Die Weltwirtschaftskrise zeigt ihre Zähne. Der Konzentrationsprozess schreitet voran; der Marktführer verdrängt die Konkurrenz, Lohnabhängige werden entlassen. Es wird gestreikt, wochenlang, die Betriebsleitung wird von der Belegschaft ausgesperrt.
Überwachung greift um sich, “Linksextremismus” wird großflächig verfolgt, im Namen von “Freiheit” und “Gerechtigkeit”.
Der Landesvater ist ein ehemaliger Mörder in Robe, ein Nazirichter, der die Praxis der Überwacher – die meisten von ihnen ebenfalls Nazis – forsch verteidigt. Faschisten säubern den Staatsdienst von Antifaschisten.
Das Volk betet und besucht “Informationsgotesdienste”.
Panorama, 10. März 1975 (knapp 23 Minuten).
“Es wird wohl keine Arbeit mehr geben”, wissen die Arbeiter eines anderen Werks, das geschlossen wird, denn die Arbeitslosigkeit in der Region “liegt schon bei sechs Prozent”, bald vielleicht bei zwölf Prozent. Bundesweit sind mehr als eine Million Menschen arbeitslos, was als Katastrophe empfunden wird. Kaum jemand macht sich hier die Illusion, man könne einfach wieder Arbeit finden.
Science Fiction
Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit wird noch unmittelbar verstanden, niemand beschuldigt die Arbeitslosen. Arbeiter und Familien glauben fest an das Versprechen auf einen Arbeitsplatz fürs Leben. Panorama (11.08.1975) wagt den Systemvergleich mit der DDR (ab 07:17). Viele DDR-Bürger kennen die Ursache der Arbeitslosigkeit im Westen: Der Ausländer ist schuld. Überrascht ist hier niemand, dass der private Besitz von Produktionsmitteln zu solchen Verhältnissen führt.
Eine Science Fiction Landschaft. Man vergleiche: Sechs Tage Bahnstreik werden als der “längste Streik in der Geschichte der Bahn AG” an den Kiosken verkauft. Die Arbeitslosigkeit in der Währungszone liegt stabil bei knapp zwölf Prozent, regional herrscht wirtschaftlicher Kahlschlag. Mit der nächsten großen ‘Krise’ ist ständig zu rechnen, substanzielle Verbesserung nicht zu erwarten. Die Verfolgung von “Linksextremisten” in der geschilderten Form ist Geschichte, überwacht werden inzwischen alle Menschen, anlasslos. Was “Produktionsmittel” sind, weiß kaum mehr jemand. Von „Union Busting“ hat noch nie wer gehört. Übers Meer kommt der Ausländer und raubt uns jede Hoffnung.
Mai 21st, 2015 at 13:20
Der Informationsgottesdienst heißt jetzt ‘Börse vor acht’ und dort weiss man, von gelegentlichem sorgenvollen Stirnrunzeln abgesehen, dass alles gut wird. Nein: ist.
Mai 21st, 2015 at 13:42
Heute kämpft der Arbeiter so. (via Kiezneurologe)
Mai 21st, 2015 at 15:37
War also schon immer so.
Zum 1. Panorama-Beitrag.
Die Wirtschaft muss mit Geld gelockt werden, ist das aufgebraucht, sprich Standort rechnet sich nicht mehr, zieht man halt weiter. Nokia hats genauso gemacht.
Dass der Bauingenieur ausgebuht wird, weil er im MSB war, sagt schon viel aus. Viel besser ist aber der Redner danach: “… weil er mal als Student mitdemonstriert, oder mal nen Club Voltaire in Stuttgart gemacht hat …”
So als wäre Marxist/Kommunist sein und sich damit beschäftigen, wie die Welt eingerichtet ist, sowas wie eine jugendliche Sturm und Drang Phase. Das geht schon vorbei, keine Panik, später ist er staatstreu.
Im zweiten Panorama-Beitrag: Unerträglich, der DDR-Bürger hat alle die schönen Dinge, für die man drüben bezahlen muss und Geld immer knapp ist, aber wichtig ist doch drüben ist man frei in seiner Armut!
Dazu noch Frantz Fanon – Die Verdammten dieser Erde:
“In den kapitalistischen Ländern schiebt sich zwischen die Ausgebeuteten und die Macht eine Schar von Predigern und Morallehrern, die für Desorientierung sorgen. Das Unterrichtswesen, gelichgültig, ob weltlich oder religiös; die Ausbildung von moralischen Reflexen, die vom Vater auf den Sohn übertragen werden; die vorbildliche Anständigkeit von Arbeitern, die nach fünfzig Jahren guter Dienste mit einer Medaille bedacht werden; die allgemein ermunterte Liebe zur Eintracht und zur bürgerlichen Bravheit – all diese geradezu ästhetischen Formen des Respekts vor der etablierten Ordnung schaffen um den Ausgebeuteten eine Atmosphäre der Unterwerfung und Entsagung, welche den Ordnungskräften ihre Arbeit beträchtlich erleichtert.”
