Geschichte ist die Voraussetzung zum Verständnis von Zusammenhängen. Dabei ist es gleich, ob in den sogenannten Natur- oder Geisteswissenschaften: Wer die Entstehung des Denkens, der Theorien und auch der banalen Gegenwart nicht kennt, weiß nichts. Ich kann einen beliebigen Gegenstand zur Hand nehmen und fragen, woher er kommt, es wird sich mir ein Kosmos von Fragen eröffnen, der in die Geschichte weist.
Meine Erfahrung mit Studenten ist streckenweise trostlos, was deren Geschichtsbewusstsein angeht. Dabei geht es selbstverständlich nicht um das, was ich selbst noch im Schulunterricht erlebt habe, nämlich die Herrschaftsgeschichte in Zahlen (wer herrschte von bis da und dort), sondern eben die Frage, wie es kommt, dass es ist wie es ist oder auch die Gewordenheit der Dinge.
Ist so
Für die meisten meiner Zeitgenossen scheinen die Dinge vom Himmel zu fallen, und es ist umso trauriger je Jünger sie sind. Der Status Quo wird nicht nur als Naturzustand betrachtet (das geht so weit, dass sich bald eine Generation das Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen kann), man wird sogar für leicht irre gehalten, wenn man das völlig anders sieht. Irre oder wahlweise senil, weil man so etwas wie technische oder politische Entwicklung erlebt habt, sie hinterfragt und darauf hinweist, dass es schon bald ganz anders kommen kann.
Wer mit Schwarzweißfernsehen aufwuchs, auf winzige Monitore hüpfende Sterne programmiert hat oder nur ein Wählscheibentelefon bedienen kann, wird nicht etwa befragt als Zeitzeuge, der zum Verständnis der Veränderung beiträgt, sondern beiseite geschoben als Spielverderber und Technikmuffel. Das spätestens ist die große Lachnummer, dass Kiddies, die keine Ahnung haben wie ihr Spielzeug funktioniert, die alten Durchblicker zu Deppen erklären.
War immer so
Das alles ist Geschichte, und die große Erzählung der Gegenwart wird immer kürzer. Sie ist Vergessen als Leitmotiv, das neue Paradigma ist die Philosophie des Goldfischs, der sich bei der zweiten Runde in seinem Glas nicht mehr an die erste erinnert. Die Inhalte sind austauschbar wie die Spielzeuge, so lange jeder weiß, was angesagt ist, was man haben muss und wer welchen sozialen Rang hat. Krone der Schöpfung!
Ich weiß nicht, ob es ein Trost ist oder die nächste Stufe der Depression, wenn man sich mit Geschichte und Geschichtlichkeit intensiver befasst, aber wer wissen will, hat ohnehin keine Wahl. Ich mache daher einmal an prominenter Stelle Werbung für ein Buch, das meiner Weltsicht neue Perspektiven eröffnet hat, deutsch unter dem Titel "Die Ordnung der Dinge" erhältlich. Michel Foucault beschreibt darin die unterschiedlichen Formationen des Denkens und der Sicht auf die Welt, vom Mittelalter bis zur Moderne.
Kann gar nicht anders
Wir erfahren, was einst Wissen war, was Wissen sein durfte und was nicht, und dass es in der Geschichte immer wieder Sprünge gegeben hat, in denen sich relativ plötzlich gewaltige Veränderungen ereignet haben. Am Anfang steht die Frage "Was ist eigentlich für uns unmöglich zu denken?". Wer sich das aktuell fragt, zumal im Bezug auf öffentliche Kommunikation, kommt vielleicht der Verzweiflung nahe. Andererseits hat es sich gezeigt, dass sich die Welt, auch die des Denkens, oft radikal geändert hat, wenn eigentlich niemand damit gerechnet hat.
Ganz nebenbei ist "Die Ordnung der Dinge" selbst ein wissenschaftlicher Meilenstein. Es ist ein Sachbuch mit einem komplexen Gegenstand, kein Groschenroman, für große Wissenschaft aber sehr gut zu lesen und jede Mühe wert.
November 4th, 2015 at 15:11
OT bzw. zur Aufklärung: Wie man andernorts mit politischer Ambivalenz umgeht und was hier daraus gemacht wird. Ich bin ja hier auch sehr streng mit Leuten, die Stalin bejubeln, und das entschieden, aber es geht mir nicht um Bekenntnisse, wie das so üblich ist als Politik in Disclaimern. Wie Putin das darlegt, finde ich es akzeptabel. Vor allem ist es eben etwas anderes als Verherrlichung, ein Vorwurf, der schlicht gelogen ist.
