Im Goldfischglas: Steuerbetrüger, Schwarzfahrer
Posted by flatter under journalismus , politik[22] Comments
17. Dez 2015 15:17
Alle Jahre wieder dasselbe. Warum? Weil sich nichts ändert, wo niemand nach den Ursachen fragt. Vor gut vier Jahren schrub ich:
“Schwarzfahren ist ein Delikt. Im Jahr 2009 wurden 50000 Deutsche wegen “Erschleichung von Leistungen” verurteilt, während in demselben Zeitraum 10000 wegen Steuer-und Zollzuwiderhandlungen verurteilt wurden. (Ich beschränke mich auf Deutsche, da Ausländer bei Zollzuwiderhandlungen aus naheliegenden Gründen die Statistik verzerren).
Man mag zwar meinen, angesichts der zu erwarten höheren Zahl von Schwarzfahrern sei das normal, allerdings geht es hier nicht um alle, sondern nur um solche, die von einem Gericht verurteilt wurden. Es gibt fünf mal so viele verurteilte kriminelle Schwarzfahrer wie Schmuggler und Steuerhinterzieher in diesem Land. Das spricht schon für gewisse Prioritäten. Wenn man dann noch weiß, dass der gemeine Hinterzieher sich durch Selbstanzeige und Nachzahlung seiner einfachen Steuerschuld reinwaschen kann, wird klar, dass der Schwarzfahrer eben ein vergleichsweise besonders schändlicher Mensch sein muss.
Breitmaulfrösche?
Noch deutlicher wird das, was man “Klassenjustiz” zu nennen nicht umhin kommt, wenn man auf den Umgang mit Korruption schaut. Die Anzahl der Verurteilten bei den Delikten “Vorteilsannahme”, “Bestechlichkeit”, “Vorteilsgewährung”, “Bestechung” und “Bestechlichkeit und Bestechung in Besonders schweren Fällen” betrug 2009 insgesamt 248! Davon ist Bestechung mit 129 Fällen die häufigste Straftat. Auf der anderen Seite – dort wo sich der Einfluss auswirkt, gibt es quasi keine Kriminalität.”
Die Frage steckt im Begriff “Klassenjustiz”, bekannt aus verbotenen Texten und dem gleichnamigen Kampf. Das muss der Leser nicht wissen, das darf der Journalist nicht schreiben, der Bürger nicht denken und der Politiker schon gar nicht so nennen. Wer die Allgemeinheit um Millionen betrügt, muss sich nur rechtzeitig selbst anzeigen, während hier Kinder aus der Bahn geworfen werden, weil sie nicht rechtzeitig ihr Ticket bezahlt haben. Habe ich auch bereits berichtet.
Verschwörung? Ihr seid doch irre!
Was hat sich getan? Ach ja, nachdem die Berliner Richter vor Jahren bereits ihren Unmut über die Kriminalisierung der Bagatelle geäußert hatten, sind noch immer ein Drittel der Knackis in Plötzensee Schwarzfahrer, so der “Tagesspiegel”. Das war in 2010 auch schon so, schrieb die TAZ. Na da muss man jetzt wohl dringend aufstocken, damit das Pack nicht die Ordnung zum Einsturz bringt.
Die Steuerfahnder um Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim haben derweil, mehr als zehn Jahre nachdem der Terror gegen sie begann, einen weiteren juristischen Sieg eingefahren und bekamen für das Gutachten des korrupten Psychiaters Schadenersatz zugesprochen.
Lediglich Putins Verschwörungssender RT stellt jetzt die Frage nach den Konsequenzen für die damaligen Machthaber. Na klar, denn da es in Deutschland keine Verschwörungen gibt für den deutschen Q.Journalismus, ist der ganz weit raus aus dem Fall. Wenn der Pressesprecher sagt: “Vertrauen Sie der Regierung”, tut der deutsche Redakteur seine Pflicht. Schließlich sind wir im Krieg.
Update: Die Situation um Schwarzfahrer ist wesentlich dramatischer als zunächst berichtet.
Dezember 17th, 2015 at 15:35
Der hier ist auch “nett”: Banken sollen dubiose Aktiendeals beichten
Erklärbär Gerhard Schick dazu: Cum-Ex Betrug: Die Aufarbeitung kann beginnen (yt, 6 Min.)
