Verschwörung, Google und das Kapital
Posted by flatter under kapital , vt[26] Comments
10. Mrz 2016 13:53
Die Theorie der Verschwörung ist ein notwendiger Blickwinkel, um die Gegenwart zu verstehen. Man kann sie auch anders nennen oder den Hebel woanders ansetzen, aber grundsätzlich ist es hilfreich, den Begriff “Verschwörungstheorie” aufzugreifen. “Verschwörungstheorie” ist ein aktuelles Schlagwort, das das Zeug hat, das Narrativ erheblich zu beeinflussen. Gegner der gängigen Hoftheorie werden reflexartig von Journalisten und Politikern damit belegt, was Grund genug ist, sich das Vehikel öfter und genauer anzusehen.
“Verschwörungstheorie” behauptet, jemand habe die wahnhafte Idee einer geheimen Absprache mächtiger Kräfte, die das Schicksal der Welt bestimmt. Das mag irre sein und einem bestimmten psychischen Krankheitsbild entsprechen (ich möchte dabei die Psychiatrie selbst an dieser Stelle nicht problematisieren). Aber schon die gröbste Differenzierung wirft eine sehr interessante Frage auf: Gibt es geheime Absprachen mächtiger Kräfte? Es reicht aus, CETA, ACTA, und TTIP zu erwähnen, um sie zu beantworten. Diese antidemokratischen geheimen Verabredungen mächtiger Konzerne und Staatspolitiker sind real und sie entsprechen tatsächlich dem, was mit Recht als “Verschwörung” bezeichnet werden darf.
Geheim vs. demokratisch
Diese Verabredungen haben sogar weltpolitische Dimensionen. Obendrein ist die NATO mit den beteiligten Staaten im Bunde, ein Militärbündnis, das sich ganz selbstverständlich vorbehält, geheime Entscheidungen zu treffen, die zu kriegerischen Handlungen führen – immer öfter ohne die Legitimation durch nationale Parlamente oder die UNO. Man kommt also nicht umhin, einen gewissen Albtraum als Realität zu betrachten. Die Ermächtigung der NATO-Geheimdienste zur Totalüberwachung der Welt, die an keiner rechtlichen Hürde scheitert, sondern nur an der Machbarkeit, rundet das Bild ab zu etwas, das man früher “Dystopie” genannt hätte. Da hat sich wohl die Wirklichkeit gegen die geistige Gesundheit verschworen.
Was das Ganze bizarr anmuten lässt: Diese Geheimstrukturen sind völlig öffentlich, das heißt sie werden medial begleitet und für ‘gut und richtig’ befunden. Es haben sich Entscheidungsstrukturen gebildet, die aus lauter Black Boxes bestehen. Man sieht, was hineingeht und was herauskommt, aber was darin vorgeht, soll von Öffentlichkeit, d.h. von den Betroffenen nicht beeinflusst werden. Demokratie, selbst die schwächste, stört das Geschäft. Das Ungewisse ist nötig, um Kritik zu zerstören: Da sich diese auf nichts Handfestes beziehen kann, kann jede Kritik als heillose Spekulation, Bosheit, “Verschwörungstheorie” abgetan werden.
Das Ende der Wahrheit
Wahrheit im klassischen Sinne ist so nicht einmal mehr konstruierbar, aber es kommt noch dicker, was eigentlich auch jeder wissen müsste: In einer Welt der Vernunft und des Interessensausgleichs ist die Lüge ein zerstörerisches Mittel. Der Kapitalismus aber fordert für sich – übrigens schon in den am besten kontrollierten Spielarten – das Recht zur Lüge ein. Er nennt das “Werbung”. Die hat sich, um Produkte abzusetzen, jedes psychologischen Tricks bedient, jeder perfiden Manipulation, um Menschen zu verführen. Im nächsten Schritt hat sich ganz selbstverständlich die Politik derselben Techniken bedient, und zwar nicht bloß in Wahlwerbespots, sondern permanent. Die Plapperpuppen sind auf Dauerwerbesendung.
Noch nicht genug? Gut. Es erhob sich aber das Internet, um die Wahrheit zu retten. Jeder kann mitmachen. Ein wirres Chaos von Stimmen, aus dem man sich filtern konnte, was man für relevant hielt. Ein sehr schwieriger Job, bis Google kam und aufräumte. Es ist nur eine Suchmaschine. Deren Suchalgorithmus ist nicht nur geheim, dessen Resultate verändern die Wahrnehmung der Welt auch eklatant.
We Told You What to Dream
Eine Forschergruppe um Robert Epstein am American Institute for Behavioral Research and Technology hat in einer Reihe von Untersuchungen festgestellt, dass ‘Informationen’, die in Suchmaschinen weit oben angezeigt werden, die (politischen) Einstellungen der Probanden massiv beeinflussen. Derart massiv, dass man (meine Interpretation) schon von Lenkung sprechen kann. Dies ist eine reale Macht, die real genutzt wird; gemeinhin um Zeug zu verhökern. Sie kann aber nicht nur dazu genutzt werden, konkreten politischen Einfluss nehmen, sie wird zwangsläufig solche Wirkung erzielen.