November 4th, 2015 at 15:28
Vielleicht wird das hier sowas wie ein Aufklärungsthread. Ich finde das Interbiew hier (sehr lang) mit Uthoff sehr spannend, weil es ganz unterschiedliche Aspekte von Aufklärung, Politik, Medien etc. beleuchtet. Für mich das Money Quote:
"Die Angst meiner achtjährigen Tochter, was falsch zu machen … Vielleicht hat es mit Selbsterhaltung zu tun, vielleicht ist Angst der stärkere Trieb, weil er einen davon abhält, aus 20 Metern Höhe in ein Gewässer zu springen, von dem man nicht weiß, wie tief es ist. Vielleicht ist es ein evolutionärer Trieb, der sich da Bahn bricht, den man noch so gut sublimieren oder verdrängen kann. Sie ist so ein kreatives, hinreißendes Mädchen, aber manchmal blitzt da eine Angst auf, die man auch mit Hingabe und Erziehung nur schwer in den Griff bekommt."
Das ist 'nur' ein Symptom, aber das ist die Zeit, in der wir leben, da kannst du gehobene Mittelschicht sein oder Hartzklasse, du wirst hier psychisch zugerichtet oder eingemacht. Muss ich mal was drüber openern.
November 4th, 2015 at 15:55
"Ich kann einen beliebigen Gegenstand zur Hand nehmen und fragen, woher er kommt, es wird sich mir ein Kosmos von Fragen eröffnen, der in die Geschichte weist."
Damit kann ich nix anfangen. Wenn ich etwas über die Herkunft weiß, wie 'gesichert' die immer sein mag, habe ich trotzdem keinerlei Wissen über die Beschaffenheit des Gegenstands selber. Andernfalls könnte man sich ja den ganzen Theoriekram, also die Abstraktion vom konkreten Gegenstand auch schenken
November 4th, 2015 at 16:09
Ähnliche Idee hatte ich dort selbst mal:
http://matrixmann.livejournal.com/154126.html
Obwohl das mehr im philosophischen Sinne zu verstehen ist und mehr auf Alltagsdinge anspricht.
Wie ist das - innerlich - für Leute, die diese Entwicklung von Dingen nicht mitgemacht haben, die auf die Welt gekommen sind und es war alles schon da?
Verstehen, wenn man eine andere Position hat, wird man das wohl möglich nie; es geht dann aber auch dabei darum, um Selbstverständlichkeiten. So zu tun, als ob in dieser Generation erst die Dinge des täglichen Komforts erfunden worden sind. Was nicht wahr ist.
Oder, dass der Supermarkt heutzutage das Zentrum für alle möglichen verschiedenen Waren ist (Wegfallen der kleinen Einzelläden).
Am Ende kommt man zu der Erkenntnis, vielleicht wird es diejenigen nicht einmal behelligen, dass alles auch einmal anders war, und dass das, was sie tun, nicht einmal zwingend "cool" ist (Anspielung auf (den hier, der auch mal kurz in den Kommentaren erwähnt wird und eigentlich ein ganz gutes Beispiel dafür abgibt).
Ob dagegen Bildung oder lebenspraktische Anleitung durch die sie umgebenden Erwachsenen etwas verändern können, daran kann man berechtigt seine Zweifel hegen, es wäre durchaus aber ein realisierbarer Anfang, wo man mit dieser Lücke in der Vorstellungskraft und diesem Als-selbstverständlich-empfinden anfangen kann.
Wenn die vorherigen Generationen wollten, dass ihre Kinder etwas von ihren Erfahrungen und Fertigkeiten mitnehmen, dann hat man der Sache auch persönlich Rechnung getragen. (Wenn es auch, zugegeben, mangels vieler anderer heutiger Einflüsse definitiv einfacher war, dies zu erreichen.)
November 4th, 2015 at 16:15
Ich liefer mal den link zum interview nach, verbunden mit einem dank an pantoufle für den hinweis: Insofern macht die Vervielfältigung von Zweifeln oder einer abweichenden Sichtweise … - na ja, Mut, klingt auch schon wieder so … - vielleicht schafft sie auf eine gewisse Weise Solidarität.
