sei, was politisch und sozial geschieht, nicht vor allem beflügelt worden durch die Französische Revolution? Immerhin wurde da doch eine Gesellschaftsordnung, die bis dahin als gottgegeben galt, einfach hinweggefegt.”
Yo, das meinte ich mit: “Lediglich der fromme Wunsch der Intellektuellen des 18. Jahrhunderts und die damals als probat erkannte Basis von Verträgen haben dazu geführt, dass Willensbekundungen und Verhandlungen zu einer relevanten Größe wurden.”.
März 21st, 2018 at 10:21
Trotz de Peinlichkeit das Gefühl zu haben, einen Leserbrief schreiben zu müssen…
Ja, Scheiße, Alter! “Was tun?”
Ohne den erhellenden Kommentar #12 wäre ich etwas ratlos gewesen (wie Generationen vor uns) und hätte gerne Einsteins finales Statement sinngemäß zitiert:”Die Majorität der Dummen ist unüberwindbar und für alle Zeit gesichert. Der Schrecken ihrer Tyrannei ist indess gemildert durch deren Mangel an Konsequenz”. Zeitweise wenigstens in Äbhängigkeit der wirtschaftl. Lage, imho.
Mit der Anmerkung in #12 hingegen (“was ist der Grundgedanke”) bin ich richtig ratlos. Als Lehre daraus werde ich mich heute dem (leichten) Suff und den Weibern ergeben :)
März 21st, 2018 at 15:29
Gegen allgemeine Dummheit ist ja nun schon längst ein Kraut gewachsen, der sogenannte und allgegenwärtige Experte. So schreiben bspw die tagesmärchen heute:
Anstieg um 18 Prozent – 24.532 Waffen spurlos verschwunden
Verloren, gestohlen oder sonstwie abhanden gekommen: Im vergangenen Jahr sind deutlich mehr Waffenverluste gemeldet worden. Das geht aus einer Anfrage der Grünen hervor. Experten befürchten, dass sie bei Straftaten eingesetzt werden könnten.
Wir müssten sie erfinden, wenn wir sie denn nicht schon hätten.
Edith fragt noch, was tp denn jetzt schon wieder mit dieser Intellektualkatastrophe Zitelmann hat. Interview, dann Interview zu Reaktionen auf das Interview, jetzt schon wieder Interview. Eine seiner Kernthesen oder zumindest Aussagen ist wohl allerdings auch, dass der Kapitalismus ein ‘natürlich gewachsenes System’ sei.
März 21st, 2018 at 20:17
So noch ein kleiner Nachsatz zu #15, der mir aus stilistischen Gründen sehr gut gefällt, bevor ich in die Stadt gehe:
https://www.jungewelt.de/artikel/324214.ins-fleisch-gewachsene-masken.html
Götz Eisenberg haut in die gleiche Kerbe wie flatter, hat auch nix Anderes anzubieten als Untergang.
»der Ausweg aus einem Gebäude gehört zum Gebäude; stürzt es ein, verschüttet es meist auch den Ausweg«.
März 21st, 2018 at 22:40
Yo, den hatten wir hier schon.
März 22nd, 2018 at 00:25
Von dem Anspruch der Aufklärung auf Mündigkeit bliebe also gerade noch so viel übrig: das Individuum kann unter gewissen geistigen Anstrengungen halbwegs erkennen, wie ihm geschieht. Strengt es sich noch ein wenig mehr an, erkennt es außerdem, dass gegen das, was nun einmal ist, nichts auszurichten ist. War das aber all die Anstrengung wirklich wert? Hat dieses bisschen Erkenntnis überhaupt noch etwas beglückendes? Allein die blasse Vorstellung, dass die Menschheit eines fernen, fernen Tages einmal etwas anderes zuwege bringen könnte als Kapitalismus, ist mir von meinem notwendig individuellen Standpunkt aus zu wenig. Weiter oben war die Rede davon, dass doch immerhin in der Kunst das möglich sei, was politisch/gesellschaftlich nicht zu erreichen ist. Müsste man der Kunst (eigentlich ein viel zu grober Begriff) dann nicht eigentlich viel mehr Bedeutung beimessen?
März 22nd, 2018 at 10:37
“… dass gegen das, was nun einmal ist, nichts auszurichten ist.” – das sagt ja niemand. Der Irrtum ist aber der zu glauben, man könne qua Willen alles regeln, vor allem große soziale und Wirtschaftliche Einheiten. Selbst bei denen gibt es kleine Zeitfenster, innerhalb derer menschliche Entscheidungen relevant sein können. Das gilt aber keineswegs für das große Ganze.
