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Es fehlt eine Wissenschaft, eine ganze. Ich habe mich gefragt, was etwa von Internet der 90er Jahre heute noch übrig ist. Die Frage ist nicht einfach, schon gar nicht beantwortet mit Schlaumeiereien wie “Es gibt doch die Wayback Machine!”. Eine passende Meldung gab es neulich: Die Bibliothek des US-Kongresses hat das Archivieren von Twitter eingestellt. Es werden einfach zu viele Daten.

Der unter dem Bingobuzzword “Big Data” gehandelte Vorgang, riesige Datenmengen nach schlauen Algorithmen zu filtern, hilft hier nur bedingt bis gar nicht. Man stelle sich vor, in vierzig oder hundertvierzig Jahren möchte sich jemand darüber informieren, was in einem der wichtigsten Medien der Menschheit kommuniziert wurde. Autsch. Gibt es überhaupt schon Ansätze für eine Systematik, nach der man heute Daten archivieren kann? Ressourcen dafür?

Datum transit, scripta manent

Während wir total überwacht werden, dürfte es schon (nahezu) unmöglich sein, ein ungefähres Bild, eine Karte, zu zeichnen von der Vernetzung Mitte der Neunziger. Ist noch etwas davon zu bergen? Wir reden hier von einer Zeit, in der solche Verbindungen noch übersichtlich waren. Wie ist es heute, in einer Zeit, in der Milliarden Menschen das Netz nutzen? Ist es Fluch oder Segen, dass die meisten Verbindungen inzwischen über Datenkraken wie Google und Facebook stattfinden? Gehören denen diese Daten wirklich? Dann haben sie nicht zuletzt die Hand an der Klospülung der Zeitgeschichte.

Während diese Ausbeuter unserer Lebens- und Kommunikationsdaten also weltumspannende Datendiktaturen errichtet haben, müsste sich eigentlich wer darum kümmern, wie man Informationen anders filtert als zu dem Zweck, Scheißturnschuhe zu verhökern. Dabei käme es unter anderem darauf an, exemplarisch Verbindungen, deren Entstehen und Vergehen, aufzuzeichnen und aufzuarbeiten. Kommunikationen müssten analysiert und der Nachwelt überliefert werden im Rahmen ihres Zustandekommens. Die große Kunst des Auslassens muss dabei erst noch entwickelt werden.

Archivieren heißt demnach eben nicht mehr, möglichst viel zu sammeln und zu bewahren, sondern schon vorweg eine Auswahl zu treffen in der Absicht, noch irgendwie historische Forschung für spätere Zeiten zu ermöglichen. Allein die Form, in der Daten ‘gespeichert’ werden sollen, ist ein eigenes Problem der Geschichtswissenschaft. Es ist kein Witz, dass Ausdrucken tatsächlich nicht die Dümmste Idee sein wird. Schriften haben Jahrtausende überlebt; elektronische Daten sind nach einem Jahrzehnt oft unrettbar verloren. Man stelle sich vor, es blieben sonst nur die Printprodukte der Verlagsmedien; die Historiker der Nachwelt würden sich doch scharenweise totlachen!