Dezember 17th, 2015 at 16:10
Schwarzfahr-Gefängnisstrafen sind die abgespeckte deutsche Version der amerikanischen “debtors’ prisons“, fiskalisch natürlich ebenso unsinnig, da ein Gefängnisinsasse die Staatskasse pro Tag mehr Geld kostet als eine Monatskarte für den ÖPNV.
Wenn es um die Bestrafung der Armen geht, verbrennt selbst der neoliberale Staat gerne Geld.
Dezember 17th, 2015 at 17:02
….die Qintessenz des Ganzen ist doch nur eines:
dieser Staat muss zerstört werden
Dezember 17th, 2015 at 17:06
@rainer: Genau das machen die doch, Dummerle.
Dezember 17th, 2015 at 17:12
Ich glaube mich zu erinnern, in dem Kontext habe ich auch schon einmal die Frage gestellt: “Schmarotzen oder schmarotzen für Geld – macht Geld die Sache etwa besser?” Hintergrund ist, einem Sozialhilfeempfänger wirft man es doch nur vor, dass er schmarotzt, weil er das wenige Geld, was er hat, aus einem Staatstopf erhält. Einem Manager, der sich alles zusammenraubt, oder einem anderen Reichen, wirft man es nur nicht vor, wenn er dasselbe tut, weil er so vermögend ist, dass man resigniert aufgibt und sagt “Der Herr hat so viel Geld, der kann sich das Faulenzen leisten.” Mit anderen Worten: Auch wenn er mit seinem Verhalten nicht gerade zu einem sozial besseren Klima beiträgt, er hat das Geld auf der hohen Kante, um sich seine Extravaganzen zu leisten, er geht nirgendwo betteln, damit er das kann.
Um das Schmarotzen an und für sich geht es nicht. Nur darum, der eine kriecht und füllt einen Antrag aus, der andere ruht sich auf etwas aus, was er vielleicht vor langer Zeit begangen hat, und keiner ist der Sache bisher habhaft geworden, ihm sein Vermögen irgendwie wegzunehmen.
Was lernt man daraus? Reich muss man sein, dann darf man machen, was man will. Es interessiert niemanden.
Dezember 17th, 2015 at 19:07
Starker Artikel! Besonders der Absatz trifft den Nagel auf den Kopf:
“Die Frage steckt im Begriff “Klassenjustiz”, bekannt aus verbotenen Texten und dem gleichnamigen Kampf. Das muss der Leser nicht wissen, das darf der Journalist nicht schreiben, der Bürger nicht denken und der Politiker schon gar nicht so nennen.”
Zu der Meldung von RT Deutsch wollte ich auch was schreiben, aber das hast Du ja jetzt “erledigt”. Es ist die einzige “News-Seite”, die das Thema überhaupt so aufgreift. Auch wenn RT Deutsch vom Kreml finanziert wird (was ja ganz transparent artikuliert wird – im Gegensatz zu den Transatlantikern Spiegel, Zeit, ZDF etc.), so bekommt man hier täglich alternative Perspektiven geboten.
Dezember 17th, 2015 at 19:39
@matrixmann(5) – Ich hab durch Dein Post was gelernt. Dir kann man imponieren, wenn man Geld hat, da fragst Du glatt gar nicht mehr danach: woher. ;)
Dezember 17th, 2015 at 19:41
Ähm, das hier hätte ich auch noch einbauen können.
Dezember 17th, 2015 at 21:03
Die Klagen gegen die Kriegstreiber aus dem Bundestag beim Generalbundesanwalt sind zahlreich.
Kennt wer eine Instanz den Generalbundesanwalt wegen Untätigkeit im Amt zu belangen?
Dezember 17th, 2015 at 21:48
Apropos: Mit Steuergeldern kann man schöne Spielzeuge kaufen: The Secret Surveillance Catalogue
Will suck every last byte of data out of a seized cellphone
Geht doch einfach Pornos gucken.
Dezember 18th, 2015 at 13:36
In Berlin ~7000 % Steigerung, von 480 auf 33.723 (nur U-Bahn)
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/u-bahn-und-s-bahn-der-bvg-berlin-faehrt-schwarz-a-1068242.html
“… dass die Vorgängerfirma zu wenig kontrolliert habe und die BVG sich daher für ein anderes Unternehmen entschieden habe.”
Dezember 18th, 2015 at 13:52
Ah, heißen Dank, ich kannte nur die unkorrigierte Version.