März 22nd, 2018 at 10:53
OT: Wie weit wollen die mit ihrer Propaganda noch gehen? Nachdem die NATO-Postille “Zeit” zum Weltkrieg aufgerufen hat, wird eine Kreischsendung “Maischberger” jetzt dahingehend korrigiert, dass man Putinputinputin böseböse und der Speichel haut den nächsten Russenhassertitel raus. Muss ich jetzt den Flug nach Kuba buchen?
März 22nd, 2018 at 11:22
Buch mich eins mit, nein, zwei!
März 22nd, 2018 at 11:42
@Pelzer: Von dem Anspruch der Aufklärung auf Mündigkeit …
Da müsste man einen Philosophen fragen, wie das überhaupt gemeint war. Vielleicht ist ja einer in der Nähe?
März 22nd, 2018 at 11:42
Eine treffliche Veranschaulichung des Openers liefert mal wieder der Herr Müller. Natürlich sind Personen am Werk, und sie sind auch tatsächlich nicht das Personal, was man sich wünschen würde. Aber er kommt offenbar nicht mal ansatzweise auf die Idee, dass das wohl auch, wenigstens so ein ganz kleines bisschen, mit sich verschärfenden Widersprüchen des ‘kapitalistischen Gesamtsystems’ (sowie noch ein paar weiteren Lebenslügen der Moderne) zu tun haben könnte. So kommt das vermisste ‘strategische Denken’ dann aber erst recht nicht zustande…
März 22nd, 2018 at 13:58
Hier eine interessante Meinung zu ‘Wahlkampfmanagement’ à la Cambridge Anlaytica. Btw.: Nachdem es dutzende Beiträge zur ‘Wahlmanipulation’ der Russen bzw. Putin® gab, wo bleibt jetzt der Aufschrei?
März 22nd, 2018 at 14:10
Passt: Fefe zum Thema in #25. Wie der allerdings auf so etwas wie “Mündigkeit” kommt, die ja durch seinen eigenen Befund widerlegt wird, ist mir schleierhaft. Na ja, man kann ja auch das Unmögliche fordern, z.B. “dass die Medien alle Like-Buttons entfernen“.
März 22nd, 2018 at 16:24
fefe äußert sich auf Meedia noch etwas ausführlicher zu dem Thema.
März 22nd, 2018 at 16:55
Yo, da sind Zitate aus dem Text eingefügt. Sonst ist es derselbe. :-P
März 22nd, 2018 at 19:54
Man muss das Unmögliche fordern, wenn man auch nur irgendwas erreichen will. Nicht nur, was Like-Buttons und Werbung allgemein, auch was die Mündigkeit angeht. Ansonsten Friedhofsruhe. Oder?
März 22nd, 2018 at 20:50
@flatter (5)
Mache ich mir auf der Höhe dessen, was möglich ist, ein Bild über die Lage der Systemtheorie, ganz besonders des Missbrauches der Geisteswissenschaftler davon, und analysiere das, dann ist das nicht irrelevant oder eine vorgestelle Welt, – sondern sieht richtig düster aus.
März 22nd, 2018 at 21:05
Wenn ich mich mit Systemen befasse, brauche ich nicht die sog. “Systemtheorien”. Ich gehe hier ohnehin eher von Marx aus.
Die Fehler oder Unzulänglichkeiten anderer wiederum sind mir doch völlig schnuppe, die halten mich doch nicht davon ab, selbst seriös zu denken. Korrumpierte Wissenschaft ist für den Fortschritt ungefährlich, weil jeder, der sie ernsthaft betreibt, die Korruption sofort durchschaut. Die einzige Gefahr, die diesbzüglich von ihr ausgeht, ist die Förderung von Schlampigkeit und die Bildung von Sekten.
Nach außen ist sie eigentlich auch irrlevant. Du kannst einen Affen im Kittel vor eine Kamera setzen und ihn “Experten” nennen, das funzt genau so gut.
Was gern verwechselt wird, ist die Möglichkeit zu erkennen und zu lernen einerseits, da ist Wissenschaft unerlässlich und funktioniert tadellos. Andererseits, und da kannst du sie in der Pfeife rauchen, geht es gern ums Rechthaben. Dazu ist sie nicht da.
März 22nd, 2018 at 21:14
Es geht ja nicht gegen dich @flatter. Systemtheorie diente unter Naturwissenschaftlern einst dazu, – eben den Affen im Kittel unmöglich zu machen. Aus diesem Metier kommt es her, und dort macht es Sinn. Es ist aber fehlgeschlagen und ist über Esoterik und ja, – ich muss den Vorwurf machen, auch über Geisteswissenschaftler und einiger Politseelen mit einer wirklich mürben Logik diesbezüglich, im Fiasko geendet. Wie gesagt, es geht nicht gegen dich, – aber wir leben in einem Land, wo das immer noch Grundlage ist. Will meinen, – über Habermas maulen ist richtig und gut, – aber danach kam Luhmann. Und in der Scheiße hängen wir jetzt drin. So krumm und unseriös das auch scheinen mag. Aber dies sollte man eben auch zu Spruche bringen.
