Unsere heutigen Gäste …
Posted by flatter under best of , kunstlyriklamauk[42] Comments
15. Aug 2017 19:26
Früher war mehr Salbe. Fand ich irgendwie nicht schlecht. Also dieses Salbungsvolle im Unterton der Denkbefehle. Ich meine jetzt nicht die Experten aus den Sportpalästen, den Klumpfuß aus Rheydt mit seinem Singsang oder die Melone aus Bonn, die auch besser schunkeln konnte als einen korrekten hochdeutschen Satz formen. Auch nicht die Aushilfsgoebbelse von der Wochenschau.
Nein, mehr so den bürokratischen Stil der Gazetten und des Rundfunks. Diese zwanghaft auf neutral und wetterfest gebrasseltenen Nachrichtentexte, die jederzeit Maxime eines Gesetzbuchs hätten werden können. Vier Fünftel der Adressaten haben damals zwei Drittel nicht verstanden, aber es wurde deutlich weniger gelogen. Schon gar nicht platt und primitiv. Okay, dafür gab es schon immer den Springerkonzern und dessen Ausscheidungen. Aber das war damals auch noch Gosse.
Jetzt red I
Es gab auch noch keine Talkshowbots. Es gab Befragungen und kleine Runden, in denen Menschen mit Interesse Fragen stellen, die seriöse Vorbereitung erkennen ließen. Solch furchtbare Strapazen will man heute keiner Dompteuse eines Celebrity Death Matches mehr zumuten. Sie muss ja schon am Abend der Show so schlimm schwitzen und das Gekeife ertragen – worin ihre Hauptqualifikation besteht.
Ich denke, das liegt nicht nur daran, dass früher die graue Autorität besser funktioniert hat, so dass der Rezipient sich gefälligst nach denen zu richten hatte, die sprachen. Es war eben nicht bloß Entertainment, sondern auch Vordenken und Andacht. Das Wichtigste ist wohl, dass früher noch keine nivellierte Mittelschicht die Spiele zum Brot unter sich austrug. Es musste jederzeit damit gerechnet werden, dass nicht nur wirklich gebildetes Publikum lauschte, sondern auch Arbeiter. Mitunter lesende Arbeiter.
Heute liest nicht mal mehr das Abiturientenpack, und um deren Aufmerksamkeit für die zur Verfügung stehende Spanne von einigen Millisekunden zu erwischen, müssen sie halt alle bei Illner, Will und Maischberger den Chrustschow auf Koks in Endlosschleife geben. Propaganda für verblödete Mittelschichtszombies, von Atlantikern für Atlantiker bei steif neoliberaler Brise aus West-Nordwest.
Die weht übrigens alternativlos seit 35 Jahren. Die zweite Generation, die nichts anderes kennt, ist völljährig. Hurra!
Schö mit ö
Das Gute daran: Nicht nur das ohnehin untergewichtige Hirn der mental desinfizierten Rezipienten schrumpft in diesem Zirkus, sondern auch die schon immer kleine Klientel der Gläubigen. Diese Form der Abendmesse ist eine Filterblase par excellence. Die Sekte, die A. Nahles oder die Grünen für „Linke“ hält, glaubt, im Schloss Bellwü wohnte ein Staatsoberhaupt oder Maas und de Maisière sorgten für Innere Sicherheit® gegen Terroristen® besteht aus ca. vierhundert* Mitgliedern, die immer enger und schneller um sich selbst rotieren.
Denen geht nicht einmal ein Licht auf, wenn sie dabei in dessen Geschwindigkeit frontal mit Photonen kollidieren. Dafür werden sie eines Tages in ein dunkles unbekanntes Universum namens „Realität“ hinaus geschleudert, aus dem sie nie wieder zurückkehren. Man kann sich getrost schon heute von ihnen verabschieden und etwas Sinnvolles tun. Zum Beispiel Kreuzworträtsel lösen, ein Omelett aufhängen oder sich in den Fuß schießen.
*[Update: Es können auch 40 sein, 40.000 oder das ganze verblödete Pack - sagen wir einfach: 8 Millionen Nützliche Idioten. Die zehn Prozent, die sich für richtig wichtig halten.]
August 15th, 2017 at 23:37
“… Melone aus Bonn, …” Man trug Homburger nich Melone (später alt. Elbsegler). Sry, etwas Genauigkeit muss schon sein, gell! (Du sprichst mit einem Hutträger!)
Was man sonst noch sagen kann: Janz jut (der Post).
August 15th, 2017 at 23:41
Schullijense. Jut jebratene Jans. Janz kolossal.
August 16th, 2017 at 06:39
Ich sach nur:”Jeben sie die Jefangene frei”!