Das thema angst greifst du doch in deinem "fürsorgedings" (was für ein understatement) auf und in dem zusammenhang musste ich an diesen satz denken (schnell rausgesucht): "Bezogen auf kommunikation bedeutet dies, eine situation des umbruchs so zu vermitteln, dass der bruch nicht zur schlucht wird."
November 4th, 2015 at 16:48
Oops, danke, hab ihn oben auch eingefügt, den Link. Das Fürsorgedings ist als Opener ein wenig episch ;-)
November 4th, 2015 at 16:52
@Samson (3):
"Wenn ich etwas über die Herkunft weiß" ... weißt du etwas und es bleiben noch reichlich Fragen übrig. Das Ding ist produziert, es wurden vor ihm andere produziert, unter bestimmten Bedingungen jeweils, nach bestimmten Bedürfnissen, aus einer Entwcicklung anderer Bedingungen und anderer Bedürfnisse, anderer Verhältnisse etcetera. Wenn ich sage: "Is vom Aldi" und mit der Antwort zufrieden bin, beibt mir der Kosmos hingegen verschlossen.
November 4th, 2015 at 19:36
@flatter
THX für den großartigen Tipp! Die Frage die sich mir vor dem lesen dieses Werkes aufdrängt ist, ob das was Herr Foucault ausbreitet eine Teilmenge (weil bezogen auf die Ordnung der Dinge) darstellt, was im Grunde der Strukturalismus behandelt, oder es es ein komplett anderer Denkansatz?
Beste Grüße
November 4th, 2015 at 19:49
Das wird sich beim Lesen ganz von allein beantworten; ich halte solche Kategorisierungen auch für wenig bereichernd. O.d.D. lässt m.E. keinen Zweifel offen, was Foucault unter Diskursanalyse versteht. Aus meiner Lesart ist das sein Hauptwerk, obwohl "Archäologie des Wissens" grundlegender erscheint (das ist allerdings sehr trocken und eben nicht wirklich lehrreicher).
November 4th, 2015 at 20:11
Gar lustig erscheint es mir, das "solche Kategorisierungen" wenig bereichernd sein sollen ;), wo doch scheinbar folgendes gilt: Fundamentale Einheit der Diskursanalyse ist die Kategorie der Aussage.
Ergo: Mir scheint also, dass die Kategorien auf dieser Ebene des Diskurs notwendig sind, um überhaupt sinnvoll zu kommunizieren.
Beste Grüße
November 4th, 2015 at 20:23
Dieser Begriff von "Kategorie" hat nahezu nichts mit dem der "Kategorisiserung" zu tun, und der verlinkte Text ist für den Eimer. Die meisten Gebrauchsanweisungen sind irreführend, wenn es um Texte geht. Das ist als ob ich mir Marx aus dem Geschwafel von Marxisten zusammenbaue.
November 5th, 2015 at 10:45
Ich frage mich gerade aus diversen aktuellen Anlässen, inwieweit schon eine allem Anschein nach zunehmende Unfähigkeit, sich sprachlich und schriftlich zu artikulieren sowie dann natürlich auch, solcherart Artikuliertes wahrzunehmen, mit den Schwierigkeiten, Geschichte(n) zu verstehen oder sich überhaupt für solche interessieren zu können, zu tun haben mag. Uns entgleitet offenbar die Sprache als Kommunikations- und Denkwerkzeug, und es will mich zweifeln, ob eine Regression in's bildhaft Assoziative wirklich 'weiterführend' sein kann. Vielleicht wohnen wir ja auch einer Art 'Reset' des menschlichen Geistes bei...
November 5th, 2015 at 11:23
Diese Optimisten können einem so herrrlich den Tag versüßen ... ;-P
OT: Las eben: "Die Terrorgruppe IS"; aha, hier die neuesten Terrorgruppen: Kurden, Perser, Araber, Bayern.
November 5th, 2015 at 11:38
Diese Russen, brechen schon wieder das Völkerrecht!
November 5th, 2015 at 12:02
OT: Ich leg' hier mal was ab. Potsdamer Denkschrift 2005
Pdf in deutsch (19 S.).
November 5th, 2015 at 12:16
"Strukturelle Gewalt im Wirtschaftsleben entsteht zum einen aus den Machtinteressen von Hegemonialmächten, zum anderen aber aus der weltweiten Hegemonie des internationalen Finanzkapitals, das nicht mit der Marktwirtschaft gleichgesetzt werden darf."
