Unterdrücker beim Blackfacing. Quelle: Pixabay
Die erste Studentengeneration, die politisch in die Manege sprang und sich als links definierte, waren die “68er”; ihre Bewegung erfasste sämtliche Hochschulen, die ganze Gesellschaft und ließ niemanden außen vor. Ganz bewusst wollte sie die Arbeiter einbeziehen und die ganze Bäckerei stürmen – auch wenn das nicht gelang. Ihre intellektuelle Basis war massiv; hauptsächlich marxistisch geprägt, war die Debatte wissenschaftlich, fundiert und regte dazu an, sich aktiv zu bilden.
Diese Generation versackte schließlich in den Institutionen und gründete eine längst etablierte Partei, die “Grünen”. Diese sind inzwischen von ihren Idealen weitest denkbar abgerückt und ein klerikal geprägter Haufen, der seinen Funktionären hinterher dackelt. Die nächste Generation hat sich dieser pseudolinks-grünen Infrastruktur von vornherein angeschmiegt. Die 89er haben sich noch sporadisch auf gesellschaftliche Zusammenhänge bezogen, spielten aber vor allem im eigenen Sandkasten. Ihre Proteste richteten sich gegen eine Studienreform, ihre Instrumente waren die der studentischen Selbstverwaltung und ihr Engagement galt einzelnen Gruppen.
Filterblase
‘Grüne’ Themen, vor allem Anti-Diskriminierung, dominierten die Politik. Frauen-, Schwulen -, Lesbenreferate wurden eingerichtet. Während Minderheiten gut vertreten waren, hatte die große Mehrheit der Studenten der Unipolitik den Rücken gekehrt. Die Aktivist/innen, die sich gegenseitig mit Tagesordnungsanträgen und Resolutionen auf die Nerven gingen, wurden außerhalb der Filterblase kaum wahrgenommen. Umso eifriger wurden Vorschriften erlassen, wie eine ‘geschlechtergerechte Sprache’ in den Publikationen der ASten oder die Verpflichtung zum Bekenntnis zu einem “politischen Mandat”, was auf mehreren Ebenen illegal war, letztlich aber irrelevant.
Aus dieser Blase gehen die jüngeren Studiengänge ebenso hervor wie politische Funktionäre, die glauben, sie könnten und müssten mit Verboten, Vorschriften und Eingriffen in gesellschaftliche Kommunikation die Welt verändern. Schließlich haben sie an der Uni ja auch jede Diskussion gewonnen. Ihnen folgt inzwischen eine weitere Generation, die in deren Schlepptau das Versagen dieses Konzepts durch Eifer wettzumachen versucht. Sie halten das alles noch immer für ‘links’, vor allem, weil ihr Geschichtsbewusstsein mit dem Verlauf ihrer WhatsApp-Nachrichten endet.
Wo ihre Vorgängergeneration es immerhin mit Basisdemokratie versucht hat, hat diese das Stellvertretertum bereits völlig verinnerlicht und hält sich jenseits aller Kritik selbst für Stellvertretung. Ihre Legitimität ist ihr überlegenes Wissen um die Unterdrückung derer, denen sie auf diese Weise Recht und ein bisschen Macht abluchsen. Flankiert wird dieses windschiefe Konzept durch eine Inkarnation des Bösen, den (alten) weißen Mann. Dieses für jeden Außenstehende ersichtlich sexistische und rassistische Weltbild ist das Anti zum Pro, mithin dasselbe, nur dass diese ursprünglich politisch rechtsextremen Einstellungen jetzt ‘links’ sind und die Rollen (höher- bzw. minderwertig) vertauscht werden.
Fair is Foul
Es ist ihnen mit keinem Argument beizukommen, weil sie jeden Kontext und jeden Hintergrund mit ihrer sauren Moral erschlagen. Ein fundierter Gedanke wird somit zur ‘Verhöhnung von Opfern’, wissenschaftliche und historische Erkenntnisse sind ‘patriarchalische Machtausübung’, männliche Schwärmerei ist ‘Herabsetzung’. Auf der Strecke bleibt alles, was sich aus Sicht dieser fanatischen Religion für Empörung eignet: Sex, Humor, Poesie, Kunst, Wissenschaft und politische Alternativen. Ihr Vorgehen entspricht in jeder Hinsicht der Inquisition. Geändert haben die alten weißen Männer lediglich, dass heute kein Gericht mehr peinliche Strafen und Hinrichtungen gegen die Ketzer verhängt.