August 16th, 2017 at 10:43
Zur Selbstkontraktion dieser Mittelschicht ein Zitat vo Michael Marti, Mitglied der Chefredaktion des Tages-Anzeigers:
“In der Print-Epoche galt vor allem das Urteil, der Applaus der Journalisten-Kollegen. Oder dann eine Reaktion der Politiker oder Experten, über die man schrieb.”
Kein neues Phänomen.
August 16th, 2017 at 16:45
Kontraktion der Filterblasen in den USA scheint sich gefährlich zuzuspitzen: Trump rastet aus. Womit sogar diese lausigen Verhältnisse hier auch nochmal die Chance bekommen könnten, zur ‘guten alten Zeit’ zu werden…
August 16th, 2017 at 19:12
https://www.wsws.org/de/articles/2017/08/16/char-a16.html
Faschistischer Terror in Charlottesville: Die Komplizenschaft deutscher Politiker und Medien
“Meinen Maas, Merkel und die bürgerlichen Medien wirklich, sie könnten die Bevölkerung, die über die Ereignisse in Charlottesville zutiefst empört ist, für dumm verkaufen? In Wirklichkeit sind die gleichen Politiker und Zeitungen, die sich jetzt über „Trumps übles Kalkül“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) empören, mitverantwortlich dafür, dass auch in Deutschland und Europa wieder extrem rechte und faschistische Kräfte ihr Haupt erheben und offensiv auftreten.”
Der Mensch sei unbestimmt, also offen sowohl für die grössten Barbereien aber ebenso offen für das, was ihn ebenso auszeichnet, als mitleidendes, mitfühlendes Wesen für sich selbst, für seine Mitmenschen als auch für Tiere und mit Vernunft ausgestattet, seine Lebensgrundlagen zu erhalten.
Ich schaffe das immer noch nicht zu begreifen, warum es im 20sten Jahrhundert diesen Umschlag in die Barberei gegeben hat und nach einer kurzen Phase dieses Bedürfnis danach sich wieder voll entfaltet.
Der Kapitalismus als gesellschaftliches dominantes System allein kann es für mich nicht sein, was für mich zu zumindest zu kurz gegriffen wäre und auch nicht erklären könnte, warum die ehemals realsozialistischen Gesellschaften in der Humanisierung ihrer Gesellschaften überhaupt nicht weitergekommen sind, sondern im Bewusstsein an die bürgerlich, kapitalistische Gesellschaft nur angedockt haben.
Peinhart hatte hier mal einen für mich vielversprechenden Ansatz gebracht, und zwar dem vom “vorherrschenden westlichen Menschenbild” wenn ich ihn da richtig verstanden habe, den er aber offensichtlich aufgegeben hat.
August 16th, 2017 at 19:44
@ Troptard:
Warum die ehemals realsozialistischen Gesellschaften in der Humanisierung ihrer Gesellschaften überhaupt nicht weitergekommen sind, liegt glaube ich daran, dass sie autoritär, streng hierarchisch und letztlich undemokratisch aufgebaut waren. Genau das Gegenteil könnte eine Perspektive darstellen.
Ich empfehle hier z.B. “Das Recht als Hort der Anarchie – Gesellschaften ohne Herrschaft und Staat”
http://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/das-recht-als-hort-der-anarchie-ebook.html
Wurde hier vor Kurzem in einem Kommentar (weiß nicht mehr von wem) auch schon mal angesprochen
https://www.jungewelt.de/artikel/313917.herrschaftsfreie-gesellschaften-werden-nicht-mehr-geleugnet.html?print=1
August 16th, 2017 at 20:29
@Troptard – Hat er keineswegs, im Gegenteil. Ich arbeite weiter dran, vor allem aber auch am Verständnis möglicher Gegenmodelle, wie sie auch bspw in dem wirklich sehr empfehlenswerten Buch von Hermann Amborn (siehe #7) dargelegt werden. Das berührt mE aber tatsächlich einige eingefahrene Grundzüge westlichen Denkens überhaupt, vorzüglich das Auseinanderreissen von Einheiten in ‘Dualismen’, die sich dann als Gegensätze gegenüberstehen und deren ursprüngliche Einheit in Vergessenheit gerät.
Als Beispiel vielleicht mal Individuum und Gesellschaft: während ‘wir’ das Individuum wesentlich als sozusagen ‘physische Einheit’ begreifen, dem eine Gesellschaft ebenfalls als eigene ‘Entität’ gegenübersteht, begreifen die von Amborn geschilderten ‘polykephalen’ Gesellschaften das Individuum offenbar eher als Summe seiner gesamten Beziehungen zur Aussenwelt, die natürlich nicht zuletzt andere Individuen einschließt. Auf diese Weise gedacht befindet sich die Gesellschaft genauso im Individuum wie das Individuum in der Gesellschaft. Dialektisches Denken mag sich dem bereits ein stückweit angenähert haben, hält aber doch immer noch am ‘Gegensätzlichen’ prinzipiell fest.