Ouchn.
edith: Ich habe mir dieses sakrale Geschwafel ein paar Seiten lang angetan und komme zu dem Schluss: Och nöö, lass ma!
November 5th, 2015 at 12:20
@ Peinhart Nr. 12
Ich weiß nicht mehr, welcher König oder Herzog es war, der das machen ließ.
Es gab mal einen, der herausfinden wollte, was die Ursprache der Menschen ist. Welcher jeder universell beherrscht, bevor er auf seine jeweilige Landessprache geprägt wird.
Er ließ das an Neugeborenen ausprobieren. Mit ihnen durfte nicht gesprochen werden.
- Mit dem Ausgang, dass sie nach relativ kurzer Zeit verstarben.
...Psychologisch für sich sprechend, wenn man sich mit dem Thema "Verrohung der Gesellschaft" befassen will.
November 5th, 2015 at 12:37
@flatter: Ja, ganz schön abgefahren. Die Sache ist halt die, dass das Dingens von der Crème de la Crème unterschrieben ist.
Die sagen einfach, dass der experimentell bestätigte Stand der Physik zeige, dass es im Mikrokosmos eben keine Geschichte gibt, die zu einer determinierten Gegenwart führt, sondern dass die Beobachtung zeigt, dass aus dem Nichts einfach mal so "Teilchen" entstehen. Ganz klar, dass Du "Ouch" sagst, wenn sie das auf den Makrokosmos übertragen.
Was sie aber im Gegensatz zu den Eso-Leuten nicht machen, ist, dass sie behaupten, man könne aus dem Umstand, dass alles mit allem verbunden ist, folgern, es wäre eine Steuerung durch das "Bewusstsein" möglich.
Ich halte den Text nicht für Geschwafel. Die letzten Kapitel der Physikbücher ca. seit den Achtzigern sind es auch nicht.
November 5th, 2015 at 12:37
@flatter #6:
hab grad verdammt wenig Zeit, für jetzt nur soviel: Wenn sich die Bedingungen und Bedürfnisse jeweils aus vorangegangenen entwickelt hätten, die sich einfach nacherzählen ließen, wozu taugte dann die Analyse des Ist-Zustands? Dass es das Ding bei Aldi gibt, sagt weniger was über das Ding selber aus als über Aldi und damit über die Struktur von Gesellschaft, in der es das Ding eben bei Aldi gibt. Die Struktur mag sich aus früheren entwickelt haben, ist aber von diesen wesentlich verschieden. Und die Unterschiede lassen sich gerade nicht an den Dingen ablesen. Kartoffeln waren auch zu Feudalzeiten Kartoffeln, ganz gleich, welches Bedürfnis danach bestand oder nicht.
November 5th, 2015 at 12:48
@Peinhart #12
ob eine Regression in's bildhaft Assoziative wirklich 'weiterführend' sein kann. Vielleicht wohnen wir ja auch einer Art 'Reset' des menschlichen Geistes bei...
Sprache hat IMO auch immer was mit "begreifen" zu tun, und ab einer gewissen Stufe des Verständnis ist unser menschlicher Verstand nicht mehr in der Lage etwas logisch zu "begreifen", zumindest wenn es um Dinge geht die unsere Welt im innersten zusammenhält.
Andererseits bringt die logische Analyse der Sprache auch die Gefahr einer zu großen Vereinfachung mit sich. In der Logik wird die Aufmerksamkeit auf spezielle sprachliche Strukturen gerichtet, auf unzweideutige Verknüpfungen zwischen Voraussetzungen und Folgerungen, auf einfache Muster des Schließens; alle anderen sprachlichen Strukturen werden vernachlässigt. Diese anderen Strukturen können sich z. B. durch Assoziationen zwischen gewissen Nebenbedeutungen von Wörtern ergeben; so kann etwa die sekundäre Bedeutung eines Wortes, die nur gewissermaßen im Halbdunkel durch unser Bewußtsein gleitet, wenn das Wort erklingt, doch wesentlich zum Inhalt eines Satzes beitragen.
Die Tatsache, daß jedes Wort viele nur halb bewußte Bewegungen in unserem Denken hervorrufen kann, mag dazu benützt werden, gewisse Seiten der Wirklichkeit deutlicher in der Sprache darzustellen, als es mit Hilfe der logischen Schlußverfahren möglich wäre.
