Ja wo laufen sie denn? Es gab eine Zeit, da wurden sie gefragt, da fand man sie, weil sie bekannt waren. Sie schrieben Bücher, die von Massen Interessierter gelesen wurden und überzeugten durch die Qualität ihrer Gedanken und Argumentationen. Man denke an die Frankfurter, vor allem Adorno und Marcuse. Ja selbst Reaktionäre wie ein Nolte belebten noch einmal die Diskussion, indem ihnen Widerspruch entgegen schlug. Immer ging es um Inhalte und benennbare Standpunkte. Es wurde gestritten. Die Themen ließen sie sich nicht von Politik oder Medien vorgeben, aber wenn ihnen daran etwas nicht passte, äußerten sie sich.
Es folgte, in der Phase nach 1968, die Ära der akademischen Sozialdemokratie. Schriftsteller und Platzhalter wie Böll, Grass und Habermas definierten, was und wie Demokratie zu sein hätte. Immerhin noch in einer gedanklichen Auseinandersetzung, aber schon begrenzt aufs Tagesgeschäft und innerhalb des Narrativs. Marxist sein ging nicht mehr und etwas anderes, das in fundamentaler Opposition stand zum System, blieb aus. Der Vorzeigephilosoph Habermas, ein Abklatsch und Revisionist seiner Lehrer, wurde prominent ohne dass je wer hätte sagen können, wieso. An seinen Werken kann es nicht liegen, die wurden ja nicht einmal von seinen Claqueuren zitiert.
Tief schießen
Danach das nackte Grauen. “Ökonomen” übernahmen, Hand in Hand mit der Springerpresse und dem anderen Boulevard, zu dem auch die verkommenen Reste eines ehedem kritischen Journalismus gehören. “Deutschlands klügster Professor”, ein neoliberaler Hardliner. Der Holocaust, das ist für ihn inzwischen Kritik an Managern, Zitat:
“Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager.” Ein Intellektueller ganz nach dem Geschmack der Diekmanns.
Flankiert wird dieser Kotau vor der Herrschaft durch Entertainment, gern wird beides im Mix angeboten. Letzterer wurde geradezu verkörpert durch Peter Sloterdijk, einem schon modisch ausgewiesenen ‘Intellektuellen’ mit dem Chic des Existenzialisten. Leider ist seine ‘Philosophie’ ein geseiftes Manifest der Beliebigkeit. Die Reflexionen gar nicht einmal uninteressant, leider nur liegt die Spannung darin, dass statt gedanklicher Qualität launisches Lamentieren herrscht. Man weiß nie, was als nächstes um die Ecke kommt. Von Sloterdijks Genie sind vor allem Weisheiten überliefert wie:
“In solchen Anschauungen gründet der für den Marxismus, aber nicht nur für diesen, charakteristische moderne Habitus der Respektlosigkeit vor dem geltenden Recht, insbesondere dem bürgerlichsten der Rechte, dem Recht auf die Unverletzlichkeit des Eigentums.”
Der Laberfachmann
Philosophie als neoliberale Talkshow. Das Beste aus dieser Charge hat wenigstens gar nichts mehr zu sagen und schwätzt munter heute dies und morgen jenes, an das man sich schon Minuten später nicht mehr erinnern kann. Richard David Precht steht für die Verschwiegersohnung des geisteswissenschaftlichen Treibguts. Attitüde konnte Sloterdijk vielleicht sogar besser, aber Precht ist dabei noch sympathisch. Vielleicht wird er einmal Rektor der Günther-Jauch-Universität.
Wenn das der Führer wüsste! Der hatte mit dem Großschwätzer Heidegger wenigstens einen korrupten deutschen Geistesdackel, dessen Plappermechanik man sich erarbeiten musste. Das hatte mehr Stil und Unterhaltungswert und war auf einer Ebene reaktionär, die wirklich nur Experten verstehen. Völlig untauglich für ein Schaulaufen eitler Propagandisten. Höchstens Matusseks finden an dergleichen heute noch Gefallen, weil man das so schön beten kann. Kostprobe:
“Der Brauch lässt, Fug und Ruch verfügend, in die Weile los und überlässt das Anwesende je seiner Weile.”
Ja sicher! Gibt es denn gar keine Menschen mehr, die durch klare Gedanken, gute Ideen oder wohlorganisiertes Wissen den Diskurs bereichern können? Na klar, aber die sind nicht nur Verschwörungstheoretiker, sondern auch einfach zu anstrengend. Entweder man versteht sie nicht, oder, was wirklich furchtbar wäre: man verstünde sie und gäbe das ganze Gewese des Betriebs der angemessenen Lächerlichkeit preis.
Dezember 9th, 2015 at 14:16
Die Intellektuellen, die Du aufzählst, sind vor allem in der Öffentlichkeit bekannt und bekannt gewesen. Ich vermute, es gibt sie heute noch, aber man gibt ihnen keinen öffentlichen Raum mehr, der wurde erfolgreich von den Neoliberalen erobert.
Ein Prof. Hartmut Rosa, der den Wachstumsfetisch treffend als “Idiotenspiel” bezeichnet hat, ein Prof. Christoph Butterwegge, der sich nicht von immer neuen Armutsdefinitionen blenden lässt oder ein Prof. Klaus Dörre, der die kapitalistische Dynamik als “Landnahme” aller Lebensbereiche formuliert hat, Rainer Mausfeld, Uwe Krüger, Prof. Bontrup etc. – bekommen eben keine große öffentliche Aufmerksamkeit.
Es gibt sie wohl noch, die Intelektuellen mit neuen Ideen, Analysen und Perspektiven, nur muss man heute mehr nach ihnen suchen.
Dezember 9th, 2015 at 14:21
Der Bauch lässt, über Fug und Ruch verfügend, los und überlässt das Anwesende in Eile.
