Der diesjährige Zusatz-Feiertag lässt mich fragen, warum wir nicht gleich den Geburtstag Johannes Agricolas zum Feiertag erhoben haben. Darüber darf man ja wohl noch reden. Aber widmen wir uns noch einmal der Reformation und ihrem großen Helden:
Martin Luther war ein Anti-Aufklärer, dessen Eifer nur die kniefällig-religiöse Ahnung einer (verlorenen) Vernunft zuließ. Eine säkulare Vernunft war für Luther das schlimmste Teufelszeug, die “Teufelshure”. Nach Luther ist Gott unbegreiflich, grausam und gnadenlos. Hierin besteht dann auch die Kulturleistung Luthers und seiner Kirche, die die deutsche Seele, ihr Narrativ, so fatal geprägt hat. Die Abschaffung der Beichte unter diesen Umständen erschuf einen gnadenlosen völkischen, religiös-fanatischen Eifer.
Psychohölle
Der Ablasshandel, das Erlassen von Sünden gegen Geld (vor allem um den Petersdom zu finanzieren) war für die Christen deshalb so niederschmetternd, weil sie ohne Beichte ihre Sünden nicht loswurden – eine Erpressung von enormer psychischer Gewalt. Sie hatten sehr reale Angst in die Hölle zu kommen. Dann kam Luthers Reformation mit einem Heilsversprechen, das seine Schäfchen vordergründig von der Beichte unabhängig machte, ihnen aber keineswegs die Angst nahm – im Gegenteil. Es war ein Rückschritt zum Sündenbockprinzip.
“Und wirst du sündigen, so wird er dich auffressen.“, so Luthers Gottesbild. Hubertus Mynarek kommt zu dem Schluss: “Luther hat allen Lutheranern ein extrem inhumanes, krankmachendes Gottesbild vererbt. Seine “Theologie” ist das Spiegelbild seiner Persönlichkeit, die sich als willenloses Werk- und Spielzeug in der Hand übernatürlicher, sich in seiner Seele tummelnder göttlicher und teuflischer Mächte empfand und erlebte.” In Luthers Kirche fand dieser Wahn ein Zuhause, in dem Sünden fortan nicht mehr vergeben wurden.
Druckablass
Es gibt in dieser Psychohölle nur einen Ausweg: Die Projektion des Leids und der eigenen Sünden auf etwas noch Minderwertigeres. Schon Luther bot dafür die Juden an, sein Judenhass ist haltlos und mörderisch. Zudem verlangte er absoluten Gehorsam gegenüber den Feudalherren. Zweifellos hat er damit einen Samen gesät, der auch im Nationalsozialismus aufging. Zuvor hatten sich schon in der Neuzeit Protestanten besonders eifrig an der Hexenverfolgung beteiligt.
Aber nicht Luther allein hat die Voraussetzungen für die totalitäre brutale Gesinnung der Deutschen geschaffen, sondern in seiner Folge vor allem die preußischen Calvinisten. Die Staatsverwaltung der Hohenzollern, ebenso calvinistisch geprägt wie die Landesherren, reicherte die Gnadenlosigkeit der neuen Konfession mit einer Arbeitsethik an, die den verzweifelten Sündern ein weiteres Angebot machte: Arbeite, sei wirtschaftlich erfolgreich und verdiene dir so Gottes Gnade!
Traditionen
Die religiöse Wurzel des Kapitalismus wurde in Preußen in trauter Eintracht mit dem Lutheranismus gehegt. Gehorsam gegen die Obrigkeit wurde durch das allgegenwärtige Militär und strenge Hierarchien zum Markenzeichen: die „preußischen Tugenden“ sind seitdem so sprichwörtlich wie “Wir tun nur unsere Pfilcht”.
Das Ergebnis ist eine Mischung aus Eifer, Fleiß, Antisemitismus und Sadomasochismus. Einzig Luthers Irrationalismus erhielt unter den Hohenzollern einen gewissen Dämpfer. Im Rahmen der gegebenen Hierarchien, versteht sich, denn “wahre Aufklärung beleidigt die Majestät nie”, wie selbst die Rebellen unter den evangelischen Theologen stets wussten. Dass Demokratie die Majestät an sich beleidigt, war daher bis 1985 auch Leitlinie in der evangelischen Kirche. Inzwischen hat sie sich zähneknirschend angepasst und predigt uns nunmehr Freiheit in Verantwortung®.
p.s.: Weiterhin Erbauliches dazu gibt es hier und bei Charlie.