Quelle
Ergo: Ich denke das Assoziative ist sehr wichtig, zumindest auf der Ebene die Geistesgrößen wie Herr Heisenberg erreicht haben.
Beste Grüße
November 5th, 2015 at 12:54
@Samson: "Wenn sich die Bedingungen und Bedürfnisse jeweils aus vorangegangenen entwickelt hätten, die sich einfach nacherzählen ließen" ...
hat wer wo behauptet?
edith: Ich weiß nicht, was so schwer zu verstehen ist daran, das steht doch im Posting: Es geht mir darum, die Dinge zu hinterfragen und nicht so zu tun, als sei alles ein unveränderlicher Naturzustand. Wenn du auf die Frage nach der Herkunft eines Dinges nicht die Antwort findest, die du suchst, hast du die richtige Frage nicht gestellt. Paradox ist aber schon, dass du mir vorwirfst, Geschichte beantworte bestimmte Fragen nicht (was ich im Übrigen vehement bestreite). Ich stelle die Frage der Geschichte nicht dem von dir favorisierten Weltbild gegenüber, sondern dem Unwillen, überhaupt Fragen zu stellen.
November 5th, 2015 at 13:00
@Heldentasse: Der Verfasser des Textes in #15 ist übrigens ein Schüler Heisenbergs.
November 5th, 2015 at 13:00
@R@iner:
"Die Vernunft sagt uns, dass wir eine Freiheit haben und nicht einfach nur in Bedingungen eingebunden sind. Vernünftigerweise ist aber ebenso klar, dass wir im Reiche der Freiheit eine eigene Form brauchen, nicht nur die Mitwelt zu benutzen, sondern sie zu erspüren und auf sie zu antworten. Das ist die Liebe. Mit unseren Eingriffen in die Welt antworten wir auf unsere Ko-existenz mit allem Anderen einerseits und auf unsere Freiheit andererseits. Aus menschlicher Freiheit die eigene Existenz als Antwort und als Miteinander zu begreifen, ist das Gefühl der Liebe und das Engagement zur Verantwortung"
Bei solchem Geschwafel fange ich mit so etwas wie Analyse gar nicht erst an. Das kann man meinetwegen predigen, aber nicht "Wissenschaft" nennen.
November 5th, 2015 at 13:08
@flatter: Ja, so liest sich das halt, wenn alte Physiker ihr Resümée präsentieren. Das hat mich immer schon fasziniert.
Ich bin ja auch mehr der furztrockene Rationalist und langjähriger Kritiker alles "Spirituellen".
Wenn ich aber aus mehreren Forschungsrichtungen mitgeteilt bekomme, dass wir gar nicht in der Lage sind, die Wirklichkeit allumfassend zu verstehen, dann stellt sich mir schon die Frage: Ja, und jetzt?
Auf Peinharts Gedanken würde der Autor der Schrift vermutlich sagen: Die momentane Form ist alles.
November 5th, 2015 at 13:13
Na so völlig ohne Resultate sind die Geisteswissenschaften auch nicht in die Moderne marschiert. Deshalb biete ich ja hier so etwas an. Übrigens ist es nicht so irrsinnig wichtig, ob wir Wirklichkeit 'allumfassend verstehen', ja nicht einmal ob wir sie quasi größtenteils verstehen. Es geht darum, mit ihr zu korrespondieren. Da gibt es dann wiederum qualifizierbare Strategien, das gezielt zu verhindern. Diese zu durchkreuzen wäre schon ein echt guter Job.
November 5th, 2015 at 13:26
Ohne Liebe geht gar nicht(s). Vernunft kann und soll uns leiten, Ziele zu erreichen, aber sie kann diese nicht setzen, es fehlt ihr die 'Letztbegründung'. Der Umgang mit dem, was dahinter oder darüber - je nachdem wo Meta nun wohnen soll - ist, bestimmt so etwas wie den Unterschied zwischen 'schwarzer' und 'weißer' Vernunft. Und schlichtes Leugnen regelmäßig den plattesten Positivismus.
November 5th, 2015 at 13:27
Zum Potsdamer Manifest: Q u a n t e n q u a r k :
November 5th, 2015 at 13:28
@Peinhart: Ich behaupte gar, dass "Liebe" ein Konstrukt ist, das zu keiner Erklärung etwas taugt, sondern nur zur Verklärung. Selbst Hass ist konkreter.