Röchelverzeichnis 4712
Dezember 9th, 2015 at 14:24
@epikur: Nehmen wir mal den Bontrup und unterstellen, er hätte das Zeug dazu. Der Mann ist zuerst mal Hochschullehrer. Unter der Kategorie “Narrativ”, nicht zu fällig gewählt, erfüllt er damit zwar eine Bedingung, aber “Intellektuelle” in diesem Verständnis sind eben diejenigen, die gefragt werden. Da ist Butterwegge quasi zweite Liga, eine Art Intellektueller der Dritten Programme und Spartensender – und übrigens nicht zufällig Sozialdemokrat (wenngleich seit 2005 nicht mehr Parteimitglied). Bontrup findet nicht statt, ebenso die anderen Genannten.
Dezember 9th, 2015 at 17:58
Für den zweiten absatz ein ganz besonders herzliches danke.
“… was wirklich furchtbar wäre: man verstünde sie und gäbe das ganze Gewese des Betriebs der angemessenen Lächerlichkeit preis.” Ich stelle mal einen buchstaben um: ich denke, dass genau das fruchtbar sein könnte und dass genau hier beispielsweise die aufgabe einer im parlament vertretenen ‘linken’ partei als ausdruck einer gesellschaftlichen bewegung läge: das ganze gewese des betriebs und seiner protagonisten vorzuführen und der lächerlichkeit preiszugeben. (Und nur aus diesem grund, der “straße” eine stimme im repräsentativen politikbetrieb zu geben, sollte man diese bühne unter den gegebenen umständen nicht aufgeben. Aber: woran liegt es, dass eine im/vom gestern verhaftete linke nicht in diese richtung denkt und handelt? Der demokratie-/sozialstaatsillusion – des, wider alle geschichte, wir regieren anders und zähmen den kapitalismus? Der korrumpierbarkeit, also den annehmlichkeiten des mitspielens?)
Kein Kotau. Nicht im spielen des spiels nach den regeln, um mitzugestalten oder, um im bild zu bleiben, nicht in der mitgestaltung des betriebs, sondern im brechen der regeln, im sabotieren des spiels/betriebs liegt die perspektive und das kann alternativen denk-/erkennbar machen und ermöglichen. Die ‘herren’ der lächerlichkeit preisgeben hilft – mindestens – “gedankenpanzer” der sklaven zu zerstören, die scheinbar betonierte gegenwart aufzubrechen, kann dem entstehen von etwas neuem raum verschaffen, sei es zunächst mal “nur” in den köpfen, und dazu führen, dass etwas anderes probiert wird.
Es “soll offenbar ein an tollwut grenzender geisteszustand von wohlverhalten erzeugt werden.” (Nicolas Born) Dagegen ist anzukämpfen, in dem wissen, dass man sich hier befindet: “Dann stand er auf dem festen boden der verzweiflung, auf dem er zu hause war.” (Carson McCullers)
Man mag sich dabei manchmal selbst der lächerlichkeit preisgeben; das sollte das geringste aller probleme sein.
Dezember 9th, 2015 at 18:36
Deutsche Intellektuelle??
Hat Intelligenz denn einen nationalen Charakter? Ich wüsste nicht wo und wie.
Der Bedeutungsverlust der Intellektuellen ist kein deutsches, nicht einmal ein europäisches Phänomen.
Wann war denn die Zeit, da Intellektuelle “gefragt waren“? Ich denke, das war die Zeit der Aufklärung, die vorrevolutionäre Zeit der bürgerlichen Revolution. Nach dieser kapitalistischen Revolution verwandelten sich die ehemaligen „Lehrer der Nation“ zunehmend in Boheme, in Spaßmacher.
Welche Aufgabe können und sollen Intellektuelle in der kommenden Revolution spielen, die alle Herren und alle Sklaven überflüssig macht?
Ich denke, der typische Intellektuelle von heute ist Fefe: Er macht einen Blog und hat vor nichts Respekt. Aber wirkliche Kenntnisse hat er nicht. Er ist ein Spaßmacher und mehr will er auch nicht sein. Was den Unterschied macht: Wem will er Spaß bereiten? Den Herren oder den Sklaven?
Etwas anderes als Spaß sollten wir von Intellektuellen nicht erwarten.
Dezember 9th, 2015 at 18:43
@frosch: Wie so oft: Ich setze das Thema, das steht in der Überschrift. Fällt dir nix zu ein? Gefällt dir nicht? Das ist kein Argument für oder gegen gar nichts.
Deutsche Intellektuelle, weil deutsches Narrativ, weil sie sich auf die Wirklichkeit der BRD beziehen.
Dezember 9th, 2015 at 20:22
@ flatter
Ganz Unrecht kann ich da Frosch nicht geben. Das ist ein globales Phänomen, dass Intellektuelle aus dem öffentlichen Fokus und Diskussionen verschwunden sind und statt dessen mit Trash-TV ersetzt wurden (ich bleibe jetzt mal beim TV, weil zu den Zeiten, wo das stattfand, es ein Hauptmedium gewesen ist und heute teilweise diesen Dienst auch noch tut). Es ist scheinbar “wie aus der Mode geraten”.
Man kann da jetzt am Ende sich darüber aufregen oder herumtrauern, die Frage ist am Ende: Was willst du dagegen tun?
Du kannst Briefe schreiben und versuchen, dieses Niveau wieder in den öffentlichen Diskurs zu bringen – ich denke, man kann sich aber vorstellen, wo die Briefe landen werden.
Mir würde da einfallen, das Hauptziel ist eigentlich, die Diskussion in die Stube zu bringen. Unabhängig von den Medienarten, die die technischen Möglichkeiten so bieten. Selbst auch einigermaßen unabhängig vom Internet.
Wenn außerhalb der Bespaßungsindustrie und den Pseudointellektuellen – die, die das System zu solchen ernennt und mit Preisen überhauft – ein Netzwerk besteht, dass auch unabhängig davon arbeiten kann, dann, würde ich sagen, ist die Sache ausgehebelt. Verfehlt seine Wirkung.
