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Nicht erst die neoliberale Lyrik, seit Orwell bekannt als “Zwiesprech” und “Neusprech”, hat das Proletariat aufgespalten. Allerdings wirkt vor allem die Vokabel “Prekariat”, eine typische deutsche Herabwürdigung, wie eine Mauer zwischen denen, die sich noch erfolgreich ausbeuten lassen und denen, die keine Chance mehr haben, ihren “Lebensunterhalt zu verdienen”.
Die Deutschen sind seit Luther und Friedrichs calvinistischer Bürokratie sehr eindeutig, was dieses “Verdienen” anbetrifft. Das hat die konsequenteste Form bei den Nazis unter dem Motto “Arbeit macht frei” angenommen und erhält sich bis zu Münteferings “Wer nicht arbeitet, muss auch nicht essen“. Mehr noch: Im Zweifel haben sie es alle verdient: die Faulpelze genau so wie diejenigen, die trotz Arbeit nicht auskommen. Müssen sie auch so ungebildet sein, das Falsche studieren oder sonstwie minderwertig sein am Arbeitsmarkt? “Selbst Schuld” steht hier schon immer über den Toren zur Hölle oder auch “Jedem das Seine”.
Schuld und Wert
Wirklichkeit und Anspruch kommen gleichermaßen unter die Räder dieser fanatischen Ideologie, die sich noch für den Kern der Zivilisation hält. Heute hörte ich von einem Schlachthof, der künftig vollautomatisch betrieben wird. Die Schlächter werden durch Roboter ersetzt. Selbst schuld, sie hätten ja etwas Anständiges lernen können. Ernsthaft prahlen die Ideologen derweil noch mit der Zahl der Arbeitsstellen – und ignorieren dabei, von wie vielen die Arbeiter nicht mehr leben können und dass Deutschland seine Arbeitslosigkeit millionenfach zu den Handelspartnern exportiert. Faule Griechen, selber Schuld®!
So wird das Proletariat zersplittert in Arbeitslose, Arbeiter, die auskommen, Arbeiter, die aufstocken, Inländer, Ausländer, Europäer und Außereuropäer, Nützliche und Unnütze sowieso. Es gibt keine relevante politische Kraft, die noch versucht, das Proletariat als ganzes zu sehen. Von “Vertreten” einmal zu schweigen. Das Totalversagen linker Politik trägt verheerende Züge. Inmitten einer unfassbaren Produktivität verarmt das Proletariat weiter. Es ist niederschmetternd.
Höhere Weisheit
Und selbst das Bürgertum müsste sich in Grund und Boden schämen. Dessen Reservat, die (obere) Mittelschicht, rennt im Kreis vor sich selbst davon, um ja nicht mit irgend einem Anspruch konfrontiert zu werden, das auf seinen mottenzerfressenen Fahnen steht. Freiheit? Gleichheit? Brüderlichkeit? Demokratie? Wer für wen? Welchen Weg geht denn ihre dolle Demokratie? Werden das mehr oder weniger, die “gut und gerne leben können“? Wird der Anteil des Kuchens beim “Volk”, das hier angeblich herrscht, größer oder kleiner? Und wenn die Antwort unbefriedigend ausfällt: ist da irgendwo Aussicht auf Besserung?
Ich lese Analysen, Kommentare, Bewertungen und Einschätzungen in den Verlagsmedien und Öffentlichen Rechtsanstalten, aber keine – keine einzige – befasst sich mit der Möglichkeit, dass die Zustände selber das Problem sind. Zustände, die obszönen Reichtum genauso automatisch vermehren wie das Elend, das aus demselben Zwang folgt. Das hieße ja, es liefe etwas ganz und gar falsch. Aber das ließe der Herrgott niemals zu, schon gar nicht in seinem braven Deutschland.
[Update:] Dringend empfohlen: Der “tagesspiegel” zur neoliberalen Strategie des Klassenkampfes von oben in Europa.