Vor allem wird sie es als alternativlos und ‘natürlich’ erscheinen lassen, Produkte zu konsumieren und die Welt dieser Produkte zu befürworten. Im klassischen politischen Widerstreit der Kräfte hat das bereits verheerende Wirkung zugunsten einer aggressiven Variante von Kapitalismus. Der Witz im Aberwitz: Es ist der Kapitalismus selbst, der solche Strukturen geschaffen hat und derart grundsätzliche Kritik an ihm im Keim erstickt – jedenfalls wenn sie wirksam sein soll. Er lässt allenfalls die Frage zu, wie man ihn zähmen könnte. Wer meint, eine Welt ohne das Glücksgefühl beim Shopping sei auch nur denkbar, gilt bereits als Irrer.
März 10th, 2016 at 18:44
Der Witzt im Aberwitzt: Es ist der Mensch selbst, der solche Strukturen geschaffen hat und derart grundsätzliche Kritik an seinem Werk im Keim erstickt. Denn sein Werk nennen sie Kapitalismus und der da auf diesem geritten kam war der Tod.
März 10th, 2016 at 20:00
“Eine Forschergruppe um Robert Epstein am American Institute for Behavioral Research and Technology hat in einer Reihe von Untersuchungen festgestellt, dass ‘Informationen’, die in Suchmaschinen weit oben angezeigt werden, die (politischen) Einstellungen der Probanden massiv beeinflussen.”
Ich hab sogar mal in einer Studie gelesen, dass rund 90 Prozent aller Google-Nutzer nur die erste Trefferseite lesen/nutzen. Alle haben demnach ein großes Interesse daran, auf die erste Trefferseite zu gelangen. Mit Suchmaschinenoptimierung (SEO) werden dann Artikel mit Schlagwörtern versehen, ganze Webseiten erstellt, bestimmte Bilder hochgeladen usw. SEO ist inzwischen auch ein großes Geschäftsfeld geworden. So schafft man “neue Märkte”.
März 10th, 2016 at 23:15
“Man kommt also nicht umhin, einen gewissen Albtraum als Realität zu betrachten.”
Bravo Duke, schon lang nichts mehr von dir gelesen! Lass mal wieder shoppen gehn! LGR
März 10th, 2016 at 23:41
Schön von dir zu hören. LGD ;-)
März 11th, 2016 at 09:41
Nicht ganz OT – Versatzstück des Tages: offensive Geschichtspolitik. Denn auch bei solchen Vorhaben lassen sich Suchmaschinen natürlich sehr gut einsetzen.
März 11th, 2016 at 12:07
“Verteidigungsministerin von der Leyen und Justizminister Maas halten einen EU-Beitritt der Türkei für möglich.”
Na klar, jetzt, wo sie der Demokratie® im Nahen Osten zum Durchbruch verhelfen!
März 11th, 2016 at 18:19
Kaum werde ich mal von einflussreichen Sozialdemokraten verklinkt, sinkt hier die Arbeitsmoral an der Kommentarfront ins Bodenlose. Wird wohl ne Art Strafe sein … :-P
März 11th, 2016 at 20:13
Nö, Du wolltest ja lieber Vermählung statt ‘Zoff’ – Du Nicht-Propagandist :P
… und in den Flitterwochen stören? Geht ja mal gar nicht.
März 11th, 2016 at 21:19
Die Ödnis dieses Tages ist wohl kaum noch zu toppen, die Pillen schlagen an, wenigstens etwas. Frau Trulla beginnt ihre Winterjacke abzulegen. Drei haarige Wochen, im wahrsten Sinne des Wortes, stehen bevor. Der fette Umschlag aus Canada lässt immer noch auf sich warten. Werd wohl doch zum Zollamt fahren dürfen, na ja von irgendwas müssen die ja auch leben.
Da Freitag is gibts mal wieder was zum anschauen. Ne kleine Liebhaberei von mir……
März 11th, 2016 at 23:52
“Zur Hölle mit der Arbeit” – deine worte – und jetzt kommst du mit arbeitsmoral, demnächst noch arbeitsethos, geh mich ab – kaum verlinken sie dich, schon gehst du ihnen auf den leim. Ich könnte jetzt noch mit was uferlosem kommen, aber die strafe, die strafe …
März 11th, 2016 at 23:55
Na hör mal, hier bin ich Chef, da muss ich Arrbeitsmorraal verlangen!
Säzzer, was tust du da?? Blogbetriebsrat?? Und was machst du da mit der Kettensäge? Warte, du machst einen Fehler, lass mich erklären!!1!
März 12th, 2016 at 00:00
Ich mag das hier, ist ein feynes blog (oder auch feyner blog – ist ja auch egal; auf jeden fall feynsinn sein blog). Prost.
März 12th, 2016 at 00:04
Cheersa!