Ich würde zumindest meinen, wenn es nur ein paar großen Figuren gibt, die den Zeitgeist prägen, und die Leute sitzen zu Hause immer noch als treudumme Schafe da, dann ist der Sache damit auch nicht gedient. Potentiale für Ideen haben alle, man muss sie allerdings füttern und ihnen den Freiraum dafür geben (als auch ihnen den Ansporn geben).
Dezember 9th, 2015 at 21:19
Boah ey, das ist mir doch wurscht, ob das woanders auch so ist. Ich beschränke mich auf D, weil ich mich hier auskenne.
Dezember 9th, 2015 at 22:48
ich teile flatters einschätzung über habermas. ich habe von ihm nichts lernen können. während z.b. adornos oder blochs texte erfahrungsgesättigt sind, ist habermas ein abstrakter, und seine abstraktionen haben nur eine geringe binnendifferenzierung. bei adorno haben mich nicht nur die inhalte affiziert, sondern auch die ästhetische gestalt seiner sprache; vom sprachstil her ist habermas ein technokrat.
Dezember 9th, 2015 at 22:55
Ich hätte auch Luhmann erwähnen können, der war quasi die letzte Konsequenz technokratischer Begriffsidiotie. Interessant, dass er aber nie öffentlicher ‘Intelelktueller’ wurde, während er akademisch zeitweise einflussreich und runiös wirkte.
Habermas hat vor allem reaktionär wie wild versucht, den Satz “Aufklärung ist totalitär” zu revidieren. Das kann man sogar durchaus schaffen, aber sicherlich nicht durch einen technokratischen Rollback, eine Art Positivismus der Kommunikation. (Ist reichlich deplaziert in diesem Medium hier, aber so viel OT leiste ich mir bei der Gelegenheit.)
Dezember 10th, 2015 at 00:19
“Danach das nackte Grauen. “Ökonomen” übernahmen, “ Vorsicht!! HWS iss nich nur “Deutschlands klügster Professor” (Blöd), er iss auch Deutschlands “Hochschullehrer des Jahres” – und sein ifo-Index schafft es regelmäßig in die Top-Charts der MSM!
Edith sacht: Letzter Absatz!1!! Brüller!!
Dezember 10th, 2015 at 02:40
Bravo! Hoffnung keimt auf! Sorgen wir dafür, daß Meister Precht zum Gründungsrektor der bitte schleunigst zu gründenden (natürlich privaten – was gut ist, muß auch was kosten!) Günther-Jauch-Universität aufsteigen kann.
Ich erbiete mich, das Curriculum für die ersten Studiengänge auf dem Forschungsgebiet Schwafelei – Theorie & Praxis – zu erarbeiten, Bachelor und Master!
Innert fünf Jahren (vorausgesetzt die substantielle, nie schwächelnde Förderung durch die Bertelsmann-Stiftung) wird man dann hoffen können, auch die ersten Kandidaten – cand. blat./garr. – als Doktoranden begrüßen zu dürfen, deren Promotion zum Dr. blat./garr. dann hoffentlich noch von ihm selbst als Erstgutachter (im Volksmund Doktorvater) in die Wege geleitet werden kann. Die wahre Krönung seines Lebenswerks ist doch nicht die die Zahl der von ihm publizierten Bücher, sondern die Anzahl seiner Schüler!
Dezember 10th, 2015 at 08:53
flatter (10)
Den Kommentar hätt ich fast übersehen, rettet mich aber davor, ein gutmütiges Wort zugunsten von Habermas nieder schreiben zu müssen :-)
Dezember 10th, 2015 at 09:04
Der Bedeutungsverlust der Intellektuellen ist nicht aufzuhalten.
Erstens: Der Bildungsabstand zwischen den „Geistesgrößen“ und uns „Kleingeistern“ schrumpft: Im Jahr 1900 hatten nur rund 3 Prozent der dt. Bevölkerung einen Hochschulabschluss, heute sind es 12 Prozent mit weiter steigender Tendenz.
Zweitens: Die Datentiefe und Datenbreite nahm/nimmt zu, und ist von Einzelnen immer weniger überschaubar: Im Jahr 1900 wurden noch über 80% der US-Patente von Einzelpersonen angemeldet. Heute sind es noch 30%, und deren Erfindungen sind meist technisch anspruchslose Haushaltsgeräte.
Auch die Vergabe der Nobelpreise zeigt: Die ausgezeichneten Leistungen schrumpften in den letzten hundert Jahren zu immer kleineren Mosaiksteinchen der Wissenschaft.
Schluss: Intelligenz war schon immer eine Kollektiv- und Kooperationsleistung und wird das immer mehr. Masse schlägt Klasse.
Intelligenz ist/wird eine Leistung aus Kommunikation plus Urteilsfähigkeit.
Urteilsfähigkeit gegeben, können die hier schon mal verächtlich gemachten Blogs und soziale Medien durchaus eine positive Rolle spielen, wie der Erfahrung von I. Mangold zeigt: http://www.zeit.de/2015/17/facebook-printmedien-veraenderung/komplettansicht
Die Erfahrungen von Mangold sind nur vom Berufsfeld „Journalist“ aus gesehen, sind aber auf andere Bereiche übertragbar, meint frosch.
Dezember 10th, 2015 at 09:06
Gute Analyse. Precht benötigt man heute aber umständehalber. Bei der Suche nach dem Schwund des Bildungsniveaus verweise ich auf die aktuellen Folgen South Park. Der “Krieg der Werbung” trifft den Menschen 100 Mal öfter am Tag, als Bildung. Sonst würde er auch kein Telefon kaufen, dass fast 1.000 € kostet und zwei Jahre hält.
Dezember 10th, 2015 at 11:29
@frosch (14)
Jemanden, der heute einen Hochschulabschluss erworben hat -bei dem verschulten Bachelor-Wahnsinn, wo funktionierende Roboter und keine Freigeister erwünscht und gezüchtet werden- per se als “Intellektuellen” zu bezeichnen, halte ich für eine gewagte These. Er/Sie mag rein technokratisch-bürokratisch vielleicht als Akademiker gelten, ist aber deshalb noch lange kein “Intellektueller”.