November 5th, 2015 at 13:34
@oblomow: Das ist einer der Ansätze, das Werk in die Tonne zu treten. Was da ansonsten von Kant bis Gauck im Handstreich verwurstet wird, ignoriert Jahrhunderte geisteswissenschaftlicher Diskussion.
November 5th, 2015 at 13:44
@oblomow: Ouch! :-)
p.s.: Den Nazivergleich hätte der Autor auch weglassen können.
p.p.s.: Ich nehme zum 3517 Mal zur Kenntnis: Ohne den Sieg im Klassenkampf geht gar nichts und wenn der ausbleibt, dann trinkt man lieber ein Bier und harrt der Dinge.
November 5th, 2015 at 13:47
@flatter - Wer hat wo behauptet, dass es etwas 'erklären' soll...? ;p
November 5th, 2015 at 13:55
Deine Mudda.
November 5th, 2015 at 14:40
@flatter: "Ich stelle die Frage der Geschichte nicht dem von dir favorisierten Weltbild gegenüber, sondern dem Unwillen, überhaupt Fragen zu stellen. "
Mein Weltbild kenne ich nicht mal selber wirklich, aber der von dir konstatierte Unwille kommt aus diesem Urteil:
"Die Inhalte sind austauschbar wie die Spielzeuge, so lange jeder weiß, was angesagt ist ...", aber wenn das stimmt, warum soll jemand, dem es genau darum geht, 'was angesagt ist', der sich folglich aus solchem Wissen 'sein Weltbild' strickt, Fragen stellen, die dich oder mich 'umtreiben'? Nur darum geht es mir, d.h. darum, ob man mit dem Verweis auf Vergangenes resp. Geschichte resp. geschichtlich bestimmte Bedingungen irgendwen davon abbringen kann, sich nur darum zu kümmern, 'was angesagt ist'.
Beispiel: vor 30-40 Jahren war es für den 'normalsterblichen DDR-Mensch' nahezu unmöglich, an ein privates Telefon zu kommen, heute sind Touchscreens der letzte Schrei und man kann soviele davon haben, wie man will, so man sie sich 'leisten' kann. Die Frage nach dem sich-etwas-leisten-können, hat aber mit der Vergangenheit nur sehr bedingt etwas zu tun.
[Edit]
@R@iner: Das Blöde ist, der Klassenkampf ist kein Boxabend im Fernsehen, den man mit dem Bier in der Hand abwarten kann. Dieser Kampf wird andauernd geführt, und wirklich aktiv ist seit paar Jahren nur noch die Gegenseite
November 5th, 2015 at 15:26
@matrixmann:
Die wirklich wichtigsten Dinge waren von jeher und für jeden Menschen, wenn er auf die Welt kam, schon da.
Was macht da schon das bisschen technischer Firlefanz aus, der in den letzten 100 Jahren dazu kam?
Und dass die Menschen mit Dingen umgehen, deren Funktionsweise sie nicht bis ins Kleinste verstehen – ist das vielleicht ein Novum? Nicht mal einfache mechanische Gerätschaften sind bisweilen ohne wissenschaftlichen Tiefgang zu verstehen.
November 5th, 2015 at 16:18
Zu flatter 1) Wen dürfte man denn eventuell "bejubeln", ohne "hier auch sehr streng" behandelt zu werden und ... wer wird/würde schon gern bejubelt?! Die Minenfelder politischer "correctness" scheinen mir immer ebenso groß wie irrelevant, wenn ("hier auch") Wert auf geschichtliche Komplexität gelegt wird. Sollten wir nicht wenigstens vorsichtiger sein, spürbar kollateral wahrgenommene, geschichtliche Epochen mit Namen zu apostrophieren, während wir eigentlich uns selbst spiegeln und unter der Käseglocke unserer als achso "doch ein Wenig freier" unterstellten Welt auf Stöckchen zu beißen gezwungen scheinen, die wir wie Tiefkühlpizzen aus dem Supermarkt in der eigenen Küche kärglich zu veredeln wetteifern? . . . Ist es nicht fast egal, wieviele Köpfe die jeweils zur Debatte stehende Hydra hat? Unsere Verbrecherchen tragen, denke ich, in dem Maß weniger indiskutable Schuld, weil sie noch viel weniger "unbejubelbares" Format besitzen . . . So gelingen denen ungeheuerliche Unmenschlichkeiten eben ohne indiskutabel zu werden.
http://andreyfursov.ru/
P.S. Ist nicht jede Wissenschaft Naturwissenschaft?