@wolfbert – Muss ich wohl auch auf meine Kappe nehmen, freut mich aber sehr, dass es offenbar ‘gestreut’ hat. Davon abgesehen, hat mich das Buch aber auch runtergezogen: wie jetzt, Anarchie ist nicht nur denkbar, sondern tatsächlich auch machbar, empirisch nachgewiesen gerade auch für größere Gesellschaften weit jenseits von ‘face-to-face’? Und warum müssen wir dann in diesem Blödsinn hier leben…?
August 16th, 2017 at 21:20
@Peinhart: “Und warum müssen wir dann in diesem Blödsinn hier leben…?”
Weil in D-land gefühlte 10 Millionen ihre Arbeit in der Verwaltung von Menschen sehen?
War nur Spaß. Obwohl …
August 16th, 2017 at 21:30
@ Peinhart,
ich habe das, was Du als “Auseinderreissen von Einheiten” bezeichnet hast, als Fragmentierung/ Zerstückelung des bürgerlichen Subjektes im Kapitalismus woanders schon mal angedeutet.
Der Begriff der Fragmentierung stammt allerdings nicht von mir, sondern den habe ich mir von Angelika Schwab geliehen:
“Serienkiller in Wirklichkeit und Film: Störenfried oder Stabilisator?”
Sie beschreibt in ihrer sozioästhetischen Untersuchung (381 Seiten) das “Trauma der Zerstückelung in der modernen Welt” und wie sich in Krisenzeiten die individuelle und kollektive Wahrnehmung zur Gewalt verändert.
Die ersten 171 Seiten lassen sich auf Google-books lesen. Möglicherweise sind da gewinnbringende Anregungen für Dich dabei.
Für mich war das auch deshalb noch ein zusätzlicher Gewinn, weil dort aus dem Entwicklungsroman von Karl Phillip Moritz “Anton Reiser” zitiert wird und ich mir den dann vorgenommen habe. Die Handlung spielt in meiner alten hannoverschen Heimat und beschreibt sehr im Detail das städtische Handwerk und die religiösen “Verirrungen” Ende des 18. Jahrhunderts. Das muss Dich aber nicht unbedingt interessieren.
August 17th, 2017 at 11:06
Noch ‘n Nachtrach zum Diesel “und sein Freunde”. Passt auch gut zu den “verblödete(n) Mittelschichtszombies”, zu durchschnittlich einssiebzig … oder zum Kapitalismus (à la vôtre!).
August 17th, 2017 at 11:49
Tja, Flassbeck zeigt mal wieder, dass es so, wie es gemacht wird, nicht geht. Diesmal schwant ihm aber schon selber, dass sein Vorschlag ebenfalls nicht durchführbar sein dürfte…
August 17th, 2017 at 12:47
Ich würde den Text von Flassbeck ja gerne auseinander nehmen, beginnend bei den ökologischen Notwendigkeiten, die letztendlich den Verzicht auf Luxus und Überfluss bedeuten, die er polemisch “Verbote” nennt, endend bei seinem Verständnis für Leugner des Klimawandels. ICH muss mich keiner Wissenschaft bedienen, um mich vom Klimawandel zu überzeugen. Blick auf die Alpen, das Polareis und untergehende Pazifik-Inseln, sowie wiederholte Extremwetterlagen seit der Aufzeichnung in Europa dürften für den Anfang reichen.
Soviel Widersprüchliches in einem Text ist mir zuviel. Die weltweite Energiebilanz geht weiter nach oben (Wachstum erwähnt er gar nicht). Und wenn alle Chinesen endlich ein Auto besitzen, reicht das ÖL/Benzin gerade mal dafür, dass alle einmal um den Kreisverkehrs fahren können und dann ist Ende im Gelände.
August 17th, 2017 at 16:37
@ Peinhart #8:
Ja richtig, ich hatte das wohl bei dir gelesen, vielen Dank!
Das Konzept des Anarchismus ist ja faszinierend. Aber man denkt da immer an vorübergegangene Versuche wie einzelne Kommunen, Machno oder Spanien 1936.
Völlig neu war mir, dass die reale Existenz von herrschaftsfreien Gesellschaften offenbar in der Ethnologe common sense ist, wie Amborn schreibt.