Ich stimme der These zwar zu, dass es einen Niedergang von Intellektuellen gibt und weiter geben wird, sehe aber andere Ursachen dafür. Dazu gehören unter anderem: die gezielte Verdummung der Massen, weil sie nur als Konsumenten gebraucht werden, die Info-Entertainment-Gesellschaft, wo alles als Unterhaltung präsentiert werden muss (deshalb sind Georg Schramm und Volker Pispers auch bekannter/beliebter als “nüchterne Intellektuelle”) sowie die Angst der herrschenden Elite vor neuen Ideen, alternativen Analysen und Perspektiven.
Dezember 10th, 2015 at 12:00
Böll war im Gegensatz zu Grass niemals Mitglied der spd. Er hielt auch nicht damit hinter dem Berg, dass er zwar Brandt unterstützte, nicht aber die spd.
Ihn als “Platzhalter” zu bezeichnen, würde ich niemals wagen.
Dass für uns die derzeitige Lage so erdrückend wirkt, wie sie nur die Älteren aus der Adenauer-Zeit kennen, mag ja sein. Ich weiß aber nicht, wie man jungen Menschen heute noch Intellektualität und ständige außerparlamentarische Opposition schmackhaft machen soll, wenn doch Nonkonformität ohne finanziellen Background direkt in die Mühlen der sozialen Ausgrenzung führt.
Die einen bekommen zum Achtzehnten ein Auto, sind es gewohnt, dass die Eltern ein Haus mit Carport haben, studieren ein paar Semester im Ausland und kehren dann mit bwl-Diplom in der Tasche zurück.
Die anderen sind bereits glücklich, wenn eine Primark-Filiale ums Eck aufmacht, wie der andere Shooting-Star Byung-Chul Han berichtet.
Wie soll ich denen erzählen, dass sie jetzt gefällig kritisch sein sollen oder die Ideale hinterfragen? Haha, der Opa erzählt wieder vom Krieg, würde ich zu hören bekommen.
Und, by the way, wenn ich mit Studenten unter dreißig z.B. über Autoren rede, von denen ich viel halte, dann kennen die nicht einmal die Namen.
Kritik ist heute strategischer Konsum. Das Biosiegel auf jeder Plastiktüte garantiert mir, dass ich etwas für die Rettung des Planeten getan habe. Yeah, so ich gehöre dazu, beweise, dass ich selbst denken kann und schlaue Ideengeber will ja auch keiner mehr. Man ist schließlich individuell.
Die Welt hat sich weitergedreht und “wir” können nichts dagegen tun.
OT: Lesen sie auch heute wieder das Parteiprogramm von 1998 und halten es ihrem Abgeordneten unter die Nase.
Dezember 10th, 2015 at 14:44
ot
Für diejenigen, die den unter favoriten verlinkten artikel beim spiegelfechter “Beate Zschäpe – der konstruierte Popstar”, (‘verschwand’ dort gestern samt kommentaren) lesen möchten, man findet ihn hier.
Dezember 10th, 2015 at 15:47
@ flatter Nr. 8
Mag sein, dass es unrelevant ist, wenn man erst einmal sich mit dem beschäftigen will, was man am besten kennt.
Trotzdem bleibt am Ende die Frage: Was willst du dagegen tun?
@ R@iner Nr. 17
Falls ich mir dazu ein Urteil erlauben darf: Der aktuellen Generation 11-19 Jahre alt fehlt meiner Ansicht nach der Mut zum Anderssein. Jeder möchte zu irgendeiner Gruppe dazu gehören, passt sich deshalb an, und darüber hinaus wird alles, was an irgendwelchen Personen anders ist, verwässert.
Ich möchte zwar schwarz anziehen, Stachelarmbänder tragen, Emo-Musik hören, aber ich setze mich doch wieder zwischen die “coolen Kids”, um nichts zu verpassen. Sich allein hinsetzen, weil man mit den anderen wenig oder nichts gemein hat, ist sehr aus der Mode gekommen.
Dezember 10th, 2015 at 16:57
“Sich allein hinsetzen, weil man mit den anderen wenig oder nichts gemein hat, ist sehr aus der Mode gekommen.”
Und das ist gut so, finde ich ;)
Dezember 10th, 2015 at 17:47
@ Wat.
Hat aber den Nachteil, Grenzen ziehen lernt man noch mal umso später. – Der Spruch mit Hans und Hänschen dürfte denke ich mal bekannt sein.
Dezember 10th, 2015 at 18:21
@matrixmann(21) – Ja, sicher kenne ich den. Aber einen Menschen nicht für einen halten oder für besser oder schlechter, immer klug seiend oder immer dumm, ist/ wäre ein Lektion, auf die mE liebend gern verzichtet werden könnte.
Dezember 10th, 2015 at 19:07
Lernen ist eine Frage der Motivation und weniger des Alters.
OT: Schön gemachte Seite: leftvision – Südeuropa zwischen Aufbruch und Austerität
Dezember 10th, 2015 at 20:40
@ Wat.
Die kommt so oder so, ob man sich nun zwischen die coolen Kids dazwischen setzt oder nicht. Anders ist anders, das riechen sie instinktiv genauso gut wie wenn ein Erwachsener weniger als eine Respektsperson als als Hampelmann taugt.
@ R@iner
Muss ich einen kleinen Protest einlegen.
Je jünger du bist, desto besser lernst du. Hat einfach mit der Neuroplastizität der Nervenzellen zu tun und mit der hohen Rate der Zellteilung in der Wachstumsphase, dagegen kann man mit Wünschen und Reden nichts ändern.
Soll nicht heißen, dass ein alter Hund keine neuen Tricks lernen kann, es geht aber langsamer.
Dezember 10th, 2015 at 20:53
@matrixmann: Na gut, so ab 75 wird’s vielleicht etwas schwieriger mit dem Gedächtnis. Ich habe aber den letzten Neurologenkongress geschwänzt, wie ich gerne zugebe.
