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Auf dem 33c3 hat Joscha einen Vortrag gehalten, den ich nicht hätte live hören mögen, denn er war derart zu schnell, dass ich ihm im Leben nicht hätte folgen können; aber dazu gibt es ja die Videos. Ganz interessant das, aber ich möchte hier nur auf einen Satz eingehen, den er am Rande gesagt hat, bzw. auf dessen Inhalt. Demnach ist bei Nerds die “Belief Assimilation somewhat broken“. Das heißt, dass Menschen wie er nicht spontan/”empathisch” einer Regel folgen können, die etwas als ‘gut’ festlegt, sondern es hinterfragen müssen und rationale Argumente brauchen, um sie zu akzeptieren.

Ich habe tatsächlich noch nie darüber nachgedacht, ob es sich dabei um eine Art ‘Störung’ des menschlichen Sozialverhaltens handeln könnte. Bislang fehlte mir die Phantasie für die Annahme einer Art intuitiver Akzeptanz sozialer Standards, dass es also normal ist, zu tun, was alle tun und nach sozialem Status zu streben. Ich hielt es vielmehr für eine Selbstverständlichkeit, dass Menschen fähig sind zu hinterfragen, was von ihnen verlangt wird und dass es quasi Bequemlichkeit sei, wenn sie es nicht tun. Was aber, wenn es sich tatsächlich völlig anders verhält?

Homo homini ovis

Das hieße nicht nur, dass wir Jahrhunderte ethischer Forderungen und Modelle in die Tonne schmeißen können. Es hieße, dass die Konstruktion des bürgerlichen Subjekts von vorn bis hinten eine Illusion ist und dieses nur durch seine irrationalen Bestrebungen an die Ordnung gebunden ist. Am schlimmsten aber wäre die Erkenntnis, dass Aufklärung zwangsläufig scheitern muss, weil Menschen, die bei Entscheidungen mit sozialen Konsequenzen nicht bloß ihren Instinkten folgen, immer in der Minderheit sind. Die Fähigkeit, sich gegen soziale Konventionen zu stellen, wäre eine Art Autismus. Normal ist die unreflektierte Reproduktion der Normen, nicht die kritische Rekonstruktion.

Bis hierher gibt es zwar genug zu denken, aber ich möchte bei der Gelegenheit noch auf die Folgen der sich auflösenden sozialen Kontrolle eingehen. Während gleichzeitig alles getan wird, um Menschen zu überwachen und neuerdings ‘Meinung’ durch Zwang zu normieren, zerfällt die soziale Orientierung. Was erlaubt oder verboten ist, hängt zunehmend von der Klassenzugehörigkeit ab und was wahr oder falsch ist, vom Tagesgeschäft der herrschenden Medien. Thatchers Sinnspruch “There is no such thing like society” wird wahr, weil es keine verbindenden Normen mehr gibt. Stattdessen wird unter der steten Behauptung einer Gleichheit die Ungleichheit zum allgegenwärtigen Dogma. “Füge dich der Ungleichheit, sorge selbst für Ungleichheit und beharre auf Gleichheit” ist die oberste Direktive – die gelebte Psychose.

Es sind damit die Angepassten, die zur Soziopathie gezwungen werden, weil ihr Status und das, was sie dafür tun müssen von dem Gedanken an Gesellschaft völlig abgekoppelt wird. Eine Norm, eine Moral, eine Regel, die nur für einen Einzelnen gilt, ist keine mehr. Eine Gesellschaft, die sich ausdrücklich selbst abschafft, kann das Bedürfnis(!) nach Anpassung nicht mehr befriedigen. Die Mehrheit der Menschen sehnt sich nach Anpassung, findet aber nichts mehr, an das sie sich anpassen kann. Ich bezweifle allerdings, dass sie sich aus dieser Verzweiflung heraus endlich der Rekonstruktion ihrer Gesellschaft widmet.