September 18th, 2017 at 19:01
Das Heer der Kapitalfraktion zieht gerade gen Osten, gefolgt von den Marketenderinnen der Medien und der Parteien. In China gibt es eine Mittelschicht von 300 Mio. Menschen, die sich deutsche Autos und Schweizer Schokolade leisten können. Bald sollen es 500 Mio. sein. In Indien steht gerade ein ganzes Volk auf, um endlich die oberen Reihen im Regal erreichen zu können. Die paar Mio. Armen in Deutschland bekommen die Joghurts und Wurstwaren mit abgelaufenem MHD bei den Tafeln vor die Füße gekippt und das war’s. Das Proletariat verspricht kein gutes Geschäft.
September 18th, 2017 at 23:06
Proletariat?
Heißt das nicht Polenta- riat?
Wasser aufkochen, salzen und Maisgries einrühren.
Auf kleiner Flamme, ständig rührend ausquellen lassen.
Wenn gefällig einen Stich “guter Butter” zum Ende beifügen.
Selber Schuld heißt in Deutschland zukünftig “Selber Chulz”.
September 19th, 2017 at 00:12
“… dass die Zustände selber das Problem sind”. Das Problem an dem Problem ist demnach das Problem, das ist das Problem.
September 19th, 2017 at 00:40
Du bist halt kein (Sozial-)Demokrat, sonst wüsstest du, dass man nur die richtigen ans Ruder® …
September 19th, 2017 at 00:48
Hoppla, was ist denn da beim Tagesspiegel los? Harald Schumann und Elisa Simantke stellen fest: “Die Prekarisierung wurde absichtlich herbeigeführt.“.
September 19th, 2017 at 01:22
@ flatter
Doch. Sozial und Demokrat. Mit allen Vieren auf dem grundgesetzten Boden.
Du meinst, man solle von der Suche nach den Richtigen ablassen, um sie dann ans Ruder …? Es gibt gar keine Nadel im Heuhaufen? Nehmt den vollgeschissenen Penner da drüben!
September 19th, 2017 at 03:31
@ flatter [September 19th, 2017 at 00:48]
Wer weiss denn selbst, aus der Praxis, welche qualifizierten Anstrengungen es sowohl im Vorder- als auch im Hintergrund erfordert, um so ein Projektziel zu erreichen? Ständig umgeben von so viel medialer Gescheitheit. Das Ergebnis, also “Prekarisierung”, wird vermutlich die Erwartungen übertroffen haben. Zunächst, denn Erfolge führt man dort, in der Regel, fort.
Ich bin krank. Ein Angreifer ohne eigenen Zellkern hat mich für eine Weile ans Bett gebunden. Was ich von hier aus so alles erfahre. Weiss gar nicht ob das gesund ist.
September 19th, 2017 at 10:14
Mein Foto vom Eingang ins KZ Buchenwald passt vielleicht besser zum Thema als ein freier Bauer der kapitalistischen Peripherie. Ich überlasse dir das Bild zur (nichtkommerziellen) Verwendung.
http://marx-forum.de/Forum/gallery/index.php?image/959-eingang-zum-kz-buchenwald-bei-weimar/
Übrigens ist der Schriftzug im Bauhausstil – wahrscheinlich von einem Bauhaus-Absolventen.
September 19th, 2017 at 12:30
Danke, aber ich habe mich bewusst für ein anderes Motiv entschieden.
September 19th, 2017 at 18:26
Wat is eigentlich mit Wat.?
September 19th, 2017 at 20:39
Na, dat :-P
Nee, im ernst, ich bereite einen (vorerst leider nur Teil-)Umzug vor, nebenher versuche ich mich inwendig weiter zusammen zu leimen…
… und dachte mir so, daß Du auf eine Definition „Proletariat“ nach Marx nicht wirklich ‚scharf‘ bist. Ich könnte auch die nach Lenin, aber auf die bin ich bekannterweise nicht ‚scharf‘.
Dat Wat. is also hier ;-)
September 19th, 2017 at 22:46
@ Wat.