Dezember 10th, 2015 at 21:37
@R@iner (17)
“Dass für uns die derzeitige Lage so erdrückend wirkt, wie sie nur die Älteren aus der Adenauer-Zeit kennen, mag ja sein. Ich weiß aber nicht, wie man jungen Menschen heute noch Intellektualität und ständige außerparlamentarische Opposition schmackhaft machen soll, wenn doch Nonkonformität ohne finanziellen Background direkt in die Mühlen der sozialen Ausgrenzung führt.” Wennste da mal nich recht hast! In der Gruppierung, in der ich mich engagiere iss alles ü60, junges Volk iss nich zu kriegen, muss entweder rabotten weil sonst der Ofen ausgeht oder iss satt. Und wir, die Grufties, denken immer wieder: “Dess habbe mir doch schonn emol hingekrischt, wieso krische mir dess jezz nedd hin?” Der Gegenwind plus die – auf diese oder jene Weise – sedierte und träge gemachte Masse sind zu stark.
Und: Wenn wir das Eine ablösen, was ist dann das Andere und wie kommen wir durch die Transition? Lebendisch oder dod?
Dezember 10th, 2015 at 23:34
Ich frage mich immer mal wieder, woher das Wissen über “die Jugend” hier bei einigen Kommentatoren genommen wird. Sitze im Seminar im Politikstudium, in dem sich so ziemlich alle einig sind, dass bestehende und weiterhin wachsende Ungleichheit ein zentrales Problem ist und frage mich, wie das zum gemalten Bild passt. Sehe die Jugendlichen, die ich beim Fußball betreue, die vielen Mitläufer und die einzelnen, die nicht so recht reinpassen, weil sie vielleicht weiter, nachdenklicher, oder aber auch nur anders sind als die anderen. Die aktuelle Jugend war ja schon immer die schlechteste, aber könnten wir nicht mal nach ein paar tausend Jahren damit aufhören, das immer wieder zu wiederholen?
Dezember 11th, 2015 at 00:09
Im Grunde hast du recht. Wir können aber als Ältere uns mit den Jüngeren vergleichen, um beide besser zu verstehen. Zu sagen “anders ist schlechter” ist der Fehler, den Ältere gern machen. Aber: Wenn wir feststellen, dass sich Jugend als solche verändert im Vergleich zu den Generationen zuvor, ist das eine These, über die man nachdenken sollte. Ich habe den Eindruck, dass ‘diese’ Jugend erschreckend reaktionär ist – bislang stets das ‘Prvilieg’ der Älteren. Für mich ein Indiz für Verblödung in einer neuen Dimension. Das betrifft selbstverständlich die gesamte Gesellschaft, die Jüngeren sind so gesehen ebenso Symptomträger wie die Älteren.
Dezember 11th, 2015 at 06:47
@R@iner (23)
Interessantes Link, Danke. Zitat (sinngem.): “Wenn eine Gesellschaft sich verändern will, dann muss sie auch etwas dafür tun. Es reicht nicht, wenn sie sich alle vier Jahre jemanden wählt, der dann irgend etwas besser gestaltet.” Mir scheint da spricht jemand das grundsätzliche Problem aller repräsentativen Demokratie an: Da ist ‘tägliche’ Aktivität – mitdenken, mitsprechen, mittun – angesacht, also etwas was eigentlich im Ggs. zur Repräsentation steht. Dass sich dann Politniki, Funktionäre, Parteien, Elitariat, Kapital & Co. verselbständigen und eigene Interessen im Fokus haben … wer hätte das gedacht?
@FelixK (27)
“Die aktuelle Jugend war ja schon immer die schlechteste, aber könnten wir nicht mal nach ein paar tausend Jahren damit aufhören, das immer wieder zu wiederholen?” flatter hat darauf schon geantwortet (anders ist nicht gleich schlecht), ich sag’s ‘mal mit meinen Worten: Es wird auch die nächsten tausend Jahre so bleiben: Die Jungen kranken an: “Ich hab’ da ‘mal ‘ne Idee” und die Alten kranken an: “Ich hab’ da meine Erfahrungen”.
Dezember 11th, 2015 at 08:48
@ R@iner Nr. 25
Bin selber noch auf keinem gewesen. Stell dir vor.
Dezember 11th, 2015 at 09:02
@FelixK: Wenn wir in die Details gingen, dann würde ich gegen das Bildungssystem argumentieren und nicht auf die schimpfen, die nach der “Wende” (’82) sozialisiert wurden. Daraus folgte dann zwangsläufig Kritik an einer Lehrergeneration, die ihrerseits andere Grundlagen hätte mitbringen können und die Artikel von Wolfgang Lieb auf den Nachdenkseiten über den Umbau der universitären Lehre sind wohl auch nicht aus der Luft gegriffen.
Mich würde es freuen, wenn Leute wie Du hier öfter kommentierten. Schließlich ertragen “wir” @Amikes Genöhle ja auch. :-D
@matrixmann: Ich doch auch nicht.
Dezember 11th, 2015 at 09:42
@ R@iner
Hält aber nicht davon ab, fachlich einiges aus dem Bereich zu wissen, wollte ich nur damit sagen.
Dezember 11th, 2015 at 09:57
@matrixmann: Es ist vor allem ein Thema, bei dem morgen nicht mehr gilt, was man heute zu wissen glaubt.
Dezember 11th, 2015 at 10:31
@ R@iner
Auf vieles trifft es zu. Würde aber meinen, ein wenig an Wissen türmt sich mit der Zeit doch auf. Sonst würde man ja, was psychische Krankheiten betrifft, mehr noch aber bei physischen Krankheiten von Gehirn und Rückenmark niemals bei den Behandlungsmöglichkeiten vorwärts kommen. – Und das würde ich doch schon als eine Lüge bezeichnen.