März 22nd, 2018 at 21:49
Ich sehe nicht, dass Luhmanns Zeugs noch relevanten Einfluss hat. Die Mode hat sich mit seinem Tod und dem aufgeblähten Apparat in Bielefeld erledigt. Im Übrigen war das eine nette Kapitalismussimulation, finde ich. Könnte man auch zum programmieren Lernen gebrauchen – oder um einen Monitor drauf zu stellen.
März 22nd, 2018 at 22:39
Sorry bin bissl spät und dann wieder so schräg reingeworfen, mit so Zeugs, was schon im unmittelbaren Kontakt kaum, schriftlich aber eigentlich gar nicht diskutierbar ist ;-).. Ich hoffe mal, die Gotteskritik im Opener bezieht sich (nur) auf dieses institutionalisierte Rudiment von einem Gottesbegriff, wie es von allen Großreligionen vermittelt wird. Bissl umfassender betrachtet, ließe sich meiner Meinung nach mit einer Gottesvorstellung relativ viel interessantes und ggf. sogar ganz nützliches bewerkstelligen (z.B. schon die Akzeptanz dafür, dass das eigene Handeln das Große und Ganze nie zielgerichtet verändern wird). Warum das in linken Theorien nicht wirklich vorkommt, war mir immer ein Rätsel. Religion ist ja quasi der Überbau der Spiritualität. Spiritualität ist den allermeisten Menschen gegeben und ein Existenzbereich der auch nach Auslebung drängt, da er als unmittelbar mit einem erfüllten Leben verknüpft wahrgenommen wird. Dafür einen anderen Zugang als über Religion zu finden, wäre in meinem Weltbild eigentlich eher mehr als nur ein kleines Nebenziel, da es mir nicht nur aus Wirtschaft und Sozialem bestehen soll. Komm mir da manchmal ganz schön einsam mit vor aber zumindest deckt sich meine Religionsablehnung schon mal mit den abgelehnten Systemtheorien.
März 22nd, 2018 at 22:58
Gott ist ja einerseits eine Kulturkrücke für das Unfassbare, von Anfang an aber auch Herrschaftsinstrument.
Mein Fokus liegt aber auf so etwas wie ‘Weltbezug’. Ein Weltbild scheint der Mensch ja zu brauchen; das moderne, humanistische oder anthropozentrische schließt nun an die mystischen insofern an, als dass auch dieses nicht von der Vorstellung lassen kann, etwas müsse Welt doch bewegen können, in dem Fall also der Mensch (oder die Menschen). Anstatt aber den konsequenten Schritt zu gehen und sich damit zu bescheiden, dass es eben keine Macht gibt, die Welt nach einem Willen verändern kann, bleibt dieser depperte Glauben an Weltbeherrschung bestehen, die obendrein eine gute über eine böse obsiegen sehen will. Das ist kein bisschen Fortschritt, weder in Bezug auf Erkenntnis noch auf realistische Handlungsoptionen. So eine Art Urtrauma mag da am Werk sein, die zwanghaft Ohnmacht überwinden will und die blödesten Strategien dazu freisetzt.
März 23rd, 2018 at 00:22
Naja, ganz so düster seh ich den Ansatz nicht – bei der Ausführung sind wir uns ja offenbar sehr einig. Trauma trifft es ganz gut, zumindest erklärete es die ständige Wiederholung des immergleichen retraumatisierenden Handlungsablaufs (der mit ‘ich will über mich selbst hinaus wirken’ ja doch halbwegs treffen beschrieben ist)und schließt damit auch den Bereich der schon immer erlebten existenziellen Gefährdung als vakantes ‘Grenz’gebiet des Bewältigbaren mit ein. Ohnmacht ist es ja gerade nicht, was den Menschen auszeichnet. Er kann ja wirken, nur wird es im Großen halt immer und ausnahmslos sein eigenes Verderben. Gott als Bewältigungsansatz war da m.E. nicht die schlechteste Idee. Was die Unterordnung unter dessen Ordnung so schwer macht, erlebt man schon ganz gut wenn man den Begriff ‘Unterordnung’ mehrfach langsam vor sich hin liest. ‘Nebenbei’ halte ich das erkennen der wikenden Ordnungsprinzipien in den Grenzen des menschlich Möglichen und des erkannten Ordnungsprinzips für eine herausfordernde Angelegenheit. Aber Jahrhundertausende lang, also stabil gelebte Wildbeutereien legen zumindest nahe, dass dies durchaus im Machbarkeitsbereich des Menschen lag. Damals musste man allerdings auch nicht ‘Unterordnung’ lesen, schon gar nicht mehrfach. ;-)
März 23rd, 2018 at 08:30
Zu dem Thema fällt mir doch glatt Georg Büchner ein, wenn er selbst Revolutionsführer als “Marionetten” zeichnet und ein imaginäres “Müssen” als Antrieb und Legitimation für menschliches Handeln begründet. Wie zeitlos und damit auch aktuell seine Überlegungen doch sind. Aber das wäre ja purer Fatalismus. Igitt!
