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Eine schulbuchmäßige Übung zur Lesekompetenz, einhergehend mit einem sehr lehrreichen Bericht, hat Katrin McClean in der Telepolis hingelegt. Das ist äußerst bedauerlich, denn ich hätte gern nur geschrieben, dass es sich um einen interessanten Bericht handelt. Gegenstand ist ein Dinner beim “Spiegel”, der kritische Leserbriefautoren eingeladen hatte. Was Redakteure und Mitarbeiter dort offenbaren, wirft ein Licht auf deren Arbeit, in der endlich etwas sichtbar wird von den Motiven und Einstellungen, die zu einer teils bizarren journalistischen Haltung führen.

Der Begriff “Verschwörungstheorie”, der häufig von Journalisten gegen ihre Kritiker gewendet wird, ist deutlich überstrapaziert; es empfiehlt sich aber, ihn hier einmal als Arbeitsbegriff anzunehmen, denn es werden mehrfach verschrobene Ansichten deutlich, die den Fokus verschiedener Diskutanten bestimmen. Leider eben auch den der Autorin, die mit ihrem Schlussatz den bis dahin hervorragenden Artikel zur leichten Beute ihrer Kritiker macht. Dort brandmarkt sie “den fortlaufenden menschenverachtenden Einsatz nuklearer Waffentechnik durch die USA“.

Was wie wer wann wo

Der hat nun leider nichts mit dem Rest des Artikels zu tun, weder mit journalistischer Arbeit noch Russenfeindlichkeit oder der Personalisierung auf Putin. Er schwebt da vor sich hin, ohne dass wir auch nur erführen, was damit gemeint ist. Es gibt keinen “fortlaufenden menschenverachtenden Einsatz nuklearer Waffentechnik durch die USA”, denn dieser Begriff ist recht eindeutig auf Kernwaffen festgelegt, die seit Nagasaki nicht eingesetzt wurden. Es ist ein Leichtes, hier festzustellen, dass nur ein Spinner so etwas schreiben kann.

Vielleicht – das schlimmste, was man einem Bericht antun kann, ist darüber zu spekulieren, was gemeint ist – meint sie Uranmunition. Die wird nicht nur eingesetzt, sondern hat schon bei ‘Übungen’ zum Beispiel Sardinien verseucht. Der Vorwurf hätte zwar Substanz, hat aber leider nur sehr am Rande mit dem Thema zu tun. Es bleibt also festzustellen, dass hier noch fix ein verschrobener Vorwurf untergebracht wurde, der zusammenhanglos und unsachlich auftaucht. Dies wiederum ist zumindest ein Element, dessen sich Verschwörungstheoretiker gern bedienen.

Die anderen können das aber auch. Ein Highlight des Artikels ist die Aussage des Spiegel-”Faktenprüfers”, er “halte sowohl Obama als auch Putin für gefährlich, nur Putin fände er eben doch etwas schlimmer. Weil der eben nach der Weltmacht greifen wolle“. Das glaubt der Faktenchecker des ehemaligen Nachrichtenmagazins, womit er der VT noch einen zünftigen Schritt näher kommt als die Autorin. Da will einer die Weltmacht, und alles, was er tut, folgt diesem Motiv. Daraus lässt sich logisch ableiten, dass der böse Weltherrscher aufgehalten werden muss. Obendrein passt die gesamte Russland-Politik des Spiegel unter diese Prämisse.

Tiefer hängen

Es gibt weitere erhellende Aussagen im Bericht, den ich dringend zur Lektüre empfehle. Hier noch einmal zurück zum Problem ‘VT’: Tatsächlich sind hier wie gesagt verschrobene Weltbilder am Werk, die einen unheilvollen Einfluss auf die Debatten, Beiträge, Berichte und Meinungen nehmen. Für respektable journalistische Arbeit sind diese völlig inakzeptabel, und so etwas hat in einer vernünftigen Debatte nichts verloren. Es hilft aber gar nichts, jeden solchen Ansatz “Verschwörungstheorie” zu nennen, um den Gegner zu pathologisieren und als Person wie als Teilnehmer an der Debatte zu diskreditieren.

Wer nicht nur den Kriegshammer schwingen kann, sondern auch das Skalpell zu nutzen weiß, kann durchaus auch solchen Beiträgen Erkenntnisse entnehmen, die irgendwo in Paralleluniversen abdriften. Es gibt freilich auch Beiträge, in denen Dogmen, Korruption oder Unwissen derart das Zepter schwingen, dass es keinen Zweck mehr hat. Auch das aber kann man nachweisen. Es gibt journalistische Standards, die recht brauchbar formulieren, was zu tun ist, um nicht zu verschleiern oder zu manipulieren. Die entscheidende Frage ist, ob diese eingehalten werden oder nur noch auf dem Etikett stehen.