Dezember 11th, 2015 at 10:43
@alle selbstmitleidigen Alten (mich eingeschlossen):
Glücklich, wer sich vom Feuer der Jugend die Glut noch bewahrt
Dezember 11th, 2015 at 10:47
Ich bin ein Neurologenkongress und weise darauf hin, dass reines Wachstum von Zellen und Synapsen keine Lernprozesse abbildet. Das Wissen um den Zusammenhang zwischen der Struktur des Gehirns und seiner Zellen einerseits und deren Funktionen andererseits tendiert gegen null.
Was man darstellen kann, ist das Schema einer kognitiven Struktur. Logisch ist, dass diese sich zunächst in der Fläche vergößert und später hauptsächlich ‘nach innen’ wächst (Binnendifferenzierung). Daher lernen Ältere ggf. durch ihre überlegenen Voraussetzungen wesentlich schneller – oder eben langsamer. Alles eine Frage der Perspekive.
Dezember 11th, 2015 at 12:16
!! :-D
Dezember 11th, 2015 at 14:49
@ flatter Nr. 36
Das ist richtig. “Vernetzung” ist vielmehr das Zauberwort. Die Fähigkeit, zu vernetzen, wird aber mit dem zunehmenden Alter träger, auch weil in vielen Fällen, wo eine Anforderung an das Gehirn gestellt wird, schon irgendwelche Strukturen bestehen, die für diese Anforderung passend oder zumindest anwendbar sind. Ausgetrampelte Pfade laufen sich besser als Wege, die noch gar nicht existieren – ist dort genauso. Wer noch keine hat, der kommt nicht darum herum, welche anzulegen.
Die Fähigkeit, neue Wege anzulegen bleibt bestehen, allerdings wegen der Tendenz des Stoffwechsels, die energiesparendste Variante zu wählen, wenn schon viele Strukturen vorhanden sind, wählt das Gehirn einen Trampelpfad, der schon gut ausgebaut ist. Deswegen ist das mit dem dazulernen erschwerter, je älter man wird. Da hat sich inzwischen etwas angesammelt.
Auf das Ausgangsthema angewendet: Deswegen ist es wichtig, eigentlich die jungen Leute noch in ihren Wachstumsjahren zu prägen. Wer erst einmal die Anspruchslosigkeit und die Konsumreligion verinnerlicht hat, aus dem bekommt man dies instinktiv nicht mehr so schnell wieder heraus. Das Einzige, was in der Lage ist, dies abrupt zu stoppen, sind ein Krieg oder Naturkatastrophen – wenn äußerlich der Zufluss für dieses Verhalten wegfällt. Denn die beiden Umstände kennen keinen keine Uhr, keine Auswahl und kein Erbarmen – von wegen “ich kann das nicht”.
Dezember 11th, 2015 at 15:02
Auf die Gefahr hin, dass ich nerve:
“Vernetzung” ist vielmehr das Zauberwort.
Ja, aber der Zauber wirkt nicht durch Vernetzung mit sich selbst, sondern erst durch die Vernetzung mit anderen. Zur Not auch in diesem Blog
Dezember 11th, 2015 at 15:25
@matrixmann: Ich kann dir weitgehend zustimmen, aber
“Tendenz des Stoffwechsels, die energiesparendste Variante zu wählen”
ist ein Modell, das auf Hirnaktivität angewendet mit Sicherheit zu schlicht ist.
Dezember 11th, 2015 at 15:37
@ frosch
Ich meinte “Vernetzung” in Bezug auf das Gehirn.
Masse nutzt nichts, wenn sie brach liegt.
Innerhalb der Substanz müssen sich Verbindungen bilden, um daraus konginitive oder emotionale Intelligenz zu formen.
Das kann sogar so weit gehen, Leuten, denen Teile vom Gehirn fehlen, trotzdessen mit wenig odr gar keinen Einschränkungen leben können, weil sich Organ und Organismus auf diese Situation angepasst haben. Der Rest des verbliebenen Gehirns hat einfach gelernt, wie man steuert, spricht oder Kartoffeln schneidet.
Dezember 11th, 2015 at 15:52
@ flatter
Würde ich nicht so sehen.
Nachdem man Schreiben mit einer Hand gelernt hat, lernt man es instinktiv auch nicht “zur Sicherheit” noch mal zusätzlich mit der anderen Hand. Ebenso auch bei anderen Dingen, sobald man mit einer den Dreh heraus hat. Kommt daher, dass man in der Natur froh sein kann, etwas überhaupt mit einer Extremität zu können. Die Energie für noch einmal aufwenden kann schon bedeuten, dass dich einer zwischendurch frisst (insofern es nicht absolut notwendig ist).
Und sag jetzt nicht, so steinzeitlich ist der Mensch mittlerweile nicht mehr – an ihm ist noch so viel Steinzeit, nimm ihm Strom und fließend Wasser weg und er legt wieder Verhalten an den Tag, das gut an Jäger und Sammler erinnert, weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt.
Dezember 11th, 2015 at 17:24
@matrixmann(42)
So sehr ich selbst Indivduum bin und bleiben möchte, es scheint mir nicht zielführend, einen Menschen von allen/m anderen losgelöst zu betrachten.
Mir fällt auch nicht ein einziger Grund ein, warum und wozu das Sinn machen/ haben sollte, sorry.
Ich bin ohne ‘Euch’ nichts.
Mit schnellem Denken und Lernen nicht, mit langsamem auch nicht.
So weit so wahr.
Vielleicht darf ich mich einbringen (als Individuum). Daß das Vielleicht kein nur Vielleicht bleibt, das ist mein Ziel.
Denn die anderen müss(t)en mir immer mehr ‘geben’, als ich es für sie tun könnte…
Dezember 11th, 2015 at 18:49
@matrixmann: Wenn ein Beispiel in dein Modell passt, heißt das nicht, dass das Modell stimmt.
Dezember 11th, 2015 at 23:17
@ Wat. Nr. 43
Hm… Das erscheint mir jetzt überraschend.
Politik, Revolution, gesellschaftliche Veränderung und das Hinterherlaufen hinter Rattenfänger hat doch sehr viel mit der Funktionsweise des Subjekts zu tun, was sie alle ausmacht?
