bunt

Dafür kann ich so wenig wie die, die es sind. Ich bin tatsächlich ein Kind aus der Unterschicht. Mein Großvater war einfacher Arbeiter und mein Vater hat als Chemiearbeiter angefangen. Während er sich durch Fleiß und Fortbildung zum gut bezahlten Mitarbeiter in Gefilde hochgearbeitet hat, die sonst nur Akademiker erreichen, habe ich durch die Möglichkeiten der sozialliberalen Ära studiert und promoviert. Mittelschicht sind wir aber trotzdem nicht.

In meinem Fall liegt das daran, dass ich die meiner Ausbildung angemessene Karriere verpasst habe. Tatsächlich musste ich übrigens mit Ende 20 einen Job ausschlagen, der mir eine akademische Karriere beschert hätte. Ich war damals Hausfrau und Mutter, und es kam für mich überhaupt nicht infrage, meine Kinder dafür von irgendwem betreuen zu lassen. Eine Entscheidung, über die ich gelegentlich jammere, die ich aber unter den gegebenen Umständen wieder so träfe. Natürlich liegt mir daher etwas daran, diese Umstände zu ändern.

Die Welt verändern

Die Umstände zu ändern, das heißt für alle. Dabei habe ich nicht nur diejenigen im Blick, die für sich selbst die Umstände ändern können, aber vielleicht nicht dazu kommen, also Leute wie mich. Das wäre die typische Mittelschichtsreaktion, die neoliberale Option der “Chancengerechtigkeit”. Nein, ich will nicht, dass es nur Menschen besser geht, die an der Schwelle zur Mittelschicht stehen, weil sie das Glück einer guten Ausbildung haben oder ehrgeizige Eltern, die sie gefördert haben. Ich möchte, dass ein Leben mit Würde und ohne Angst möglich ist, für alle und sogar mit Kindern. Das lenkt den Blick aufs Wesentliche. Vielleicht ist das eine Motivation, die ein gebildetes Unterschichtskind eher entwickelt als andere.

Der Alltag aber, die Konsumwelt, Kommunikation und die politische Agenda, ist hingegen ein reines Schaulaufen der Mittelschicht. Das endet bei der Verweigerung von Systemkritik und beginnt bei der politischen Korrektheit. Man schlägt nicht die Hand, die das Geld reicht, und daher stellt man auch nicht die Frage, woher es kommt und wohin es geht. Nur als “mein Geld” wird es eigentlich wahrgenommen. “Mein Geld”, das ist das psychologische Grundstück, um das der M-Bürger seinen Zaun zieht. Er hat es sich verdient – ganz allein und persönlich – und will daher auch bestimmen, was damit geschieht. Vielmehr: Weil er das nie darf und mit “seinem Geld” schreckliche Dinge getan werden (Griechen aushalten, Steuern verschwenden), muss er ständig mosern.

Er weiß, dass er da nichts machen kann, selbst seine Finanzexperten haben ihre liebe Not, das zu erklären. Sie wissen, dass sie in Gottes Hand sind, denn alles andere ist Sozialismus-Kommunismus. Also wenden sie sich den Dingen zu, die sie für praktikabler halten. Umweltschutz durch CO2-Aktien etwa, Atomausstieg durch Laufzeitverlängerung, Frauenrechte durch Genderama. Die aufstrebende Partei der Zeit sind konsequenterweise die Grünen. Sie profitieren unter anderem davon, dass die Unterschicht nicht wählt und die Systemkritiker auch nicht. Sie bilden die perfekte Mischung aus Mittelschicht und Konformismus. Sie glauben daran, dass Verbote und Regeln die Welt verbessern und konzentrieren sich auf solche, bei denen sie keinen wirksamen Widerstand erfahren.

Alles so schön bunt hier

Das macht sie zum natürlichen Verbündeten der CDU, die aus christlicher Tradition schon immer konservativ und moralin daherkommt. Der Hauptunterschied: Als katholisch geprägte Partei weiß die CDU Verbote zu relativieren, indem ihre Klientel sündigt, beichtet und wieder sündigt. Die protestantischen Grünen und ihr Umfeld hingegen belassen es nicht beim Verbot, sondern kontrollieren sich und andere – permanent. Alles muss immer richtig sein: Das Verhalten, die Sprache, der Konsum. Alles geregelt, kontrolliert und zertifiziert. Ob das Leben, das dann noch übrig bleibt, unerträglich ist oder die Hütte brennt, ist zweitrangig. Hauptsache korrekt.

Derweil trifft die Oberschicht die wirklich relevanten Verabredungen und bestimmt den Kurs; die Unterschicht hat mit all dem nichts zu tun und lässt sich höchstens zwingen. Sprachregelungen? Mülltrennung? Biosiegel? Geschlechterrollen? Inklusion? Energiewende? Das interessiert oben wie unten niemanden. Die Präsenz dieser Themen im politischen Geschäft begrüßen die einen als willkommenen systemkonformen Karneval, die anderen gehen eh nicht wählen und pfeifen drauf. Nur in der geschäftigen Trance vermeintlicher Leistungsträger, bei den Drohnen der Mittelschicht, glauben sie, ihr ‘Engagement’ hätte etwas mit der Welt zu tun, in der alle leben. Eine Minderheit, der man es überlassen hat die Fassaden anzumalen, lebt ihren Traum, indem sie ihr Leben träumt. Alles schön bunt, und alle machen mit. Dafür sorgen sie schon.