November 5th, 2015 at 16:31
Ich habe keine Ahnung, was du damit sagen willst.
November 5th, 2015 at 18:37
@R@iner #22
THX für den Link. Ich persönlich halte von Herrn Dürr sehr viel, dessen Ideen m.E. auch ein klein wenig einen (wohl eher bürgerlichen :P) Alternativentwurf darstellt zu dem, was flatter vertritt. Zumal das was die Welt im innersten Zusammenhält nur wenig mit unserem Geschichtsverständnis, sondern viel mit Naturgesetzlichkeiten (die im tiefsten Grunde ganz anders sind als die meisten es sich vorstellen) und deren modernen Interpretationen zu tun hat.
Beste Grüße
P.S.: Hans Peter Dürr "Weil es ums Ganze geht" // Vortrag lang // GLOBART 2011
November 5th, 2015 at 19:02
Ich finde solche Aussagen immer sehr merkwürdig. Geschichtlichkeit ist eine geisteswissenschaftliche Referenz wie Gravitation in der Physik. Deren Begriff ist ebenso historischem Wandel unterworfen wie Geschichte Gravitation nicht verleugnet. Das klingt für mich immer so, als reiche ein bisschen Halbwissen aus den Naturwissenschaften, um sich vor historischem Wissen zu drücken. Als nächstes kommt es dann gern umgekehrt, sodass sich das Halbwissen fröhlich feiert, indem es von einer vermeintlich souveränen Warte ganze Sparten des Wissens abwertet.
p.s.: Bei Fefe gab es just dieselbe Diskussion aus der anderen Richtung.
November 5th, 2015 at 19:18
@flatter: Ich kapiere nicht im Ansatz, warum Du jetzt meinst, "ganze Sparten" würden abgewertet. Das war weder meine Idee oder Absicht, noch kann ich das sonst aus einem Kommentar lesen. Weiterhin schreibt hier niemand, der auch nur im Anflug so dämlich wäre, so große Schubladen aufzustellen.
Btw.: Ich besitze nicht mal Räucherstäbchen und deiner Buchempfehlung bin schon vor einer ganzen Weile nachgekommen.
November 5th, 2015 at 19:35
Wenn in meinen Kommentaren kein @ zu finden ist, meine ich immer den letzten, also in #38 Heldentasse ["wenig mit unserem Geschichtsverständnis, sondern viel mit Naturgesetzlichkeiten (...) und deren modernen Interpretationen zu tun hat."].
November 5th, 2015 at 19:51
@flatter #38
Ich sehe da auch überhaupt keinen Widerspruch. Ganz klar ist das ist eine historische Betrachtung der menschlichen Geschichte und speziell der Wissenschaften wichtig, aber gleichzeitig sind auch die modernen Erkenntnisse z.B. der aus Quantenphysik berücksichtigen, die aus welchen Gründen auch immer noch viel zu wenig geisteswissenschaftlich Beachtung finden:
All dies wurde gesagt von dem Standpunkt aus, daß wir die altehrwürdige Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt akzeptieren. Zwar müssen wir das im täglichen Leben "aus praktischen Gründen" tun, aber mir scheint, wir sollten sie im philosophischen Denken aufgeben. Es sind die gleichen Gegebenheiten, aus denen die Welt und mein Geist gebildet sind. Die Welt gibt es für mich nur einmal, nicht eine existierende 'und' eine wahrgenommene Welt. Subjekt und Objekt sind nur eines. Man kann nicht sagen, die Schranke zwischen ihnen sei unter dem Ansturm neuester physikalischer Erfahrungen ausgefallen; denn diese Schranke gibt es überhaupt nicht.
Erwin Schrödinger - Geist und Materie
Beste Grüße
November 5th, 2015 at 20:04
Geschichtlichkeit hat nichts mit Altertum zu tun, im Gegenteil ist die Moderne (siehe Foucault) das Zeitalter der Geschichtlichkeit. Daher schreibe ich oben von der "Gewordenheit" der Dinge. Jeder Kugelschreiber z.B. beinhaltet die Geschichte des Kapitalismus, der Industrialisierung und der Herrschaft der Mäuse.
Das Ganze ist hier offenbar aber nicht zu vermitteln.