@ flatter Nr. 44
Mag sein, dass mein Model nicht perfekt ist. Mit der Zeit entwickelt sich auch mancher Blick weiter.
Ich würde aber meinen, das ist das Grundprinzip.
Dezember 11th, 2015 at 23:28
Ich lasse dich da nicht von der Kette, auch wenn ich das nicht ausdiskutieren muss, aber dein Modell ist viel! zu simpel, das ist etwas anderes als “nicht perfekt”.
Dezember 11th, 2015 at 23:35
@matrixmann(45)
“Politik, Revolution, gesellschaftliche Veränderung und das Hinterherlaufen hinter Rattenfänger hat doch sehr viel mit der Funktionsweise des Subjekts zu tun, was sie alle ausmacht?”
Das Subjekt ‘funktioniert’ nur nie unabhängig von allen/m anderen.
Nicht einmal in seiner ‘Grundfunktion’.
Das Subjekt, ich nenne es mal lieber Individuum, funktioniert immer nur im Verhältnis zu anderen/m. Darum bilden wir Gemeinschaften ;)
Ergibt eine ‘hübsche’ Dialektik.
Die geht nicht so weit, daß ein einzelnes Individuum die ganze Gesellschaft bestimmen oder losgelöst von ihr handeln, leben, denken kann.
Edit: und deshalb meinte ich oben, daß es nicht zielführend ist, einzig einzelne Individuen betrachten zu wollen.
Dezember 12th, 2015 at 13:04
@ flatter
Dann kann ich dich nur dabei belassen, dass bei mir Aussagen in der Praxis nie der letzter Weisheit Schluss sind.
@ Wat.
Wenn du von dem Umstand sprichst, dass nur der geringste Anteil der Menschheit, wenn sie erwachsen sind, Einzelgänger ist, und der überwiegende Teil in einem sozialen Gefüge lebt, weil Menschen von Grund auf Herdentiere sind, und vor dem Erwachsensein wachsen sie auch in einer Herde auf, so muss ich sagen, ich habe dies alles bei der Berechnung mit drin.
Vielleicht kommt das nur nicht so rüber.
Ich brauche mich jedenfalls nicht wundern, wenn Menschen über Jahrhunderte 5 Religionen und Ideologien hinterherlaufen, die zu Grunde liegenden Probleme sich aber im Verlaufe der Jahrhunderte nicht allzu sehr verändern, wenn ich mir nie die Frage stelle “Was erhoffen sie sich davon?” Die Antwort darauf lässt sich nämlich häufig in elementaren menschlichen Bedürfnissen wiederfinden, die bei allen mehr oder weniger gleich sind. Und wenn bei einem Teil der Individuen bestimmte Bedürfnisse weniger ausgeprägt sind als bei anderen, dann ist es nicht nur nicht weiter schlimm, sondern ist der Tatbestand so. Weil so viel Variabilität dann doch innerhalb einer Anzahl von Individuen besteht.
Es ändert sich aber nichts daran, in diesem Pool nach Grundfesten zu suchen, was Menschen dazu bringt, hinter etwas hinterherzulaufen und dies schließlich auch noch als Masse zu tun. Allein nur das Einreden von Dingen oder der Gruppenzwang ist es auch nicht; etwas steckt in einem Glaubenssystem drin, was jeden auch einzeln für sich anspricht. Sodass es dann dazu kommt, dass Massen einer Sache huldigen.
Und das ist etwas, was sich bis ganz in die Gegenwart erstreckt.
Dezember 12th, 2015 at 16:58
@matrixmann(48)
“Was erhoffen sie sich davon?”
Leben!
Ich mein’, Du drückst das umständlicher aus, meinst es aber wohl auch.
Sie wollen leben, sich reproduzieren.
Ob ihnen das immer so bewußt ist? Echt, was drauf gesch…
Deshalb gehen sie mit anderen ein Verhältnis ein – ein (Re-)Produktionsverhältnis. Im übrigen auch der von Dir s.g. “Einzelgänger” – der mag vielleicht rein äußerlich allein ‘laufen’, aber leben keine drei Tage…
Sie bilden diese Verhältnisse auf dem jeweiligen Stand ihres (gemeinsamen) Wissen und Könnens, ich habe mir dafür den Begriff “Produktivkräftestand” gestohlen bei Menschen, die sich lange vor Dir und vor mir mit diesen ‘Umständen’ befaßten.
Diese ‘Umstände’, der Stand der Produktivkräfte, die die jeweiligen Produktionsverhältnisse (ab-)bilden erzeugt eine Ideologie – die muß und kann ihnen niemand einreden – die Verhältnisse selbst tuen es.
… und dagegen ist nach meiner Auffassung kein Kraut der s.g. Manipulation gewachsen – was wiederum nicht heißen soll, daß das nicht aus allen Ecken und Enden, Rechts wie Links, immer wieder versucht würde.
Vergeblich.
Etwas im Status Quo halten, geht damit so wenig, wie was völlig neues.
Aus der Ideologie, die sich innerhalb der Produktionsverhältnisse ‘entwickelt’, leitet sich das ab, was Du “Glaubenssystem” nennst – jedenfalls verstehe ich Deinen Gebrauch des Wortes “Glaubenssystem” so.
Allein die Tatsache, daß wir was anderes glauben würden (wenn wir es so ohne weiteres könnten), änderte gar nichts – so wie allein die Tatsache, daß die meisten hier an das glauben, das Gesellschaftssystem/ Produktionsverhältnis nicht erhält.
Dezember 13th, 2015 at 09:00
@ Wat.
Leben wäre der Oberbegriff. Alleinstehend als Antwort wäre es mir zu simpel. Denn in der fortgeschrittenen Zivilisation bedeutet das für die meisten Menschen schon etwas mehr als nur dem Ablauf der Reproduktion weiterhin nachgehen zu können.