Dezember 18th, 2015 at 13:54
Endlich mal irgendwo Wachstum!!1! Wenn jetzt jeder zweite Bürger zum Kontrolleur wird, dann hat das schier unendliches Potenzial.
Dezember 18th, 2015 at 14:17
Na klar, zumal man als Kontrolleur auch endlich alle die Dinge straffrei tun kann, für die man vorher in den Russenpuff gehen musste.
Dezember 18th, 2015 at 21:35
@ Wat. (7)
Mir und imponieren? Ich bin die materialisierte Form von Moral, die sich als obsolet herausstellt, und bevorzuge es noch, darauf mit der Faust noch einmal einzuschlagen.
Dezember 18th, 2015 at 21:42
Och @matrixmann, mir war nur aufgefallen, daß Du meintest (jedenfalls hatte ich das so gelesen) daß der Manager seinen Reichtum vom Nichtstun hat – hatta nich. Hatta sich als Lohnarbeiter ‘verdient’, daß er sich als Kapitaldiener gebrauchen läßt, macht ihn noch nicht zum Produktionsmitteleigentümer – merkt er spätestens dann, wenn er für sich in Anspruch nimmt zu handeln wie dieser, der aber was anderes wollte.
Und daraufhin hatte ich meine kurze Ecke eingeworfen. ;)
Dezember 18th, 2015 at 22:00
@ Wat. (16)
Es stand meiner Meinung nach da “ihm wirft man, im Gegensatz zum Sozialhilfeemäpfänger, das Schmarotzen nicht vor, wenn er sich aber genau so verhält” – weil er Geld auf der hohen Kante hat und niemanden um seinen Lebensunterhalt anbetteln muss.
Dem, der wenig hat, dem wirft man es vor “wie kannst du nur!!” und fängt an von “Moral” und solcherlei zu reden – wenn man sich dabei aber ansieht wie sich diese Einstellung ändert, sobald jemand millionenschwer genug ist, dass es mit Resignation und “kann man nichts machen” abgetan wird, dann merkt man, dass es nicht sehr weit mit der “Moral” an dieser Stelle her ist.
Dezember 18th, 2015 at 22:10
Da oben steht sogar was von “zusammen geraubt” .
Aber für Moraldiskussionen bin ich eh nen schlechter ‘Partner’.
Laß also gut sein. Das da oben von mir war einfach nur ein kleiner Seitenhieb/ Kulturbeitrag/ whatever ;)
Dezember 18th, 2015 at 22:34
@Wat.: “Produktionsmitteleigentümer” ist jeder Kleinaktionär, genau genommen auch jeder Sparbuchinhaber. Das macht den Klassenkampf ja so lustig.
Dezember 18th, 2015 at 22:38
@Matrixmann+Wat.: Moral ist der virtuele Honig, der dem Narrativ Geschmacksrichtungen gibt.
Dezember 19th, 2015 at 08:43
@ flatter (20)
Deswegen ist es nicht ganz unwichtig, das für sich zu erkennen, gegebenenfalls es auch mal für alle anderen (Noch-gläubigen) festzuhalten.
Okay, Fatalismus ist auch nicht die beste Antwort darauf, es steht aber jedem frei, seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen, wenn Moral einfach nur eine erfundene Worthülse von Menschen ist.
Man muss schließlich nicht seinen Nachbar ausrauben, von dem man weiß, dass er auch nicht mehr zum Leben als man selbst hat.
Dezember 20th, 2015 at 15:15
Zum Jahresbeginn die Fahrpreise erhöht mit der Begründung gestiegener Energiekosten – die Erdölpreise so niedrig, wie seit dreissig Jahren nicht.
Die neuen Denunzianten oder Kontrolleure extrem aufdringlich, sie betteln regelrecht auch ein Ausweispapier zu sehen, statt nur die 60 EUR einzukassieren, angeblich kann ihre Software das sonst nicht abrechnen. Tja Pech, Beförderungsentgelt erhöht oder normal ist nicht ausweispflichtig.
Allerdings kann ich die 480 nicht recht glauben, schaut man mal das Gebäude an der Jannowitz an, das ist immer voll und sieht auch nicht so aus, als ob man sich die Baukosten vom Mund absparen hätte müssen. Oder man hat früher nicht die Nichtberliner mitkatalogisiert.