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Ich bin verwirrt. Dabei lese ich nur noch Überschriften; also größtenteils. Zum Beispiel beim Spon, da gehe ich höchstens einmal am Tag hin und schaue, was sie so annoncieren. Reicht auch, zumal wenn man dann noch einen schnellen Einblick in den Sehnerv gefräst bekommt über das, was ein “bento” für freshen Journalismus hält. Danach kann nichts mehr kommen. Heute las ich also “Der schönste Arsch im Gremium”, unter einem Bild von Katja Kipping und irgendwas von wegen “Sexismus”. Vorher war mir schon woanders die Zeile begegnet, jemand wechsele die Straßenseite, wenn nachts eine Frau vor ihm gehe.

In Tinder-Zeiten stellt sich die Frage, ob diese Kultur womöglich völlig overfucked and undersexed ist. Ständig blimpen die Äpps um mich herum, weil Hinz und Kunz im datengeilen Ficknetzwerk unterwegs sind. Die Jugend ist sowieso völlig verpornt. Vor allem die Jungs haben offenbar nur noch die Simulation dessen im Sinn, was ihnen die Abspritzpisten vorführen. Standardfrage an die Damen ist längst nicht mehr, ob er ihr in den Mantel helfen darf; es geht da regelmäßig eher um “ins Gesicht spritzen” oder “in den Arsch ficken”.

Die andere Seite

Nun könnte man sagen: “Wenigstens reden sie drüber”, wenn schon der sprichwörtliche Zugang zum anderen Geschlecht völlig kapitalisiert ist. Dass der anale Charakter sich hier offensiv präsentiert, macht Sigmund schmunzeln. Es scheint sich um so etwas wie fairen Wettbewerb zu handeln. Wer das Ziel am häufigsten trifft, verschafft sich Geltung. Traurig auch: Wir haben uns damals noch richtig geküsst. Ich fand’s schöner. Cher hatte übrigens völlig recht, aber das nur am Rande.

Auf der anderen Seite eine Welt aus heimlichem Leiden und Paranoia. Versteht sie mein Schnäuzen als versuchte Vergewaltigung? Ist es sexistisch, wenn ich jetzt die Braue hebe? Es scheint auch in diesem Bezug eine Kluft zu geben zwischen dem geistigen Prenzlberg und dem Rest der Welt. Die meisten Frauen, die ich kenne, freuen sich zumindest still, wenn ihnen ein “geiler Arsch” diagnostiziert wird. Die Männer übrigens auch. Sie wissen sogar zumeist scharf zu unterscheiden zwischen Balzverhalten, Kompliment und der Reduktion auf ein Stück Fleisch, das man nach Gusto verarbeiten und sich einverleiben kann.

Keine Zeit

Allerdings gilt das für eine Gesellschaft von Menschen, die miteinander sprechen. Vielleicht liegt da das Problem. Sie filtern sich zu Tode und haben mit der Welt vor ihrer Nase abgeschlossen. Ich nehme mich da ausdrücklich aus, ausgerechnet als einer, der seit mehr als zehn Jahren eine Menge Zeit mit seinem Blog zubringt. Vielleicht auch wieder gerade darum: ‘Kommunikation’ als Management von reflexhaftem Datenaustausch ist mir ein Greuel. Schon dieser ständigen Erreichbarkeit habe mich seit jeher verweigert.

Sie aber wissen nicht mehr, was sie tun, allein weil ihnen die Zeit dazu fehlt. Sie telefonieren auch nicht mehr. Sie tauschen Voicemails aus. Keine Zeit für Gleichzeitigkeit. Keine verbindlichen Antworten, lieber irgendwas ins Mikro labern und sich nachher mit einer originellen Interpretation rausreden. Es gibt nicht einmal mehr Missverständnisse, weil Verständnis gar nicht vorgesehen ist. Dasselbe wie früher, nur aus anderen Gründen: Es gibt gar keinen Sexismus. Es herrscht nur totale Ignoranz. Dann kommt sowas von sowas.