Eines der amüsanten Details dieser hässlichen Zeiterscheinung ist die Blödheit der Eiferer, ihre eigene soziale Stellung nicht wahrzunehmen – von Reflexion will ich hier gar nicht anfangen. Fast durchweg Teil der (auch noch überwiegend weißen) akademischen Mittelschicht, wagen es diese Spaten, selbst einer Mehrheit von hoffnungslos Ausgebeuteten nicht etwa beizustehen, sondern ihnen wegen ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts das Recht auf eine abweichende Meinung einzuschränken. Jedenfalls versuchen sie es – dort, wo sie in der Mehrheit sind, lauter schreien und andere einschüchtern können. Das reale Leben scheuen sie derweil ebenso wie eine gleichberechtigte Argumentation. Die gute Nachricht: Diese Mutation unterliegt derselben Evolution wie alle anderen.
Januar 28th, 2018 at 20:57
Wie die Zufälle so spielen, ist mir doch gestern das hier, über die “Verlotterung” der Sprache über den Weg gelaufen:
https://www.rubikon.news/artikel/wider-die-identitatspolitik
Im Grunde sehr ähnlich:Wir verbiegen die Sprache, Individualisieren alles, spalten alles in Kleingruppen und sorgen damit dafür, dass die Solidarität immer weiter zurückgeht….
Ich hab mal deine Mailadresse editiert, Tippfehler erforderte Moderation. säzzer
Januar 28th, 2018 at 21:09
Ach, ich liebe es, Deine Texte zu lesen. Du sprichst mir immer voll und ganz aus der Seele. Einziger Unterschied: Wo Du Dir noch ein hoffnungsvolles »Diese Mutation unterliegt derselben Evolution wie alle anderen« abringen kannst, sage ich mir immer resigniert: »Ein Glück, daß ich das nicht mehr allzu lange ertragen muß.«
Januar 28th, 2018 at 22:15
»Es sind die Feinde der Grünen, die so reden.
Es gibt zwei größere medial-gesellschaftliche Gruppen, die dem neuen Führungsteam (der Grünen) keinen Erfolg wünschen, die es fertigmachen wollen.
Zum einen die bürgerlichen Rechtsliberalen und FDP-Anhänger. Denn sie wissen: Niemand verkörpert gegenwärtig besser die klassischen Werte des Liberalismus, den Kampf um Bürgerrechte, das Festhalten an Aufklärung, an Kosmopolitismus – dass was zu Zeiten von Ralf Dahrendorf, Karl-Hermann Flach, Walter Scheel, Werner Maihofer und Gerhart Baum einmal Kernkompetenz der FDP und deren sozialliberaler Flügel war.
Januar 28th, 2018 at 22:30
Bullshit-Bingo is not enough. Für eine Todesanzeige von Sinn und Verstand reichlich episch.
Januar 28th, 2018 at 22:46
Sich gegenseitig “fertig-machen” geht. Das läuft. Das steckt der Kreatur eher in den Knochen als daran interessiert zu sein, sich dem Artgenossen wohlwollender zu nähern. Immer rein. “Auf die Fresse…”
Das ist man schon gestört, und wird dann auch noch verrückt gemacht. Heisst das vielleicht deshalb “Störung” weil mich das wirklich stört, was hier so selbstgefällig als “Miteinander” bezeichnet wird? Aber wie sollte ich das beurteilen? Wissen das andere nicht sowieso viel besser?
Charlie, ich komme.
Januar 28th, 2018 at 23:06
Der Säzzer ist sehr gefühllos und bittet wenigstens mittelfristig um Kommentare zur Sache, nicht zur Person, schon gar nicht zur eigenen.
Januar 28th, 2018 at 23:23
Und ich bitte um Entschuldigung für die Störung.
Januar 28th, 2018 at 23:34
Zur Sache: laufen lassen.
Januar 29th, 2018 at 09:16
[...] Feynsinn: die elitäre pseudolinke… [...]
Januar 29th, 2018 at 10:37
Moin,
68,89,10,31? Ist es nur Schein oder gibt es eine Tendenz?
“Geändert haben die alten weißen Männer lediglich, dass heute kein Gericht mehr peinliche Strafen und Hinrichtungen gegen die Ketzer verhängt.”