Da lohnt es sich, dran zu bleiben, vielleicht mit David Graeber: “Frei von Herrschaft “, http://www.peter-hammer-verlag.de/buchdetails/frei-von-herrschaft
August 17th, 2017 at 17:18
Das mag nicht durchgängig so sein:
Was mir sowohl bei den sog. Leugnern des Klimawandels auffällt und ebenso bei denen, die sich vehement für eine Energiewende und für das Elektroauto stark machen, beide Seiten setzen auf die sog. Selbstheilungskräfte des Marktes.
Und weil die Selbstheilungskräfte des Marktes sich ausschliesslich danach richten wollen, was kurzfristig Profit erwarten lässt, deshalb wird auch allzu gerne nach dem Staat gerufen, der neue Industrien fördern und auch gleichzeitig regulierend in das öffentliche Bewusstsein eingreifen soll,
ein Bewusstsein zu fördern, was die Bereitschaft beim Bürger erhöht, notfalls zur Sicherung nicht erfüllbarer Renditen höhere Preise zu zahlen und höhere Abgaben und Steuern zu akzeptieren.
Was mich bei diesen ganzen Szenarien um die Klimakatastrophe dann doch sehr verunsichert ist der Umstand, dass dabei mit apokalyptischen Szenarien gearbeitet wird (mit Angst), welche die Qualitätsmedien doch eher den Linken Untergangspropheten und Verschwörungstheoretikern zuschreiben.
Zum Schluss: Dann doch sehr erstaunlich, wie resistent sich der Bürger gegen seine eigene Entwürdigung als Mensch verhält. Beim sog. Eierskandal ist nicht der Umstand von Bedeutung, dass Eier mit toxischen Giften kontaminiert sind, sondern wie viel man davon essen muss, um eine Schädigung zu erwarten.
So isser der moderne Mensch. Voll im Vertrauen, dass es für jedes Problem eine entsprechende Lösung gibt.
August 17th, 2017 at 18:19
@wolfbert,
ich habe das auch mit grossem Interesse gelesen allerdings auch mit den entsprechenden Zweifeln, ob das bürgerlich kapitalistische Subjekt (westliche Subjekt) überhaupt noch die Fähigkeit entwickeln kann sich anders zu denken, als ausschliesslich als bürgerliches Subjekt.
Und das hat für mich, auch wenn mir da wahrscheinlich niemand folgen wird, mit der Fragmentierung des bürgerlichen Subjektes zu tun.
Als Beispiel lässt sich das wahrscheinlich noch leicht nachvollziehen und verständlich machen am Taylorismus, an der Fliessbandarbeit veranschaulichen.
Das war nicht nur ein Prozess die Arbeitsschritte extrem zu vereinfachen, für alle, egal ob intelligent oder saudumm, sondern es mussten auch die körperlichen Bewegungen auf diesen Rhytmus eingestimmt und trainiert werden.
Ich habe mal ein paar Monate in so einer “arbeitsteiligen” Fabrik verbracht und sollte an so einem Taktband mitarbeiten. Als Herzkranker konnte sich mein Herz dem vorgegebenen Rhytmus nicht anpassen und ich wäre dabei kollabiert.
Das beschränkt sich heute allerdings schon nicht mehr auf seine physische Zerstückelung sondern hat sich erweitert auf seine geistige Integrität, ihn als Roboter mit menschlichen Gehirn zu denken.
Das mag man als Gehirngespinste abtun, zeigt aber doch sehr deutlich, wie bürgerliches Bewusstsein sich selbst überholt.
Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass ich inzwischen sehr skeptisch bin, ob ein emanzipatorischer Ausweg aus einer total technisch und wissenschaftlich organisierten Gesellschaft noch möglich ist, ohne organisatorisch zu kollabieren, sobald sie versucht einige Stellschrauben zu verändern.
August 17th, 2017 at 18:36
Sozialistische Theorien und Entwürfe haben schon immer auf der Utopie aufgesetzt, dass Technik und Wissenschaft der Befreiung der Menschen dienen sollen. Die waren zwar nicht alle emanzipatorisch, aber der Widerspruch besteht nicht zwischen Technik/Wissenschaft und Emanzipation (im Gegenteil), sondern zwischen der kapitalistischen Nutzung und Emanzipation.
August 17th, 2017 at 19:26
“, der Widerspruch besteht nicht zwischen Technik/Wissenschaft und Emanzipation (im Gegenteil), sondern zwischen der kapitalistischen Nutzung und Emanzipation.”
Eine andere Antwort habe ich ehrlich gesagt vom flatter auch nicht erwartet. Ist man da nicht fein raus, wenn das linke Bewusstsein sich damit herausreden kann, dass es nur an der kapitalistischen Nutzung liegt.
Da bin ich dann allerdings gespannt, wie die Technik/Wissenschaft emanzipatorisch genutzt werden soll, die als Basis nur die bürgerlich kapitalistische als Ausgangspunkt hat.
