Das kleinere Übel, heute: Emmanuel Macron
Posted by flatter under politik[5] Comments
14. Nov 2017 17:54
Immer wieder erlebe ich, dass Publizisten, denen ich eigentlich einen funktionierenden Verstand unterstellt hatte, ihr Gehirn ablegen und obszön ihre kahlen Schädelwände zur Schau stellen. Vor Wochen hat sich Robert Misik dieses Vergnügen gegönnt und gleich alle Hoffnung auf Genesung fahren lassen. “Silly Left” nannte er diejenigen, die partout in Emmanuel Macron keinen akzeptablen Präsidenten sehen wollten. Es gelte, Le Pen zu verhindern, denn, so das bestechende Argument, einem Wahlbefehl gleichkommend: “Le Pen 2017 ist scheiße.”
Misik verstieg sich gar zu dem Rundumschlag, das seien “nützliche Idioten” und war sich auch nicht zu schade, “Putin” und “Kontakte zu Russland” zu raunen, um der schrecklichen Gefahr noch den Grusel der Verschwörung mit dem Teufel selbst anzuhaften. Kein Thema war für ihn etwa, dass Macron bereits der Architekt der neoliberalen Ansätze unter Hollande war. Der – wer erinnert sich noch? – hatte bereits einen Schröder gepullt, war mit Versprechungen wie “75% Reichensteuer” abgehoben und hat stattdessen dann lieber die Gewerkschaften entmachtet. Dass es inzwischen also üblich ist, das Eine zu wählen und das Andere zu kriegen, ficht ihn nicht an, den Ritter des kleineren Übels®.
Sicherheit ist Freiheit
Faschismus scheint für solche sozialdemokratischen Fachexperten eine Art Label zu sein; eine Marke oder Fahne, nicht etwa eine politische Entwicklung. Kein Wort von Überwachung und Notstandsgesetzen, mit denen die Regierung Hollande/Macron jahrelang Bürgerrechte gehäckselt hat. Nicht, dass man unbedingt hätte wissen müssen, was kommt, aber ausgerechnet der Parlamentarismus-Experte hat nicht kapiert, dass der autoritäre Staat sich am besten von denen umsetzen lässt, die so freiheitlich tun. Le Pen wäre ein Strohfeuer gewesen. Sie hätte mit solchen Ansätzen auf Granit gebissen. Aber man hat sie ja verhindert, und damit das Böse von Hitler bis Putin.
Macron durfte also losregieren und hat von Anfang keine Gefangenen gemacht. Notstandsgesetze? Wozu soll das gut sein? Schaffen wir doch gleich den Richtervorbehalt per Gesetz so weit ab, dass wir sie nicht mehr brauchen. Rüsten wir die Polizei mit allen Rechten aus, die sich schon immer gewünscht hat. Jetzt, wo Le Pen aus dem Rennen ist, ist Polizeistaat etwas Gutes. Der hilft ganz dolle gegen islamistischen Terrorismus, diese Geißel aus dem Nahen Osten. Oder Nordafrika? Egal, Hauptsache Balkan.
Nafris raus
Ganz großer Karneval ist aber sein ganz persönlicher Versuch, den Rechtsradikalen mit Rassismus zuvorzukommen. “Unerbittlich” wolle er “kriminelle Ausländer” abschieben. Nun ist das auch Frankreich schon längst Gesetz und der Präsident hat mit Abschiebungen konkret nichts zu tun, aber klingt doch gut, oder? “Abschieben” und “kriminelle Ausländer”? Soll ich noch mal “kriminelle Ausländer” sagen? Aha, Nachricht angekommen. Außerdem sollen diese Schwarzen gar nicht erst über “Los” gehen. Es geht nicht um irgendwelche Ausländer und schon gar nicht um Kriminalität, sondern um Afrikaner. “Abschieben wie Merkel“, titelt die “Zeit”, nur ohne “Willkommenskultur“.
Frankreich hat sich um die Einwanderer aus seinen Ex-Kolonien ebenso wenig gekümmert wie Deutschland um seine Türken. Nachdem also ‘Integration’ bestenfalls einseitig stattgefunden hat, ist nach deren Scheitern jetzt das große Geschrei der Rassisten angesagt. Gerade Frankreich hat schon ohne die Flüchtlinge der letzten Jahre so viele illegale Nordafrikaner im Land, dass nur Massendeportationen eine, Verzeihung, Endlösung des Problems erlauben. Macron legt sich mächtig ins Zeug, wenn es um hoheitlichen Rassismus geht. Den ehrlichen Rechten geht das dennoch nicht weit genug. Wenn wir sie das nächste Mal ‘verhindern’ wollen, wird der Präsident die Züge wohl rollen lassen müssen. Zum Schutze der Demokratie, versteht sich.
p.s.: Dolle Demokratie haben Sie da, Missiö Le President. Ich bin dann mal weg. [via daMax]
November 15th, 2017 at 08:40
Moin Flatter,
ich habe nix zu sagen denn ich bin ja auch (ein)Nichts.
„Leute, die Erfolg haben, und jene, die nichts sind“
„gens qui réussissent et d’autres qui ne sont rien“
Emmanuel Macron, 29. Juni 2017
November 15th, 2017 at 09:31
Mon Dieu Monsieur Flatt, ihre Frigidär iss eine grässlische Zumutung’ ! Immer diese ‘erabwürdigung’ där Socialdämokratie ! Dabei iss’die unsärä einzisch ‘offnung ! Gä’en Sie doch endlisch fortt !! :D
November 15th, 2017 at 11:15
Ach so, das kleinere Übel also. Ich mach es jetzt mal so wie du Flatter und nehme ’98 als Basis. Mal angenommen ich hätte seitdem immer schön brav das kleinere Übel zur Verhinderung des ganz großen Übels gewählt, dann käme da jetzt was bei raus? Ein Bundeskanzler Schulz? Und das soll ich dann als Erfolg einer solchen Strategie werten? LOL!
November 15th, 2017 at 11:21
Es könnte sich angesichts solcher Strategien auch gar Lustiges ergeben und man müsste in Russland Putin wählen, diesen Zögling eines CIA-Produkts.
November 15th, 2017 at 12:24
@Yossarian – Ich habe, wie vermutlich manch andrer hier auch, 16 lange Jahre lang tapfer das kleinere Übel gewählt, bis es sich dann 1998 endlich materialisierte. Der Rest ist ‘Gechichte’.
Dazu jetzt noch dein Szenario – und…?