Das trifft wunderbar zu, denn was haben die Arbeiter denn entdeckt an ihren Entlassungen und Werksschließungen? Alles wird nur als Abweichung vom eigentlich schönen Funktionieren der kaptialistischen Wirtschaft betrachtet. Führungsetagen und Personaler fahren mit dem Mähdrescher über die Arbeitsplätze und der Arbeiter sieht kein Mittel und erst recht kein Zweck, sondern nur moralische Verkommenheit, Boshaftigkeit schlechthin.
Bleibt nur noch zu sagen: Wenn das nur der Führer wüsste!
Mai 21st, 2015 at 19:49
vielleicht etwas ot, angesichts der historischen links zu panorama aber vielleicht doch nicht: monitor wird heute 50. leider erlebt es klaus bednarz nicht mehr.
Mai 21st, 2015 at 20:18
Hm, die Statistiken sagen nix Neues, es wird fleißig gelesen, aber irgendetwas muss die Leuz sprachlos machen. Sicher die Ruhe vor dem Sturm ;-)
Mai 21st, 2015 at 20:30
Mir kömmt es eher so vor wie Sprachlosigkeit angesichts immer unverbrämteren und offeneren Durchdrehens des ‘Elitariats’…
Mai 21st, 2015 at 20:33
Halb OT: Einige Piraten haben eine nützliche Seite gebastelt, von der aus man seinem MdB eine Mail zukommen lassen kann: Nie wieder #VDS (via Kommentar bei Netzpolitik.org)
@Peinhart: “Draußen” mache ich mich unbeliebt, weil ich immer der Miesepeter (bei vom Positivismus getriebenen Ignoranten) bin, aber “hier” fällt mir eigentlich kaum noch etwas ein. Ich ziehe langsam echt den Hut vor flatter, dass er die Zustände noch so ruhig benennen kann.
Mai 21st, 2015 at 20:44
Hm, vielleicht binde ich eine Hutziehapp ein, das wär auch was für die jungen Leute.
Mai 21st, 2015 at 20:47
Okay, die Wahrheit ist: Ich mag gar keine Hüte.
Mai 21st, 2015 at 21:39
Eine Hutziehapp? Ja, wenn das hier nicht das Durchschnittsalter rapide senkt, dann weiss ich ja auch nicht…
Mai 21st, 2015 at 21:51
Über die Geschichte des “Union Busting” gibt es einen sehr guten Artikel von Werner Rügemer in den aktuellen Blättern. Hier nachzulesen.
Ein kurzer Auszug:
“Die ersten Union Buster agierten als Privatpolizei und Söldnertrupps. Am bekanntesten ist die Pinkerton National Detective Agency, gegründet 1855 von Alan Pinkerton in Chicago. Pinkerton betrachtete Gewerkschaften als kriminell, „unamerikanisch“ und als Vorstufe zum Kommunismus. Seine Privatpolizei – militärisch geführte Trupps von bis zu 300 Mann – verfügte in späteren Jahren über gepanzerte Autos, ausgestattet mit Maschinengewehren und Suchscheinwerfern. Man bekämpfte Streiks und schoss notfalls nicht nur auf Arbeiter, sondern auch auf Kinder und Frauen”
Mai 21st, 2015 at 22:34
@Amike: Ich denke auch eine pink Rollator-App und eine Balldereinsamenherzen App.
Mai 21st, 2015 at 22:51
Noch mehr Gottesdienst: Militärbischof Sigurd Rink spricht auf dem kommenden Evangelischen Kirchentag, untermalt vom Heeresmusikkorps
und Gewehrsalven. Sein Thema: Rechtserhaltende Gewalt gegen dem Westen missliebige Regimes gemäß Deutschlands weltpolitischer Rolle.Ich sag’ ja immer: Wenn sie den LD50 verfehlen, können sie immer noch den LD100 anpeilen, so Gott und Vadderland es will.