Oktober 30th, 2017 at 14:49
Dumdidum – Merkel: Reformationsjubiläum wichtiger Tag
Unglaublich, was sich die Frau zurecht reimt. Märchen für Erwachsene.
Oktober 30th, 2017 at 15:36
Wie geil; Merkel lobt original “Freiheit und Verantwortung®”. Bingo!
Außerdem im Angebot: Trennung (von Kirche und Staat) ohne Trennung und ein “unbändiger Arbeiter“, der “Ermutingung” für sie ist, auch wenn man über seine Äußerungen zum Judentum “kritisch berichten” muss. Yo. Also Juden Töten finde ich jetzt nicht so dolle, aber fleißig war er. So will ich auch sein.
Oktober 30th, 2017 at 16:03
Wer in der Nähe Heidelbergs wohnt, kann sich das anschauen: „Von Golgatha nach Auschwitz“
Oktober 30th, 2017 at 18:29
Eine wichtige Frage bleibt weiterhin im Dunkel: Wie hat der Typ es geschafft sich selbst dermaßen zu radikalisieren – so ganz ohne Internet?!
***
Anbei (sorry fürs OT), weil ich die Tage stets das Loblied der lutherischen ‘Sprachgewalt’ vernehmen durfte: ein weiterer lesenswerter Beitrag auf Freistetters Blog, der sich auch mit der ‘Argumentation’ besagten Beißers beschäftigt.
Oktober 30th, 2017 at 20:19
Hier ist Horst: “reicherte die Gnadenlosigkeit und der neuen Konfession” der, die das – hier iss was (falsch?).
Oktober 30th, 2017 at 20:41
In einem waren sich die Herren Reformatoren jedenfalls einig: dass “wir [...] in allen Stücken unserer Natur dermaßen verderbt und verkehrt [sind], dass wir allein wegen dieser Verderbnis vor Gott mit Recht als Verdammte und Verworfene dastehen” – das war jetzt zur Abwechslung mal Calvin.
Da müssen im Anschluß Hobbes und Smith schon fast wie Erlöser dahergekommen sein, der eine mit Absicht und Plan, die Verderbten wenigstens zu bändigen, der zweite gar mit der Aussicht, dass sich gerade durch diese egoistische Sündhaftigkeit noch alles zum Besten wenden könne und werde.
Aber auch die Reformatoren haben dieses fatale Menschenbild nicht erfunden, nur mit Macht sozusagen ‘reinstalliert’ und nochmals bekräftigt.
Oktober 30th, 2017 at 20:54
Nee, das waren die Schweizer von Ricola, oder? Ich fürchte, das sind schlicht psychologisch hoch wirksame Herrschaftstechniken, die sich vor dem Hintergrund der christlichen Opfermythologie entwickelt haben. Auch die hat sich nicht selbst erfunden etc.. Was aber will uns der Autor damit sagen?
Oktober 30th, 2017 at 21:11
“Was aber will uns der Autor damit sagen?” “Esu sin se, de Minsche.”? Tschuldigung für die erneute Störung. ;-)
Ansonsten: Klasse Post (FACK).
Oktober 30th, 2017 at 22:11
Hier findet sich ein “Best of Luther” – der wäre heute wahrscheinlich sogar der AfD zu krass, könnte aber als Texter einer Band bei den Auftritten in Themar fungieren: http://www.martin-luther-2017.de/
Fun Fact: von Themar zur Wartburg sinds gerade mal 80 km. Da drängt sich mir die Frage auf, hat das Gedankengut des “gelehrten Doktors” im alten Sachsen besonders gut verfangen, so dass es dort bis heute nachwirkt?
Oktober 30th, 2017 at 22:21
Themar und die Wartburg sind in Thüringen, sagt mein Stadtplan, was den im Grunde richtigen Verdacht leider trübt.
Oktober 30th, 2017 at 22:29
@flatter: Du hast auch mal in Sachsen gewohnt. Ist aber 1000 Jahre her.
Oktober 30th, 2017 at 22:51
In Themar habe ich billigen Rotwein getrunken, in einer Scheune und auch mal im Fahrkartenschalter geschlafen, Joints geraucht und eine bunte elektrische Gitarre zum Zwecke der Publikumsunterhaltung gespielt. Mit Bart und fettigem Haar. Ist aber schon lange her.