März 12th, 2016 at 08:54
“Verteidigungsministerin von der Leyen und Justizminister Maas halten einen EU-Beitritt der Türkei für möglich.”
Was soll’s denn auch noch. Ungarn und Polen zB sind ja schon drin, und Schiedsrichter wollen wir ja auch nicht mehr sein, bzw noch einäugiger als immer schon.
Es ist wirklich ‘lustig’. Als man den Kurs der Türkei durch Beitrittsverhandlungen evendöll sogar noch hätte beeinflussen können, waren sie insbesondere für die Union ein absolutes NoGo. Zu ungenügend, hieß es, seien die Bemühungen in Sachen Menschenrechte®, Demokratie® und Rechtsstaatlichkeit®. Jetzt, wo sie im Begriff sind, das alles komplett zu entsorgen, entdecken dieselben eine neue Variante der Willkommenskultur®.
März 12th, 2016 at 10:43
Was soll das Gejammer? die Wirtschaft brummt doch!
März 12th, 2016 at 11:02
Brumm. Brumm. Träcker fahren. Ach ne. Porsche natürlich. :D
März 12th, 2016 at 11:12
OT: Ein wenig Geschichte: «Mich reut gar nichts!»
Von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung Adolf Eichmanns sind Interviews aus dem Jahr 1957. Ein schockierendes Tondokument. [..]
Eigentlich ist damit die These Arendts erledigt.
Und hier die im Januar 2016 freigegebenen Originaldokumente zum Gnadengesuch Eichmanns: Klick
So habe ich auch keine einzige Anordnung im eigenen Namen gegeben sondern stets nur im Auftrag gehandelt.
März 12th, 2016 at 11:14
@flatter – Entärgerungsmaßnahmen
Danke dafür…
März 12th, 2016 at 11:33
@Rainer – Eigentlich ist damit die These Arendts erledigt.
Soweit würde ich nicht gehen, nur weil sie auf diese eine Person dann doch nicht zutrifft. An vielen nachgeordneten Schreibtischen dürfte die Banalität aber doch wieder gewaltet haben.
März 12th, 2016 at 11:42
p.s.: In dem Zusammenhang möchte ich noch auf den Film Der Staat gegen Fritz Bauer hinweisen. Beim Anschauen musste ich an flatters Narrativ-Serie denken.
Wobei einige Aspekte darin wohl falsch dargestellt werden: Er soll nicht schwul sein
März 12th, 2016 at 13:22
OT: Interessante Positionen der Parteien in BaWü zu ein paar religiösen Fragen: Wahlprüfsteine der gbs Stuttgart zur Landtagswahl BW – Auswertung der Rückmeldungen
März 12th, 2016 at 18:39
OT: Pentagon wendet sich von Erdogan ab: “Die beiden ehemaligen US-Botschafter Mort Abramowitz und Eric Edelman in der Türkei haben die negative Haltung gegenüber Erdogan bestätigt und ihn zum Rücktritt aufgefordert. In der Washington Post ziehen sie ein vernichtendes Resümee zur Politik Erdogans, der 13-jährige Jungs wegen Kritik an ihm ins Gefängnis werfen lässt, von einem Mob Zeitungen überfallen lässt und Tausende von Kindern anderer Religionszugehörigkeit in islamischen Schulen zwangsislamisieren lässt.”
Das dürfte in Berlin und Brüssel einige leichte Schweißausbrüche nach sich ziehen.
März 12th, 2016 at 20:15
Dieser Putin spaltet die NATO!!1! (… was sogar tendenziell hinkommt, aber die Hintergründe passen so gar nicht ins Erzählschema).
März 13th, 2016 at 09:25
OT: Wie die türkische Küstenwache Bootsflüchtlinge bekämpft: Video auf twitter
Wenn man alle Meldungen dazu liest, dann kommt heraus, dass die coastguards mit den Stangen versuchen, die Motoren der Boote zu beschädigen.
In diesem Video vom September 2015 sprechen die Leute davon, dass auf sie geschossen worden wäre.
Die Türken ihrerseits werfen den griechischen Kollegen vor, dass sie Löcher in ein Schlauchboot gestochen haben: VIDEO: Greek coastguard allegedly pierces dinghy packed with refugees
Eine schöne Außenpolitik haben wir da. Mit Krokodilen bevölkerte Wassergräben rund um die Burg wären dagegen faire Angebote.
Für den Posten als Minister für gute Laune brauche ich mich wohl gar nicht erst zu bewerben. *seufz*
März 13th, 2016 at 09:58
OT: Noch mehr gute Laune: Brandenburg verhinderte Festnahme des NSU-Trios
Der Brandenburger Verfassungsschutz sorgte 1998 dafür, dass die NSU-Terroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe trotz Haftbefehl nicht verhaftet wurden. Zehn Morde hätten verhindert werden können.
März 13th, 2016 at 10:42
Letzteres ist nicht nur bekannt; ich gehe von einer Kooperation aus.