Mai 22nd, 2015 at 10:27
*glucks* Ich war schon dabei, Tante Wiki zu fragen … bis ich nochmal langsam las: Hut_zie_app *lol* Btw.: Schrübe man das nich besser Hutziehapp?? ;-)
Mai 22nd, 2015 at 11:13
Man hätte auch besser bessere Augen, die solche Unterschiede noch sehen ;-)
p.s.: Ähm. ich habe das nicht korrigiert, und das stand schon so da. Du willst mich testen, du bist von der Weltregierung!!11!!
Mai 22nd, 2015 at 11:25
Noch so ein Info-GD: Du weißt, ein Artikel ist scheiße, wenn er mit so einem Sermon anfängt:
“Der Mann, der unser aller Leben entscheidend verändern könnte, trägt Schal, Sakko, Burlington-Socken mit rosafarbenem Muster und Jeans. “. Muss man nicht lesen. Furchtbar. Welch ein Schwachsinn! (Danke, fefe!)
p.s.: Adresse ans Genderama: Eine AutorIN. Fokussiert auf die Sockenfarbe. Da ist ein Shitstorm fällig, isn’t it?
Mai 22nd, 2015 at 13:24
Was haben sie dem Nahles versprochen, damit es “die Tarifautonomie stärkt”? Ich meine: Erst haben sie Arbeitslose zu lebensunwerten Parasiten erklärt, jetzt radieren sie die Gewerkschaften aus, diese “Sozialdemokraten”. Wer wählt noch einen solchen Abschaum?
Mai 22nd, 2015 at 13:29
‘Man müsste eine Steigerung für A*loch finden – ich schlage offiziell Sozialdemokrat vor.’ (Pispers)
Mai 23rd, 2015 at 02:21
@flatta: stimmt, die rosafarbenen socken *muss* man nicht lesen, aber kann man; schlicht um den ausufernden wahnsinn der bewertung von menschen durch maschinen in personalabteilungen, “versicherungen” und sonstigen ausgeburten des neoliberalismus besser nachvollziehen zu können.
selten ein schlimmeres beispiel der blinden unterwürfigkeit vor der “effizenz” des algorithmus gelesen. kotzwarnung ist angebracht.
Mai 23rd, 2015 at 12:23
Der BND ist doch unverzichtbar: Knallharte Recherchen haben ergeben, dass Honecker Orgien gefeiert hat!!11!
Mai 23rd, 2015 at 12:31
Ob sich der Uhl wohl dazu äußern wird..?
Mai 23rd, 2015 at 12:31
@dkt #19 – An Dystopien herrscht kein Mangel. Bezeichnend ist aber, dass sie meist unfreiwillig sind, also als ihr Gegenteil, als ‘Verheißung’ aufgefasst und präsentiert werden. In diesem Falle verspricht sie nicht nur die ‘effiziente‘ Einnordung von Humankapital, sondern stellt uns auch noch den empathischen Pflegeroboter in Aussicht. Es wird vorausgesetzt, dass uns das freut, für so ‘gewaschen’ hält man das Publikum allemal inzwischen. Zu hoffen bleibt, dass diese Selbstgewissheit schon deshalb trügt, weil sich auch Medien in erster Linie nur in andren Medien spiegeln und sie letztlich dann doch überziehen. Eine vage Hoffnung, zugegeben.
Mai 23rd, 2015 at 12:43
Das ist das Entertainment-Problem. Die Medien sind ja nicht bloß Verkündungsplattformen, sondern eben auch Produkt. Ees vaerkauft sich das Aah und Ooh, hier der Technikfetisch mit dem Grusel. Resultat ist so etwas wie der Rückfall in die Romantik, Flucht ins Mystische, wo die nächste Stufe der Propaganda schon wartet.
Mai 23rd, 2015 at 20:56
Nichts essentiell Neues, aber netter Text auf LowerClassMagazine: “Dreckige Asylanten”, “Hurensohn-Lokführer”, “Sozialschmarotzer”
[..] Ärgerlich und schräg ist aber das Phänomen, dass Leute, die im Kapitalismus noch nie etwas gewonnen haben und dementsprechend mit seiner Überwindung auch nichts zu verlieren hätten, andere Leute hassen, die ebenfalls im Kapitalismus noch nie etwas gewonnen haben und dementsprechend ebenfalls durch seine Überwindung nichts zu verlieren hätten. [..]
Der Stolz auf die eigene Askese ist eine weit verbreitete Idiosynkrasie in der deutschen Arbeiterklasse, sorgsam gepflegt von Medien, Sozialdemokraten und anderen Klassenfeinden. [..]
p.s.: Morgen sind Kommunalwahlen in Spanien. Gute Zusammenfassung von Ralf Streck auf Telepolis: Zweiparteiensystem in Spanien wird beerdigt