@flatter, ‘tschuldigung, hab’ mich bei der Mailadresse verschrieben. Kommt nicht wieder vor.
Oktober 30th, 2017 at 23:14
@R@iner(11): Nun, das Heilige Römische Reich macht mich gleich zweimal zu einem … Italiener? Oder bin ich napoleonischer Franzose? Besetzter Englischmann? Das ist alles so verwirrend.
Oktober 30th, 2017 at 23:51
“Nun, das Heilige Römische Reich macht mich gleich zweimal zu einem … Italiener? Oder bin ich napoleonischer Franzose? Besetzter Englischmann? Das ist alles so verwirrend.”
Dafür kannte man früher das bezaubernde treffend unzutreffende Wörtchen ´Welscher´, oder?
*Psychohölle* LOL ich wünschte das wär mir im Konfirmationsunterricht eingefallen!!!
Oktober 31st, 2017 at 00:27
@Ringo: Kein Problem :-)
November 1st, 2017 at 14:08
@flatter #7 -Was aber will uns der Autor damit sagen?
Der Autor – dem schon klar ist, dass er allmählich nervt ;) – möchte damit zum einen sagen, dass es sich lohnt, noch tiefer zu graben und noch frühere Schichten freizulegen. Gut, damit scheint er im Prinzip erstmal quer durch die Scheune zu rennen, trotzdem.
Ihm will nämlich scheinen, dass es da eine sehr lange Linie des Widerstreits zwischen herrschaftsorientierten und egalitären Konzepten gibt, wobei letztere mit dem hier immer wiederin Anschlag gebrachten misanthropen Menschenbild schlicht nicht vereinbar sind, während sich erstere aus demselben quasi automatisch ergeben. Das perfide an dieser ‘opfermythologischen Herrschaftstechnik’ ist ja, dass ‘der Mensch’ selbst, aus Einsicht in seine Verderbtheit und Sündhaftigkeit, um seine Beherrschung einkommt.
So bekommt auch jeder Versuch, an die Vernunft zu appelieren, unweigerlich entsprechende Schlagseite, wenn dieses Bild gesetzt bleibt. Es geht dann, wie schon bei den alten Griechen, nur noch um die Frage, ob es eine Monarchie bzw Diktatur sein muss, oder ob nicht eine Republik vielleicht auch schon ausreicht. ‘Herrschaft’ selbst bleibt damit aber ebenfalls gesetzt.
Fatal des weiteren, dass herrschaftsförmige Gebilde zu ganz anderen Formen der Gewalttätigkeit bereit und fähig sind als egalitäre. Denn Institutionen und Apparate, die eine Gesellschaft ausbildet, beruhen zwangsläufig auf dem Bild, dass sich die Menschen von sich selbst und ihrer Umgebung machen. Und die herrschaftsförmigen haben sich aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft bisher als sozusagen ‘strukturell überlegen’ erwiesen.
Kurz, je länger ich überdiese ‘lange Linie’ nachdenke, desto zwingender scheint mir die ja auch hier schon geäußerte Ansicht, dass dieses ‘Selbstbildnis’ – in des Begriffes doppelter Bedeutung – elementar ist für alle Versuche, eine wirklich andere, auf egalitären Verhältnissen beruhende Gesellschaft mit entsprechenden Institutionen zu begründen.
Eine reine Diskussion über die ‘technische’ Seite einer solchen Transformation, also über Institutionen und Apparate setzt bereits eine Ebene zu hoch an, ist eben nicht ‘radikal’, sondern auch nur ‘symptomatisch’.
November 1st, 2017 at 14:26
Hier übrigens noch ein paar kurze, aber lesenswerte und ausbaufähige Anmerkungen zu Weber.
November 1st, 2017 at 15:13
@Peinhart(16):
Vorab: Ich verstehe den Ausdruck “um seine Beherrschung einkommt” nicht.
Im Kern sehe ich keine Contradictio (um deutlich zu machen, dass mit “Widerspruch” an dieser Stelle ein ausschließender gemeint ist) zwischen den beiden Ansätzen, die du “egalitär” vs. “Herrschaft” nennst. Im gegenteil ist die Konstellation egalitär vs. dominant zwar konträr, kommt aber häufig vor und ist m.E. u.a. in der parlamentarischen Demokratie und ihrem Narrativ angelegt. Der erste Wert der frz. Revolution ist ja “Egalité”. Es wird allenthalben so getan, als seien die Bürger gleichberechtigt, und die Herrschaft, so weiß gerade der Kritiker des Systems, dient vornehmlich dem Schutz des Eigentums, mithin einer Herrschaft, die Gleichheit verhindert – nicht, weil sie das Böse im Menschen fresetzt, sondern weil sie dem heimlichen Unrecht im Wege steht.