November 5th, 2015 at 20:10
ich meinte mit "historische Betrachtung" nun bestimmt nicht antike Geschichte sondern, "die Geschichte betreffend, sich auf Geschichte beziehend, in der Art und Weise, wichtig für die Geschichte".
Das schließt auch die jüngere Historie mit ein.
Beste Grüße
November 5th, 2015 at 20:47
Yo, und der Begriff "Geschichte" ist denkbar ungeeignet, den Begriff Geschichte zu erklären. Ich klinke mich mal aus.
November 5th, 2015 at 21:27
@ maguscarolus Nr. 34
Das ist ein Punkt und dem ist auch so.
Wenn es nicht so wäre, stände niemand von der heutigen Weltbevölkerung da.
Problem ist, wenn es in die Richtung der "Verspielzeugung des täglichen Lebens" geht und Nachkömmlinge nicht fähig sind, die Prioritäten zwischen all den auf sie einströmenden Reize zu setzen - wie lässt man es sie realisieren, dass sie auch nicht sterben, wenn dies nicht vorhanden ist?
Das ist wie eine Angst zu überwinden - wenn man die leibliche Erfahrung macht, dass einen das Ertragen der gefürchteten Situation nicht umbringen wird und dies sich im Gedächtnis festbrennt, dann bleibt diese Erkenntnis, dass es auch ohne geht.
Zumindest für Not- und Ausnahmesituationen.
November 6th, 2015 at 14:24
Und einmal wieder verdeutlichen die Kommentare trefflich, wie notwendig es gewesen wäre, den Opener zu lesen. Und mit lesen meine ich natürlich verstehen.
Die Buchempfehlung habe ich hier vor Jahren schon um die Ohren gehauen bekommen und bin immer noch dankbar. Aber warum sollte man auch sowas lesen, wenn man sich die Welt auch mit Differentialgleichungen und Kalenderweisheiten zurechtbasteln kann?
November 6th, 2015 at 18:31
Danke für den Buchtipp.
In der vergangen Woche hörte ich von einem Schüler aus dem Vogtland, daß der Geschichtsunterricht in Plauen abgeschafft werden soll
November 6th, 2015 at 21:13
@37 Heldentasse,
was hält die Welt im Innersten zusammen?
Wenn der Philosoph sich schon am Ganzen versucht, an der Welt schlechthin, dann ist es ratsam auf Distanz zugehen.
Was soll dabei herauskommen, wenn der Mensch ein Ganzes zu erklären versucht. Am Ganzen lässt sich schlichtweg nichts erklären.
Heraus kommt Philosophie, die, wenn sie moderner ist in der Welt Naturgesetzlichkeiten endeckt.
Wenn sie unterschwellig mit Kant daher kommt, und das kommen eigentlich alle Philosophien, dann will sie die Religion vor der Erkenntnisfähigkeit des Menschen retten.
"Was die Welt im Innersten zusammenhält nur wenig mit unserem Geschichtsverständnis, sondern viel mit Naturgesetzlichkeiten (die im Grunde ganz anders sind als die meisten es sich vorstellen)...", dann tritt er mir doch wieder auf die Füsse, der Kant, mit seiner "Bedingtheit der Möglichkeit der Erkenntnis".
Nein! Ich brauche nicht den grossen Weltenentwurf, die Rechtfertigung dafür, warum alles so ist, wie es ist. Ich habe Fragen und suche nach Antworten.
Und das kann ziemlich anstrengend sein. Das Ganze bietet mir dafür keine Erklärungen.
November 7th, 2015 at 11:25
@Troptard
Herzlichen Dank für die Resonanz, auf eine Problemstellung die mir persönlich schon ein wenig auf der Seele lastet.
Am Ganzen lässt sich schlichtweg nichts erklären.
Möglicherweise sind die "Erklärungen" nicht unmittelbar relevant für das was Menschen im Alltag bewegt, trotzdem empfinde ich es als sehr bedeutsam, dass die Wirklichkeit immer nur ein "Ganzes" sein kein, und wir u.a. aus praktischen Gründen immer nur in "Teilen" denken, was sich dann als "unsere" Realität manifestiert, und dabei werden aber zwangsläufig Teile der Wirklichkeit ausgeblendet bzw. nicht erkannt.
Das heißt nun aber nicht, dass wie irgendwann es schaffen werden die Wirklichkeit zu erkennen oder gar in eine Weltformel gießen können, ganz und gar nicht!
Beste Grüße