So etwas ist was, was man von Pegida lernt – auch wenn ich das ganze Gerede über Werte und Kultur für Feigenbblätter halte. Denn, welche Werte? Ist nicht so, als würden die Deutschen den eigenen Staat niemals bescheißen.
Du kannst aber auch jegliche Bewegung dort mit hineinzählen, bei der es um Religion geht. Für einen Teil gilt auch das wie die Luft zum atmen.
Also ist es allein mit der Antwort “Leben” nicht getan.
Aber auch hinter diesen Facetten stecken elementare Grundbedürfnisse, die Menschen befriedigt haben wollen, auch wenn dort jeder seine eigene Ausprägung hat wie er dazu kommen will.
“Glaubenssystem” ist da ein Begriff, den ich da benutze, weil er den Kern umfasst, den diverse Facetten gemeinsam haben. Glaubenssystem ist der Bodensatz, dass Menschen es als Naturgesetz betrachten, bei Rot geht man nicht über die Straße, man stiehlt nicht, und man schlägt niemanden (einfach so, weil man Lust dazu hat). Die Gesamtheit der Gebote, Verbote und Maximen, die ihnen beigebracht wurden. Gleichzusetzend mit “die innere Ordnung ihrer Welt”.
Leute mit psychischen Problemen haben in der Regel an diesen Stellen Unsinn beigbracht bekommen und kränkeln ihr Leben lang daran um, diesen Unsinn aus ihrem Glaubenssystem wieder zu verlieren. “Du bist fett”, “Du bist hässlich”, “Du bist zu nichts nutze”, “Du bist laut”, “Du bist nervig”, “Stell nicht so’ne dumme Fragen”, “Wenn ich so mache, dann ziehst du dir gleich die Hosen runter, damit ich dir den Arsch versohlen kann”.
Das ist der Sache allen gemein, ob dort nun eine Gottheit noch mit im Spiel ist oder nicht, eine Utopie von einer besseren Gesellschaft oder ein “Zugehörigkeitsgefühl” zu einer bestimmten Gruppe oder einem bestimmten Territorium.
Sieht man sich diese Geflechte an und sucht nach all ihren Gemeinsamkeiten, dann findet man seine Anhaltspunkte, warum irgendwelchen Rattenfängern hinterhergelaufen wird (und evtl. wie man ihnen auch etwas anderes unterjubeln kann, was vielleicht eher zum von den Mitläufern gewünschten Zielen führt).
Dezember 13th, 2015 at 11:04
Französische Intellektuelle pfeifen auch auf dem letzten Loch, wie Jungle-World zeigt: http://jungle-world.com/artikel/2015/50/53165.html
Mein Senf dazu:
„Intellektuelle“, die ihren Lebensunterhalt von ihrer Gedankenproduktion beziehen, sind in der Tat kleine Warenproduzenten wie Friseure, Bäcker oder Hufschmiede.
Sie müssen – ob sie wollen oder nicht, ihre Kundschaft, ihren Markt, mit ihrer Ware beliefern und bedienen – auch wenn es sich um ein Gedankenprodukt handelt.
Es kommt vor dass ein ganzer Ideenmarkt wegbricht – wie in den 1980er mit dem Marxismus geschehen – oder ein neuer Ideenmarkt sich öffnet, wie Umwelt und Ökologie.
In jedem Fall sind warenproduzierende Intellektuelle von ihrer Klientel abhängig. Öffnen sich neue Marktchancen, zum Beispiel wenn rechtes Gedankengut intellektuell hoffähig wird, dann steigen auch linke Intellektuelle in diesen Markt ein.
Wenn nicht, dann riskieren sie, dass ihr Marktsegment schrumpft, und sie Brot statt Kuchen essen müssen.
Dezember 13th, 2015 at 12:28
@matrixmann(50)
“Leben wäre der Oberbegriff. Alleinstehend als Antwort wäre es mir zu simpel.”
Darum hatte ich das auch weiter unterfüttert.
Zugegeben mit meiner materialistischen Ansicht, die nicht jeder teilen muß.
Können wir es dabei belassen?
Denn Deine ist für mich zu oberflächlich, sorry – scheint Dir ja aber die Antworten zu geben, die Du gerade suchst.
… und damit ist es für Dich genau das richtige – und darauf kommt es wohl auch immer nur an ;)
Dezember 13th, 2015 at 20:33
Zu frosch Nr. 51:
Ganz verwerfen kann man das nicht, denn – keine Ahnung, ob es nur mein eigener Eindruck ist, aber die Sparte an “klugen Büchern” (klugen und mal weniger klugen) über komplizierte Ablaufe in der Welt sind in den letzten 5 Jahren – eigentlich seit der 2008er / 2009er Wirtschaftskrise – hat beträchtlich zugenommen. Würde nicht vermuten, dass es nur daran liegt, weil so viele kluge Leute von sich aus etwas zu sagen haben. Wenn mich der Eindruck nicht täuscht, war es kurz danach eigentlich glatt Mode, so zu reden und diese Literatur als Privatmensch zu lesen. Jetzt zwar nicht mehr so ganz, aber die Verlage werden auch wissen, was Geld in die Kasse spült und was nicht.
@ Wat Nr. 52
Ich würde meinen, so oberflächlich ist es nicht, denn aus Einstellungen wird auch wieder Materie bzw. werden reale Umstände geschaffen. Nur weil ein paar Frauenzeitschriftenleserinnen ankommen, die keinen Blick für Menschenkenntnis haben, oder ein paar Rattenfänger, die mit ihrem Gerede sektiererische Züge annehmen, muss ich mir die Sache noch lang nicht verderben lassen.
Aber – wie’s dir recht sei.
Ich denke, man merkt aber eines, dass ich nicht aus anderer Leute schlaue Bücher abschreibe, oder mir von bestimmten Gruppen was erzählen lasse.
Dezember 13th, 2015 at 23:52
@matrixmann(53) – Ich lasse mir gern, oft und viel von anderen (auch Gruppen) erzählen, ist für mich einfacher als zu rätseln, was sie wohl wie meinen könnten ;)
Gute N8.