Es erschließt sich mir auch nicht, wo eine egalitäre Gesellschaft ‘gefährlicher’ wäre im Hinblick auf menschliche Abgründe als eine hierarchische. Der Konflikt ist doch eher ein rhetorischer, den die jeweilige Herrschaft pflegt, um ihre Obsolenz zu kaschieren. Der Rest ist Konditionierung einhergehend mit der fehlenden Idee, was man denn tun sollte, wenn einem das keiner mehr sagt.
November 1st, 2017 at 15:27
@#17: Hatte ich schon und kopfschüttelte, Argumente wie “Vielmehr sei die protestantische Ethik der Calvinisten eine Handwerker-Doktrin gewesen, zudem sei der moderne Kapitalismus schon älter – er sei in Italien ohne die Mithilfe irgendeines religiösen Irrationalismus auf die Welt gekommen.” zeigen, dass da einer nicht im Ansatz den Weber kapiert hat, geschweige denn den Foucault. Adäquat könnte man behaupten, eine jüdische Religion könnte keinen Einfluss auf das frühmittelalterliche Rom gehabt haben, weil es dergleichen schon tausend Jahre vorher gab.
November 1st, 2017 at 16:42
@flatter #18 – ‘Um Beherrschung einkommen’ = um Beherrschung bitten. Der Mensch sieht sozusagen selbst ein, dass er aufgrund seiner egoistischen, auf Dominanz über andere ausgerichtete ‘Natur’ selbst beherrscht werden muss weil sonst eben ‘Krieg aller gegen alle’.
Nun versteh ich aber auch nicht alles. Es erschließt sich mir auch nicht, wo eine egalitäre Gesellschaft ‘gefährlicher’ wäre im Hinblick auf menschliche Abgründe als eine hierarchische. – Wo liest du das bei mir?
In Bezug auf die frz Egalité würde ich sagen, dass das ein ziemlich halbherziger und/oder gescheiterter Ansatz war. Die parlamentarische Demokratie verweist ja auch schon auf das Weiterbestehen von Herrschaft in Form der Republik, so wie das angesprochene Menschenbild im homo oeconomicus weiterlebt bzw wiederbelebt wurde. In der Betrachtung als ‘Mogelpackung’ – die angebliche Gleichheit dient vor allem der Fiktion des gleichberechtigten Vertragsschlusses – dürften wir uns jedoch soweit einig sein.
Der Rest ist Konditionierung einhergehend mit der fehlenden Idee, was man denn tun sollte, wenn einem das keiner mehr sagt.
Meine These ist es ja, dass gerade diese Konditionierung in einem sehr starken Maße auf eben dieses tief verinnerlichte, sich durch Jahrtausende ‘westlicher’ Geistesgeschichte ziehende, geradezu ‘apokalyptische’ Menschenbild zurückzuführen ist. Sozusagen eine ‘Tiefengrundierung’, und mitnichten auf das politisch ‘rechte’ Spektrum beschränkt.
November 1st, 2017 at 16:51
“Wo liest du das bei mir?”
Ich verstehe dich so, dass die egelitären Gesellschaften weniger geeignet wären, das Monster zu domestizieren.
“In Bezug auf die frz Egalité” – ja sicher war das halbherzig, weil sie ja wussten, dass manche gleicher bleiben würden. Für das Narrativ, als Versprechen ist es aber unabdingbar, um die vielen (vermeintlich) freiwillig zu einen. Insofern ist seitdem Herrschaft ans Versprechen der Freiheit (von ihr) gebunden. In diesem Bruch lockt die Möglichkeit wirklich egalitärer Strukturen.