Ist die dann weiterhin allgemeingültig, darf dagegen Zweifel geübt werden, bisherige wissenschaftliche Forschungen eingeschränkt werden, weil sie ein negatives Menschenbild als Ausgangspunkt haben, oder gänzlich verboten werden?
Ich frage das jetzt nicht, weil ich wissenschaftliche Forschung verneinen würde, sondern weil ich diesen emanzipatorischen Übergang vom Kapitalismus in eine andere sog. sozialistische Gesellschaft für eine nicht einlösbare Utopie halte, wenn sie sich am Fortschritt der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft orientiert, möglicherweise sogar für einen entscheidenden Rückschritt.
August 17th, 2017 at 19:32
Zu behaupten, Wissenschaft eo ipso orientiere sich an “der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft” ist blanker Unsinn. Selbst umgekehrt wird kein Schuh draus. Die Wissenschaftsgeschichte ist lang und komplex, sie auf die bürgerliche Episode zu verkürzen, ist geschichtsblind.
Was ist btw eigentlich “politische Ökonomie”? Ist das bürgerliche Wissenschaft?
Nehmen wir mal die Mechanik. Ist die “bürgerlich”? Physik? Chemie? Alles bürgerlich? Wäre dem so, wäre alles, in dem ich leben will, bürgerlich. Du dürftest dann gern im klerikalen Teil wohnen oder was weiß ich, wie deine unbürgerliche Welt ohne Wissenschaft aussieht.
p.s.: Wissenschaft “verbieten”, weil sie einem Ziel nicht diene (“negatives Menschenbild als Ausgangspunkt“) – das ist Mittelalter; erkenntnistheoretisch ein Rückfall hinter die Antike. Ist das dein Ernst?
August 17th, 2017 at 20:10
Technik beginnt spätestens mit der Verwendung – nicht mal der Herstellung – von Werkzeug. Andererseits enthält das, was wir da heute an Wissenschaft haben, schon ‘bürgerliche’ Momente und kapitalistische Motive, und zwar auch nicht erst bei der ‘Nutzung’ (ansonsten ‘neutraler’) Erkenntnisse, sondern auch schon in den Fragestellungen und in den Auffassungen davon, was als Erkenntnis gilt und was nicht. Das kann natürlich nicht unabhängig davon sein, wie der Mensch sein Verhältnis zu anderen Menschen und der sog.’äußeren Natur’ sieht.
Es gibt in dieser Wissenschaft aber auch nicht nur den Hang zu immer weiter gehender Fragmentierung, sondern auch die Gegentendenz zu interdisziplinärer Vorgehensweise und ‘integrierender’ Gebiete wie zB der Ökologie. Insofern würde ich die Flinte auch nicht unbedingt in dieses Korn werfen. ;)
August 17th, 2017 at 21:10
Hallo flatter,
zu Deinem letzten Absatz: Habe ich etwas davon geschrieben, dass ich Wissenschaft verbieten will?
Was ich mir wünsche ist eben eine andere Wissenschaft, die sich von der äusseren “objektiven” technisch, funktionalen Natur mehr der “Natur” des Menschen zuwendet.
Die endlich begreift, dass die heutigen Probleme der Menschheit das Produkt ihrer Wissenschaft sind und dass sie diese Probleme nicht dadurch lösen kann, indem sie versucht den Menschen biologisch so herzurichten, dass er sich den Anforderungen einer zerstörten Umwelt besser anpassen kann.
Oder anders ausgedrückt: Ich traue dieser Wissenschaft nicht zu, dass sie die Probleme die sie selbst verursacht hat auch selber lösen kann.
Das Menschenbild ist insofern negativ, weil es eigentlich keines mehr enthält, sondern dies aus wissenschaftlicher Sicht nur noch instrumentell als formbar erkennt und diese Formbarkeit inzwischen als Glücksversprechen an die Menschen verkauft.
Ich will meine starken Bedenken gar nicht weiter ausführen. Wie Du allerdings zu dem Schluss gekommen bist, dass ein positives Menschenbild ein Rückfall hinter die Antike sein kann, da komme ich jetzt nicht so ganz mit.
August 17th, 2017 at 21:40
Du polemisierst auf bedenklich niedrigem Niveau. Muss ich jetzt wirklich erklären, dass nicht ein “positives Menschenbild” (was immer das sein soll) einen Rückfall bedeutet sondern die “Einschränkung” von Wissenschaft (ich nannte das “verbieten”) im Sinne eines Menschenbildes? Es hat nichts mit einem Menschenbild zu tun, Gravitation als Raumkrümmung zu beschreiben. Es hat nicht einmal etwas mit Menschenbild zu tun, wenn Raumkrümmung wiederum zur Berechnung von GPS-Daten dient. Gar nichts. Ein Scheiß-Menschenbild hat nichts zu suchen in Wissenschaft. Wo die nicht unbeschränkt fragen und erforschen darf, was sie will, weiß ich, welches Menschenbild herrscht.