Halten wir uns doch lieber an Kant und Goethe, damit wir uns als Menschen, heute selbstverständlich eigenverantwortliche Individuen,besser und größer fühlen können.
März 23rd, 2018 at 18:47
@flatter (33)
Da muss ich jetzt doch leicht widersprechen. Sehe ich es als Mode die aufkommt und untergeht, gebe ich dir natürlich recht. Die Designer sind verschwunden, aber das Mode-hungrige Volk, hat noch keinen Ersatz dafür. Sowohl das Management, wie auch die Sozialpädagogik, reiten noch unverändert das gleiche Pferd. Von den jungen Pädagogen, die gar nichts anderes kennen, muss man erst gar nicht reden. Sie haben nichts anderes. Auf den Türen der Personalbüros steht auch immer noch HR.
März 23rd, 2018 at 19:10
Etwas Neues ist auch eher nicht so in Sicht, es sei denn, man nimmt Boockchin o.ä., aber passt so schlecht zur Karriereplanung. Ich frage mich eh oft, was Soziologie eigentlich soll. Ich hab den Quatsch ja selbst studiert, aber der einzige USP dieser Wissenschaft ist noch ihre Ignoranz gegen alle um sie herum. Schon in den 90ern war mein ceterum censeo “Man müsste die Psychologie erfinden” (wenn es um die Frage nach menschlichem Verhalten ging). Im Grundsätzlichen sind die Philosphen kompetenter, Marktideologie lehrt besser die ‘WiWi’ und für Korruption und Larifari gibt es Politologie. Bloß für Bildung ist kein Stuhl mehr übrig.
März 30th, 2018 at 10:01
Noch ein schönes Beispiel (Triggerwarnung: Oswald Metzger) dafür, dass es keine Eigendynamiken gebe, sondern nur Handelnde, die selbstverständlich auch ganz anders handeln könnten. Da stehen dann zwar gleich eine ganze Reihe Scheunentore sperrangelweit offen, aber macht ja nichts.
März 30th, 2018 at 11:50
Tja, wenn man sich auf “große Soziologen” und “legendäre” Politiker beruft, den “ehrbaren Kaufmann” (die Hausfrau kümmert sich wohl gerade um den schwäbischen Fisch) und das deutsche sprcihwort beschöwrt, muss man nicht mehr denken. Ich erkenne eine Korrelation: Je mehr personalisisert wird, desto aggressiver wird bewertet. Von volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung hat der Mann noch hie etwas gehört. Das einzige systemische Problem, das er kennt, ist “Masseneinwanderung”. Reif für die AfD.
März 30th, 2018 at 12:30
Je mehr personalisisert wird, desto aggressiver wird bewertet.
Und auch an dem Ende steht dann der ‘Krieg aller gegen alle’ – und sie sagen ‘siehste’…
‘Zivilisation’ ist der untaugliche und fatale Versuch, den egoistisch-nutzenmaximierenden Menschen zumindest unter Vermeidung allzu großer physischer Gewalt in den Ring zu schicken. Untauglich, weil seine Voraussetzung nicht stimmt; fatal, weil er sie dadurch dann doch erschafft.
März 30th, 2018 at 12:46
Interessant btw. dass Metzger auch “Chaos und Anarchie” beschwört – die uralte Polarität von Ordnung vs. Chaos, die zur vorgeblich notwendigen Unterwerfung der Menschen unter eine bestimmte ‘Kultur’ führt.
März 30th, 2018 at 13:26
Da würd ich eben eher ‘Zivilisation’ sagen. Das ist zwar unbestreitbar auch eine Form von Kultur, aber eine, die die ‘Unhintergehbarkeit’ von Kultur leugnet und sie mit dieser mysteriösen Idee von ungezähmter sprich ‘unzivilisierter’ menschlicher Natur begründet und sie ihr entgegensetzt.