Ich glaube nicht an “Jahrtausende” wirksame Konditionierung; im Gegenteil ist das immer der Kurzfrist-effekt. Wirkt sofort, wenn das Setting stimmt. So ein Scheiß wie NLP hampelt ja z.B. damit herum, ebenso andere primitive Verhaltenstherapien (die recht erfolgreich sein können). Das mit den Jahrtausenden ist das Narrativ. Das macht es sehr schwierig, die konkreten Konditionierungen so anzulegen, dass sie nicht ständig sozial destabilisiert werden. Daher braucht es meist einen großen Rumms, um das maßgeblich zu ändern. Wie man sieht, ändert das mitunter die Ursachen, aber leidet nicht die Symptome.
Ähm, wenn ich deinen Kommentar noch mal lese, könnte das da schon drinstehen ;-) Okay, also das “‘apokalyptische’ Menschenbild” wäre demnach ein Kern des Narrativs. Nuya, sind wir da etwa wieder recht nah beim Luther?
p.s./edith: Womöglich ist das der Fortschritt der Zivilisation, dass im Narrativ die Drohung schwächer wird und die Versprechen wichtiger. Das mit der Hölle ist keine taugliche Erzählung mehr, wenn sie ersichtlich selbsterschaffen auf Erden liegt.
November 1st, 2017 at 18:44
Ich verstehe dich so, dass die egelitären Gesellschaften weniger geeignet wären, das Monster zu domestizieren.
Welches ‘Monster’…? Nein, ich bin im Gegenteil eben der Meinung, dass erst dieses fatale Selbstbild das ‘Monster’ sozusagen erst wirklich erschafft. Natürlich gibt es diese unangenehmen Züge menschlichen Verhaltens, aber erst indem man sie zum Kern des menschlichen Wesens, zu seiner ‘Natur’ schlechthin erklärt (und andere Züge dabei schlicht unterschlägt) und, s.o., entsprechende Institutionen schafft, wird es sozusagen zur selbsterfüllenden Prophezeihung. In der so erschaffenen Welt musst du diese Züge aufweisen, um ‘erfolgreich’ zu sein. Ansonsten bist du, wie dieser schöne Spruch geht, einfach ‘zu gut für diese Welt’.
Ein ‘egalitäres’ Menschenbild hingegen ginge von der Voraussetzung aus, dass nicht individueller Erfolg und Macht über andere, sondern im Gegenteil ein friedliches (und fröhliches, statt verbissen angestrengtes) Leben in der Natur des Menschen läge und daher erstrebenswert sei, und dass man ein solches nur gemeinsam – und immer wieder den Konsens suchend statt der Konfrontation – zu verwirklichen sei. Eine Gesellschaft, die sich selbst so sieht, wird wie gesagt auch ganz andere Institutionen ausbilden. Mitanderen Wort und um diesen Begriff endlich auch mal zu nennen, eine andere ‘Kultur’.
Bezüglich Konditionierung und Narrativ kann und mag ich dir folgen – und natürlich sind wir da ganz nah beim ollen Luther – der es aber wie gesagt auch nur (wieder) aufgegriffen hat.
Zu deinem letzten Absatz ich einwenden wollen,dasses sich um eine ganz spezifische Zivilisation oder eben ‘Kultur’handelt, eben die, die ich etwas verkürzend die ‘westliche’ nenne. Die ‘Möglichkeit wirklich egalitärer Strukturen’ haben andere Kulturen in Vergangenheit und Gegenwart, siehe Amborn, bereits weitgehend verwirklicht. Nur sind sie, wie auch schon gesagt, den gewaltbereiten Misanthropen im allgemeinen ‘strukturell’ unterlegen – die ‘westliche’ Geschichte ist nicht zuletzt auch die Geschichte der rücksichtslosen Zerstörung solcher ‘primitiven’ und ‘zurückgebliebenen’ Kulturen, und die Geschichte ihrer ‘technischen Fortschritte’ nicht zuletzt die Geschichte ihrer Waffentechnologie und ihrer Spin-Offs.
Mein ‘ceterum censeo’ jedenfalls nochmal: wenn wir uns um diesen fatalen ‘Kern des Narrativs’ nicht ganz zentral kümmern haben wir wenig Aussicht auf grundlegende Veränderung. Und da muss man mE wohl deutlich ‘tiefer’ ansetzen als erst bei Luther. Der war ja auch nicht zufällig ausgerechnet ein Augustinermönch… ;)
November 5th, 2017 at 16:18
Gar nicht mal so OT und absolut lesenswert:
Was autonome Systeme mit uns machen (werden)
Mai 3rd, 2018 at 12:48
Oh, verpasst: Das hier ist der 3000. Opener. Ich gratuliere mir.