Es gibt keinen Bereich, nicht einen einzigen, in dem “bürgerliche” Wissenschaft jenseits des Kapitalismus Wissen determiniert, weil diese gerade im Bild bürgerlicher Rationalität absolut frei ist. Wo sie noch eingeschränkt wurde zur Zeit der Entstehung ihrer heutigen Form, war es durch den Klerus.
Es ist auch völlig sinnfrei, eine “bürgerliche Wissenschaft” zu suchen jenseits eines Kapitalismus, weil beides untrennbar voneinander ist. Das ist schlimmstenfalls der Webfehler bürgerlicher Rationalität, das nicht erkannt zu haben. Das Programm dieser Rationalität ist nämlich das, sich durch nichts einschränken zu lassen. Es ist der Kapitalismus, der den Einsatz von Ressourcen, Forschungsziele und sogar die Veröffentlichung der Resultate bestimmt. Das ist immer noch kein Menschenbild, sondern die Verwertungslogik, die den Betrieb bestimmt. Die kapitalistische Gesellschaft hat das bürgerliche Versprechen einer freien Wissenschaft gebrochen wie das von Freiheit generell und beides dem Eigentum geopfert.
Das Schlimmste an deiner naiven und dadurch tendenziell totalitären Vorstellung einer dann religiösen ‘Wissenschaft’ ist aber der Glaube(!) an ein “positives Menschenbild”. Wer legt das denn fest? Die Glaubenskongregation? Und dann wird “eingeschränkt”, was der neue Klerus als “negativ” erkennt? Ich bin schlicht entsetzt.
August 17th, 2017 at 22:46
@ 12+13
Loite, Ihr habt ja recht, “Niemand hat die Absicht eine Wahrheit zu verkünden”. Aber isses nich wie hier und annerswo wenn vorgeschlagen wird: “Ohne Geld iss schöner” (o.s.ä.) :-p
August 17th, 2017 at 22:54
flatter,
dieses polemisieren auf ” bedenklich niedrigem Niveau “, das gebe ich gern an Dich zurück.
Was eben in Deinen Schädel nicht hinein will ist, dass die heutige Wissenschaft ein Produkt der bürgerlichen Moderne ist, insofern ein geistiges Produkt der bürgerlichen Gesellschaft, stellvertretend dafür die Trennung von Objekt und Subjekt, keine überhistorische Konstante, aus der sich ebenso kein linearer Fortschrittsglauben ableiten lässt und ebenso keine Utopie,
diese ewigen linken intellektuellen Spielchen der Vertröstung auf eines besseren Leben in der Zukunft.
Wenn das keine Parallelen zum kirchlichen Glauben hat und nicht religios motiviert ist?!
Und wenn Du auf die Physik anspielst, was ist denn die Theorie vom Urknall, wenn nicht ein unausgesprochener Gottesbeweis?
Ich komme mir dagegen ja schon vor, wie ein dogmatischer Materialist vor.
Na ja, dass Du Dich soweit herablassen würdest einen Kommentator in Deinem letzten Absatz derart nieder zu “metzeln” , dass hätte ich Dir nun wirklich nicht zugetraut.
Aber macht nichts. Ich habe das richtig verstanden!
So dumm und naiv, wie Du mich hier in Deinem Blog bei Deinen Mitlesern gerne vorführen möchtest, so dumm bin ich dann doch nicht.
August 17th, 2017 at 23:27
Sorry, Meister, aber deine bildungsbürgerlichen Fragmente entblößen eher eine erschütternde Ahnungslosigkeit von der Geistesgeschichte – materialistisch wie idealistisch. Eine krude Pseudokritik der Moderne, die weder deren Substanz noch die Kritik daran berücksichtigt. Adorno und Foucault waren ja solche Idioten! Ach, warte, wir sind hier mitten in der “bürgerlichen Wissenschaft”, mit der du da argumentierst.
Dein Satz zur Urknalltheorie ist derweil knapp über Bildzeitungsniveau. Wenn du übderdies so weit über der Subjekt-Objekt-Differenz schwebst, die schon in der Antike angelegt ist, habe Spaß an dieser Psychose. Ich verbleibe bei der evidenzbasierten Struktur, die mich in die Lage versetzt, das Denken von seinen Gegenständen fruchtbar so zu trennen, dass nicht alles und nichts dasselbe werden. Du hast als Alternative absolut nichts anzubieten, und deine Andeutungen dazu sind Esobullshit.