Erstens, was ja nicht ist kann ja noch werden, zweitens, Ich als durch das I-Net radikalisierter darf jetzt nicht mehr nach Bayern, ich saupreißiger Gefährder. Hihi, nicht mal das electr. Wörterbuch kennt den Ausdruck. Deine gute Nachricht liest sich wie, das Glas ist halb voll, weiß nicht was daran gut sein soll. Tschullilum die Störe.
Januar 29th, 2018 at 10:58
Ein wunderbarer Text zur SJW-Thematik. Vielen Dank :)
Mein Studienbeginn war Anfang der 2000er Jahre an der Uni Essen. Außer einmal “Studiengebühren” gab es in meiner Erinnerung nur die im Artikel genannten Themen. Und da ich auch männlich und weiß bin…
Januar 29th, 2018 at 12:00
cc: “Wenn’s Feynsinn nich gäb’ müsst’ man’s erfinden”
Dass immer wieder – nicht zu Unrecht – mein Spruch von den “durchschnittlich einssiebzig …” kritisiert wird iss okay und kann ich bestätigen; genauso wie die immer wiederholte Bestätigung desselben. Und das durch alle Evolutionsstufen des homo.
Januar 29th, 2018 at 12:33
Nachtrach (OT – dlf zitiert OECD): Anteil der ‘resilienten’ Schüler (= trotz bildungsfernem Elternhaus lernfähig) in D stärker gestiegen als sonst wo. Na bitte, wer sagt’s denn; es geht aufwärts.
Januar 29th, 2018 at 17:04
Am Rande; was lese ich gerade: Der Papst, seines Zeichens Auskenner, weiß, dass Satan “eine sehr intelligente, rhetorisch überlegene Person” ist. Man solle ja nicht mit ihm sprechen. Ich habe Peinhart soeben gesperrt. :-P
Januar 29th, 2018 at 17:56
Schönes Ding. Du. Also (wohl!) in der Sache.
Januar 29th, 2018 at 20:15
Also ich halte das ja für ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Um sich nicht am Ende noch selbst sperren zu müssen… :p
Januar 29th, 2018 at 20:16
Ein teuflischer Plan – und wem fiel er ein?!
Januar 29th, 2018 at 20:33
Dem Papst…?
Januar 29th, 2018 at 21:46
Dann sind wir verloren …
Januar 29th, 2018 at 22:45
Flatter schrieb:
“‘Grüne’ Themen, vor allem Anti-Diskriminierung, dominierten die Politik. Frauen-, Schwulen -, Lesbenreferate wurden eingerichtet.”
Dies sind, wie Deine eigenen Anführungszeichen verschämt andeuten, gar keine “grünen” Themen, sondern lediglich welche, die von (“Links”)liberalen, von denen die “Grünen” voll sind, gerne oberflächlich aufgegriffen werden, weil sie sich innerhalb der herrschenden Reproduktionsweise in Ansätzen bearbeiten/verändern lassen, ohne die eigene Karriere oder gar die Existenz zu riskieren.
Tatsächlich sind das alles Themen, die lange vor den Grünen Teil von anarchistischen/kommunistischen/radikalfeministischen Bewegungen und Kämpfen waren – so zu tun, als handele es sich um von “den Grünen” aufgebrachte und dominierte Themen ist ahistorisch und ein ziemlich simpler polemischer Trick, der es Dir ermöglicht, ihre zentrale Bedeutung für das Verstehen und Bekämpfen der tatsächliche Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen hinter dem allseitds bekannten absurden Spießbürgertheater, etwa von intrigierenden Frauenbeauftrageten in Berufungskommissionen und “pinkwashing” von jedem imperialistischen Krieg, verschwinden zu lassen.
Insgesamt fehlt es mir in Deinem Text an materialistischen Analyse: Was waren die Gründe für die Veränderung tatsächlich linker und “linker” Jugendbewegungen/studentischer Politik? Es macht keinen Sinn, die bei den “Neuen Sozialen Bewegungen” und ihren Sprösslingen sicherlich unterbelichtete bis nicht mehr vorhandene Klassenfrage rein moralisierend ins Zentrum zu stellen,
(“Fast durchweg Teil der (auch noch überwiegend weißen) akademischen Mittelschicht, wagen es diese Spaten, selbst einer Mehrheit von hoffnungslos Ausgebeuteten nicht etwa beizustehen, sondern ihnen wegen ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts das Recht auf eine abweichende Meinung einzuschränken.”)
ohne darüber zu reflektieren, welche sozialen Veränderungen (Krise der frühen 70er/Ende des Keynesianismus/Fordismus) dafür maßgeblich verantworlich waren.
