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Früher wird auch immer später. Nicht nur, dass die Technik sich hier und da rasant entwickelt hat – ich wage bei der Gelegenheit übrigens die Prognose, dass nützliche Fortschritte in den kommenden 20 Jahren kaum mehr zu erwarten sind – es ist auch die Kapitalflut, die binnen kürzester Zeit alles hinfort spült, was auch nur so aussieht als hätte es Sinn und Zweck. Das betrifft vor allem das Internet, das WWW und Träume von Freiheit und Unabhängigkeit wie die um Blogs.

Ich bin ein Spätstarter der Generation Dotcom, vielleicht auch zweite Generation, das geht ja inzwischen in wenigen Jahren von einer zur nächsten. Anfang bis Mitte der Nullerjahre etablierten sich Blogs in deutscher Sprache, deren ‘erfolgreichste’ Betreiber, also die mit der höchsten Reichweite, großenteils noch heute bekannt sind (wenn sie noch aktiv sind). Techies und Journalisten, die eben vor den anderen da waren und etwas zu sagen hatten. Eine der großen Anlaufstellen für Diskussionen und Selbstreferenz war die inzwischen verwaiste Blogbar von Don Alphonso, an der man sich fröhlich feierte, vors Bein trat oder eine großartige Zukunft ausmalte.

Generation Keinezeit

Ich habe damals in einer der Diskussionen gesagt, man solle einmal 10 Jahre abwarten, dann könne man sagen, wo die Bloggerei steht, was sie kann, was sie nicht kann und wohin die Reise geht. Das war vor etwa zehn Jahren, und inzwischen kann man das ziemlich deutlich sehen. In einer Veranstaltung an einer Uni habe ich junge Frauen, die sich für Bloggerinnen hielten, weil sie sich Klamotten anziehen und davon Fotos machen können, die sie dann mit drei Standardsätzen bejubeln, gefragt, wie sie das zehn Jahre lesenswert gestalten wollten. Die Reaktion war geradezu empört. Wie man auf die Frage kommen könne, was in zehn Jahren sei. Das ist schon einer der wesentlichen Unterschiede: Ein Morgen gibt es nicht mehr.

Unabhängigkeit war ebenfalls vorgestern. Wie sie sich dem Kapital zur Verwertung anwanzen, diese eingefleischte Nuttigkeit, ist das furchtbare Gegenteil all dessen, was wir uns vorgestellt hatten. Beauty, Reise, Fashion, man möchte kotzen. Alles, was man verticken kann, so kritiklos, seicht und nichtssagend, dass es sich dem Kommerz eben so anschmiegt wie dem hirnfreien Konsum, treu wie Herpes. Ach, wie schön, ach wie neu, das muss ich auch haben! Da muss ich unbedingt mal hin, jetzt pauschal und inklusive einheimischer Begleiterin noch günstiger! Längst sind das auch die “Blogger”, die von den Massenmedien und ihren verkeimten PR-Formaten noch wahrgenommen werden. Den Rest, die alten Männer, haben sie bei SpOn und FAZ verklappt, wo sie brav das jeweilige Verlagsspektrum mit heißer Luft befüllen und selbst damit noch qualitativ ziemlich weit vorn liegen.

Höraufmitderlaberei

Umso mehr belustigt es mich, wenn ich (gern übrigens nicht einmal hier in den Kommentaren, sondern in den laissez-faire moderierten Spalten der Nachbarschaft) lese, dass ich hier die Weltrevolution verhindere, weil ich partout den Zusammenschluss, die vereinigte Linke, nicht zur obersten Direktive mache. Bloß weil ich vor Jahren einmal einen Wahlaufruf verbrochen und mich an einem lustigen Kongress beteiligt habe, werde ich wohl immer noch verwechselt mit einem, der Partei machen will. Nein, auch dazu taugt es nicht.

Es scheint, als wolle eigentlich niemand so recht unabhängige Blogs. Es scheint, denn das ist nur der Chor derer, die etwas zu meckern haben; schlimmstenfalls derer, die sich eine Vorstellung machen und der freien Meinung® sind, jene Blogger, als deren Qualitätsleser sie wirken, hätten gefälligst umzusetzen, was demnach das Richtige ist. Willkommen wäre stattdessen schon die simple Erkenntnis, dass der Vorwurf “Ihr redet ja nur” zutrifft. Dazu reicht es aber nicht bei exakt denen, die ihn so gern erheben. Ja richtig, ich rede nur. So wie es mir einfällt und so wie ich es mag. Mit denen, die mich vorwärts bringen. Und wisst ihr, wie ich das nenne? Unabhängigkeit.