Zum Abschluss: Es rettet dich auch nicht ein dämlicher Vorwurf ad hominem. “Dich vorführen”, ja sicher, dazu wende ich meine Geduld auf. Das ist der Zweck dieses Blogs.
What a fuckin waste of time!
August 18th, 2017 at 00:10
Gehen wir die Frage kapitalistische vs. sozialistische Wissenschaft doch mal ganz praktisch an.
Sprechen wir über die medizinische Erforschung tödlicher Krankheiten. Die kapitalistische Forschung sagt: Wo mehr Menschen als Kunden auftauchen, da forschen wir zuerst. Die sozialistische Forschung sagt: Wo wir mehr Menschen vor dem Tod retten können, da forschen wir zuerst. Frage: Wo ist der Unterschied?
Sprechen wir über Organisationsstrukturen. Im Kapitalismus gibt es Hierarchien, im vollendeten Kommunismus sind alle gleich. Frage: Verbessern sich die Forschungsergebnisse, wenn Professor und studentische Hilfskraft dasselbe Gehalt bekommen?
Ich habe mich im Urlaub gerade u.a. mit sozialistischer Science Fiction beschäftigt. „Der rote Stern“, „Andromeda-Nebel“ usw. Wissenschaft ist in diesen Büchern immer als Arbeitserleichterung und damit als Emanzipation der Menschheit gedacht, als Überwindung der Leiden.
Da hat Flatter mit seinem Wissenschaftsbegriff, der nicht auf eine verengte und populäre Kritik abzielt („Impfboykott“), schon recht.
August 18th, 2017 at 00:15
Ich hatte mich schon daran gemacht, mich auf eine Diskussion einlassen zu wollen, aber seit Kommentar Nr. 25 denke auch ich mir: What a fucking waste of time!
August 18th, 2017 at 09:11
Eine für mich interessante Diskussion. Leider werden die Argumente von flatter und Troptard nicht mit Beispielen unterstützt, so dass ich mir meinen beliebigen Teil denken muss. Ich frage mich mal ganz naiv, wo z. B. die Atomtechnologie (Der Geist kann nicht mehr zurück in die Flasche.) oder die Gentechnologie einzuordnen wären, wobei die letzte von einem ganz bestimmten Menschenbild (Optimierung/Designerbaby)ausgeht.
Ich fände es besser, wenn die Argumentation mit konkreten Beispielen flankiert wird.
Die Behauptung von Andy Bonetti “Die kapitalistische Forschung sagt: Wo mehr Menschen als Kunden auftauchen, da forschen wir zuerst.” läßt sich z. B. nicht auf die Dopingforschung übertragen. Hier gibt es relativ wenige Probanden in Gestalt von ein paar tausend Spitzensportlern weltweit, jedoch einen ergiebigen Markt mit riesigen Umsätzen.
August 18th, 2017 at 10:07
@ Altauto
Es gibt nicht nur die Spitzensportler, wenn es um Doping geht. Leistungsfördernde Mittel sind ein Markt für Milliarden Menschen, denk nur mal an die Wirtschaft und das Militär, an Freizeitsportler und Bodybuilder. Mehr Leistung bringen – als Manager, Bomberpilot oder sechzigjähriger Marathonläufer. Passt doch super in unsere Zeit.
August 18th, 2017 at 10:45
“sechzigjähriger Marathonläufer” – immer diese persönlichen Angriffe! :-P
August 18th, 2017 at 11:23
Ich finde das hier auch eine interessante Diskussion, es wäre doch schade wenn sie schon zu Ende wäre.
Natürlich darf es in einer (ich nenne es mal) herrschaftsfreien Gesellschaft keine Denkverbote geben. Aber dadurch z.B., dass Einstein die Äquivalenz von Masse und Energie erkannt hat, sind ja noch keine Probleme entstanden, erst als dieses Wissen zu politischen und wirtschaftlichen Zwecken genutzt wurde.
Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der in einem freien und offenen Diskurs über Folgen und Risiken von wissenschaftlicher Forschung, im ersten Schritt ihrer Förderung und später ihrer technologischen Nutzung verhandelt und entschieden wird.
Heute ist es ja so, dass die Kontrolle darüber nahezu vollständig der Gesellschaft entzogen ist. Die Verwertungslogik entscheidet, da hat Flatter schon recht. So werden etwa autonome Maschinen und Roboter kommen (auch Kampfroboter!), egal wie verheerend das wird.
Da scheint mir auch ein Ansatzpunkt für eine breitere Zustimmung bei den Menschen zu liegen. Ich denke vielen Leuten wird bei solchen Aussichten mulmig. Solange aber Profitinteressen alles dominieren, wird sich da nichts ändern.