Januar 30th, 2018 at 00:08
Mein Gutster, das da oben ist ein Opener und kein Buch. Dein Missverständnis wiederum liegt in dem Halbsatz:
“so zu tun, als handele es sich um von “den Grünen” aufgebrachte und dominierte Themen“.
Da hast du wohl was verpasst. Sie dominieren es, die Grünen und ihr unreflektiertes next-generation Gefolge, und zwar auf einem Niveau, das die Vorläufer eigentlich furchtbar auf die Palme bringen müsste. Ahistorisch ist es m.E., den Scheiß, der da veranstaltet wird, mit den früheren Kämpfen um die Rechte von Minderheiten zu identifizieren.
In anderen Artikeln amüsierte ich mich bereits über die Blödheit zu übersehen, dass da gerade ein Kampf zwischen klassischem Industriekapital und der neuen Datenindustrie abgeht. Dabei kommen aber die Antirassismus-Gendergeländer ebenso schlecht weg, weil sie nicht raffen, dass sie die Nützlichen Idioten von Google und Co. sind.
Januar 30th, 2018 at 10:44
OT: Hach, diese ‘Demokraten’: “Die Autobosse müssen endlich Verantwortung übernehmen“, lese ich. Ja sicher, dann wird alles wieder gut.
Januar 30th, 2018 at 11:01
Dieser Aufruf, älter als alle ‘Autobosse’ zusammen, ist auch deswegen immer wieder schön, als diese ihre Millionen ja explizit mit eben der Begründung ‘verdienen’, dass sie so eine ungeheure Verantwortung übernehmen. Während andererseits aber allen mehr als klar zu sein scheint, dass sie genau das eben nie nicht zu tun gedenken. Lebenslügen des Kapitalismus.
Nachtrag zu #19: Deibel auch!
Januar 30th, 2018 at 12:28
Auch OT: das NATO-Mitglied Türkei bereitet eine astreine Annektion mit Ansage vor, und aus der ‘Wertegemeinschaft’ ist allenfalls mildes Grummeln zu hören, wenn überhaupt was. Lebenslügen des Imperialismus.
Februar 1st, 2018 at 16:06
Und hier noch eine kleine Festschrift wider die gängige Simulation von ‘Demokratie’ in unseren Breiten. Eine Verweigerung des elitären pseudolinken Diskurses, wenn man so will.
Februar 1st, 2018 at 16:24
Querfront, Querfront …
Februar 1st, 2018 at 16:56
Cem Özdemir, der sich von Vorschwätzer der Grünen zum Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Bundestag hochgelustscht hat (Lobbyposten, ich komme!), vermeldet:
“Die Verantwortlichen setzen das wertvolle Label »Made in Germany« leichtfertig aufs Spiel.” (Mit Skandalen wie Dieselgate und jetzt Röchelgate).
Der Mann der Partei für Umwelt und so moniert also an der forgesetzten planvollen Vergiftung von Mensch und Umwelt Folgendes:
Die Nation nimmt Schaden. Sie ist identisch mit ihrer Industrie, vor allem der Autoindustrie. Der Ruf der Produkte der Nation ist in Gefahr.
Wozu genau braucht irgendwer diese Partei und ihre Spitzenclowns?
Februar 1st, 2018 at 17:13
@ Peinhart
Keine Leseempfehlung (10 min.) für Bürger Blöd. Dieser muss vorab nämlich wissen, dass es sich bei diesem Herrn um einen ausgesprochenen Querulanten handelt, der, seit 2014 gemeinsam mit Friedhelm Klinkhammer, dem ehemaligen Vorsitzenden des ver.di-Betriebsverbandes NDR, mehr als 200 Programmbeschwerden beim NDR eingereicht hat. Ihrer Meinung nach ist die Berichterstattung „agitatorisch, propagandistisch und desinformativ“.” Pfff.
Februar 1st, 2018 at 17:44
@Katze #28 – Ein Querulant?! Am Ende gar ein Kommunist? Ja, wenn ich das mal nicht geahnt hätte!
@flatter #26 – Ach komm, dieser Koniczs hat sie doch auch nicht alle… :p