Der Prolet als solcher wirkt so ungehobelt. Wer hat ihn so verkommen lassen?
September 19th, 2017 at 23:08
@Wat.: Man macht sich halt Sorgen, ne? Schön, von dir zu hören.
September 20th, 2017 at 11:15
In Spanien geht langsam die Post ab. Raul Zelik berichtet auf Twitter über einige der Ereignisse.
Recht informativ auch sein Feature “Die spinnen, die Europäer (3/4): Katalonien – raus aus Spanien? (Podcast, 29 Min.)
September 20th, 2017 at 12:10
Ich habe eben mal in die Tagesshow-kommentare geguckt (sonst keine Schmerzen) und gelernt, dass die Unabhängigkeit Kataloniens im Sinne Putins wäre. Zitat: “Ein Schelm, wer böses dabei denkt.” Wusst ich’s doch!!!11!!
September 20th, 2017 at 12:15
@ Rainer
Ich lebe schon seit vielen Jahren hier in Barcelona, habe mir hier meine prekäre Existenz aufgebaut. Und mir wird immer gruseliger zumute. Es ist unmöglich, mit irgendeinem Spanier aus irgendeinem Teil des Landes, einschließlich Katalonien, Baskenland und Galicien, auf vernunftbasierter Ebene über dieses Thema zu diskutieren. Es kommen sofort die Emotionen hoch. Zu viele Dinge sind im Laufe der Jahrhunderte geschehen und die Vergangenheit verdeckt die Sicht auf die aktuelle Lage und das globale Umfeld, in dem wir uns heute befinden und dem wir unterworfen sind. Ich selbst finde die Sichtweise dieses Blogautors am zutreffendsten und gleichzeitig auch am besorgniserregendsten. http://crisiscapitalista.blogspot.com.es/2017/09/bandera-catalana-tras-el-1-o.html
Du kannst doch Spanisch, Rainer, nicht wahr? Würde mich interessieren, was du darüber denkst.
September 20th, 2017 at 13:27
@Vera: Ich lese es mir in Ruhe durch. Meine Antwort kann etwas dauern (morgen?), da ich gerade einiges zu tun habe.
Was ich aber schon vorab sagen kann, ist, dass ich es für sinnlos halte, die eine Verwaltung durch eine andere zu ersetzen. Im Heise-Forum meinte mal ein Kommentator, dass die politische Führung in Katalonien nur von der eigenen Korruption ablenken will. Dem kann ich etwas abgewinnen. Und wenn Linke “linksnational” auftreten, dann sollen sie sich halt in ihren Scheißhäusern einschließen.
September 20th, 2017 at 13:30
Lustiger Zufall btw.: Meine Tochter ist gerade in Barcelona, sie sagt aber, dass sie mit ihrem Spanisch dort nicht weit kommt. Noch lustiger und zufälliger: Ihr Vater wird am Monatsende dort auflaufen, der kann aber gar nix.
September 20th, 2017 at 13:38
Barcelona könnte einer der interessanteren Orte am Monatsende werden. Ich hoffe inständig, dass die Leute auf allen Seiten ihren Verstand behalten.
September 20th, 2017 at 14:05
Nur halb OT: nächste Schlappe für Maas – Mietpreisbremse könnte verfassungswidrig sein, erfüllt aber vor allem ihren – angeblichen – Zweck nicht und bewirkt eher das Gegenteil. Wie gehabt halt.
September 20th, 2017 at 16:30
Schönes Photo. Ist das zufällig aus Indonesien (ich tippe mal Sulawesi). Ist aber auch ein schöner Kerbau. Übrigens, wenn der Bauer so ein Viech in der Grössenordnung verkauft, kann der sich lässig ein Kleinlaster davon kaufen, dann hat sich der Kerbau wegrationalisiert. Selber schuld!