August 18th, 2017 at 11:54
29: Freizeitsportler gehören auch dazu, klar. Hatte ich nicht dran gedacht. Dabei war das noch gestern abend Thema bei Scobel auf 3Sat.
30. Seit Mai 2017 70.
August 18th, 2017 at 12:54
Bevor ich hier ganz weg bin noch etwas amusement:
“Der junge Galilei stieg eines Tages auf den Schiefen Turm in seiner Heimatstadt Pisa, bepackt mit allerlei Gegenständen, die er samt und sonders mit sichtlichem Vergnügen in die Tiefe fallen ließ, einen nach dem anderen: eine Kugel aus Blei, ein altes Fernrohr, seine Brille, einen Kochlöffel, einen Lampion aus Papier, Bettfedern, Blütenpollen und einen Vogel. Dann rannte er nach unten und stellte fest, Kugel, Kochlöffel, Brille und Fernrohr lagen im Gras, und der Lampion ging vor seinen Augen nieder, aber einige Bettfedern tänzelten immer noch in der Luft, die Pollen waren eine Beute des Windes und nicht mehr auszumachen, und dem Vogel gelüstete es nach Höhe und Weite, er entschwand in den Lüften. Galilei faßte seine Versuchsergebnisse zusammen und verkündete:
‘Alle Körper fallen gleich schnell.’ ”
Zitiert aus: Bewusstlose Objektivität
von Claus Peter Ortlieb
August 18th, 2017 at 13:16
@Troptard: Kritik der vereinfachten Wissenschaftskritik
August 18th, 2017 at 13:18
@27 Für einen inhaltsleeren Kommentar hast du anscheinend genug time.
August 18th, 2017 at 13:22
@Fred: Ich mag es nicht, wenn hier Kommentare (nur) bewertet werden. Lies btw mal, was in deinem steht.
August 18th, 2017 at 13:24
@Troptard(33): Wie gesagt: Newton war Alchemist. Heißt das, die Alchemie war schon bürgerliche Wissenschaft oder Gravitation ist das Produkt von Alchemie? Kommt wohl drauf an, in welcher Geschmacksrichtung man recht haben will.
August 18th, 2017 at 13:25
@Troptard – Bevor du am Ende wirklich ganz weg bist: Ergänzung und Kritik dazu.
Und ich hoffe nicht. ;)
Edith bemerkt, dass Rainer wieder mal schneller war…
August 18th, 2017 at 13:50
Ortliebs Geschwafel fällt hinter (mindestens) Jahrzehnte der Kritik zurück und seine Anwürfe sind im schlimmsten Sinne abstrakt, nämlich fallsch generalisierend. Adorno/Horkheimer haben die Fundamente des Subjekts bereits in der “Odyssee” freigelegt, tausende Jahre vor dem Bürgertum. Foucaults Kritik der Moderne weist präzise auf deren Hybris hin, die selbst Marx und Freud noch nicht ganz abgelegt haben (Bewegung hin auf ein Ende der Geschichte) Das ist aber – ein Grundsatz von Wissenschaft – korrigierbar. Revision ist der Kern der Wissenschaft, das, was sie aus der Dogmatik der Religionen befreit hat. Wissen hat seitdem begrenzte Haltbarkeit. Jede wissenschaftliche Methode muss am Ende diesem Wissenprozess dienen. Wer daran sägen will, soll bitte sagen, wohin das führt.
August 18th, 2017 at 14:08
Troptard: “Alle Körper fallen gleich schnell.” Recht hat er. Im luftleeren Raum.
Der verlinkte Ortliebtext überfordert mich intellektuell. Es macht keinen Spass, ihn zu lesen.
August 18th, 2017 at 16:36
Sprechen wir mal über Geisteswissenschaft, nicht nur über Naturwissenschaft.
Wir alle können Soziologie, Politikwissenschaft, Germanistik usw. betreiben, ohne dazu eine Organisation wie die Universität zu benötigen, ohne Unternehmen, ohne Forschungsgelder und Laboratorien.
Feynsinn zum Beispiel funktioniert als Diskussionsplattform für soziale, ökonomische und politische Fragen – ohne Herrschaft und ohne Geld. Wir brauchen nur unsere Birne, unseren PC, unsere Bibliothek und kein teures Laboratorium (den Weinkeller und den Kühlschrank zähle ich jetzt mal nicht dazu).
Falls allerdings jemals rauskäme, dass Flatter von Nutella gekauft wurde oder von BMW …
August 19th, 2017 at 09:34
Weil er hier erwähnt wurde: David Graeber: Von Occupy Wall Street zur Revolution in Rojava (Video, deutsch, 19 Min.)