PS: zu 18, meine ehemalige Mitbewohnerin hat ein Jahr in Barcelona studiert, hat also an der Uni in HH fleissig spanisch, also kastillanisch, gelernt, da sie bis dato kein Wort konnte. An der Uni in Carcelona dann die Ernüchterung, 80% der Kurse in der stolzen Muttersprache catalan u. bei den übrigen 20% hat der Prof auf castillan die Fragen gestellt u. die Mitstudierenden auf catalan geantwortet.
Den Regionalismus in Spanien fand ich schon immer recht putzig.
September 20th, 2017 at 18:21
@ Rainer, 17.
Ja, natürlich. Und auch die Zentralregierung und ihre gesamte parlamentarische Opposition haben ein offensichtliches Interesse daran, von der Korruption in ihren Reihen abzulenken.
Es ist im Übrigen schwer, wenn man Tag für Tag hört, wie die astreinen Demokraten in der Zentralregierung immer weitere autoritäre Maßnahmen ergreifen, um das Referendum zu vermeiden, der Versuchung zu widerstehen, sich automatisch mit der anderen Seite zu solidarisieren. Nur halte ich nichts von dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Es gilt, einen kühlen Kopf zu bewahren.
September 20th, 2017 at 18:38
@Vera: Bist auch so gut, bei einer Mailadresse zu bleiben, z.B. der spanischen? Sonst müsste ich jeden Kommentar einzeln freischalten.
September 20th, 2017 at 19:11
Entschuldigung, dachte ich hätte dieselbe eingegeben. Also die richtige ist die mit .cat (bitte die andere zu löschen). Und die ist im Übrigen bis jetzt noch spanisch und ihre Verwendung ist kein Glaubensbekenntnis meinerseits. Wäre es eine .es, dann wäre das auch kein Glaubensbekenntnis, allein schon deshalb, weil ich gar nicht mehr weiß, was ich noch glauben soll.
September 21st, 2017 at 09:12
@Vera: So, habe den Beitrag mal gelesen. Um wirklich nachzuvollziehen, wovor darin gewarnt wird, müsste ich mir das eingangs erwähnte Buch und das Papier “Decentralization and Democratic Local Governance Programming” (pdf, 80 S.) zu Gemüte führen, wozu ich allerdings im Moment keine Lust und auch keine Zeit habe.
Der/Die Blogautor/en stellen ein Voranschreiten der Regionalisierung in der Welt (Wirtschafts-) Monopolen gegenüber, die sich selbst in ihren Strukturen (Konkurrenz, Wachstumszwang) nicht verändern, sondern nur ihre Macht ausbauen, indem sie über ihre Marktherrschaft die durch Dezentralisierung politisch geschwächten Entitäten noch weiter zu konzernaffinen Regelungen drängen können.
Das Hauptthema des Blogs ist dann auch der Marktimperialismus in Zeiten der Globalisierung.
Auch wenn der Begriff “neoliberal” im Artikel oft genutzt wird, finden sich an anderer Stelle Verweise auf Lenin, Hilferding und weitere Leute, deren Ideen älter sind als die eines Hayeks.
Am Ende weiß ich nicht, wohin ich das dort Geschriebene auf die Schnelle packen soll. So richtig neu ist das alles nicht und an eine bestimmende politische Macht, die der Wirtschaft Grenzen auferlegen kann, glaube ich nicht.
Am Anfang steht immer die Anforderung, dass das Essen auf den Tisch kommt. Woher es stammt und unter welchen Bedingungen es erzeugt wurde, kommt leider als Frage erst an zweiter und dritter Stelle.
Wenn sich die Katalanen aber nicht damit beschäftigen, dann werden sie wie alle anderen ein Problem haben.
Und wenn Staatslinke der Meinung sind, dass sie es besser können, dann sollen sie erklären, wie es gehen soll. Wenn aber die Erklärung nationale Planwirtschaft für alle Güter vorsieht, dann besteht vielleicht Diskussionsbedarf.
p.s.: Darstellungen von Kraken, die wie hier den Globus umfassen, würde ich als Linker wegen der unschönen Erinnerungen vielleicht unterlassen.